Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Undifferenziertes Anknüpfen an die Bestellung eines Sachwalters in §24 NRWO 1971 (betreffend den Ausschluß von Personen vom Wahlrecht); Gleichheitswidrigkeit des §24Spruch
§24 Nationalrats-Wahlordnung 1971, BGBl. Nr. 391/1970, idF BGBl. Nr. 136/1983 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 1988 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Mit (rechtskräftigem) Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom 9. Oktober 1985, GZ 3 SW 17/85-23, wurde dem in der Landeshauptstadt Salzburg wohnenden Mag. H D gemäß §273 Abs3 Z3 ABGB ein Sachwalter bestellt. Daraufhin wurde Mag. D aus der ständigen Wählerevidenz der Landeshauptstadt Salzburg (§1 WählerevidenzG 1973) gemeindebehördlich gestrichen. Dagegen erhob der Betroffene durch seinen Sachwalter gemäß §4 WählerevidenzG 1973 Einspruch, dem die Gemeindewahlbehörde für die Landeshauptstadt Salzburg (§7 WählerevidenzG 1973) mit Bescheid vom 31. Jänner 1986 nicht Folge gab.
1.1.2.1. Die Bezirkswahlbehörde Salzburg-Stadt wies die gegen diese (Einspruchs-)Entscheidung von Mag. D wieder durch den Sachwalter eingebrachte Berufung mit Bescheid vom 4. April 1986 als unbegründet ab (§8 WählerevidenzG 1973 iVm §5 BundespräsidentenwahlG 1971 und §§35 Abs2, 36 NRWO 1971).
1.1.2.2. Begründend wurde ua. ausgeführt:
" . . . Sachverhaltsmäßig ist unbestritten, daß für
Mag. H D . . . rechtskräftig . . . gemäß §273 Abs3 Z3 ABGB
zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten Dr. H S zum Sachwalter
bestellt wurde. Die Landeshauptstadt Salzburg wurde davon vom
Bezirksgericht . . . verständigt. Auf Grund des §9
WählerevidenzG 1973 wurde vom Magistrat Salzburg die Streichung
von der Wählerevidenz von Amts wegen wahrgenommen. Der Sachwalter
von Mag. H D wurde davon am 2. Dezember 1985 verständigt. Weiters
liegt ein Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom
4. Dezember 1985, Z3 SW 17/85, vor, mit welchem 'festgestellt
wird, daß entgegen der Vermutung des §24 der NRWO idF des
BGBl. 136/1983 der Betroffene Mag. H D in der Lage ist, frei und
unbeeinflußt vom Wahlrecht . . . Gebrauch zu machen'.
Strittig ist somit einzig und allein die Frage, ob gemäß §24 NRWO idgF die Bestellung eines Sachwalters stets zur Folge hat, daß die Person, für die ein Sachwalter bestellt wurde, vom Wahlrecht ausgeschlossen ist oder nicht.
Die für die Entscheidung maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen finden sich in §24 NRWO 1971 idF
BGBl. 136/1983 . . .
Zunächst ist festzuhalten, daß gemäß dieser Bestimmung der Ausschluß vom Wahlrecht wegen mangelnder Handlungsfähigkeit ex lege eintritt und darüber keinesfalls eine Verwaltungsbehörde bzw. ein Gericht zu befinden hat. Vielmehr ist gemäß §248 Abs1 AußStrG das Gericht verpflichtet, die Gemeinde, in deren Wählerevidenz der Betroffene eingetragen ist, von jeder Sachwalterbestellung zu verständigen. Die Gemeinde hat dann gemäß §9 WählerevidenzG 1973 die Streichung von Amts wegen wahrzunehmen.
