TE Vfgh Erkenntnis 1987/9/30 V71/86

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Veröffentlicht am 30.09.1987
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6500 Jagd, Wild

Norm

B-VG Art18 Abs2
Verordnung der BH Reutte vom 28.5.1986. Zl 1759/5-86
Tir JagdG §38 Abs3

Leitsatz

Individualantrag auf Aufhebung der V der BH Reutte (betreffend Abschußkontrolle); durch Verpflichtung zur Vorlage des erlegten Wildstückes unmittelbare Rechtswirkung der V für den Jagdausübungsberechtigten; Antragslegitimation gegeben V der BH Reutte betreffend Abschußkontrolle; Verordnungsermächtigung des §38 Abs3 Tir. JagdG 1983 setzt vermehrtes Auftreten von Wildschäden voraus; für den gesamten Bezirk erlassene V ohne untersuchung und Gegenüberstellung der Wildschäden, sowie ohne zureichenden Nachweis, daß der Bezirk insgesamt "Gebiete, die zum Lebensraum des den Schaden verursachenden Wildes gehören", umfaßt - Gesetzwidrigkeit der V

Spruch

Die V der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 28. Mai 1986, Zl. 1759/5-86, (Betreff: Abschußkontrolle) wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Das Land Tirol ist schuldig, den Antragstellern zuhanden ihres Vertreters die mit 11.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die (durch Anschlag an der Amtstafel kundgemachte)

V der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 28. Mai 1986, Zl. 1759/5-86, (Betreff: Abschußkontrolle) hat - samt Präambel folgenden Wortlaut:

"Die Bezirkshauptmannschaft Reutte erläßt gemäß §38 Abs3 des Tiroler Jagdgesetzes, LGBl. Nr. 60/1983, nachstehende

Verordnung

1. In allen Jagden im Bezirk Reutte ist im Jagdjahr 1986/87 jedes erlegte weibliche Rotwild und jedes Kalb (Kahlwild) unverzüglich dem zuständigen Hegemeister vorzulegen. Im Falle der Nichterreichbarkeit des Hegemeisters hat die Vorlage an den zuständigen Waldaufseher zu erfolgen, falls dieser nicht erreichbar, bei Genossenschaftsjagden an den Obmann der Jagdgenossenschaft, bei Eigenjagden an den Obmann der Agrargemeinschaft (Interessentschaft), bei Eigenjagden der Republik Österreich (Österr. Bundesforste) an den zuständigen Förster der Österreichischen Bundesforste.

Diese Personen haben die Vorlage des erlegten Wildes auf der Rückseite der Abschußmeldung zu bescheinigen und den rechten Lauscher zu kennzeichnen. (Lochung, Markierung durch Schlitzung)

2. Die Vorlage des Wildstückes kann während der Amtsstunden sowie an Samstagen, Sonn- und Feiertagen zwischen 09.00 Uhr und 12.00 Uhr, auch direkt bei der Bezirkshauptmannschaft Reutte erfolgen. Dies gilt insbesondere für die Jagden im Talkessel Reutte (Gemeinde Reutte, Breitenwang, Ehenbichl, Pflach, Lechaschau, Wängle, Höfen).

Folgende Personen werden als Vorlagepersonen bestimmt:

OK Hans Heiß, OK Wilhelm Berktold, Vb Martin Koch, sowie an Samstagen, Sonn- und Feiertagen der jeweilige Journaldiensthabende."

2. Der in der V bezogene §38 des Tiroler Jagdgesetzes 1983, LGBl. 60, lautet (unter Berücksichtigung der Druckfehlerberichtigung LGBl. 44/1984) wie folgt:

"§38

Überwachung des Abschußplanes

(1) Der Jagdausübungsberechtigte hat die Trophäen des Schalenwildes, bei männlichem Rot- und Rehwild zusätzlich den linken Unterkieferast, bei den Pflichttrophäenschauen des Tiroler Jägerverbandes vorzulegen.

(2) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat durch fachlich befähigte Personen anhand der vorgelegten Trophäen und Unterkiefer die Einhaltung des Abschußplanes zu überprüfen und die Trophäen sowie die Unterkiefer nach der Überprüfung dauerhaft, z.B. durch Anbohren oder Bemalen an unauffälliger Stelle, zu kennzeichnen. Diese Überprüfung kann auch stichprobenweise erfolgen.

