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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
BauO Wr §54;Betreff
Bund gegen Berufungssenat der Stadt Wien vom 23. Mai 1989, Zl. MA 70-12/72/89 betreffend Befreiung von der Gehsteigreinigungspflicht
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Gemeinde) Wien hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom 27. September 1988 beantragte die namens des Bundes als Träger von Privatrechten (Eigentümer der Liegenschaft Wien 4, Wiedner Hauptstraße 8-10, "Freihaus-Gründe", auf der sich ein Institutsgebäude der Technischen Universität Wien befindet) einschreitende Bundesbaudirektion Wien beim Magistrat der Stadt Wien die Befreiung "von der winterlichen Gehsteigbetreuuung § 93 StVO für den Gehsteig vor der Baulinie des v.a. Objektes im Bereich der Wiedner Hauptstraße". Dieses Begehren wurde damit begründet, daß ein "Arkadenbau" den Fußgängern ermögliche, den betreffenden Gehsteigteil zu umgehen. In dem dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakt findet sich eine Planskizze der gegenständlichen Örtlichkeit, die von der antragstellenden Dienststelle zur Ergänzung des Antrages nachgereicht wurde. In diesem Plan ist eine Verkehrsfläche, auf die sich der Antrag teilweise bezieht, rot umrandet.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag vom 27. September 1988 "um Befreiung des Bundes als Träger von Privatrechten von der Verpflichtung zur Säuberung von Schnee und Bestreuung bei Schnee und Glatteis des dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteiges in Wien 4, Wiedner Hauptstraße 8-10 (Freihausgründe), in dem in der beiliegenden Skizze rot angezeichneten Umfang" als unbegründet abgewiesen.
In der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht die beschwerdeführende Partei der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die beschwerdeführende Partei hat von sich aus zwei weitere Schriftsätze gemäß § 36 Abs. 8 VwGG eingebracht. Beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens haben ferner über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes je eine weitere Äußerung erstattet.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 93 Abs. 1 erster Satz StVO 1960 in der Fassung der 10. Novelle haben die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten, ausgenommen die Eigentümer von unverbauten land- und forstwirtschaftlichen Liegenschaften, dafür zu sorgen, daß die entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut sind. Gemäß § 93 Abs. 4 StVO 1960 in der Fassung der 3. Novelle hat die Behörde nach Maßgabe des Erfordernisses des Fußgängerverkehrs sowie der Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des übrigen Verkehrs im Einzelfall durch Bescheid Einschränkungen der Verpflichtung nach Abs. 1 auszusprechen.
1. Es brauchte nicht näher darauf eingegangen zu werden, daß sich der Antrag offenbar zum Teil auf Verkehrsflächen bezog, hinsichtlich derer eine Verpflichtung des Bundes als Grundstückseigentümer zur winterlichen Betreuung gar nicht besteht, nämlich soweit der Gehsteig breiter als 3 m ist, weil der angefochtene Bescheid insofern die Rechtssphäre des Bundes nicht berührt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0078, in Form von Rechtssätzen abgedruckt in Slg. Nr. 11.895/A).
2. Den Grund für ihre Annahme, die Erfordernisse des Fußgängerverkehrs ließen die Erlassung einer Ausnahmebewilligung nach § 93 Abs. 4 StVO 1960 nicht zu, erblickte die belangte Behörde darin, daß sich vor dem Objekt Nr. 8 - 10 eine Straßenbahnhaltestelle befindet. Die von der beschwerdeführenden Partei in ihrem Antrag genannte bauliche Anlage ("Arkadenbau"), die eine teilweise Überdachung des Gehsteiges umfasse, ändere nichts an der Notwendigkeit zur Reinigung des nicht überdachten Gehsteiges zur Ermöglichung des Zuganges zu dem (offenbar außerhalb des 3 m-Bereiches gelegenen - siehe obigen Punkt 1.) Haltestellenbereich. Die Haltestelle sei auf Grund ihrer Lage im Nahbereich öffentlicher Einrichtungen (Technische Universität, Secession) und des Naschmarktes bei jeder Witterungslage stark frequentiert.
Diese auf einem im wesentlichen unbestrittenen Sachverhalt beruhende Auffassung entspricht dem Gesetz. Es entspricht jedenfalls den Erfordernissen des Fußgängerverkehrs, den gefahrlosen Zugang zu einer Haltestelle eines Massenbeförderungsmittels zu ermöglichen. Wenn auch für Fußgänger, die die Wiedner Hauptstraße in der Längsrichtung begehen, die Benützung des Gehsteiges vor dem Objekt Nr. 8-10 nicht notwendig ist, weil sie den überdachten, in den Baukörper integrierten Bereich benützen können, so trifft dies zumindest auf den Zugang zur Haltestelle nicht zu. Diesbezüglich ist es erforderlich, den Benützern der öffentlichen Verkehrsmittel den Zugang zur Haltestelle in ihrem gesamten Bereich auf kürzestem Weg zu ermöglichen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. November 1964, Zl. 42/64).
