TE Vwgh Erkenntnis 1990/5/8 90/08/0069

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.05.1990
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

BAO §293;
BSVG §23 Abs5 idF 1987/611;
BSVG §23 Abs5;
B-VG Art7;

Betreff

Sozialversicherungsanstalt der Bauern gegen Bundesminister für Arbeit und Soziales vom 9. Februar 1990, Zl. 120.677/1-7/90, betreffend Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung nach dem BSVG (mitbeteiligte Partei: K)

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1. Aus der Beschwerde und den mit ihr vorgelegten Verwaltungsakten der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt der Bauern ergibt sich folgender Sachverhalt:

1.1. Mit BESCHEID VOM 19. MAI 1989 stellte die Beschwerdeführerin die Pflichtversicherung der mitbeteiligten Partei in der Pensionsversicherung der Bauern für den Zeitraum vom 1. April 1986 bis 28. Februar 1989 fest. Nach der Begründung dieses Bescheides habe der Einheitswert des von der mitbeteiligten Partei auf eigene Rechnung und Gefahr geführten land(forst)wirtschaftlichen Betriebes ab 1. April 1986 nach dem zum 1. Jänner 1980 ausgestellten Einheitswertbescheid vom 19. August 1981 S 33.000,-- betragen. Es sei daher mit diesem Zeitpunkt eine Abmeldung von der (bis dahin aufrechten) Pensionsversicherung nach dem BSVG vorgenommen worden, weil der überwiegende Lebensunterhalt der mitbeteiligten Partei nicht aus den Erträgnissen des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes bestritten werde.

Die Wertfortschreibung vom 19. August 1981 sei jedoch vom Finanzamt mit Bescheid vom 30. September 1987 gemäß § 293 BAO auf S 36.000,-- berichtigt worden. Da diese Berichtigung keine sonstige Änderung des Einheitswertes im Sinne des § 23 Abs. 5 zweiter Satz BSVG sei, sondern an die Stelle des berichtigten Bescheides trete, sei vom 1. April 1986 bis zu einer mit 1. März 1989 vorgenommenen Verpachtung wieder die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung festzustellen gewesen.

1.2. Dem gegen diesen Bescheid der Beschwerdeführerin von der mitbeteiligten Partei erhobenen EINSPRUCH wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 23. November 1989 teilweise Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid der Beschwerdeführerin dahin abgeändert, daß eine Pensionsversicherung für die mitbeteiligte Partei nur in der Zeit vom 1. Jänner 1988 bis 28. Februar 1989 vorgelegen sei. Die Einspruchsbehörde vertrat die Auffassung, daß es sich bei einer gemäß § 293 BAO vorgenommenen nachträglichen Berichtigung eines Einheitswertbescheides (wie im Anlaßfall) um eine sonstige Änderung des Einheitswertes im Sinne des § 23 Abs. 5 zweiter Satz BSVG handle, die mit dem ersten Tag des Kalendervierteljahres wirksam geworden sei, das der Zustellung des Bescheides der Finanzbehörde I. Instanz folge. Dies gehe eindeutig aus dem Regelungszusammenhang des § 23 Abs. 5 zweiter Satz BSVG hervor, der unter sonstigen Änderungen des Einheitswertes alle jene meine, die nicht vom ersten Satz dieser Gesetzesbestimmung umfaßt seien.

Der von der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge gegeben.

Dagegen richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend machende Beschwerde.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. § 23 BSVG in der bis 31. Dezember 1987 (d.h. bis zum Inkrafttreten des Art. I Z. 4 lit. e der 11. Novelle zum BSVG, BGBl. Nr. 611/1987) geltenden Fassung lautete auszugsweise:

"§ 23. (1) Grundlage für die Bemessung der Beiträge in der Kranken- und Pensionsversicherung ist für die gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 Pflichtversicherten, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, der Versicherungswert des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes (monatliche Beitragsgrundlage).

(2) Der Versicherungswert ist ein Hundertsatz des Einheitswertes des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes. Hiebei ist von dem zuletzt festgestellten Einheitswert des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes auszugehen; .....

