TE Vwgh Erkenntnis 1990/5/7 89/15/0104

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Veröffentlicht am 07.05.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
32/04 Steuern vom Umsatz;
82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal;

Norm

BAO §115 Abs4;
BAO §303 Abs4;
KrPflG 1961 §52 Abs4 idF 1975/426;
UStG 1972 §10 Abs2 Z7 lita;
UStG 1972 §10 Abs2 Z7 litc;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 89/15/0109 Besprechung in: ÖStZB 1991, 53;

Betreff

N gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, 1. (Berufungssenat IX) vom 2. Juni 1989, Zl. 6/4 - 4300/87-06, 4352/88-06, betreffend Umsatzsteuer 1978 bis 1985, 2. vom 1. Juni 1989, Zl. 6/4 - 4352/3/88-06, wegen Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen für 1986 und 1987:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 5.520,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin übt seit 1972 auf Grund eines vom Magistrat der Stadt XY am 23. August 1971 ausgestellten Gewerbescheines das Masseurgewerbe aus. In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Zeit bis 1985 beanspruchte sie für den überwiegenden Teil der vereinnahmten Entgelte den gemäß § 10 Abs. 2 UStG 1972 ermäßigten Steuersatz von 8 v.H. bzw. 10 v.H. Bei einer im Jahre 1988 durchgeführten Betriebsprüfung wurde u.a. festgestellt, daß die Beschwerdeführerin nicht über eine Bewilligung der Bezirksverwaltungsbehörde zur Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 52 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Regelung des Krankenpflegefachdienstes, der medizinisch-technischen Dienste und der Sanitätshilfsdienste, BGBl. Nr. 102/1961, (im folgenden Krankenpflegegesetz 1961) verfügt. Der Betriebsprüfer vertrat die Auffassung, die Beschwerdeführerin könne sich schon wegen des Fehlens dieser Bewilligung nicht auf § 10 Abs. 2 Z. 7 lit. a UStG 1972 berufen. Auch § 10 Abs. 2 Z. 11 UStG 1972 könne nicht zur Anwendung kommen, da unmittelbar mit dem Betrieb von Schwimm- und Reinigungsbädern verbundene Umsätze nicht vorlägen.

Das Finanzamt nahm u.a. die Verfahren betreffend Umsatzsteuer 1978 bis 1985 wieder auf und setzte die Umsatzsteuer der oben dargelegten Auffassung des Betriebsprüfers folgend vom Normalsteuersatz ausgehend fest. Ebenfalls von dieser Auffassung ausgehend setzte es Umsatzsteuervorauszahlungen für die Jahre 1986 und 1987 fest.

Mit ihren dagegen erhobenen Berufungen machte die Beschwerdeführerin - abgesehen von einem im Beschwerdeverfahren nicht mehr relevanten Begehren die von der Abgabenbehörde vorgenommenen Zuschätzungen zu Umsatz und Gewinn betreffend - u. a. geltend, bei der Anwendung des begünstigten Steuersatzes komme es stets auf die Art der Leistung und nicht auf irgendwelche anderen Formalkriterien einer Berufsbezeichnung an.

Mit dem zu 1. angeführten Bescheid änderte die belangte Behörde die Bescheide betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer 1978 bis 1982 zugunsten der Beschwerdeführerin ab, wobei sie die im Wege der Schätzung ermittelten Bemessungsgrundlagen entsprechend dem Berufungsbegehren der Beschwerdeführerin festsetzte. Die Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide 1983 bis 1985 wies die belangte Behörde als unbegründet ab.

Mit dem zu 2. angeführten Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die Bescheide, mit denen Umsatzsteuervorauszahlungen für 1986 und 1987 festgesetzt wurden, als unbegründet ab.

