TE Vfgh Erkenntnis 1987/10/5 G42/87

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Veröffentlicht am 05.10.1987
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6930 Wasserversorgung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs5
Wr WasserversorgungsG 1960 §7
Wr WasserversorgungsG 1960 §25 Abs1
Wr WasserversorgungsG 1960 §25 Abs2

Leitsatz

Ausmaß der persönlichen Haftung des Rechtsnachfolgers in §25 Abs1 Wr. WasserversorgungsG sachlich nicht gerechtfertigt; Aufhebung der Bestimmung als gleichheitswidrig

Spruch

§25 Abs1 des Gesetzes vom 8. April 1960 betreffend die Zuleitung und Abgabe von Wasser (Wasserversorgungsgesetz 1960), LGBl. für Wien Nr. 10, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 1988 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der VwGH beantragt gemäß Art140 Abs1 B-VG, die Bestimmung des §25 Abs1 des Gesetzes vom 8. April 1960, betreffend die Zuleitung und Abgabe von Wasser (Wasserversorgungsgesetz 1960, Wr. WVG 1960), LGBl. für Wien Nr. 10, als verfassungswidrig aufzuheben.

Der VwGH stellt diesen Antrag aus Anlaß einer bei ihm anhängigen Beschwerde gegen einen Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 15. November 1983, betreffend Haftung für Wassergebühren, mit welchem der Bf. zur Zahlung eines vom früheren Hauseigentümer und Wasserabnehmer aushaftenden Rückstandes an Wassergebühren aus den Jahren 1976 bis 1978 in Anspruch genommen worden war.

Zur Begründung seines Antrages verweist der VwGH auf das Erkenntnis VfSlg. 6903/1972 und führt aus:

"Ganz unmißverständlich hat der VfGH somit im zitierten Erkenntnis in seinen Erwägungen zur Unbedenklichkeit der Haftungsbestimmung des §25 Abs2 Wr. WVG 1960 darauf abgestellt, daß die Haftung des Nachfolgers im §25 Abs2 leg. cit. nicht unbeschränkt ist. Eine Beschränkung des Haftungsausmaßes sieht der vom VwGH anzuwendende §25 Abs1 Wr. WVG 1960 nicht vor. Die Haftung des neuen Hauseigentümers ist weder betragsmäßig noch zeitlich beschränkt. Der VwGH hat das Bedenken, daß das öffentliche Interesse an der Einbringlichkeit der Wassergebühren und das Vorliegen eines sachlichen Zusammenhanges zwischen dem eingetretenen Eigentümerwechsel (Anlaß der Haftung) und der Haftung des Nachfolgers (für Gebührenrückstände, die das für das übergangene Objekt bezogene Wasser betreffen) nicht ausreicht, um eine unbeschränkte persönliche Haftung sachlich zu rechtfertigen.

Im übrigen ist "die Unbestreitbarkeit" des Sachzusammenhanges zwischen dem Wasserverbrauch des Eigentumsvorgängers und der Haftung des Nachfolgers für die daraus resultierenden Rückstände mindestens in den Fällen grundsätzlich in Frage zu stellen, in denen das verbrauchte Wasser - wie etwa bei einem Einfamilienhaus - ausschließlich oder doch ganz überwiegend dem ganz persönlichen Konsum des Eigentümers und seiner Mitbewohner zugeführt wurde und in keiner Weise zu einer Wertsteigerung oder Werterhaltung des Hauses beigetragen hat, wie man dies beim Wasserverbrauch in einem Betrieb oder in einem Miethaus (zu dessen Erhaltung als "Wertschöpfungsquell") noch annehmen könnte. Da §25 Abs1 (§7 Abs1 lita) Wr. WVG 1960 zwischen verschiedenen Arten von Hauseigentümern nicht differenziert, erfaßt dieses Bedenken die ganze Regelung.

Was den Hinweis des VfGH auf die durch Rückstandsanfrage bei der Abgabenbehörde ermöglichten Äquivalenzüberlegungen des Nachfolgers zur - zusätzlichen Rechtfertigung der rechtsgeschäftsunabhängigen Erwerberhaftung anlangt, ist zu bedenken, daß eine Auskunftspflicht der Behörde (wie etwa nach §67 Abs4 ASVG) hier nicht ausdrücklich normiert ist und im übrigen die Auskunft selbst - nähme man eine derartige Verpflichtung der Abgabenbehörde an - letzten Endes auch im Säumnisbeschwerdeverfahren vor dem VwGH nach der derzeitigen Rechtslage nicht zu erlangen wäre (vgl. die hg. Entscheidungen vom 10. Oktober 1976, Zl. 722/76 = ZfVB 1977/1/117, und vom 18. April 1986, Zl. 85/17/0102).

Das im §25 Abs1 Wr. WVG 1960 vorgesehene Ausmaß der betraglich unbeschränkten persönlichen Haftung für die gesamte Verjährungszeit ist somit exzessiv und verstößt gegen das auch den Gesetzgeber bindende, dem Gleichheitssatz innewohnende Sachlichkeitsgebot (Übermaßverbot).

Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Gesetzesstelle bestehen auch unter dem Gesichtspunkt des Vergleiches mit verwandten Haftungsnormen in anderen Abgabengesetzen (vgl. z.B. die zeitliche Haftungsbeschränkung im §12 WAO, vgl. insbesondere aber auch die Nichtanwendbarkeit der Unternehmernachfolgehaftung bei einem Erwerb aus einer Konkursmasse oder im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens gemäß §12 Abs2 WAO, §14 Abs2 BAO, §1409a ABGB, §25 Abs4 HGB) wie auch im Vergleich mit §25 Abs2 Wr. WVG 1960 (hiemit wiederum vergleichbar etwa: §23 Abs2 Kanalräumungs- und KanalgebührenG 1978, LGBl. für Wien Nr. 2, §14 MüllabfuhrG 1965, LGBl. für Wien Nr. 19). Der VwGH vermag kein sachliches Differenzierungsmerkmal zu erkennen, das eine unterschiedliche Behandlung der Nachfolgerhaftungstatbestände nach §25 Abs2 leg.cit. (zeitliche Haftungsbegrenzung) und des Tatbestandes nach Abs1 (keine Haftungsbeschränkung) rechtfertigen könnte."

2. Die Wiener Landesregierung hat die Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Bestimmung in einer Äußerung, auf welche im einzelnen noch zurückzukommen sein wird, verteidigt.

Der Bf. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat sich den Bedenken des VwGH angeschlossen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblichen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

§7 Abs1 Wr. WVG 1960 lautet:

"Wasserabnehmer im Sinne dieses Gesetzes ist jeder, der über eine selbständige Abzweigleitung Wasser aus der städtischen Wasserleitung entnimmt, und zwar

a) der Hauseigentümer für die über den Wasserzähler seines Hauses bezogene Wassermenge,

b)

der Bauherr für Bauzwecke,

c)

der Nutzungsberechtigte von unverbauten Grundstücken,

d)

der Betriebsinhaber,

e)

der sonstige Wasserverbraucher."

§25 Abs1 und 2 Wr. WVG 1960 bestimmen:

"(1) Bei einem Wechsel in der Person des Wasserabnehmers gemäß §7 Abs1 Punkt a haftet der neue Hauseigentümer für alle das Haus betreffenden rückständigen Gebühren, Kosten und Zuschläge.

(2) Bei einem Wechsel in der Person des Wasserabnehmers gemäß §7 Abs1 Punkt b bis e haftet der neue Abnehmer neben dem früheren für alle Rückstände an Gebühren, Kosten und Zuschläge, die für die Zeit seit dem Beginn des letzten vor dem Wechsel liegenden Kalenderjahres aufgelaufen sind und die Abnahmestelle betreffen, auf die sich der Wechsel bezieht.

(3) Bei jedem Wechsel in der Person des Wasserabnehmers und beim Ende des Wasserbezuges haftet der bisherige Wasserabnehmer für alle Gebühren, Kosten und Zuschläge, die zwischen dem Wechsel in der Person des Wasserabnehmers oder dem Ende des Wasserbezuges und dem Zeitpunkt, in dem er seiner Anzeigepflicht nach §17 Abs1 nachgekommen ist, aufgelaufen sind."

2. Es spricht nichts gegen die Annahme des VwGH, er habe die angefochtene Gesetzesstelle als eine der Rechtsgrundlagen des bei ihm angefochtenen Bescheides anzuwenden. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.

3.a) Der VfGH hat im Erkenntnis VfSlg. 6903/1972 im hier maßgeblichen Zusammenhang ausgeführt:

"Der VfGH konnte nicht finden, daß die Heranziehung des nachfolgenden Wasserabnehmers als Haftungspflichtiger für die Abgabenrückstände seines Vorgängers in dem im §25 Abs2 WVG. beschränkten Ausmaß ohne Rücksicht darauf, ob zwischen Vorgänger und Nachfolger irgendwelche Rechtsbeziehungen bestehen, sachlich nicht gerechtfertigt wäre. Die sachliche Rechtfertigung ergibt sich zunächst aus dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Einbringlichkeit der Wassergebühren. Dieses öffentliche Interesse bietet freilich nicht in jeder Beziehung eine sachliche Rechtfertigung für die Begründung von persönlichen Haftungen. Daß im Falle des Wechsels in der Person des Wasserabnehmers zwischen Vorgänger und Nachfolger ein sachlicher Zusammenhang besteht, der grundsätzlich eine Haftung des Nachfolgers für Abgabenrückstände seines Vorgängers rechtfertigt, ist unbestreitbar. Dazu kommt, daß im vorliegenden Falle die Haftung des nachfolgenden Wasserabnehmers keine unbeschränkte ist, sondern auf die Rückstände der letzten Zeit beschränkt ist. Überdies hat auch der nachfolgende Wasserabnehmer, der mit seinem Vorgänger in keinen Rechtsbeziehungen stand, die Möglichkeit, rechtzeitig allfällige, seine Haftung nach §25 Abs2 WVG. auslösende Wassergebührenrückstände durch Anfrage bei der Abgabenbehörde festzustellen und anläßlich der Begründung jener Rechtsbeziehungen, die ihn zum nachfolgenden Wasserabnehmer werden lassen, wirtschaftlich in Anschlag zu bringen."

b) Das Bedenken des VwGH besteht, aufbauend auf den Erwägungen des zitierten Erkenntnisses VfSlg. 6903/1972 darin, daß die unbeschränkte Haftung des neuen Hauseigentümers durch das öffentliche Interesse an der Einbringlichkeit der Wassergebühren und das Vorliegen eines sachlichen Zusammenhanges zwischen dem eingetretenen Eigentümerwechsel und der Haftung des Nachfolgers nicht gerechtfertigt werde.

c) Die Wiener Landesregierung meint dazu, die Nachfolge im Eigentum, welches ein wesentlich umfassenderes Recht darstelle, rechtfertige einen gegenüber der - die Nachfolge bloß in einem Nutzungsrecht regelnden - Bestimmung des §25 Abs2 Wr. WVG 1960 erhöhten Haftungsumfang. Wenn der VfGH in VfSlg. 6903/1972 ausgeführt habe, daß der Begründer jener Rechtsbeziehungen, die ihn zum nachfolgenden Wasserabnehmer werden lassen, die Rückstände wirtschaftlich in Anschlag bringen könne, so gelte das umsomehr für einen Nachfolger im Eigentum. Auch sei die Haftung nach §25 Abs1 Wr. WVG 1960 nicht unbeschränkt, da gemäß den Bestimmungen der Wiener Abgabenordnung über die Bemessungs- und Einhebungsverjährung konkludent eine zeitliche Beschränkung der Haftung gegeben sei.

d) Der VfGH teilt das Bedenken des VwGH, daß das in §25 Abs1 Wr. WVG 1960 vorgesehene Ausmaß der persönlichen Haftung des Rechtsnachfolgers sachlich nicht gerechtfertigt ist. Das Argument der Wiener Landesregierung, die Nachfolge im Eigentum sei ein "wesentlich umfassenderes Recht" als jene bei den übrigen in §7 Wr. WVG 1960 angeführten Wasserverbrauchern, ist im hier gegebenen Zusammenhang verfehlt, weil vom Anspruch auf Wasserlieferung (§3 leg.cit.) und den zu entrichtenden Wasserbezugsgebühren (§20) her kein Unterschied zwischen den verschiedenen Wasserabnehmern besteht; worin unter diesem Aspekt in der Rechtsform des Eigentums an einem Haus eine "wesentlich umfassendere" Rechtstellung gegeben sein soll als bei den anderen Wasserabnehmern, wird von der Wiener Landesregierung lediglich mit einem Hinweis auf die vermeintlich bessere Möglichkeit, Rückstände wirtschaftlich in Anschlag zu bringen, begründet. Dieses Argument kann jedoch hier nicht ausschlaggebend ins Gewicht fallen.

Bei einer Differenzierung der Haftung wie hier ist es nämlich nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob der Nachfolger im Wasserbezug die Möglichkeit hätte, allfällige Gebührenrückstände festzustellen und seinem Vorgänger gegenüber wirtschaftlich in Anschlag zu bringen. Das Bestehen dieser Möglichkeit wurde im Vorerkenntnis VfSlg. 6903/1972 nicht als allein tragendes Argument für die Verfassungsmäßigkeit der Haftungsregelung des §25 Abs2 Wr. WVG 1960 gewertet (worauf schon das den entsprechenden Satz einleitende Wort "überdies" hindeutet). Vor allem aber hat der VfGH durch die Heranziehung dieses Argumentes im Falle eines Wechsels in der Person des Wasserabnehmers nach dem zweiten Absatz des §25 leg.cit. zum Ausdruck gebracht, daß die wirtschaftliche Berücksichtigung von Gebührenrückständen keineswegs nur bei einem Eigentumswechsel in Betracht kommt. So hat der unter die Bestimmung des §25 Abs2 Wr. WVG 1960 fallende Nutzungsberechtigte (§7 Abs1 litc leg.cit.) ähnliche Möglichkeiten wie der Eigentümer, die Haftung vertraglich zu beschränken. Eine Schlechterstellung des Eigentümers gegenüber anderen Wasserabnehmern bei der Haftung für Gebührenrückstände kann daher mit dem genannten Argument der wirtschaftlichen Besserstellung nicht gerechtfertigt werden. So gesehen kommt aber dem Hinweis der Wiener Landesregierung auf die - für alle Abgabepflichtigen gleiche - Begrenzung der Haftung durch die Verjährung keine Bedeutung zu.

Bei diesem Ergebnis ist es entbehrlich, auf die vom VwGH auch unter dem Gesichtspunkt des Vergleiches mit verwandten Haftungsnormen in anderen - näher bezeichneten Abgabengesetzen aufgezeigten Bedenken einzugehen.

4. §25 Abs1 Wr. WVG 1960 ist daher wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Setzung einer Frist soll es dem Gesetzgeber ermöglichen, eine durch die Aufhebung des §25 Abs1 Wr. WVG 1960 neuerlich auftretende Gleichheitswidrigkeit zu vermeiden.

Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.

Diese Entscheidung konnte, da die Voraussetzungen des §19 Abs4 erster Satz VerfGG gegeben sind, in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Wasserversorgung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G42.1987

Dokumentnummer

JFT_10128995_87G00042_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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