TE Vwgh Erkenntnis 1990/5/11 89/18/0153

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Veröffentlicht am 11.05.1990
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
22/02 Zivilprozessordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §47;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §28 Abs1 Z5;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1 impl;
VwGG §42 Abs2;
ZPO §292;
ZPO §294;

Betreff

N gegen Vorarlberger Landesregierung vom 9. August 1989, Zl. Ib-182-16/89, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.410,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 3. November 1988, womit der Beschwerdeführer der Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. b der Straßenverkehrsordnung 1960 schuldig erkannt worden war, wurde dem ausgewiesenen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers laut dem blauen Rückschein, versehen mit der Eingangsstampiglie der Rechtsanwaltskanzlei XY, mit Datumsstampiglie und Unterschrift, am Dienstag, dem 8. November 1988, zugestellt. Die Berufung des Beschwerdeführers gegen dieses Straferkenntnis wurde laut Poststempel auf dem Kuvert am Mittwoch, dem 23. November 1988, zur Post gegeben.

Mit Bescheid vom 9. August 1989 erkannte die Vorarlberger Landesregierung als Berufungsbehörde über diese Berufung meritorisch dahin, daß ihr gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 keine Folge gegeben werde.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde wegen "unrichtiger rechtlicher Beurteilung".

In ihrer Gegenschrift beantragte die belangte Behörde, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Mit Beschluß vom 23. Februar 1990 gab der Verwaltungsgerichtshof den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens seine vorläufige Rechtsansicht dahin bekannt, daß nach den eingangs erwähnten Aktenvorgängen die Berufung verspätet gewesen sein dürfte.

Unter der Annahme der Richtigkeit dieses Sachverhaltes wäre die verspätete Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

Nach vorläufiger Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes könnte der angefochtene Bescheid deshalb mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet sein, weil er der verspäteten Berufung nicht Folge gab und das erstinstanzliche Straferkenntnis in der Sache bestätigte. Durch diesen Vorgang könnten Rechte des Beschwerdeführers, insbesondere jenes, daß ihm bei Unzulässigkeit der Berufung keine Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt werden, verletzt worden sein (vgl. Erkenntnisse vom 11. März 1981, Zl. 03/0641/80, vom 19. Dezember 1985, Zl. 85/02/0125).

Der Beschwerdeführer äußerte sich dahin, daß das Straferkenntnis der Behörde erster Instanz laut Eingangsstampiglie der Kanzlei seines Rechtsanwaltes dort am 9. November 1988 zugestellt worden sei, deshalb sei die Berufung rechtzeitig gewesen. Als Beilage wurde eine Ausfertigung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses, versehen mit der Eingangsstampiglie der Rechtsanwaltskanzlei XY, mit dem Datum des 9. November 1988, vorgelegt.

Die belangte Behörde äußerte sich dahin, daß das erstinstanzliche Straferkenntnis dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers am 8. November 1988 zugestellt worden sei, wie sich aus den Verwaltungsstrafakten ergebe. Die am 23. November 1988 zur Post gegebene Berufung sei verspätet gewesen; dies sei aus einem Versehen der belangten Behörde bei der Berufungsentscheidung nicht berücksichtigt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. N.F. Nr. 11525/A, hat der Verwaltungsgerichtshof eine für die Entscheidung im Rahmen der Beschwerdepunkte maßgebende inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auch dann aufzugreifen, wenn sie vom Beschwerdeführer weder ausdrücklich noch nach dem Inhalt der Beschwerde geltend gemacht wurde. Eine solche inhaltliche Rechtswidrigkeit eines Berufungsbescheides würde in Verwaltungsstrafsachen unter anderem dann vorliegen, wenn die Berufungsbehörde über die Berufung eine Sachentscheidung getroffen hat, obwohl die Berufung als unzulässig oder als verspätet zurückzuweisen gewesen wäre (so die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, z.B. Erkenntnisse vom 11. März 1981, Zl. 03/0641/80, vom 19. Dezember 1985, Zl. 85/02/0125).

Im vorliegenden Fall wird das Datum der Zustellung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers durch den blauen Rückschein, versehen mit Poststempel und Paraphe des Postzustellers, ferner mit der Eingangsstampiglie der Rechtsanwaltskanzlei XY und der Datumsstampiglie vom 8. November 1988 dokumentiert. Ein solcher Rückschein stellt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. Beschluß vom 22. März 1982, Slg. N.F. Nr. 10687/A; Erkenntnis vom 28. Februar 1985, Zl. 85/02/0115) eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 292 Abs. 1 ZPO dar. Solche Urkunden, welche im Geltungsbereich dieses Gesetzes von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form errichtet sind, begründen vollen Beweis dessen, was darin von der Behörde amtlich verfügt oder erklärt oder von der Behörde oder der Urkundsperson bezeugt wird. Nach Abs. 2 dieses Paragraphen ist der Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges oder der bezeugten Tatsache oder der unrichtigen Beurkundung zulässig.

Nun hat aber der Beschwerdeführer einen Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache nicht angetreten. Die bloße Behauptung, das erstinstanzliche Straferkenntnis sei in der Rechtsanwaltskanzlei erst am 9. November 1988 eingelangt, vermag auch in Verbindung mit der vorgelegten Privaturkunde (nämlich der Einlaufstampiglie der Rechtsanwaltskanzlei) die Beweiskraft der genannten öffentlichen Urkunde nicht zu erschüttern. Die Privaturkunde begründet nämlich gemäß § 294 ZPO grundsätzlich nur vollen Beweis dafür, daß die in ihr enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern herrühren; dies allerdings unter der Voraussetzung, daß sie von den Ausstellern unterschrieben oder mit ihrem Handzeichen versehen sind. Letzteres liegt bei der Einlaufstampiglie der Rechtsanwaltskanzlei, die jeder Unterfertigung und jedes Handzeichens entbehrt, nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof geht daher in Übereinstimmung mit der belangten Behörde davon aus, daß die Zustellung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 8. November 1988 erfolgte. Demnach erwies sich die am 23. November 1988 zur Post gegebene Berufung als verspätet.

Die belangte Behörde hätte diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als verspätet zurückweisen müssen. Daß sie das nicht tat, sondern über die verspätete Berufung in der Sache absprach, begründet nach der oben zitierten Rechtsprechung die Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

Schlagworte

Beweismittel Urkunden Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Erklärung und Umfang der Anfechtung Anfechtungserklärung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989180153.X00

Im RIS seit

11.05.1990

Zuletzt aktualisiert am

26.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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