Begründend vertrat die belangte Behörde - soweit dies im Beschwerdeverfahren noch von Bedeutung ist - die Auffassung, der Gesetzgeber beschränke in § 10 Abs. 2 Z. 7 lit. a UStG 1972 die Anwendung des begünstigten Umsatzsteuersatzes auf die Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 52 Abs. 3 des Bundesgesetzes BGBl. 102/1961. Die Beschwerdeführerin betreibe aber im Rahmen eines Gewerbebetriebes und somit unbestrittenermaßen nicht freiberuflich mit einigen von ihr beschäftigten Masseuren das in § 3 des zitierten Bundesgesetzes erwähnte, von dessen Anwendung ausgenommene Masseurgewerbe.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, mit denen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges die Verbindung der beiden Beschwerden zur gemeinsamen Erledigung beschlossen und erwogen:

Nach der für die Veranlagungszeiträume bis 1988 maßgeblichen Vorschrift des § 10 Abs. 2 Z. 7 lit. a UStG 1972 ermäßigte sich die Steuer auf 8 v.H. (bis 31. Dezember 1983) bzw. 10 v.H. für die sonstigen Leistungen aus der Tätigkeit als Arzt, Tierarzt, Dentist oder Hebamme sowie als freiberuflich Tätiger im Sinne des § 52 Abs. 3 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 102/1961. Die Bestimmung des Absatzes 3 der zitierten Vorschrift ist seit der Novellierung des Krankenpflegegesetzes 1961 durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 197/1973 in deren Absatz 4 enthalten (in der Folge daher stets mit Abs. 4 bezeichnet). Die zitierte Vorschrift in der im Streitzeitraum anzuwendenden Fassung lautet:

"Freiberuflich dürfen nur der Krankenpflegefachdienst (§ 5), der physikotherapeutische Dienst (§ 26 Abs. 1), der Diätdienst (§ 26 Abs. 4) und der logopädisch-phoniatrisch-audiometrische Dienst (§ 26 Abs. 6) ausgeübt werden. Hiezu bedarf es einer Bewilligung durch die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde. Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn der Bewerber innerhalb der letzten zehn Jahre den betreffenden Beruf befugtermaßen durch zwei Jahre selbständig ausgeübt hat."

Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, welchen der in § 52 Abs. 4 Krankenpflegegesetz 1961 aufgezählten freien Berufe sie ihrer Auffassung nach ausübt. Nach der noch näher zu erörternden Begriffsbestimmung des Gesetzes käme im vorliegenden Fall aber nur die freiberufliche Ausübung des "physikotherapeutischen Dienstes" in Betracht. Gemäß § 26 Abs. 1 Krankenpflegegesetz 1961 umfaßt der nach § 25 lit. a leg. cit. zu den gehobenen medizinisch-technischen Diensten zählende physikotherapeutische Dienst die Ausführung physikalischer Behandlungen nach ärztlicher Anordnung zu Heilzwecken. Hiezu gehören nach der zitierten Vorschrift insbesondere alle elektrotherapeutischen Behandlungen, ferner die Thermo-, Photo-, Hydro- und Balneotherapie sowie die Mechanotherapie (Heilgymnastik, Massage und Ultraschallbehandlung). Die Ausbildung für den physikotherapeutischen Dienst dauert zwei Jahre und sechs Monate (§ 30 Abs. 1 Krankenpflegegesetz 1961) und umfaßt die in den lit. a bis n der zitierten Vorschrift angeführten Unterrichtsgegenstände. Absolventen, die die durch § 42 Krankenpflegegesetz 1961 angeordnete Prüfung erfolgreich abgelegt haben, haben die Berufsbezeichnung "diplomierte Assistentin für physikalische Medizin" - "diplomierter Assistent für physikalische Medizin" zu führen (§ 43 Krankenpflegegesetz 1961).

Nach der dargestellten Rechtslage ist somit die freiberufliche Ausübung des physikotherapeutischen Dienstes nach § 52 Abs. 4 Krankenpflegegesetz 1961 nur Personen gestattet, die sich der beschriebenen Ausbildung und Prüfung unterzogen (und daher zur Führung der erwähnten Berufsbezeichnung berechtigt sind) und innerhalb der letzten zehn Jahre diesen Beruf durch zwei Jahre im Dienste einer Krankenanstalt bzw. einer unter ärztlicher Leitung oder Aufsicht stehenden Einrichtung, die der Vorbeugung, Feststellung oder Heilung von Krankheiten oder der Betreuung pflegedürftiger Personen dienen bzw. in unmittelbarer Unterstützung freiberuflich tätiger Ärzte (vgl. § 52 Abs. 1 Krankenpflegegesetz 1961) ausgeübt haben. Gemäß § 2 Krankenpflegegesetz 1961 ist die Ausübung der unter dieses Bundesgesetz fallenden Tätigkeiten im Rahmen anderer als der durch dieses Bundesgesetz oder durch sonstige gesetzliche Vorschriften auf dem Gebiete des Gesundheitswesens geregelten Berufe verboten; nach § 3 leg. cit. findet die Gewerbeordnung auf die berufsmäßige Ausübung der in den §§ 5, 26, 37 und 44 angeführten Tätigkeiten keine Anwendung.

Aus der dargelegten Rechtslage ergibt sich, daß die Vorschrift des § 10 Abs. 2 Z. 7 lit. a UStG 1972 durch den Verweis auf § 52 Abs. 4 des Krankenpflegegesetzes 1961 an die freie Ausübung des durch Absolvierung einer gesetzlich geregelten Ausbildung, erfolgreichen Ablegung einer Prüfung, unselbständige Ausübung der Tätigkeit in bestimmten Einrichtungen durch bestimmte Zeit und Erteilung einer behördlichen Bewilligung determinierten, umfassenden Berufsbildes (u.a.) des "physikotherapeutischen Dienstes" anknüpft und nicht, wie die Beschwerdeführerin meint, an die Ausübung eines Teiles der den freiberuflich tätigen Angehörigen des physikotherapeutischen Dienstes vorbehaltenen Tätigkeiten. Daß sie die oben erwähnten Voraussetzungen des dargelegten Berufsbildes erfülle, behauptet die das Gewerbe der Masseure nach § 103 Abs. 1 lit. b Z. 34 GewO 1973 ausübende Beschwerdeführerin, die sich lediglich darauf beruft, daß ihre Qualifikation durch eine Tätigkeit als Lehrbeauftragte internationaler Organisationen für Heilmassage zum Ausdruck komme, selbst nicht. Die von ihr ausgeübte Tätigkeit kann somit nicht einer Tätigkeit im Sinne des § 52 Abs. 4 des Krankenpflegegesetzes 1961 gleichgesetzt werden. Überdies kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er ausdrücklich auf § 52 Abs. 4 Krankenpflegegesetz 1961 hingewiesen hätte, wenn er auch anderen Tätigkeiten wegen ihrer Gleichartigkeit den begünstigten Steuersatz hätte zubilligen wollen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. Oktober 1982, Zl. 3006/80, 82/17/0133, 0134, und vom 17. März 1986, Zl. 84/15/0002).

Einer Auseinandersetzung mit dem von der Beschwerdeführerin als "nicht richtig" bezeichneten hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1987, Zl. 86/15/0026, bedarf es im vorliegenden Fall schon deshalb nicht, weil sich dieses ausschließlich mit der Auslegung der hier nicht maßgeblichen Vorschrift des § 10 Abs. 2 Z. 9 UStG 1972 auseinandersetzt. Auch der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach die im Abgabenrecht maßgebliche wirtschaftliche Betrachtungsweise und das Abstellen des Umsatzsteuerrechtes auf den Leistungsaustausch es erforderlich machten, von der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit des Abgabepflichtigen auszugehen und somit unter einem Architekten in § 10 Abs. 2 Z. 7 lit. c UStG 1972 auch einen "planenden Baumeister" zu verstehen, ist nicht zielführend. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in Kenntnis dieser Rechtsprechung weiterhin die Auffassung, daß unter der im § 10 Abs. 2 Z. 7 lit. c VStG 1972 verwendeten Berufsbezeichnung "Architekt" nur der Architektenberuf im Sinne des Ziviltechnikergesetzes zu verstehen ist, sodaß der Anspruch auf den ermäßigten Steuersatz nur von einer Person erhoben werden kann, der die Befugnis zur Führung dieser Berufsbezeichnung nach den Vorschriften des eben erwähnten Gesetzes verliehen worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. November 1986, Zl. 85/15/0284, Slg. Nr. 6167/F). Die im vorliegenden Fall maßgebliche Vorschrift des § 10 Abs. 2 Z. 7 lit. a UStG 1972 knüpft ausschließlich an § 52 Abs. 4 des Krankenpflegegesetzes 1961 an; umso mehr erscheint es geboten, die Steuerbegünstigung nur jenen Personen zu gewähren, die die in der zitierten Vorschrift bezogenen berufsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen.

