TE Vwgh Erkenntnis 1990/4/25 88/08/0186

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Veröffentlicht am 25.04.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AAV §12 Abs2;
ASchG 1972 §31 Abs2 litp;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
VStG §24;

Betreff

Bundesminister für Arbeit und Soziales gegen Landeshauptmann von Niederösterreich vom 5. April 1988, Zl. VII/1-V-1041/0/1-88, betreffend Übertretung der Arbeitnehmerschutzverordnung (mitbeteiligte Partei: HB)

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrats der Landeshauptstadt St. Pölten vom 6. April 1987 wurde der Mitbeteiligte als handels- und gewerberechtlicher Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 VStG 1950 Verantwortlicher der HB Gesellschaft m.b.H. schuldig erkannt, nicht dafür vorgesorgt zu haben, daß die Raumtemperatur in diesem Betrieb am 26. Februar 1986 um

10.50 Uhr im Bereich des Frischobststandes sowie im Bereich der Frischware die Mindesttemperatur von +19 Grad Celsius betragen habe, sodaß zu diesem Zeitpunkt die Raumtemperatur im Bereich des Frischobststandes nur +8,7 Grad Celsius und im Bereich der Frischware nur +9 Grad Celsius bei einer Außentemperatur an der Nordseite von -5,4 Grad Celsius und an der Südseite vor der Eingangstüre des Betriebes von -1,8 Grad Celsius betragen habe. Hiedurch habe er § 12 Abs. 2 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, BGBl. Nr. 218/1983 i.d.g.F. (AAV) verletzt, weswegen über ihn gemäß § 31 Abs. 2 lit. p des Arbeitnehmerschutzgesetzes eine Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzarrest im Falle der Uneinbringlichkeit von 7 Tagen, 12 Stunden) verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens von S 500,-- auferlegt wurden.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, der im Spruch angeführte Tatbestand sei auf Grund der am 26. Februar 1986 um

10.50 Uhr durch Organe des zuständigen Arbeitsinspektorates durchgeführten Raumtemperaturmessung festgestellt worden. Auf Grund der Verantwortung des Mitbeteiligten, daß die festgestellte niedrige Raumtemperatur infolge Lufteintrittes in seine an das städtische Fernwärmenetz angeschlossene Heizungsanlage hervorgerufen worden sei, sei eine Stellungnahme der Stadtwerke St. Pölten-Fernheizwerke eingeholt worden. Dieser zufolge seien im maßgeblichen Zeitpunkt keine Reparaturen durchgeführt und bei den Stadtwerken auch keine Störungen gemeldet worden. Ein Lufteintritt von der Primärseite (Fernleitung) sei im vorliegenden Fall technisch nicht möglich, unter Umständen habe es sich um eine Störung auf der Sekundärseite der Anlage gehandelt. Der weiteren Verantwortung des Mitbeteiligten, er habe um 7.30 Uhr den Mangel an der Heizungsanlage festgestellt und sofort behoben, könne nicht beigetreten werden. Bei der 3 Stunden und 20 Minuten später erfolgten Raumtemperaturmessung durch das Arbeitsinspektionsorgan hätten nur die im Spruch angeführten (niedrigen) Temperaturen festgestellt werden können, während nach der Kontrolle durch das Arbeitsinspektionsorgan die gebotenen Temperaturen bereits nach 1 Stunde und 10 Minuten erreicht worden seien. Außerdem habe der Mitbeteiligte dem Arbeitsinspektionsorgan "in sehr bestimmender Art" erklärt, daß die Heizkosten bei seinem Geschäftsgang nicht tragbar seien und er daher nicht unnötig heizen werde. Überdies sei er nicht gewillt, den gesetzlichen Zustand herzustellen, sondern werde vielmehr sämtliche Arbeitnehmer entlassen. Auch die Angabe des Mitbeteiligten, wegen der Verderblichkeit der Ware werde vom Marktamt eine Lagerung bei höheren Temperaturen als 16 Grad Celsius nicht gebilligt, scheine angesichts der Zeugeneinvernahme des Lebensmittelinspektionsorgans unrichtig. Bei der Strafzumessung werde als mildernd die bisherige Unbescholtenheit des Mitbeteiligten, erschwerend jedoch kein Umstand angesehen.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Mitbeteiligte im wesentlichen vor, daß die Heizkörper auf Grund eines Gebrechens in der Heizungsanlage nicht funktioniert hätten, da offenbar aus dem Sekundärbereich Luft eingetreten sei. Die Heizkörper seien sofort nach Geschäftsbeginn entlüftet worden, worauf die Heizwirkung wieder eingetreten sei, jedoch sei bei den extrem niedrigen Außentemperaturen bis zur Erreichung der erforderlichen Raumtemperatur natürlich einige Zeit benötigt worden. Diesen Defekt im Sekundärbereich könne er jederzeit durch Zeugen, und zwar durch alle seine Angestellten, beweisen, da diese den Schaden selbst behoben hätten. Darüber hinaus sei in seinem Fall § 12 Abs. 3 AAV anzuwenden, da es in seinem Betrieb absolut unmöglich sei, im Bereich des Frischobststandes und der Frischware Temperaturen von über +19 Grad Celsius einzuhalten, weil bei leicht verderblicher Ware im Interesse des Konsumenten, der eine berechtigte Käufererwartung an die Frische und völlige Unverdorbenheit der Ware habe, die Temperatur bei der Lagerung der Ware so niedrig als möglich gehalten werden müsse. Für die Arbeitnehmer sei ausreichend vorgesorgt, da sich diese im Bereich des Frischobststandes und der Frischware nicht ständig, sondern nur kurzfristig aufhielten und die Möglichkeit hätten, sich die übrige Zeit im durchaus ausreichend erwärmten sonstigen Areal aufzuhalten.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde - nach den vorgelegten Verwaltungsakten ohne weiteres Ermittlungsverfahren - der Berufung des Mitbeteiligten gegen den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 51 VStG 1950 iVm. § 66 Abs. 4 AVG 1950 Folge und stellte das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. b VStG 1950 ein.

Zur Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt:

"Die vom Berufungswerber vorgebrachte Begründung, ein Gebrechen in der Heizungsanlage bei gleichzeitigem Auftreten von besonders niedrigen Temperaturen während der vorangegangenen Nacht hätten die zur Anzeige führenden zu niedrigen Temperaturen im Bereich des Frischobststandes und der Frischware verursacht, konnte nicht widerlegt werden und ist glaubhaft.

Aus der Tatsache, daß die angestrebte Raumtemperatur einmal (bei weitem) nicht erreicht wurde, kann ein schuldhaftes Verhalten nicht abgeleitet werden.

Daß Verkaufsstände für Frischware in einem Kaufhaus am kühlsten Ort situiert werden, ist nicht ungewöhnlich und wird im allgemeinen auch bei der Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen nach Art der Arbeit durch eine gewisse Toleranz berücksichtigt.

Was den Einwand mit § 12 Abs. 3 AAV betrifft, so läßt sich dieser Gesetzesstelle nicht entnehmen, daß die Tätigkeit des Verkaufes von Frischware zu jener Art von Arbeit zählt, die die geforderte Mindesttemperatur nach § 12 Abs. 2 AAV nicht zuläßt.

Eine anderslautende Entscheidung läßt sich u. U. nach Berücksichtigung der Gegebenheiten an Ort und Stelle treffen. Dafür ist jedoch in erster Linie das Arbeitsinspektorat zuständig. Eine generelle Weisung oder auch nur Empfehlung der Lebensmittelbehörde, eine bestimmte Temperatur nicht zu überschreiten, kann sich nur auf Lebensmittel, nicht jedoch auf ständige Arbeitsplätze beziehen."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 9 Abs. 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 gestützte Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wurde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 66 AVG 1950 (der gemäß § 24 VStG 1950 auch im Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens gilt) ist die Berufungsbehörde verpflichtet, ein ordentliches Ermittlungsverfahren durchzuführen und ihre Entscheidung ausreichend zu begründen. Legt die Berufungsbehörde ihrer Entscheidung nicht oder nicht zur Gänze das Ergebnis der von der Unterbehörde durchgeführten Ermittlungen zu Grunde, dann hat auch der Erlassung des Berufungsbescheides gemäß § 56 AVG 1950 die Feststellung des maßgebenden Sachverhalts, soweit er nicht von vornherein klar gegeben ist, nach den Vorschriften der §§ 37 und 39 AVG 1950 voranzugehen. Gerade die Vorschrift, "in der Sache" - die ja auch Gegenstand des Verfahrens der Unterinstanz war - zu entscheiden, bewirkt ferner eine Verfahrenseinheit in dem Sinn, daß die Berufungsbehörde in ihre Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG 1950) auch die von der Unterbehörde erhobenen Tatsachen einzubeziehen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Februar 1971, Zl. 1243/69).

Die belangte Behörde legte, wie sich aus dem ersten Absatz der vorhin wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt, diesem nicht das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde, sondern ging, indem sie ein Gebrechen an der Heizungsanlage für erwiesen hielt und implizit auch zu dem Ergebnis kam, es lägen keine ein Verschulden des Mitbeteiligten begründenden Umstände vor, von gegenteiligen Sachverhaltsannahmen aus. Obwohl sich aus der Bescheidbegründung (was gemäß § 60 AVG 1950 iVm. § 24 VStG 1950 erforderlich wäre) keineswegs ergibt, daß der Sachverhalt von vornherein klar gewesen wäre, traf die belangte Behörde nach den vorgelegten Verwaltungsakten diese Annahmen ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens. Sie hat daher ihren Bescheid schon aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, und zwar deshalb, weil hiedurch der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und gleichzeitig Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der Bescheid war folglich gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis braucht auf das Vorbringen der Beschwerde betreffend die mangelhafte Begründung des angefochtenen Bescheides nicht eingegangen zu werden, zumal dieser Mangel eine geradezu zwangsläufige Folge der Nichtdurchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens wäre.

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz) Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Parteiengehör Rechtsmittelverfahren Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1988080186.X00

Im RIS seit

01.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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