TE Vwgh Erkenntnis 1990/5/15 89/02/0156

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Veröffentlicht am 15.05.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
StVO 1960 §20 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs2 litc;
VStG §19 Abs1;
VStG §31 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a lita;
VStG §44a litb;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z2;

Betreff

N gegen Wiener Landesregierung vom 22. August 1989, Zl. MA 70-10/2129/88/Str, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig befunden, er habe am 18. Mai 1988 um 21.45 Uhr an einem bestimmten Ort in Wien als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges durch mangelnde Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit beim knappen Vorbeifahren an zwei Fußgängerinnen die Fahrgeschwindigkeit nicht den gegebenen Verkehrsverhältnissen angepaßt und sei unmittelbar vor den Fußgängerinnen, welche die Fahrbahn überquerten, vorbeigefahren, wobei er bereits in Kenntnis des Verhaltens der Fußgängerinnen gewesen sei; er habe diese dadurch gefährdet und sich dadurch besonders rücksichtslos gegenüber anderen Straßenbenützern verhalten. Der Beschwerdeführer habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. c StVO begangen. Es wurde eine Geldstrafe (Ersatzarreststrafe) verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Gemäß § 20 Abs. 1 erster Satz StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen oder durch Straßenverkehrszeichen angekündigten Umständen, insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen, sowie den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen.

Diese Vorschrift stellt sohin einen relativen Maßstab auf, nämlich eine den gegebenen Verhältnissen Rechnung tragende Geschwindigkeit. Unter Bedachtnahme auf den der Straßenverkehrsordnung innewohnenden Gedanken der größtmöglichen Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer ist dieser Vorschrift der Inhalt beizumessen, daß der Lenker eines Kraftfahrzeuges seine Fahrgeschwindigkeit so einzurichten hat, daß er den sich aus der besonderen Verkehrssituation ergebenden Verhältnissen jederzeit gerecht werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 89/02/0059). Zu den Verkehrsverhältnissen, welche auf die Fahrgeschwindigkeit von Einfluß sind, gehören auch Fußgänger auf der Fahrbahn (Benes-Messiner, StVO 8. Auflage, Anmerkung 7 zu § 20).

Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, im Tenor des angefochtenen Bescheides die Gesetzesgrundlagen, auf die sie sich stützt, zu nennen; das Zitat des Straferkenntnisses könne diese Unterlassung nicht sanieren. Dem ist entgegenzuhalten, daß es ausreicht, wenn die Berufungsbehörde bloß jene Teile des Abspruches, hinsichtlich welcher sie Konkretisierungen bzw. allfällige Richtigstellungen vornimmt, wiedergibt (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens3 S. 725). Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde lediglich die Tatumschreibung präzisiert. Es erübrigte sich daher die Wiederholung des bereits von der Erstbehörde im Straferkenntnis vorgenommenen Normenzitates.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist im Zusammenhang mit der Neufassung der Tatumschreibung durch die belangte Behörde auch nicht Verfolgungsverjährung eingetreten. Die belangte Behörde hat nur die Straftat näher umschrieben, wozu sie gemäß § 66 Abs. 4 AVG berechtigt war. Schon die Anzeige, die dem Beschwerdeführer am 24. August 1988 zur Kenntnis gebracht wurde, aber auch das Straferkenntnis vom 21. September 1988 bezogen sich auf alle die Tat betreffenden Sachverhaltselemente (vgl. Hauer-Leukauf a.a.O. S. 676 f). Sie enthielten insbesondere die Konkretisierung der Tat dahin, der Beschwerdeführer wäre zu schnell in knappem Abstand an Fußgängern vorbeigefahren. Somit wurden fristgerecht den Eintritt der Verfolgungsverjährung ausschließende Verfolgungshandlungen gesetzt.