Wenn daher der Ausschluß vom Wahlrecht bereits ex lege eintritt und §24 NRWO lediglich an die Tatsache einer Sachwalterbestellung die Rechtsfolge des Ausschlusses vom Wahlrecht anknüpft und keinerlei Bedacht auf den Grund dieser Bestellung nimmt, kann es weder Angelegenheit einer Verwaltungsbehörde noch eines Gerichtes sein, festzustellen, daß die Person, für die ein Sachwalter bestellt wird, frei und unbeeinflußt vom Wahlrecht Gebrauch zu machen in der Lage ist.
Obgleich auch die Bezirkswahlbehörde (wie die Gemeindewahlbehörde) die Ansicht vertritt, daß die durch die Nov. BGBl. 136/1983 gefaßte Neufassung des §24 NRWO rechtspolitisch unbefriedigend ist (vgl. dazu die Kritik von Zierl, in: ÖGZ 1985, S 18 und die Ausführungen von Frank/Harrer/Stolzlechner, in: JBl. 1985, S 335), weil sie einerseits keine Rücksicht darauf nimmt, warum für jemand ein Sachwalter bestellt wurde und andererseits auch nicht darauf Bedacht nimmt, daß unter Umständen die Bestellung eines Sachwalters für Personen, die tatsächlich geistig nicht in der Lage sind, ihr Wahlrecht frei auszuüben, unzulässig ist, steht es ihr nicht zu, die vom Gesetzgeber an die Bestellung eines Sachwalters geknüpfte Rechtsfolge des Ausschlusses eines Wahlrechtes hintanzuhalten.
Da gemäß §9 WählerevidenzG 1973 die Gemeinden von Amts wegen verpflichtet sind, sobald eine Verständigung des Gerichtes über die Bestellung eines Sachwalters eintrifft, den Betroffenen von der Wählerevidenz zu streichen, war die von der Gemeinde durchgeführte Streichung rechtmäßig. . .
Aus diesem Grunde mußte die Berufung als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid vollinhaltlich bestätigt werden."
1.2.1. Gegen diesen Bescheid richtete sich die zu B453/86 protokollierte, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des durch seinen Sachwalter vertretenen Mag. H D an den VfGH, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, und zwar auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG), auf Ausübung des aktiven Wahlrechtes (Art26 B-VG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), ferner die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§24 NRWO 1971 igF) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wurde.
1.2.2. Die Bezirkswahlbehörde Salzburg-Stadt als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie §24 NRWO 1971 igF - ebenso wie der Bf. - als verfassungsrechtlich bedenklich erachtete.
1.3.1. Im Zug der verfassungsgerichtlichen Beratung über diese Beschwerde entstanden Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §24 Nationalrats-Wahlordnung 1971 (NRWO 1971), BGBl. 391/1970, idF BGBl. 136/1983.
1.3.2.1. Der VfGH faßte daraufhin am 7. März 1987 zu B453/86 den Beschluß, diese bundesgesetzliche Vorschrift auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen (Art140 Abs1 B-VG).