Der Grundstückseigentümer hat bei einer Konstellation wie der vorliegenden im Rahmen seiner gesetzlichen Verpflichtung nach § 93 Abs. 1 StVO 1960 seinen Beitrag zur Ermöglichung des Zuganges zur Haltestelle zu leisten. Ob im übrigen andere Rechtsträger - etwa der Straßenerhalter oder das Verkehrsunternehmen - verpflichtet sind, den Haltestellenbereich außerhalb der 3-m-Grenze benützbar zu machen bzw. zu erhalten und ob sie bejahendenfalls dieser Verpflichtung tatsächlich nachkommen, berührt nicht die Rechtssphäre des Grundstückseigentümers. Selbst wenn eine Reinigung des Haltestellenbereichs außerhalb der 3-m-Grenze unterbliebe, würde er einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, daß Benützern der in Rede stehenden Verkehrsmittel der Zu- und Abgang von diesen erleichtert wird.
Daran vermögen auch die weitwendigen Beschwerdeausführungen nichts zu ändern. Die den angefochtenen Bescheid tragenden Feststellungen wurden aus Anlaß der am 14. Februar 1989 in Anwesenheit von Vertretern der beschwerdeführenden Partei durchgeführten Ortsverhandlung getroffen. Die Beschwerde enthält - wie schon das Vorbringen der Organe der beschwerdeführenden Partei im Verwaltungsverfahren - keinerlei Bestreitung der maßgeblichen Umstände; auf das Vorhandensein einer Haltestelle wird überhaupt nicht eingegangen. Wenn dessenungeachtet die Behauptung aufgestellt wird, es lägen Verfahrensmängel vor, so wird in keiner Weise dargetan, welchen anderen maßgeblichen Sachverhalt die Behörden des Verwaltungsverfahrens bei Vermeidung der angeblichen Verfahrensfehler ermittelt hätten.
Bemerkt sei, daß sich die beschwerdeführende Partei insofern selbst widerspricht, als sie einerseits zutreffend von einem Rechtsanspruch auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 93 Abs. 4 StVO 1960 spricht, aber andererseits der belangten Behörde fehlerhaften Gebrauch von ihrem freien Ermessen zum Vorwurf macht. Der Umstand, daß die Gehsteigreinigung bisher von der Gemeinde Wien durchgeführt worden sei, hat auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides keinen Einfluß. Bemerkt sei auch, daß es für die Verpflichtung zur Reinigung u.dgl. des Gehsteiges nach § 93 Abs. 1 StVO 1960 unerheblich ist, wer den Gehsteig hergestellt hat sowie ob und aus welchem Grunde der Grundeigentümer von der sich aus baurechtlichen Vorschriften (vgl. § 54 der Wiener BauO) ergebenden Verpflichtung zur Gehsteigherstellung befreit worden ist.
Soweit die Beschwerde auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Eigentumsrecht Bezug nimmt, ist im Rahmen der Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes lediglich darauf zu verweisen, daß der Verfassungsgerichtshof gegen § 93 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 StVO 1960 keine verfassungsrechtlichen Bedenken hat (vgl. die Erkenntnisse Slg. Nr. 6878/1972 und 10.114/1984).
3. Trotzdem kann der Beschwerde nicht der Erfolg versagt werden. Der Haltestellenbereich erstreckt sich nämlich nicht über die gesamte Länge des vom Antrag erfaßten Teiles des Gehsteiges. Da die Abweisung des Antrages der beschwerdeführenden Partei ausschließlich mit dem Vorhandensein der Straßenbahnhaltestelle begründet wurde, stellt sich die Frage, wieso von der belangten Behörde nicht zumindest eine teilweise Stattgebung dieses Antrages in Betracht gezogen wurde, nämlich in Ansehung der Gehsteigsteile, die für einen direkten Zugang von den Arkaden zur Haltestelle nicht benötigt werden. Der Verwaltungsgerichtshof vermag diese Frage aufgrund der Aktenlage nicht zu beantworten. Die belangte Behörde ist diesbezüglich eine Begründung schuldig geblieben. Mangels Trennbarkeit dieses Inhaltes des angefochtenen Bescheides von dem unter Punkt 2. als dem Gesetz entsprechend erkannten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG zur Gänze aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989020100.X00Im RIS seit
12.06.2001Zuletzt aktualisiert am
27.02.2009