Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / PrüfungsgegenstandLeitsatz
Individualantrag auf Aufhebung von Erlässen des BMF (als Versicherungsaufsichtsbehörde), insoweit mit diesen einige Bestimmungen der Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfall-Versicherung von Kfz und Anhängern genehmigt wurde; mangelnder Verordnungscharakter der Erlässe - diese sind ausschließlich für die Versicherungsunternehmen unmittelbar rechtsverbindlichSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Mit einer auf Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Eingabe begehrt die Antragstellerin, die Erlässe des Bundesministers für Finanzen vom 23. Dezember 1969, Z384.292-19/69, und vom 8. Juni 1972, Z380.704-19/72, insoweit als gesetzwidrig aufzuheben, als durch diese in Art12/B Abs1 lita und b der Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfall-Versicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern (AKIB) jeweils der Satz ". . ., höchstens jedoch den Preis, zu dem das Fahrzeug erworben wurde" genehmigt worden sei.
2.a) Die Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfall-Versicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern bestimmen zum Umfang der Versicherung in Art12/A Abs1, daß die Kaskoversicherung bei PKW und Kombi eine Neuwertversicherung sei. Art12/B Abs1 enthält Bestimmungen über die Höhe der Ersatzleistung und lautet:
"In der Neuwertversicherung ersetzt der Versicherer unbeschadet der Bestimmungen des Art14 - einen Schaden
a) im ersten auf den Tag der Erstzulassung folgenden Jahr bis zur Höhe des Listenpreises des versicherten Fahrzeuges im Zeitpunkt des Schadens, höchstens jedoch den Preis, zu dem das Fahrzeug erworben wurde;
b) im zweiten auf den Tag der Erstzulassung folgenden Jahr bis zur Höhe des um 20 % verminderten Listenpreises des versicherten Fahrzeuges, höchstens jedoch den Preis, zu dem das Fahrzeug erworben wurde;
c) nach diesem Zeitpunkt bis zur Höhe des gemeinen Wertes des Fahrzeuges im Sinne des Art11/B, Abs1."
b) Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen wurden durch die angefochtenen Erlässe des Bundesministers für Finanzen als Versicherungsaufsichtsbehörde genehmigt.
3. Die Antragstellerin behauptet, die angefochtenen Erlässe bzw. die Bestimmungen des Art12/B Abs1 der AKIB seien für sie wirksam geworden. Sie bringt vor, daß durch die von ihr als Verordnungen qualifizierten Erlässe für die Kaskoversicherung für PKW und Kombi genehmigt werde, daß die Ersatzleistung des Versicherers im Falle einer Neuwertversicherung mit dem tatsächlichen Kaufpreis begrenzt sei. Trotz gleicher Prämien erhalte daher ein Versicherungsnehmer, der weniger als den Listenpreis bezahlt habe, nicht den der Kalkulation der Prämie zugrundeliegenden Listenpreis, sondern nur den tatsächlichen Kaufpreis. Eine solche Regelung widerspreche dem Gleichbehandlungsgebot des §104 Abs4 Versicherungsaufsichtsgesetz 1978, BGBl. 569 (VAG), da für gleiche Prämien ohne sachlichen Grund ungleiche Leistungen erbracht würden.
II. Der VfGH hat zur Frage der Zulässigkeit des Antrags erwogen:
1. Gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der VfGH über die Gesetzmäßigkeit von Verordnungen einer Bundesoder Landesbehörde auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die V ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist unter "Verordnung" - unabhängig von deren Bezeichnung - jede nicht in Gesetzesform ergehende, von einer Verwaltungsbehörde erlassene generelle Rechtsnorm zu verstehen. Als eine generelle Norm ist jede Anordnung anzusehen, die sich an die Allgemeinheit überhaupt oder an bestimmte Gruppen der Bevölkerung richtet, die nicht individuell, sondern nach Gattungsmerkmalen bezeichnet sind; der Akt muß sich an eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen richten und für diese unmittelbar rechtsverbindlich sein (VfSlg. 2465/1953, 3142/1957 ua), d. h. die Rechtslage der Betroffenen gestalten (vgl. z.B. VfSlg. 8648/1979).