Zutreffend rügt der Beschwerdeführer aber im vorliegenden Fall, daß die Tatumschreibung im Spruch des angefochtenen Bescheides im festgestellten Sachverhalt keine ausreichende Deckung findet: Die belangte Behörde legt dem Beschwerdeführer zwar mangelnde Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit beim knappen Vorbeifahren an Fußgängern zur Last, sagt in der Begründung aber nichts Konkretes darüber aus, welche Geschwindigkeit sie als erwiesen angenommen hat. Sie bemerkt im Gegenteil, daß die Geschwindigkeitsangaben nicht auf den relevanten Zeitpunkt des Vorbeifahrens bezogen sind. Ob und welche Rückschlüsse auf die Fahrgeschwindigkeit die belangte Behörde aus der Anhaltung des Pkws ca. 10 m (bzw. ca. 10 bis 15 m) nach den Fußgängerinnen gezogen hat, ist dem angefochtenen Bescheid nicht hinreichend deutlich zu entnehmen.

Die Darlegungen der belangten Behörde haben insbesondere den geringen (allerdings nicht ziffernmäßig angegebenen) Abstand zwischen Pkw und Fußgängerinnen zum Gegenstand, woraus sie auf deren Gefährdung schließt. Der weitere Schluß aus der Gefährdung auf die Nichtanpassung der Fahrgeschwindigkeit ist aber nicht zwingend. Vielmehr kann sich eine Gefährdung von Fußgängern einerseits aus einem zu geringen Seitenabstand, andererseits aus einer unangepaßten Fahrgeschwindigkeit ergeben; der eine Umstand schließt aber nicht schon den anderen ein. Freilich stehen beide insoferne im Zusammenhang, als eine umso niedrigere Fahrgeschwindigkeit zu wählen sein wird, je geringer der Seitenabstand ist. Die Feststellung eines knappen Abstandes macht aber Geschwindigkeitsangaben nicht entbehrlich, da die Verwirklichung der dem Beschwerdeführer angelasteten Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 1 StVO geprüft werden muß. Aus der Einhaltung eines zu geringen Seitenabstandes allein hat die belangte Behörde keine Verwaltungsübertretung des Beschwerdeführers abgeleitet.

Im Verwaltungsverfahren wurde dem Beschwerdeführer auch nicht vorgeworfen, sein Fahrzeug vor den Fußgängerinnen nicht angehalten zu haben; ihm wurde vielmehr mangelnde Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit unter den gegebenen Verhältnissen zur Last gelegt. Die Anhaltung des Pkws einige Meter nach den Fußgängerinnen deutet darauf hin, daß der Beschwerdeführer schon bei der Annäherung die Fahrgeschwindigkeit herabgesetzt hat. Fraglich ist allerdings, ob dies rechtzeitig und im ausreichenden Maß geschehen ist. Um diese Frage abschließend beurteilen zu können, muß die Geschwindigkeit selbst im Verwaltungsstrafverfahren zumindest annähernd festgestellt sein. Andernfalls kann auch nicht darüber abgesprochen werden, ob eine Strafsatzerhöhung gemäß § 99 Abs. 2 lit. c StVO gerechtfertigt ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 25. September 1986, Zl. 86/02/0058).

Das von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift zitierte hg. Erkenntnis vom 1. Februar 1984, Zl. 83/03/0189, befaßt sich lediglich mit der Tatumschreibung im Spruch eines Straferkenntnisses wegen Übertretung des § 20 Abs. 1 zweiter Satz StVO. Die ebenfalls zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 1. Juni 1967, 11 Os 70/67, ZVR 1968/64, läßt als zulässige Variante das Vorbeifahren mit entsprechender geringer (im Beschwerdefall aber unbekannter) Geschwindigkeit offen.

Die Unterlassung der erwähnten Feststellung stellt somit einen Verfahrensmangel dar. Dieser führt zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Für die überzählige dritte Beschwerdeausfertigung besteht kein Anspruch auf Stempelgebührenersatz.

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild) Berufungsbescheid Feststellen der Geschwindigkeit Geschwindigkeit Allgemein Inhalt des Spruches Diverses Mängel im Spruch Fehlen von wesentlichen Tatbestandsmerkmalen Spruch und Begründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989020156.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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