Die Beschwerdeführerin vertritt ferner die Auffassung, die auf das Fehlen einer Bewilligung nach § 52 Abs. 4 des Krankenpflegegesetzes 1961 gegründete "rückwirkende Nichtanerkennung des ermäßigten Steuersatzes für die rechtskräftig veranlagt gewesenen Kalenderjahre 1978 bis 1983" widerspreche dem § 307 Abs. 2 BAO und dem der Bundesabgabenordnung generell zu Grunde liegenden Prinzip von Treu und Glauben. Die Beschwerdeführerin sei nämlich bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1978 darauf aufmerksam gemacht worden, daß sie ihre Entgelte für Massagen getrennt nach einzelnen Steuersätzen aufzuzeichnen habe. Daraus habe entnommen werden können, daß "der ermäßigte Steuersatz gemäß § 10 Abs. 2 UStG 1972 damals dem Grunde nach unbestritten" gewesen sei.

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit diesen Ausführungen offenbar nicht gegen die Rechtmäßigkeit der amtswegigen Wiederaufnahme, sondern gegen jene der Sachentscheidungen, die die wiederaufgenommenen Verfahren abschließen.

§ 307 Abs. 2 BAO verbietet die für die Partei nachteilige Berücksichtigung einer seit Erlassung des früheren Bescheides eingetretenen Änderung der Rechtsauslegung, die sich auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes oder auf eine allgemeine Weisung des Bundesministeriums für Finanzen stützt. Wenn die Abgabenbehörde, wie die Beschwerde hervorhebt, bei der Erlassung der Sachbescheide in dem wiederaufgenommenen Verfahren insbesondere auf den Umstand Bedacht genommen hat, daß die Beschwerdeführerin nicht über eine behördliche Bewilligung im Sinne des § 52 Abs. 4 des Krankenpflegegesetzes 1961 verfügt, hat sie damit eine (neu hervorgekommene) Tatsache und nicht eine infolge Änderung der Rechtsprechung oder der Erteilung einer allgemeinen Weisung geänderte Rechtsauslegung berücksichtigt und somit nicht gegen das aus § 307 Abs. 2 BAO sich ergebende Verbot verstoßen.

Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt in dieser Vorgangsweise schon deshalb nicht, weil die Beschwerdeführerin aus der in den Vorjahren geübten offensichtlich unrichtigen Vorgangsweise keine Rechte für sich ableiten kann.

Die geltend gemachten Verfahrensmängel leitet die Beschwerdeführerin ausschließlich aus ihrer unrichtigen Rechtsauffassung ab, die Begünstigung nach § 10 Abs. 2 Z. 7 lit. a UStG 1972 ergäbe sich in ihrem Fall schon aus dem Umstand, daß sie an Personen, die von - nur in einem Fall namentlich bezeichneten - Ärzten an sie "verwiesen" würden, "Heilmassagen" vornehme. Mangels Relevanz der in diesem Zusammenhang von der Beschwerdeführerin vermißten Feststellungen bedarf es keiner weiteren Erörterung der darauf bezogenen Beschwerdeausführungen.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Treu und Glauben erworbene Rechte VwRallg6/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989150104.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

14.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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