Maßgebend für die Qualität als V ist nicht die äußere Bezeichnung und auch nicht die Art der Verlautbarung, sondern lediglich der Inhalt des Verwaltungsaktes. Unter diesen Voraussetzungen kann demnach auch ein Erlaß einer Verwaltungsbehörde als V der Prüfung nach Art139 B-VG unterliegen.
2. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin stellen die angefochtenen Erlässe aber keine als Verordnungen zu qualifizierenden behördlichen Akte dar:
Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen, über deren Inhalt §9 Abs1 des VAG nähere Bestimmungen enthält, sind die für alle gleichartigen Versicherungsverträge typisierten Vertragsbestimmungen, die vom Versicherer ausgearbeitet werden. Dies geschieht meist gemeinsam durch alle den Versicherungszweig führenden Versicherer innerhalb des Verbandes der Versicherungsunternehmungen Österreichs, doch kann jeder Versicherer unbeschadet der von anderen Versicherern verwendeten, auch nur für seinen Betrieb bestimmte allgemeine Versicherungsbedingungen ausarbeiten (Pollak, Das Versicherungsaufsichtsgesetz 1979, 14).
Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind gemäß §8 Abs2 VAG Bestandteil des von den Versicherungsunternehmen gemäß §8 Abs1 leg.cit. zu erstellenden Geschäftsplans und bedürfen als solche nach eben dieser Bestimmung der Genehmigung durch die Versicherungsaufsichtsbehörde.
3. Die Antragstellerin erblickt in den angefochtenen Erlässen des Bundesministers für Finanzen, mit denen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen genehmigt wurden, Verordnungen. Die angefochtenen Erlässe richten sich jedoch weder an die Allgemeinheit überhaupt noch an bestimmte Gruppen der Bevölkerung, die nicht individuell, sondern nach Gattungsmerkmalen bezeichnet sind. Sie sind ausschließlich für die Versicherungsunternehmen unmittelbar rechtsverbindlich. Für einen über die betreffenden Versicherungsunternehmen hinausgehenden Adressatenkreis bieten weder der Inhalt, noch der Wortlaut, noch die äußere Bezeichnung der Erlässe hinreichende Anhaltspunkte. Insbesondere wird - entgegen der Auffassung der Antragstellerin und einer auch in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. Laurer, Wirtschafts- und Steueraufsicht über Kredit- und Versicherungsunternehmungen, 1972, 393 ff) - die Rechtslage der Versicherten durch derartige Erlässe nicht unmittelbar gestaltet.
Der VfGH verkennt nicht, daß sich die aufsichtsbehördliche Genehmigung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen auf die Versicherungsnehmer de facto in aller Regel auswirken wird. Diese - allgemeinen Geschäftsbedingungen stets zukommende - Wirkung ist jedoch durch die (erst in der Zukunft zu schließenden) zivilrechtlichen Verträge mediatisiert, die insgesamt, also auch einschließlich der zugrundeliegenden allgemeinen Geschäftsbedingungen der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Auch diese Wirkung vermag daher - anders als in dem dem Erkenntnis VfSlg. 1692/1948 zugrunde liegenden Fall einer unmittelbar aus dem verwaltungsbehördlichen Akt erfließenden Zahlungsverpflichtung der Versicherungsnehmer und anders als im Fall der Genehmigung der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (AKHB), für die §60 Abs2 KFG ausdrücklich eine V des BMF vorsieht - für sich den Verordnungscharakter der angefochtenen Erlässe nicht zu begründen (vgl. auch Pollak, aaO 15).
Die angefochtenen Erlässe der Versicherungsaufsichtsbehörde sind daher keine generellen verwaltungsbehördlichen Anordnungen im oben dargelegten Sinn und können daher nicht Gegenstand eines Verordnungsprüfungsverfahrens nach Art139 B-VG sein.
4. Der Antrag war daher schon aus den genannten Gründen als unzulässig zurückzuweisen, was gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.
Schlagworte
VfGH / Prüfungsgegenstand, Verordnung, Versicherungsrecht, AufsichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:V20.1986Dokumentnummer
JFT_10128997_86V00020_00