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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Frage ob eine in Prüfung gezogene anwendbare Norm noch in Kraft steht - keine Zulässigkeitsfrage, sondern Frage der Sachentscheidung Ausnahme von Rechtsanwälten von der Anspruchsberechtigung auf Leistungen aus der Krankenversicherung ihres Ehegatten als öffentlich Bediensteter, obwohl sie keinen Krankenversicherungsschutz durch eine Sozialversicherung genießen - darauf zurückzuführen, daß die gesetzliche berufliche Vertretung der Rechtsanwälte keinen Gebrauch von der Möglichkeit einer diesbezüglichen Antragstellung Gebrauch gemacht hat; Unterscheidung nach der durchschnittlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der betroffenen Personengruppe bei Abgrenzung der Versicherungspflichtigen und Festlegung der Leistungsvoraussetzungen sowie verwaltungsökonomische Überlegungen nicht unsachlich; kein Verstoß der Wendung "Abs2 Z1 und" in §56 Abs9 gegen den GleichheitsgrundsatzSpruch
Der Antrag wird insoweit abgewiesen, als die Aufhebung der Verweisung "Abs2 Z. 1 und" in §56 Abs9 des Beamten-, Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 200/1967, in der Fassung der 12. Nov., BGBl. Nr. 78/1983, begehrt wird.
Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Das Verfahren betrifft die Ausnahme gewisser freiberuflich selbständig Erwerbstätiger von der Anspruchsberechtigung als Angehörige eines nach dem Beamten-, Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (B-KUVG) Versicherten.
1. Das Oberlandesgericht Wien stellt gemäß §89 Abs3 und Art140 Abs1 B-VG den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §56 Abs9 des B-KUVG idF der 12. Nov., BGBl. 78/1983.
Nach §56 Abs1 B-KUVG haben Angehörige Anspruch auf Leistungen, wenn sie weder nach den Vorschriften dieses BG noch nach anderer gesetzlicher Vorschrift krankenversichert sind und für sie auch seitens einer Krankenfürsorgeeinrichtung eines öffentlich-rechtlichen Dienstgebers Krankenfürsorge nicht vorgesehen ist. Als Angehörige gelten neben dem Ehegatten (Abs2 Z1) unter Umständen auch eine an dessen Stelle den Haushalt führende Person (Abs6), ein schuldlos geschiedener Ehegatte (Abs7) und die Eltern (Abs8). Nach dem bekämpften Abs9 gelten unter dem Blickwinkel der Anspruchsberechtigung
"die in Abs2 Z1 und Abs6 bis 8 genannten Personen... nur als Angehörige, soweit es sich nicht um Personen handelt, die im §2 Abs1 des BG über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger, BGBl. Nr. 624/1978, angeführt sind".
Nach §2 Abs2 des hier genannten Gesetzes wird die Pflichtversicherung der von diesem Gesetz erfaßten Personen allerdings erst durch V des Bundesministers für soziale Verwaltung begründet - und zwar gegebenenfalls auch nur für einzelne Zweige der Sozialversicherung -, sofern die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Angehörigen der jeweiligen Personengruppe die Einführung eines Versicherungsschutzes rechtfertigen, für diese Personengruppe nicht bereits Versicherungsschutz in den in Betracht kommenden Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung besteht und ein Antrag der für das Bundesgebiet jeweils in Betracht kommenden gesetzlichen beruflichen Vertretung gestellt wird. Ein solcher Antrag ist bisher für die Mitglieder der Rechtsanwaltskammern nicht gestellt worden.
Beim antragstellenden Gericht ist zu 35 R 237/86 die Berufung der Klägerin gegen ein Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien anhängig, das ihre Klage auf Erstattung der Kosten eines Heilmittels als Angehörige im Sinne des §56 B-KUVG, nämlich als Ehefrau (Abs2 Z1) eines Mitgliedes des VfGH abweist. Die begehrte Leistung war vom beklagten Sozialversicherungsträger mit der Begründung abgelehnt worden, die Antragstellerin gehöre als Mitglied der Rechtsanwaltskammer zum Personenkreis der nach dem BG über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger (FSVG) Pflichtversicherten und gelte daher nach §56 Abs9 B-KUVG nicht als Angehörige.
Das Gericht hält §56 Abs9 B-KUVG idF der 12. Nov. wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz für verfassungswidrig, weil die dort genannte Personengruppe ohne Rücksicht auf eine tatsächlich bereits begründete Pflichtversicherung von der Angehörigeneigenschaft ausgeschlossen werde, andere im Inland freiberuflich selbständige Erwerbstätige aber nicht.
2. Die Bundesregierung hält den Antrag für unzulässig, weil lediglich der Ausspruch begehrt wird, daß die angegriffene Gesetzesstelle "verfassungswidrig ist", obwohl sie infolge Neufassung durch die 15. Nov. außer Kraft getreten sei; selbst wenn man davon ausginge, daß die 15. Nov. nicht den Inhalt der zu prüfenden Vorschrift umgestaltet, sondern nur die ziffernmäßige Bezeichnung geändert habe, hätte die Aufhebung der dann noch geltenden Norm begehrt werden müssen.
In der Sache verteidigt die Bundesregierung die Verfassungsmäßigkeit der Regelung.
II. Der Antrag ist nur insoweit zulässig, als er die Verweisung "Abs2 Z. 1 und" betrifft. Im übrigen ist er als unzulässig zurückzuweisen.
1. Es ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß das OLG Wien als zur Entscheidung zweiter Instanz berufenes Gericht §56 Abs9 B-KUVG (mit einer sogleich zu erwähnenden Ausnahme) anzuwenden hätte. Die Unstimmigkeit in der Formulierung des Antrags steht einer Erledigung der Sache nicht entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist die Frage, ob eine anwendbare Norm, deren Verfassungsmäßigkeit zur Prüfung gestellt wird, noch in Kraft steht oder bereits außer Kraft getreten ist, keine Frage der Zulässigkeit des Antrages, sondern eine solche der Sachentscheidung, die der Gerichtshof an der jeweiligen Situation auszurichten hat (vgl. VfSlg. 8871/1980 und die dort zitierte Vorjudikatur). Die von der Bundesregierung behauptete Einschränkung dieser Auffassung auf den Fall, daß die Norm erst nach Antragstellung außer Kraft getreten ist, findet weder in der von ihr genannten Entscheidung VfSlg. 4718/1964 noch in der auf dieses Erkenntnis folgenden Rechtsprechung eine Stütze. Auch sonst sind die Prozeßvoraussetzungen insoweit gegeben.
2. Das antragstellende Gericht hat aber nur über die Frage zu entscheiden, ob der in Abs2 Z1 des §56 genannten Ehefrau eines Versicherten Leistungen gebühren, nicht aber über die Ansprüche sonstiger Angehöriger, eines geschiedenen Ehegatten oder der Eltern, deren Rechtsstellung in den Abs6 bis 8 des §56 B-KUVG behandelt wird. Da die angegriffene Bestimmung mit der Formulierung "Die im Abs2 Z. 1 und Abs6 bis 8 genannten Personen..."
beide Fälle getrennt regelt und eine bloße Aufhebung der Wendung "Abs2 Z. 1 und" den zweiten Fall unberührt läßt während die Belassung des keinesfalls anwendbaren Hinweises auf Abs6 bis 8 für sich allein sinnlos wäre -, kann der Antrag unter dem Blickwinkel der vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken nur bezüglich der Worte "Abs2 Z. 1 und" zulässig sein (vgl. für einen ähnlich gelagerten Fall VfSlg. 9936/1984).
III. Die Bedenken des antragstellenden Gerichts treffen nicht zu. Die Wendung "Abs2 Z. 1 und" in §56 Abs9 B-KUVG verstößt nicht aus den vom antragstellenden Gericht vorgetragenen Gründen gegen den Gleichheitssatz.
1. Als Angehörige galt nach der Stammfassung des §56 Abs2 Z1 unter anderem "die Ehegattin (der erwerbsunfähige und unterhaltsberechtigte Ehegatte)". Diese Regelung war jener des §123 Abs1 und Abs2 Z1 ASVG nachgebildet. Nachdem das Erfordernis der Unterhaltsberechtigung des erwerbsunfähigen Ehegatten durch die 29. Nov. zum ASVG bzw. 4. Nov. zum B-KUVG fallengelassen worden war, lautet die jeweilige Z1 des Abs2 in beiden Gesetzen seit der 36. Nov. zum ASVG bzw. 10. Nov. zum B-KUVG
"1. der Ehegatte". Gleichzeitig wurde aber §123 ASVG bzw. §56 B-KUVG ein Abs9 folgenden Inhaltes angefügt:
"Die in Abs2 Z1 und Abs6 bis 8 genannten Personen gelten nur als Angehörige, wenn sie kein Erwerbseinkommen bzw. keine Einkünfte aus Pensionen oder Ruhe(Versorgungs)genüssen einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft beziehen; Erwerbseinkommen bzw. Einkünfte unter den in §5 Abs2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes genannten jeweils geltenden Beträgen sowie Erwerbseinkommen aus dem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb haben hiebei außer Betracht zu bleiben".
Die 38. Nov. zum ASVG bzw. 12. Nov. zum B-KUVG änderte Abs9 ab. Die Notwendigkeit einer auf die Einkommensverhältnisse des Angehörigen Bedacht nehmenden Änderung wird in der Regierungsvorlage (1310 BlgNR, 15.GP, 12 zum ASVG, worauf die Regierungsvorlage zur B-KUVG-Nov., 1313 BlgNR verweist) wie folgt motiviert:
"Aufgrund der Bestimmung des §123 Abs1 und 2 Z1 ASVG in der bis zum 31. Mai 1981 in Geltung gestandenen Fassung bestand für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert waren, unter den in dieser Gesetzesstelle genannten Voraussetzungen ein Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung auch für ihre als Angehörige geltende Ehegattin bzw. den erwerbsunfähigen Ehegatten, wobei dieser Anspruch von der Höhe des Einkommens der Ehegattin (des erwerbsunfähigen Ehegatten) grundsätzlich nicht beeinflußt wurde. Diese Rechtslage ist ab 1. Juni 1981 aus folgenden Gründen geändert worden:
Nachdem die verfassungsgesetzlich gebotene Gleichstellung der Geschlechter in anderen Rechtsbereichen schon durchgezogen war, wurden durch die 36. Nov. zum ASVG, BGBl. Nr 282/1981, und die gleichzeitig beschlossenen Novellen zu den anderen Sozialversicherungsgesetzen alle geschlechtsspezifischen Regelungen durch geschlechtsneutrale Bestimmungen ersetzt. In der Regierungsvorlage zu diesem Novellenpaket war daher vorgesehen, daß zum Kreis der Angehörigen, für die Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung besteht, nicht nur die Ehegattin eines männlichen Versicherten, sondern auch der Ehegatte einer weiblichen Versicherten zählt. Im Zuge der Beratungen dieses Novellenpaketes im Ausschuß für soziale Verwaltung des Nationalrates wurde von den Abgeordneten Hellwagner, Dr. Johann Haider und Dr. Jörg Haider ein gemeinsamer Abänderungsantrag gestellt, der auch die Einfügung eines Absatzes 9 in den §123 ASVG und gleichartiger Bestimmungen in den anderen Sozialversicherungsgesetzen enthielt. Dieser Abänderungsantrag wurde vom Nationalrat angenommen (733 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XV.GP).
Wie aus den Beratungen im Ausschuß für soziale Verwaltung des Nationalrates bekannt ist, sind die antragstellenden Abgeordneten bei ihren Überlegungen von dem, insbesondere bei freiberuflichen Erwerbstätigen durchaus nicht seltenen Fall ausgegangen, daß der Ehegatte seine Ehegattin bei sich selbst als Dienstnehmerin beschäftigt und ihr für diese Tätigkeit ein über der Geringfügigkeitsgrenze liegendes Entgelt bezahlt, was die volle Sozialversicherungspflicht der Ehegattin zur Folge hat. Bei der durch die 36. Nov. vorgenommenen geschlechtsneutralen Fassung der Angehörigeneigenschaft der Ehegatten hätte dies zur Folge gehabt, daß der männliche freiberuflich Tätige 'Angehöriger' der bei ihm als Dienstnehmerin beschäftigten Ehegattin gewesen wäre und aus der Versicherung seiner Gattin beitragsfrei Leistungen in Anspruch nehmen hätte können. Ein solches Ergebnis wurde als sozialpolitisch ungerechtfertigt angesehen und diese Möglichkeit durch die Bestimmung des §123 Abs9 ASVG ausgeschlossen. Es ist zwar richtig, daß dadurch auch Frauen aus dem Kreis der Angehörigen ausscheiden, die aus einer freien Erwerbstätigkeit ein über der Geringfügigkeitsgrenze des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes liegendes, jedoch die Sozialversicherungspflicht nicht begründendes Einkommen erzielen.
Allerdings muß dazu folgendes gesagt werden: In der gesetzlichen Krankenversicherung erhält der Versicherte die Leistungen nicht nur für sich selbst, sondern auch für die im Gesetz genannten oder aufgrund gesetzlicher Ermächtigung durch die Satzung einbezogenen Angehörigen, und zwar, ohne daß der Versicherte eine gesonderte Beitragsleistung für seine Angehörigen erbringen müßte. Es hat daher etwa der alleinstehende Versicherte den gleichen - einkommensbezogenen - Versicherungsbeitrag zu bezahlen wie ein Versicherter mit einer beliebigen Anzahl von Angehörigen.
Dies bedeutet aber, daß die Versichertengemeinschaft in ihrer Gesamtheit mit ihren Beiträgen für die Leistungen der Krankenversicherung an Angehörige aufkommen muß, für die kein Beitrag entrichtet wird. Nun ist aber eine solche beitragsfreie Leistungserbringung nur solange rechtspolitisch gerechtfertigt, als der Angehörige nicht selbst Einkünfte hat, die es ihm ermöglichen, für einen eigenen Krankenversicherungsschutz vorzusorgen. Daß es seit dem Inkrafttreten der 36. Nov. zum ASVG auch Fälle gibt, in denen Ehegattinnen infolge eines eigenen Einkommens nicht mehr kostenlos die Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch nehmen können, ist daher als logische Konsequenz aus der rechtspolitischen Forderung zu sehen, daß die kostenlose Inanspruchnahme von Leistungen aus der Krankenversicherung aufgrund einer Angehörigeneigenschaft nur diejenigen Personen vorgesehen sein soll, die sich nicht aufgrund eigener Einkünfte den Krankenversicherungsschutz selbst verschaffen können.
Bei der praktischen Anwendung des §123 Abs9 ASVG in der Fassung der 36. Nov. zum ASVG, BGBl. Nr. 282/1981, haben sich allerdings vielfältige Probleme ergeben, die eine Gesetzesänderung notwendig werden ließen....".
Die Änderung wurde jedoch nicht in der auf den Einzelfall abstellenden Fassung der Regierungsvorlage beschlossen. Der Ausschuß für soziale Verwaltung brachte vielmehr eine kürzere - nämlich die hier in Prüfung stehende - Fassung in Vorschlag und begründet dies in seinem Bericht (1344 BlgNR 2f, zum ASVG, worauf in 1347 BlgNR für das B-KUVG verwiesen wird) so:
"Kern der Bestimmung des §123 Abs9 ASVG in der bisherigen Fassung ist - wie schon in der Begründung der Regierungsvorlage einer 38. Nov. zum ASVG (1310 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates) ausgeführt wurde - die Überlegung, daß bei freiberuflich Erwerbstätigen der Ehegatte seine Ehegattin bei sich selbst nicht selten als Dienstnehmerin beschäftigt, was die volle Sozialversicherungspflicht der Ehegattin und damit die Angehörigeneigenschaft des Ehegatten in der Krankenversicherung zur Folge hat. Ziel des §123 Abs9 ASVG war es insbesondere, eine solche sozialpolitisch ungerechtfertigte Lösung auszuschließen. Die Neuregelung des §123 Abs9 ASVG hat allerdings erhebliche administrative Schwierigkeiten verursacht. Mit der Neuformulierung des §123 Abs9 ASVG in der Fassung der Regierungsvorlage einer 38. Nov. zum ASVG wurde eine Verringerung dieser Schwierigkeiten angestrebt. Zur Gänze beseitigt werden konnten sie aber dennoch nicht, weil etwa die zeitgerechte Ermittlung des Erwerbseinkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit für die Zwecke der Beitragseinhebung nach wie vor problematisch ist. Die nunmehr vom Ausschuß für soziale Verwaltung vorgeschlagene Fassung des §123 Abs9 ASVG beseitigt alle bisherigen administrativen Schwierigkeiten mit einem Schlag, indem sie die beitragsfreie Angehörigeneigenschaft nur in den Fällen ausschließt, in denen der Angehörige zum Personenkreis, der unter das FSVG fällt, zählt, und zwar ohne Rücksicht auf die Höhe des Erwerbseinkommens der Betroffenen. Die Überlegungen, die zu der bisherigen Regelung des §123 Abs9 ASVG geführt haben (siehe oben), bleiben dabei voll aufrecht.
Vom Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst wurde die Frage des Ausschlusses des Personenkreises gemäß §2 FSVG von der Angehörigeneigenschaft in der Krankenversicherung aus der Sicht des Gleichheitssatzes geprüft. Es hat dabei im wesentlichen folgendes ausgeführt:
"Hinsichtlich des Kreises der nach dem FSVG pflichtversicherten freiberuflich selbständig Erwerbstätigen ist zu sagen, daß die Einbeziehung in eine gesetzliche Sozialversicherung durchaus ein sachliches Kriterium für den Ausschluß von der Mitversicherung nach dem ASVG darstellen kann. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst übersieht in diesem Zusammenhang nicht, daß das Verfahren der Einbeziehung bestimmter Berufsgruppen in die Pflichtversicherung nach dem FSVG gesetzlich besonders gestaltet und die Aktualisierung der Versicherungspflicht von einem Antrag der in Betracht kommenden gesetzlichen beruflichen Vertretung abhängig gemacht ist. Hinsichtlich bestimmter Gruppen (Rechtsanwälte) wurde ein solcher Antrag aber bisher nicht gestellt. Nach Ansicht des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst ist dies kein Argument gegen die sachliche Rechtfertigung der in Frage stehenden Abgrenzung. Wird nämlich in die Willensbildung zur Einbeziehung in die gesetzliche Pflichtversicherung ein Akt der in Betracht kommenden gesetzlichen beruflichen Vertretung eingebaut, so ist es Sache der demokratisch legitimierten Organe der Selbstverwaltung, für eine entsprechende Aktualisierung der Versicherungspflicht zu sorgen. Es kann nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, bestimmten Berufsgruppen einerseits die gesetzliche Pflichtversicherung zu eröffnen, andererseits aber bei anderen Vorschriften darauf Rücksicht zu nehmen, daß die entsprechende gesetzliche berufliche Vertretung von der Möglichkeit der Einbeziehung dann doch nicht Gebrauch gemacht hat."
2. An die geschilderte Entstehungsgeschichte der in Prüfung stehenden Bestimmung anknüpfend umschreibt das antragstellende Gericht seine Bedenken sowie deren Prämisse:
"Aus dem Wortlaut der Bestimmung des §56 Abs9 B-KUVG in der Fassung der 12. B-KUVG-Nov. im Zusammenhang mit dem Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung des Nationalrates (1344 BlgNR 15. GP) ergibt sich, daß der Gesetzgeber tatsächlich die im §2 Abs1 FSVG genannten Personen von der Angehörigeneigenschaft ausschließen wollte, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Pflichtversicherung durch eine V im Sinne des Absatzes 2 dieser Gesetzesstelle bereits begründet wurde oder nicht. Eine 'verfassungskonforme' Auslegung der Bestimmung des §56 Abs9 B-KUVG in dem von der Berufungswerberin gewünschten Sinne, daß nur die tatsächlich nach dem FSVG bereits pflichtversicherten Personen von der Angehörigeneigenschaft ausgeschlossen sein sollten, verbietet sich daher.
§56 Abs9 B-KUVG i.d.F. der 12. B-KUVG-Nov. ist daher so auszulegen, daß eine im Abs2 Z. 1 genannte Person (hier die Ehegattin) nicht als Angehörige gilt, wenn sie Mitglied einer Rechtsanwaltskammer ist.
Mit dieser Fassung des §56 Abs9 B-KUVG (§123 Abs9 ASVG) mögen tatsächlich administrative Schwierigkeiten 'mit einem Schlag' beseitigt worden sein, nach Ansicht des Berufungsgerichtes jedoch unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes mangels sachlicher Differenzierung, weshalb die im §2 Abs1 FSVG genannten Personen, bei denen es sich - wie aus §1 FSVG hervorgeht - nur um einige Gruppen der im Inland freiberuflich selbständig Erwerbstätigen handelt, ohne Rücksicht auf eine tatsächlich bereits begründete Pflichtversicherung von der Angehörigeneigenschaft im Sinne des §56 B-KUVG ausgeschlossen sein sollen, andere im Inland freiberuflich selbständig Erwerbstätige aber nicht.
Das Berufungsgericht vermag sich nicht den vom Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst für die Verfassungskonformität dieser Bestimmung ins Treffen geführten Argumente auszuschließen, zumal den einzelnen Angehörigen der im §2 Abs1 FSVG genannten Körperschaften ein Einfluß auf die tatsächliche Einbeziehung in die Pflichtversicherung nicht zusteht."
Welche Gruppen der freiberuflich selbständig Erwerbstätigen das antragstellende Gericht bei seinem Vergleich im einzelnen vor Augen hat, ist seinem Antrag nicht zu entnehmen.
3. Die Bundesregierung gruppiert in ihrer Äußerung im Gesetzesprüfungsverfahren die freiberuflich selbständig Erwerbstätigen danach, ob ihre Pflichtversicherung aktuell oder bloß potentiell besteht, und meint über die Sachlichkeit der Gleichbehandlung habe sich
"...bereits der Sozialausschuß des Nationalrates eine ausdrückliche Auffassung gebildet. Mit dieser setzt sich das antragstellende Gericht im Grunde nur soweit auseinander, als man sich den vom Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst ... für die Verfassungskonformität dieser Bestimmung ins Treffen geführten Argumenten nicht anzuschließen vermag...
Zur sachlichen Rechtfertigung verweist die Bundesregierung zunächst auf die ... Stellungnahme des Verfassungsdienstes .... Soweit sich das antragstellende Gericht
dieser - ohne nähere Begründung - nicht anzuschließen vermag, ist der Bundesregierung bloß die Unterstreichung der Ausführungen des Verfassungsdienstes möglich",
führt aber dann näher aus:
"Soweit das Oberlandesgericht Wien die behauptete Unsachlichkeit der angefochtenen Gesetzesstellen mit der seiner Meinung gemäß §2 Abs1 FSVG mangelnden Einflußmöglichkeit des einzelnen Mitgliedes einer Rechtsanwaltskammer auf die Einbeziehung in die Pflichtversicherung begründet, so übersieht das Gericht im sozialversicherungsrechtlichen Zusammenhang das in der Sozialversicherung geltende Grundprinzip der Solidarität.
Wie der VfGH im Zusammenhang mit den für eine Sozialversicherung maßgebenden Kriterien wiederholt entschieden hat, ist es für die Pflichtversicherung ohne Belang, ob der einzelne einer Sozialversicherung bedarf (vgl. zB VfSlg. 3670/1960). Dem VfGH zufolge ist die Riskengemeinschaft der Sozialversicherten eine Solidaritätsgemeinschaft, bei der über den individuellen Sonderinteressen die gemeinsamen Interessen der in der Pflichtversicherung zusammengefaßten Personen zu stehen haben (vgl. VfSlg. 4714/1964).
Die Mehrheit der Mitglieder der Rechtsanwaltskammer hat, wie der Umstand, demzufolge diese Interessenvertretung von der ihr nach dem FSVG gebotenen Möglichkeit bisher keinen Gebrauch gemacht hat, deutlich zeigt, an der Begründung der Pflichtversicherung kein Interesse.
Nach Auffassung des VfGH hat die Abgrenzung der Riskengemeinschaft ohne Berücksichtigung individueller Interessen nach den Gruppenbedürfnissen zu erfolgen (vgl. VfSlg. 4714/1964). In diesem Kontext vermag die Bundesregierung keine Gleichheitswidrigkeit der in Prüfung stehenden Bestimmung zu erkennen und kann eine solche offenbar auch gar nicht konstruiert werden.
Die Bedenken des Oberlandesgerichtes Wien verfehlen aber auch den in der Selbstverwaltung zum Ausdruck kommenden Aspekt der Demokratie:
Für den Regelfall ist davon auszugehen, daß die Entscheidung über die Einbeziehung einer Gruppe in die Sozialversicherung unmittelbar duch den Gesetzgeber zu erfolgen hat. Wenn im besonderen Fall eine Durchführungsverordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung unter anderen Voraussetzungen von einem Antrag der in Betracht kommenden gesetzlichen beruflichen Vertretung abhängig gemacht wird, so anerkennt der Gesetzgeber damit, daß es sich bei dieser Antragstellung um eine Aufgabe handelt, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der zur Selbstverwaltungskörperschaft zusammengefaßten Personen gelegen und geeignet ist, durch diese Gemeinschaft besorgt zu werden (vgl. VfSlg. 8215/1977). Als juristische Person kann die Selbstverwaltungskörperschaft 'Österreichischer Rechtsanwaltskammertag' - für das Bundesgebiet in Betracht kommende gesetzliche berufliche Vertretung im Sinne des §2 Abs2 FSVG - nur durch ihre Organe handeln (§§35ff des Gesetzes, womit eine Rechtsanwaltsordnung eingeführt wird, RGBl. Nr. 96/1868 idgF), wobei an der demokratischen Legitimation dieser Organe (VfSlg. 8466/1979) nach Ansicht der Bundesregierung kein Zweifel besteht (§§22ff iVm 35ff RAO).
Dem einzelnen Mitglied einer Rechtsanwaltskammer steht im Rahmen der demokratischen Legitimierung der zuständigen Organe sehr wohl sein Anteil an der Willensbildung zu. die Ansicht des Oberlandesgerichtes Wien ist daher im Ansatz verfehlt!"
4. Der VfGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß der Gesetzgeber bei der Abgrenzung des Personenkreises der Versicherungspflichtigen wie auch bei Festlegung der Leistungsvoraussetzungen nach der - durchschnittlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der betroffenen Personengruppen unterscheiden darf (VfSlg. 2841/1955 S 185, 3745/1960 S 261, 5356/1966 S 527, 6332/1970 S 871, 7117/1973 S 25, 9753/1983 S 606, 10030/1984 S 417). Der Gleichheitsgrundsatz verbietet es - wie der VfGH wiederholt festgestellt hat (vgl. etwa VfSlg. 4289/1962, 8457/1978, 8871/1980) - dem Gesetzgeber nicht, bei der Normsetzung zu generalisieren, von einer auf den Modellfall (Regelfall) abstellenden Durchschnittsbetrachtung auszugehen und bei seinen Regelungen zu typisieren. Dabei können im besonderen auch Erfordernisse der Verwaltungsökonomie motivierend zum Tragen kommen (vgl. zB VfSlg. 8204/1977, 8875/1980). Es kann daher grundsätzlich auch kein Einwand dagegen erhoben werden, wenn der Gesetzgeber - anders als noch die Regierungsvorlage - zur Vermeidung administrativer Schwierigkeiten Ansprüche der Angehörigen vom Versicherten nicht danach bestimmt hat, ob der einzelne Angehörige ein Bedürfnis nach sozialem Krankenversicherungsschutz hat (sich nicht "aufgrund eigener Einkünfte den Krankenversicherungsschutz selbst verschaffen kann"), sondern ob ein solches Bedürfnis in jener Gruppe freiberuflich selbständig Erwerbstätiger besteht, welcher er nach der von ihm ausgeübten Tätigkeit zugehört.
Der VfGH hat ferner wiederholt ausgesprochen, der Gesetzgeber dürfe dem Umstand Bedeutung zumessen, daß eine Berufsgruppe bisher eine Einbeziehung in die Pflichtversicherung abgelehnt hat (VfSlg. 5356/1966, 7117/1973 und der Sache nach auch 9753/1983). Tatsächlich ist bei Selbständigen zum Teil ein Widerstand gegen die Einbeziehung in das System der Sozialversicherung zu erkennen (vgl. VfSlg. 9753/1983). Eben dieser Umstand hat den Gesetzgeber im BG über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger (FSVG) veranlaßt, die Begründung der Pflichtversicherung von einem Antrag der für die Berufsgruppe in Betracht kommenden beruflichen Vertretung abhängig zu machen. Wenn daher die angegriffene Vorschrift im Ergebnis Rechtsanwälte von Leistungen aus der Krankenversicherung ihres Ehegatten als öffentlich Bediensteter ausschließt, obwohl diese keinen Krankenversicherungsschutz durch eine Sozialversicherung genießen, so liegt das nicht am Gesetzgeber, der die Möglichkeit der Krankenversicherung geschaffen hat, sondern an der Berufsgruppe selbst, die von der durch den Gesetzgeber geschaffenen Möglichkeit keinen Gebrauch macht und damit zum Ausdruck bringt, daß ihre Angehörigen nach ihrer durchschnittlichen Leistungsfähigkeit sich "den Krankenversicherungsschutz selbst verschaffen können". Dabei ist es von Bedeutung, daß die gesetzliche berufliche Vertretung, von deren Antrag eine Einbeziehung auch der Rechtsanwälte in das Pflichtversicherungssystem abhängt, als Selbstverwaltungskörper mit obligatorischer Mitgliedschaft und demokratischer Organisation eingerichtet ist, so daß dem einzelnen Mitglied im Rahmen der repräsentativ-demokratisch organisierten Willensbildung auch die Möglichkeit gegeben ist, die Haltung der Berufsgruppe zu beeinflussen.
Ist es aber sachlich, auch die nicht verwirklichte Möglichkeit der Einbeziehung einer Berufsgruppe in eine gesetzliche Sozialversicherung zum Kriterium des Ausschlusses von Leistungen an Mitglieder dieser Berufsgruppe in ihrer Eigenschaft als Angehörige eines Versicherten zu machen - und genau das ist ja angesichts der schon in §56 Abs1 enthaltenen Einschränkung die besondere Zielsetzung des Abs9 -, so ist es auch sachlich, wenn freiberuflich selbständig Erwerbstätigen, die eine solche Möglichkeit nicht haben, solche Leistungen gewährt werden, ohne daß für jede einzelne der in Betracht kommenden Berufsgruppen geprüft werden müßte, ob sie nicht gleichfalls in der Lage wäre, sich "den Krankenversicherungsschutz selbst zu verschaffen". Der Gesetzgeber ist nicht verhalten, sich gerade bei der Frage der Leistungsberechtigung von Angehörigen umfassend darüber Rechenschaft zu geben, warum Gruppen von Personen nicht in die gesetzliche Sozialversicherung einbezogen worden sind.
Der VfGH verkennt nicht, daß es Gruppen feiberuflich Erwerbstätiger geben wird, deren durchschnittliches Einkommen sie in die gleiche Lage versetzt, in der sich Ärzte, Rechtsanwälte oder Apotheker befinden. Er hält es sogar für offenkundig, daß die im Verhältnis zu anderen Berufen leicht gesetzlich erfaßbare Gruppe der Notare, die (zusammen mit den Notariatskandidaten) nach dem NotarversicherungsG, BGBl. 66/1972, lediglich pensions-, nicht aber krankenversichert sind, auf Leistungen als Angehörige öffentlich Bediensteter ebensowenig angewiesen sind wie die Rechtsanwälte. Auf sie mußte der Gesetzgeber aber schon deshalb nicht durch eine zusätzliche, allfällige Vorteile beseitigende Vorschrift Bedacht nehmen, weil der Fall, daß der Ehegatte eines Notars im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, so selten sein wird, daß er praktisch vernachlässigt werden kann. Ob die Vernachlässigung der Notare in anderen Zweigen der Sozialversicherung sachlich zu rechtfertigen ist, kann in diesem Verfahren nicht erörtert werden.
Das antragstellende Gericht hat nichts konkretes vorgebracht, was es unsachlich erscheinen ließe, daß freiberuflich selbständig Erwerbstätige, welche die Möglichkeit des Beitrittes zu einer gesetzlichen Sozialversicherung nicht haben, insgesamt nicht von der Berechtigung zu Leistungen als Angehörige öffentlich Bediensteter ausgenommen wurden.
Dem Antrag kann daher keine Folge gegeben werden.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Sachentscheidung, Sozialversicherung, berufliche Vertretungen, Rechtsanwaltskammer, Selbstverwaltung, Rechtsanwälte, Ehe und Verwandtschaft, KrankenversicherungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:G164.1986Dokumentnummer
JFT_10128998_86G00164_00