.....

(5) Änderungen des Einheitswertes gemäß Abs. 3 lit. b, c und d sowie durch sonstige Flächenänderungen werden mit dem ersten Tag des Kalendermonates wirksam, der der Änderung folgt. Sonstige Änderungen des Einheitswertes werden mit dem ersten Tag des Kalendervierteljahres wirksam, das der Zustellung des Bescheides der Finanzbehörde erster Instanz folgt. Im übrigen ist Abs. 3 entsprechend anzuwenden."

§ 293 Abs. 1 BAO in der im Zeitpunkt der Erlassung des Berichtigungsbescheides vom 30. September 1987 geltenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 312/1987 lautet:

"Die Abgabenbehörde kann in ihrem Bescheid unterlaufene Schreib- und Rechenfehler oder andere offenbar auf einem ähnlichen Versehen beruhende tatsächliche oder ausschließlich auf dem Einsatz einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten berichtigen."

2.2. Das Schicksal der vorliegenden Beschwerde hängt von der Beantwortung der Frage ab, ob § 23 Abs. 5 BSVG alle denkbaren Fälle der Änderung eines Einheitswertes abschließend regelt oder ob dies nicht der Fall ist. Bejahendenfalls käme der Beschwerde keine Berechtigung zu, zumal (wovon auch die Beschwerdeführerin ausgeht) ein Fall des Abs. 3 lit. b, c oder d ebensowenig vorliegt, wie der Fall einer sonstigen Flächenänderung im Sinne des ersten Satzes der genannten Gesetzesstelle.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 18. Dezember 1986, Zl. 82/08/0113, ausgesprochen, daß eine abgabenbehördlich verfügte bescheidmäßige Änderung des Einheitswertes im Sinne einer Fortschreibung, die ihren Grund nicht in einem der Fälle des § 23 Abs. 5 erster Satz BSVG hat, - ungeachtet ihrer abgabenrechtlichen Wirkung auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt - BEITRAGSRECHTLICH mit dem ersten Tag des Kalendervierteljahres wirksam wird, das der Zustellung des Bescheides der Finanzbehörde I. Instanz folgt. Diesem Erkenntnis liegt die Rechtsauffassung zugrunde, § 23 Abs. 5 BSVG enthalte eine alle Einheitswertänderungen umfassende, abschließende Regelung über deren beitragsrechtliche Wirksamkeit.

Dies entspricht auch dem Wortsinn der genannten Bestimmung:

Der ERSTE SATZ des § 23 Abs. 5 BSVG benennt jene Fälle, in denen die Änderung des Einheitswertes auch beitragsrechtlich mit dem ersten Tag des Kalendermonates, DER DER ÄNDERUNG FOLGT, wirksam wird, in Form einer Taxation (Verweisung auf die Fälle des Abs. 3 lit. b, c und d, seit der mit 1. Jänner 1988 in Kraft getretenen 11. Novelle zum BSVG auch lit. f) und einer Generalklausel zugunsten der von den verwiesenen, gesetzlich geregelten Fällen nicht umfaßten sonstigen Änderungen des Einheitswertes, soweit sie durch FLÄCHENÄNDERUNGEN bedingt sind. Der ZWEITE SATZ der genannten Gesetzesstelle enthält hingegen eine alle übrigen Fälle abdeckende weitere Generalklausel und ordnet für diese Fälle die beitragsrechtliche Wirksamkeit mit dem auf die ZUSTELLUNG DES

BESCHEIDES DER FINANZBEHÖRDE I. INSTANZ FOLGENDEN ERSTEN TAG

EINES KALENDERVIERTELJAHRES an.

2.3. Die Argumentation der Beschwerdeführerin geht nun dahin, daß es nicht tragbar sei, fehlerhafte Bescheide aus dem Bereich der Finanzverwaltung auch dann für den Rechtsbereich der Sozialversicherung gelten zu lassen, wenn sie im ursprünglichen Bereich sogar mit rückwirkender Wirkung beseitigt worden seien. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin werden mit der Wendung "sonstige Änderungen" in § 23 Abs. 5 zweiter Satz BSVG nur alle jene Wertvorschreibungen erfaßt, welche grundsätzlich die bis zur Erlassung des Bescheides in Geltung befindlichen Einheitswerte nicht rückwirkend verändern, sondern nur für die Zukunft.