1.3.2.2. In den Gründen des Prüfungsbeschlusses heißt es ua. wörtlich:
" . . . Es scheint, daß die in Prüfung gezogene
Gesetzesstelle aus folgenden Erwägungen gegen das auch den
Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot des Art7 Abs1 B-VG verstößt:
Kraft §24 NRWO 1971 vom Wahlrecht ausgeschlossen ist jede Person,
der nach §273 ABGB ein Sachwalter bestellt wurde. Für die Frage des
Wahlrechtsausschlusses ist darum nur die tatsächliche (gerichtliche)
Sachwalterbeigabe maßgebend; außer Betracht bleibt hier, aus welchen
Gründen jemandem, der ebenso geistig krank oder behindert ist wie
jene, bei denen es zu einer solchen Bestellung kam, kein Sachwalter
zur Seite steht. Nun schließt aber §273 Abs2 ABGB idF BGBl. 136/1983
eine Sachwalterbestellung aus (: 'Die Bestellung eines Sachwalters
ist unzulässig . . . '), wenn ein psychisch Kranker oder ein geistig
Behinderter 'durch andere Hilfe', so in seiner Familie oder durch Einrichtungen der öffentlichen oder privaten Behindertenhilfe, in die Lage versetzt werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß (selbst) zu besorgen. Vorläufig ist für den VfGH nicht erkennbar, welche Überlegungen die hier ausgebreitete differenzierende gesetzliche Regelung sachlich rechtfertigen sollen:
Danach geht zwar ein psychisch Kranker oder geistig Behinderter, dem ein Sachwalter bestellt ist, seines Wahlrechts verlustig, ein an den gleichen gesundheitlichen Störungen Leidender, dem die Sachwalterbestellung etwa (nur) wegen seiner günstigen familiären Situation erspart bleibt, hingegen nicht. Anders als die Tatsache der Krankheit oder Behinderung dürften nämlich diese günstigeren Lebensverhältnisse mit der persönlichen Eignung zur Wahlrechtsausübung in keiner wie immer gearteten Weise zusammenhängen. Darüber hinaus scheint dem VfGH die §24 NRWO 1971 eigene Anknüpfung an einen behördlichen Formalakt (Sachwalterbestellung) ohne jede Rücksichtnahme auf die Gründe dieser Maßnahme aber an sich verfassungsrechtlich bedenklich zu sein, mag auch die Bundesverfassung dem einfachen Bundesgesetzgeber eine global-typisierende (Wahlrechts-)Regelung im hier maßgebenden Bereich grundsätzlich nicht verwehren. . . "
1.4. Die Bundesregierung wurde im Gesetzesprüfungsverfahren zur Abgabe einer Äußerung zu den im Prüfungsbeschluß dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken des VfGH eingeladen; sie gab jedoch die Erklärung ab, daß sie von einer Stellungnahme in der Sache selbst absehe.
1.5.1. Der erste und der zweite Absatz des §273 ABGB idF des ArtI des BG über die Sachwalterschaft für behinderte Personen vom 2. Feber 1983 (SachwalterG), BGBl. 136/1983, lauten:
"Vermag eine Person, die an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, so ist ihr auf ihren Antrag oder von Amts wegen dazu ein Sachwalter zu bestellen.
Die Bestellung eines Sachwalters ist unzulässig, wenn der Betreffende durch andere Hilfe, besonders im Rahmen seiner Familie oder von Einrichtungen der öffentlichen oder privaten Behindertenhilfe, in die Lage versetzt werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen. Ein Sachwalter darf nicht nur deshalb bestellt werden, um einen Dritten vor der Verfolgung eines, wenn auch bloß vermeintlichen, Anspruchs zu schützen."
1.5.2. §24 Nationalrats-Wahlordnung 1971 (NRWO 1971), BGBl. 391/1970, idF des ArtVIII SachwalterG, BGBl. 136/1983, hat folgenden Wortlaut:
"Vom Wahlrecht sind weiter Personen ausgeschlossen, denen ein Sachwalter nach §273 ABGB bestellt ist."
1.5.3. Die Abs1 bis 3 des mit "Wählerverzeichnisse" betitelten §26 NRWO 1971 bestimmen:
"(1) Die Wahlberechtigten sind in Wählerverzeichnisse einzutragen. Für die Wählerverzeichnisse ist das Muster in Anlage 1 zu verwenden.
(2) Die Anlegung der Wählerverzeichnisse obliegt den Gemeinden im übertragenen Wirkungskreise des Bundes.
(3) Die Wählerverzeichnisse sind von den Gemeinden auf Grund der Wählerevidenz anzulegen. In die Wählerverzeichnisse sind außer den bereits in der Wählerevidenz eingetragenen Wahlberechtigten auch noch alle österreichischen Staatsbürger aufzunehmen, die am Stichtag das 19. Lebensjahr vollendet haben und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind."
2. Der VfGH hat erwogen:
2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:
Wie die Gründe des vor dem VfGH angefochtenen Berufungsbescheides zeigen, wendete die bel. Beh. §24 NRWO 1971 igF bei Fällung ihrer Entscheidung tatsächlich und immerhin denkmöglich an.