(3) Wenn Wildschäden auf Grund von überhöhten Wildbeständen vermehrt auftreten, kann die Bezirksverwaltungsbehörde nach Anhören des Bezirksjagdbeirates für Gebiete, die zum Lebensraum des den Schaden verursachenden Wildes gehören, anordnen, daß bei der Pflichttrophäenschau der linke Unterkieferast auch des weiblichen Rot- und Rehwildes vorzulegen und nach Abs2 zu kennzeichnen ist oder daß der Nachweis für den Abschuß sämtlicher oder einzelner Schalenwildarten dadurch zu erbringen ist, daß das erlegte Wildstück unverzüglich der Bezirksverwaltungsbehörde oder einer von ihr bestimmten fachlich befähigten Person vorzulegen ist. Diese hat die Vorlage des erlegten Wildes auf der Rückseite der Abschußmeldung zu bescheinigen und das Wildstück in der von der Bezirksverwaltungsbehörde angeordneten Form zu kennzeichnen. Die Verpflichtung des Jagdausübungsberechtigten nach Abs1 wird hiedurch nicht berührt.

(4) Verordnungen nach Abs3 sind durch Anschlag an der Amtstafel der Bezirksverwaltungsbehörde kundzumachen. Sie sind überdies vom Tiroler Jägerverband in seinem Mitteilungsblatt zu verlautbaren; diese Verlautbarung ist auf die Rechtswirksamkeit der Verordnungen ohne Einfluß."

3. Die Einschreiter, welche die Pächter je einer Eigenjagd im Bezirk Reutte sind, begehren mit dem auf Art139 (Abs1 letzter Satz) B-VG gestützten Antrag, die wiedergegebene V als gesetzwidrig aufzuheben.

Zur Legitimation führen die Antragsteller im wesentlichen aus, daß sie unmittelbar durch die Gesetzwidrigkeit der V ohne Erlassung eines Bescheides in ihren Rechten verletzt seien, weil ihnen aufgetragen werde, erlegtes Wild bestimmten Personen vorzulegen. Dieser Zwang stelle für sie als Jagdausübungsberechtigte mit dem Wohnsitz in Innsbruck bzw. Aldrans eine Erschwernis bei der Jagdausübung dar; obwohl die Bringung des Wildes oft Stunden in Anspruch nehme und ihnen eine Rückfahrt von rund 80 km bevorstehe, werde ihnen zugemutet, die betreffenden Personen noch nachts aufzusuchen. Ein anderer zumutbarer Weg, sich gegen die rechtswidrige V zur Wehr zu setzen, stehe nicht zu Verfügung, da die Behörde angekündigt habe, bei Verstößen gegen die V Verwaltungsstrafverfahren einzuleiten.

Die Einschreiter stellen in Abrede, daß die in §38 Abs3 TJG 1983 festgelegten materiellen Voraussetzungen für die Verordnungserlassung gegeben sind; diese lägen zumindest für ihre Reviere nicht vor. Einerseits könne in ihren Revieren von überhöhten Wildbeständen nicht die Rede sein und andererseits träten weder dort noch in der Nähe ihrer Reviere Wildschäden auf, die von Wild verursacht werden könnten, das in den Revieren der Antragsteller seinen Einstand habe. Die Ursache für die Verordnungserlassung seien Wildschäden weitab von ihren Revieren, die angeblich auf überhöhte Wildbestände zurückzuführen seien; dies sei "für den ganzen Bezirk verallgemeinert" worden, da gewisse Stellen die Ansicht vertreten, daß der Wildstand im Bezirk zu hoch sei. Es sei rechtswidrig, eine derartige V für den ganzen Bezirk zu erlassen, da diese ja nur für Gebiete erlassen werden dürfe, in denen die auf die genannten Ursachen zurückzuführenden Wildschäden auftreten.

4. Die Tiroler Landesregierung und die Bezirkshauptmannschaft Reutte erstatteten (mit einem gemeinsamen Schriftsatz) eine Äußerung, in der sie die Zurückweisung des Individualantrages oder - hilfsweise - dessen Abweisung begehren.

Die Antragsberechtigung wird in der Äußerung im wesentlichen mit dem Argument bestritten, daß die Einschreiter bloß eine Beeinträchtigung wirtschaftlicher und anderer Interessen (wie etwa die Erschwernis bei der Jagdausübung durch die Vorlageverpflichtung) geltend machten, nicht aber in ihren rechtlichen Interessen berührt seien. Der Umstand, daß eine den gesamten Bezirk betreffende V erlassen wurde, wird damit gerechtfertigt, daß im gesamten Bezirk vermehrt Wildschäden aufgetreten seien.

II. 1. Der vorliegende Individualantrag ist zulässig.

a) Der Gerichtshof verweist auf seine ständige, etwa im Erk. VfSlg. 8396/1978 näher dargestellte Rechtsprechung zur Antragslegitimation. Deren Voraussetzung ist - wie hier hervorgehoben sei -, daß die bekämpfte V für den Antragsteller nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist; zu untersuchen ist hiebei lediglich, ob die vom Antragsteller ins Teffen geführten Rechtswirkungen vorliegen.

Im gegebenen Fall werden die Einschreiter durch die angefochtene V mit einer Rechtspflicht belastet, nämlich der Verpflichtung zur Vorlage des erlegten Wildstücks. Allein in dieser Rechtspflicht manifestiert sich eine den Jagdausübungsberechtigten unmittelbar treffende Rechtswirkung der V, welche von den Antragstellern auch geltend gemacht wird. Daß zu dieser Rechtswirkung noch wirtschaftliche und sonstige Auswirkungen bei der Erfüllung hinzutreten, ist hier - entgegen der von der Landesregierung und der Bezirkshauptmannschaft vertretenen Auffassung - nicht von Belang.

Der Antragsberechtigung steht auch kein anderer zumutbarer Weg entgegen, die Gesetzwidrigkeit der V geltend zu machen.

2. Der Antrag ist auch gerechtfertigt.

Die Erlassung einer V nach §38 Abs3 TJG 1983 setzt materiell ua voraus, daß Wildschäden vermehrt auftreten. Daß ein solches vermehrtes Auftreten nur durch einen Vergleich zuletzt eingetretener mit früher festgestellten Wildschäden ermittelt werden kann, bedarf ebensowenig einer näheren Begründung wie die weitere Überlegung, daß sich solche Vergleiche von Gesetzes wegen nur auf Teilgebiete des Bezirkes beziehen können, weil diese den im Gesetz umschriebenen, voraussetzungsgemäß innerhalb des Bezirkes liegenden "Gebiete(n), die zum Lebensraum des den Schaden verursachenden Wildes gehören", korrespondieren müssen. Die Erlassung einer V, mit der die Vorlagepflicht ausnahmslos für jeden jagdlich in Betracht kommenden territorialen Bereich im Bezirk angeordnet wird, setzt daher nicht nur eine das gesamte Gebiet des Bezirkes umfassende gebietsweise Untersuchung und Gegenüberstellung der Wildschäden voraus, sondern auch den zureichenden Nachweis, daß der Bezirk insgesamt "Gebiete, die zum Lebensraum des den Schaden verursachenden Wildes gehören", umfaßt. Die vorgelegten - umfangreichen und im gegebenen Zusammenhang ersichtlich vollständigen - Verwaltungsakten der Bezirkshauptmannschaft Reutte weisen nun weder die eine noch die andere Voraussetzung für den gesamten Bezirk nach. Bei dieser Lage ist der Vorwurf der Antragsteller berechtigt, daß die Erlassung einer den gesamten Bezirk betreffenden V über die Vorlagepflicht nicht zulässig ist.

Die angefochtene V war sohin als gesetzwidrig aufzuheben.

Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung folgt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §61a VerfGG; vom zugesprochenen Betrag entfallen 1.000 S auf die Umsatzsteuer.

IV. Gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG wurde von einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

Schlagworte

Jagdrecht, Jagdbetriebsführung, Jagdschaden, Wildschaden

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:V71.1986

Dokumentnummer

JFT_10129070_86V00071_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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