2.4. Zunächst ist der Beschwerdeführerin zum letztgenannten Argument zu erwidern, daß es auch in den Fällen des zweiten Satzes des § 23 Abs. 5 BSVG sogar die Regel sein wird, daß der Bescheid der Finanzbehörde eine zeitlich auf einen früheren Zeitpunkt zurückwirkende Änderung des Einheitswertes (wie etwa auch im Falle des Erkenntnisses vom 18. Dezember 1986, Zl. 82/08/0113) und nicht bloß eine Änderung für die Zukunft bewirkt. Es ist auch nicht bestreitbar, daß die Berichtigung eines Bescheides im Sinne des § 293 BAO (oder § 62 Abs. 4 AVG) zugleich auch eine Änderung dieses Bescheides im Sinne (auch des juristischen) Sprachgebrauches darstellt (vgl. RINGHOFER, Verwaltungsverfahrensgesetze, Anm. 10 zu § 62 AVG). Der Beschwerdeführerin ist allerdings zuzugeben, daß bei sonstigen Änderungen des Einheitswertes der frühere Einheitswertbescheid bis zum Zeitpunkt, ab welchem die Änderung erfolgt weiterhin seine Rechtswirksamkeit entfaltet, mit anderen Worten diese vom Änderungsbescheid zwar zeitlich begrenzt, jedoch nicht gänzlich beseitigt wird. Es wäre also denkbar, daß der Gesetzgeber den Fall der ursprünglichen Unrichtigkeit und nachfolgenden gänzlichen Beseitigung eines Einheitswertbescheides im Wege der Berichtigung gemäß § 293 BAO (zu denken wäre etwa auch an eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §§ 303 ff BAO oder die Ausübung des Aufsichtsrechts gemäß § 299 BAO) nicht bedacht hat, die (von seinem Wortlaut her indizierte) Anwendung des § 23 Abs. 5 zweiter Satz BSVG unter Berücksichtigung der ratio legis auf solche Fälle daher überschießend wäre, mit anderen Worten die Vorausetzungen dafür vorlägen, einen möglicherweise zu weiten Wortlaut der genannten Bestimmung dahin teleologisch zu reduzieren, daß bestimmte, "nicht gemeinte", (wenn auch vom Wortlaut umfaßte) Fallgruppen daraus wieder ausgeschieden werden (vgl. dazu F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 480 f).

2.5. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Frage, ob der Gesetzgeber Fälle wie den vorliegenden bedacht hat oder nicht (somit die Frage nach dem Vorliegen einer verdeckten Regelungslücke als eine von zwei Voraussetzungen einer den Wortlaut reduzierenden Gesetzesinterpretation) auf sich beruhen, weil die zweite Voraussetzung für eine teleologische Reduktion, nämlich die Sinnwidrigkeit der Gesetzesanwendung, nicht vorliegt. Dies aus folgenden Gründen:

2.5.1. Der Zweck des § 23 Abs. 5 zweiter Satz BSVG war anläßlich eines beim Verfassungsgerichtshof zu G 90 und 128/86 betreffend diese Gesetzesbestimmung anhängigen Gesetzesprüfungsverfahrens Gegenstand eingehender Erörterungen (vgl. dazu und zum folgenden das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Dezember 1986, VfSlg. 11201). Der Verfassungsgerichtshof vermochte, wie er in seinem Prüfungsbeschluß ausführte, vorerst keine sachliche Rechtfertigung dafür zu erkennen, daß eine Änderung des Einheitswertes im Sinne der geprüften Gesetzesstelle erst mit dem ersten Tag des Kalendervierteljahres wirksam werde, wenn die Änderung des Einheitswertes zu einem wesentlich früheren Stichtag - also rückwirkend - erfolge, insbesondere aber auch dafür nicht, daß die Änderung der Beitragsgrundlage (und damit auch der Beitragshöhe) ganz wesentlich von manipulierbaren Umständen abhänge. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes wurzelten nicht zuletzt in der Überlegung, daß der bis zur Bescheiderlassung und Bescheidzustellung verstreichende Zeitraum verhältnismäßig lang sein könne und dieses lange währende Auseinanderklaffen zwischen dem Stichtag der Wertvorschreibung und jenem der Änderung der Beitragsgrundlage nicht bloß so relativ selten vorkomme, daß es als Härtefall vernachlässigbar sein könnte.