Die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung bildet eine der Rechtsgrundlagen des angegriffenen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden - Verwaltungsaktes; sie ist demnach auch vom VfGH bei Schöpfung des Erkenntnisses über die von Mag. H D erhobene Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG anzuwenden und somit in dieser Beschwerdesache präjudiziell im Sinn des Art140 Abs1 Satz 1 B-VG idF BGBl. 302/1975.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, sind die Beschwerde und das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2.2. Zur Sache:
2.2.1. Im Gesetzesprüfungsverfahren - die Bundesregierung trat wie schon erwähnt den Überlegungen des VfGH im Prüfungsbeschluß vom 7. März 1987, B453/86-8, nicht entgegen - kam nichts hervor, was die ausführlich dargelegten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §24 NRWO 1971 igF hätte entkräften können.
Die im Unterbrechungsbeschluß aufgezeigten Bedenken erwiesen sich vielmehr aus den dort angeführten Erwägungen als voll zutreffend:
§24 NRWO 1971 knüpft den Ausschluß vom Wahlrecht einzig und allein an einen behördlichen Formalakt, nämlich an die "Bestellung" eines Sachwalters, und nimmt dabei auf die (unterschiedlichen) Gründe dieser Maßnahme in keiner wie immer gearteten Weise Rücksicht. Für den hier relevanten Bereich des Sachwalterschaftsrechtes ist eine derart beschaffene Rechtsfolgenfestlegung schon im Hinblick auf die weitgefaßten Voraussetzungen der Norm des §273 ABGB - die breitgefächert abgestufte Aufgaben der Sachwalter je nach dem Ausmaß der Behinderung der Schutzbefohlenen nennt und vorsieht - mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot des Art7 Abs1 B-VG nicht zu vereinbaren. Darüber hinaus kommt es dadurch, daß § 24 NRWO 1971 den Wahlrechtsausschluß nur von der tatsächlichen Sachwalterbeigabe abhängig macht, §273 Abs2 ABGB aber eine Sachwalterbestellung in jenen Fällen untersagt, in denen ein psychisch Kranker oder ein geistig Behinderter infolge anderer Hilfe, so etwa durch Einrichtungen der öffentlichen Behindertenhilfe, in die Lage versetzt werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß (selbst) zu besorgen, in der Tat zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Differenzierung: Denn ein psychisch Kranker oder geistig Behinderter, dem ein Sachwalter bestellt ist, geht seines Wahlrechts verlustig, ein an den gleichen gesundheitlichen Störungen Leidender, dem die Sachwalterbestellung etwa (nur) wegen der ihm zuteil werdenden Unterstützung öffentlicher Institutionen erspart bleibt, hingegen nicht. Das aber bedeutet, daß §24 NRWO 1971 den Kreis der Schutzbefohlenen iSd §273 ABGB gleichheitswidrig benachteiligt. In diesem Zusammenhang soll angemerkt werden, daß Art26 Abs5 B-VG (: "Die Ausschließung vom Wahlrecht . . . kann nur die Folge einer gerichtlichen Verurteilung oder Verfügung sein") den einfachen Gesetzgeber zur Schaffung einer Regelung über die Ausschließung vom Wahlrecht (lediglich) auf Grund bestimmter Gerichtsakte zwar ermächtigt, aber keineswegs verpflichtet.
2.2.2. §24 NRWO 1971 verstößt somit gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot des Art7 Abs1 B-VG.
2.2.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
2.3. Die Aussprüche über das Inkrafttreten der Normaufhebung und die Kundmachungspflicht stützen sich auf Art140 Abs5 B-VG, der frühere gesetzliche Bestimmungen betreffende fußt auf Art140 Abs6 B-VG.
Schlagworte
Wahlrecht, SachwalterbestellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:G109.1987Dokumentnummer
JFT_10128993_87G00109_00