2.5.2. Diese Bedenken des Verfassungsgerichtshofes wurden im Gesetzesprüfungsverfahren durch die Äußerung der (im vorliegenden Verfahren beschwerdeführenden) Sozialversicherungsanstalt der Bauern zerstreut, wonach eine rückwirkende Bedachtnahme auf Änderungen des Einheitswertes, die nicht vor der Feststellung des Finanzamtes möglich sei, sich nicht nur auf der Beitrags- sondern auch auf der Leistungsseite auswirken müßte. Die - wie die Beschwerdeführerin auch im gegenständlichen Verfahren zutreffend bemerkt - in beide Richtungen denkbaren Änderungen des Einheitswertes würden - rückwirkend angewendet - zum Verlust oder zum Entstehen von Versicherungsansprüchen und damit unter Umständen auch zu rückwirkenden Belastungen der Versicherten, sei es durch die Nachzahlung von Beiträgen, sei es durch die Rückforderung erbrachter Leistungen, führen. Beitragsrechtlich rückwirkend wirksame Änderungen der Einheitswerte könnten auch zum gänzlichen oder teilweisen rückwirkenden Verlust von Leistungsansprüchen aus der Pensionsversicherung (Wegfall einer vorzeitigen Alterspension wegen Überschreitens der "Bagatellgrenze", Anwendung der Ruhensbestimmungen) führen.

2.5.3. Diese Erwägungen sind nicht nur geeignet, die Sachlichkeit der Regelung des § 23 Abs. 5 zweiter Satz BSVG darzutun (wie dies im Fall des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes der Fall war), sie bringen letztlich auch die ratio legis der genannten Gesetzesbestimmung zutreffend zum Ausdruck, den Gleichlauf von Beitrags- und Leistungsrecht zu wahren. Erblickt man aber darin den Sinn der Norm, dann kann es keinen Unterschied machen, ob die rückwirkende Änderung des Einheitswertes einen früheren Einheitswertbescheid ganz oder teilweise aus dem Rechtsbestand beseitigt, weil die VERMEIDUNG DER BEITRAGSRECHTLICHEN RÜCKWIRKUNG AN SICH das gesetzgeberische Anliegen ist, es sei denn, die Änderung des Einheitswertes hätte in einer Flächenänderung ihre Ursache.

2.6. Der Verwaltungsgerichtshof hält daher auch unter dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles an seiner bereits im Erkenntnis vom 18. Dezember 1986, Zl. 82/08/0113, zum Ausdruck gekommenen Rechtsauffassung fest, daß § 23 Abs. 5 BSVG eine alle Fälle einer Einheitswertänderung umfassende abschließende Regelung enthält und Änderungen der Einheitswerte beitragsrechtlich immer dann nach dem zweiten Satz des § 23 Abs. 5 BSVG wirksam werden, solange nicht ein Fall des ersten Satzes vorliegt.

2.7. Da im Beschwerdefall somit die beitragsrechtliche Wirksamkeit der Einheitswertänderung gemäß § 23 Abs.5 zweiter Satz BSVG mit 1. Jänner 1988 eingetreten ist, hat die belangte Behörde (ebenso wie die Einspruchsbehörde) den Beginn der Versicherungspflicht der mitbeteiligten Partei gemäß § 6 Abs. 3 BSVG (iVm § 2 Abs. 2 und 3 BSVG) zutreffend mit diesem Tag angenommen.

3. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990080069.X00

Im RIS seit

08.05.1990

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten