TE Vwgh Erkenntnis 1990/5/23 89/13/0251

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Veröffentlicht am 23.05.1990
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §217;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;

Betreff

Rechtsanwalt Dr. N gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 26. September 1989, Zl. GA 7-753/5/89, betreffend Haftung für Abgabenverbindlichkeiten

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Über das Vermögen des Baumeisters A wurde am 10. Juli 1980 das Ausgleichsverfahren und am 22. April 1981 der Anschlußkonkurs eröffnet. Im Beschluß über die Eröffnung des Anschlußkonkurses sprach das Konkursgericht aus, daß der Konkurs als geringfügig anzusehen sei. Das Gericht bestellte die Beschwerdeführerin, einen Rechtsanwalt, im selben Beschluß zum Masseverwalter. Der Anschlußkonkurs wurde am 25. November 1988 mangels Kostendeckung aufgehoben.

Mit Bescheid vom 28. Februar 1989 zog das Finanzamt die Beschwerdeführerin als frühere Masseverwalterin im Anschlußkonkurs über das Vermögen des A gemäß § 9 Abs. 1 und § 80 Abs. 1 BAO zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten ("Masseforderungen") des Genannten heran. Der Haftungsbetrag von insgesamt S 202.802,94 setzt sich überwiegend aus Umsatzsteuer bzw. Umsatzsteuervorauszahlungen für die Jahre 1981 bis 1986 sowie zu einem geringen Teil aus Lohnsteuer für 1981 (rund S 21.000,--) und Säumniszuschlägen für die Jahre 1982 und 1986 (rund S 1.300,--) zusammen. Es handelt sich dabei nach der Bescheidbegründung um Masseforderungen, die im Rahmen des mit Einverständnis des Masseverwalters (Beschwerdeführerin) geführten Konkursfortbetriebes entstanden seien. Die Beschwerdeführerin hatte diese Masseforderungen nach Auffassung des Finanzamtes schuldhaft nicht befriedigt. Diese Befriedigung wäre der Beschwerdeführerin bei Fälligkeit in vollem Umfang und nicht nur anteilsmäßig nach Maßgabe ihrer Schlußrechnung oblegen.

Die Beschwerdeführerin brachte zunächst einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsfrist ein und machte schon in diesem, soweit dies aus der Sicht der Beschwerde von Bedeutung ist, geltend, sie hätte sich gegen die Führung eines Konkursfortbetriebes ausgesprochen. Es habe aber der Konkurskommissär die Führung mit der Begründung verfügt, daß im Hinblick auf die von der Masseverwalterin noch zu führenden Aktivprozesse mit einer baldigen Konkursaufhebung ohnedies nicht zu rechnen sei. Mit Rücksicht auf die von der Beschwerdeführerin geäußerten Bedenken sei der Konkursbetrieb schließlich in der Art und Weise bewilligt worden, daß der Gemeinschuldner Aufträge nur von seinem damaligen Rechtsvertreter (ebenfalls einem Rechtsanwalt) entgegennehmen dürfe und dieser die Buchhaltung zu führen habe. Weiters seien wöchentliche Abrechnungen vorgesehen gewesen. Zu diesen Abrechnungen sei es nie gekommen. Tatsächlich sei der Konkursfortbetrieb vom Rechtsanwalt des Gemeinschuldners mit diesem geführt worden, ohne daß die Beschwerdeführerin den geringsten Einfluß darauf oder auch irgendeine Kenntnis von Art und Umfang des Betriebes gehabt hätte. Über wiederholte Urgenzen habe die Beschwerdeführerin die in der Schlußrechnung angeführten Zahlungen erhalten, die einen Überschuß nach Zahlung aller damit verbundenen Unkosten darstellen sollten. Welche Einkünfte durch den Konkursfortbetrieb getätigt worden seien, welche Rechnungen gelegt worden wären, habe die Beschwerdeführerin niemals in Erfahrung bringen können. Die Unterlagen darüber seien direkt einem Steuerberater ausgefolgt worden.

In ihrer Berufung legte die Beschwerdeführerin überdies dar, auf Grund ihrer Bedenken gegen einen Konkursfortbetrieb sei bei der Tagsatzung vom 29. September 1981 vorgesehen worden, daß für den Betrieb eine Kaution von S 25.000,-- erlegt werden sollte, daß der Gemeinschuldner nur von seinem Rechtsvertreter Aufträge entgegennehmen und nur eine einzige Hilfskraft verwenden dürfte, wobei Material und Hilfskraft direkt vom Auftraggeber zu bezahlen seien, Steuern und Abgaben aus den Erträgnissen des Konkursbetriebes gedeckt werden sollten, der Gemeinschuldner für seine Tätigkeit S 2.000,-- wöchentlich erhalten und der Beschwerdeführerin wöchentlich eine Abrechnung zugehen sollte. In der Folge sei zwar bei der Beschwerdeführerin die Kaution von S 25.000,-- erlegt worden, der Gemeinschuldner habe auch Arbeiten an den Liegenschaften seines Rechtsvertreters ausgeführt, eine Abrechnung - weder eine wöchentliche noch eine umfassende - habe die Beschwerdeführerin jedoch niemals erhalten, dies, obwohl sie eine Abrechnung schriftlich und telefonisch heftig urgiert habe und auch dem Konkurskommissär diesbezüglich berichtet und um Zwangsmaßnahmen gegen den Gemeinschuldner bzw. dessen Vertreter ersucht habe. Der einzige Erfolg ihrer Bemühungen habe darin bestanden, daß sie außer der Kaution von S 25.000,-- am 24. März 1982 und am 18. Februar 1983 je S 40.000,-- und am 16. Jänner 1985 einen Betrag von S 50.000,--, jeweils gewidmet als "Überschuß im Konkursbetrieb", erhalten habe, weiters am 30. September 1985 einen Erlag des Gemeinschuldners zur Finanzierung des von ihm angestrebten Zwangsausgleiches in Höhe von S 85.000,--, welche Beträge die Beschwerdeführerin für die Masse vereinnahmt habe. Der Beschwerdeführerin sei kein einziger Auftrag bekannt, den der Gemeinschuldner ausgeführt hätte, sie habe keine einzige Rechnung zu Gesicht bekommen, auch keine Rechnungen für Material usw. Ihr sei unbekannt, ob und welche Hilfskräfte beschäftigt worden seien, ob und von wem sie entlohnt worden wären. Den Konkursfortbetrieb habe ausschließlich der inzwischen verstorbene Rechtsvertreter des Beschwerdeführers geführt, dem in seiner Eigenschaft als Hauseigentümer auch der Nutzen der Tätigkeit des Gemeinschuldners zugeflossen sei. Die Beschwerdeführerin habe niemals Löhne ausbezahlt und auch (mit den Preisen) keine Umsatzsteuer vereinnahmt. Aus der Widmung der überwiesenen Beträge als "Überschuß" im Zusammenhalt mit dem Gerichtsprotokoll vom 29. September 1981 habe die Beschwerdeführerin schließen können, daß alle im Zusammenhang mit der Führung des Konkursfortbetriebes aufgelaufenen Zahlungen bereits in Abzug gebracht und abgedeckt worden seien. Die Beschwerdeführerin träfe kein Verschulden im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO. Die vom Konkurskommissär vorgegebenen Einschränkungen hätten dazu geführt, daß nur der Rechtsvertreter des Gemeinschuldner für den Konkursbetrieb verantwortlich gewesen sei. Dieser habe alle unternehmerischen Entscheidungen des Fortbetriebes getroffen. Die Beschwerdeführerin hätte nicht nur keinen Spielraum für unternehmerische Handlungen gehabt, sondern trotz dringlicher Urgenzen nicht einmal ein Mindestmaß an Informationen erhalten. Da das Gericht - möglicherweise wegen des Wechels des Konkurskommissärs und des Wechsels der Zuständigkeit vom Landes- zum Handelsgericht - die Bemühungen der Beschwerdeführerin, eine Rechnungslegung zu erzwingen, nicht unterstützt habe, hätte sie keinerlei Möglichkeit gehabt, auf den vom Gemeinschuldner und seinem Rechtsfreund geführten Konkursbetrieb Einfluß zu nehmen. Sie habe die ersten, auf Grund von Angaben des Gemeinschuldnervertreters erstellten Steuererklärungen erst erhalten, als der Konkursbetrieb bereits eingestellt gewesen sei und der Gemeinschuldner seine Gewerbeberechtigung bereits zurückgelegt hatte. Daß keine Umsatzsteuervoranmeldungen erstattet worden seien, habe die Beschwerdeführerin gleichfalls erst gegen Ende des Fortbetriebes, nämlich im Dezember 1984 erfahren. Ohne Kenntnis der Geschäftsvorfälle sei es der Beschwerdeführerin unmöglich gewesen, die Einhaltung von Zahlungen zu beachten. Die Beschwerdeführerin habe auch nicht unter Außerachtlassung der Abgabenschuldigkeiten andere Masseforderungen voll befriedigt. Sie habe vielmehr die ihr als "Überschuß aus dem Konkursbetrieb" zugegangenen Beträge für die Masse vereinnahmt, zinsbringend angelegt und entsprechend den Bestimmungen der Konkursordnung zur Auszahlung gebracht. Eine Berichtigung der vom Finanzamt nunmehr geltend gemachten Beträge hätte zu einer Verkürzung der übrigen Massegläubiger geführt. Aus der Beschwerdeführerin niemals zugekommenen Geldern und für ihr nicht bekannte Forderungen hätte sie keine Zahlungen leisten können, sondern es hätte diese Abgaben richtigerweise der Rechtsvertreter des Gemeinschuldners, der bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Unternehmer des Fortbetriebes anzusehen sei, abführen müssen.

Die belangte Behörde gab der Berufung der Beschwerdeführerin mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Diesem Bescheid liegt im wesentlichen die Auffasung zu Grunde, daß die fraglichen Masseforderungen gemäß § 124 Abs. 1 der Konkursordnung (KO) schon bei Fälligkeit zu entrichten gewesen wären und daß auch ausreichende Mittel zumindest zur Tilgung der Säumniszuschläge zur Verfügung gestanden wären. Der Einwand der Beschwerdeführerin, daß sie über die Lohnzahlungen und die Umsätze nicht informiert worden sei, sei ohne rechtliches Gewicht, da von der Beschwerdeführerin als Masseverwalter ein Mindestmaß an Überwachung der mit der Wahrnehmung der buchhalterischen und steuerrechtlichen Belange betrauten Personen verlangt werden müsse. Die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter seien auch verpflichtet, sich über die Abgabepflichten des Vertretenen, insbesondere über die abgabenrechtlichen Zahlungsverpflichtungen, zu unterrichten, sich Kenntnis von der abgabenrechtlichen Lage zu verschaffen und dies der Abgabenbehörde nach den Bestimmungen der §§ 119 ff BAO anzuzeigen.

Aber auch die eingewendete Behinderung an der Erfüllung der Verpflichtungen durch die Beschränkung der Handlungsfähigkeit infolge der vom Konkurskommissär vorgegebenen Einschränkungen und der mangelnden Unterstützung durch das Gericht, welche dazu geführt habe, daß die Beschwerdeführerin keinerlei Einfluß auf den Konkursfortbetrieb gehabt habe, sei nicht zielführend. Dieses Argument belaste vielmehr die Beschwerdeführerin. In dem Augenblick nämlich, in dem ein Masseverwalter seine Funktion nicht ausüben könne, habe er es in der Hand, sofort im Rechtsweg die Ausübung zu erzwingen oder seine Enthebung zu beantragen.

Vorliegender Beschwerde ist der Vorwurf inhaltlicher Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin hält, von den in weiterer Folge (siehe Punkt 5 letzter Satz und Punkt 6) behandelten zusätzlichen Argumenten abgesehen, ihren im Verwaltungsverfahren eingenommenen Standpunkt aufrecht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß Art. XI § 1 des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 1982 tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 1983 in Kraft. Wurde das Verfahren (Konkurs, Anschlußkonkurs, Ausgleichsverfahren) vor dem Ablauf des Jahres 1982 eröffnet, so sind nach § 2 Abs. 1 der Gesetzesstelle die bisher geltenden Bestimmungen anzuwenden. Im Beschwerdefall sind daher im Hinblick auf die Eröffnung des Anschlußkonkurses im Jahre 1981 noch die Bestimmungen der Konkursordnung in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 1982 von Bedeutung.

2. Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

§ 9 Abs. 1 BAO zufolge haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Zur letztgenannten Gesetzesstelle hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung darauf hingewiesen, daß es gemäß § 1298 ABGB Sache des Vertreters ist, die Gründe darzutun, aus denen ihm die Erfüllung seiner Pflichten unmöglich war, widrigenfalls die Behörde zu der Annahme berechtigt ist, daß er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen ist (siehe z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Februar 1989, Zl. 85/13/0214).

3. Zu den gesetzlichen Vertretern im Sinne des § 80 Abs. 1 BAO gehören auch die Masseverwalter (hg. Erkenntnisse vom 18. September 1985, Zl. 84/13/0085, und vom 15. Mai 1987, Zlen. 85/17/0104, 0152). Auch wenn es zu einem Konkursfortbetrieb durch den Gemeinschuldner kommt, hat der Masseverwalter als dessen gesetzlicher Vertreter gemäß § 80 Abs. 1 BAO unter der Sanktion des § 9 Abs. 1 BAO die sich aus einem solchen Betrieb ergebenden abgabenrechtlichen Pflichten wahrzunehmen. Jedenfalls hat er die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten zu überwachen. Dies gilt auch in Bezug auf abgabenrechtlich maßgebliche Aufzeichnungen, die nicht der Masseverwalter selbst, sondern der Gemeinschuldner oder ein anderer (gewillkürter) Vertreter desselben (z.B. ein Steuerberater, aber auch ein anderer Rechtsvertreter wie z.B. ein Rechtsanwalt, im folgenden nur noch "Rechtsvertreter" genannt) führt (vgl. nochmals das Erkenntnis Zlen. 85/17/0104, 0152). Nach der Lage des Beschwerdefalles bedeutet dies, daß die Beschwerdeführerin nicht schon deshalb entschuldigt ist, weil sie den Gemeinschuldner bzw. dessen Rechtsvertreter zur Vorlage von Aufzeichnungen und Abrechnungen aufforderte. Sie hätte vielmehr zumindest den Versuch unternehmen müssen, unmittelbar bei demjenigen, der die Aufzeichnungen führte, Einsicht in diese zu nehmen, um auf diese Weise die geschuldeten Abgaben feststellen und ihre Abfuhr zu überwachen. Daß die Beschwerdeführerin einen solchen Versuch unternahm, hat sie nicht behauptet.

Auch nach der Konkursordnung ist ein Konkursfortbetrieb UNTER DER VERANTWORTUNG DES MASSEVERWALTERS fortzuführen (siehe insbesondere § 81 Abs. 1 und § 115 Abs. 1 KO sowie Holzhammer, Österreichisches Insolvenzrecht, Seite 43, Bartsch-Heil, Grundriß des Ausgleichs- und Konkursrechtes3, Seiten 101 und 142f, Wegan, Österreichisches Insolvenzrecht, Seiten 16 und 101, sowie Bartsch-Pollak, Konkurs-, Ausgleichs-, Anfechtungsordnung, Einführungsverordnung und Geschäftsaufsichtsgesetz3 I, Seiten 406 und 536f). Wenn auch das von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegte, handgeschriebene Protokoll über die Tagsatzung vom 29. September 1981 nur schwer zu entziffern ist, ist ihm doch zu entnehmen, daß auch nach diesem Protokoll der Konkursfortbetrieb im Sinne der Rechtslage unter der Verantwortlichkeit des Masseverwalters zu erfolgen hatte.

4. Selbst wenn man der Beschwerdeführerin zubilligen wollte, sie hätte, wenn auch vergebens, gegenüber dem Gemeinschuldner und seinem Rechtsvertreter alles unternommen, um die strittigen Abgabenschulden festzustellen und ihre Bezahlung zu veranlassen, wäre für sie nichts gewonnen. Denn auch ohne Unterlagen des Gemeinschuldners (seines Vertreters) konnte der Beschwerdeführerin nicht verborgen bleiben, daß in einem mit einer Hilfskraft fortgeführten Gewerbebetrieb Lohnsteuer und Umsatzsteuer anfallen können. Wenn schon nicht beim Abgabenschuldner zu erfahren war, ob er seinen abgabenrechtlichen Verpflichtungen nachkam oder ob und welche Abgabenschulden aushaften, hätte sich die Beschwerdeführerin unter Offenlegung des Sachverhaltes durch eine Anfrage beim Abgabengläubiger darüber Klarheit verschaffen müssen, ob aus den bei ihr ja vorhandenen Mitteln (siehe Punkt 5) allenfalls welche Abgaben zu bezahlen waren. Spätestens seit Ende des Jahres 1984 konnte sich die Beschwerdeführerin keinesfall mehr mit einer Unkenntnis von Abgabenschulden und dem Vertrauen darauf, daß der Gemeinschuldner (sein Vertreter) die aus dem Konkursfortbetrieb angefallenenen Abgaben gezahlt hatte, entschuldigen: In dem von ihr vorgegelegten Schreiben an den Vertreter des Gemeinschuldners vom 12. Dezember 1984 weist nämlich die Beschwerdeführerin selbst auf offenbar unterbliebene Umsatzsteuervoranmeldungen hin und erwähnt in diesem Zusammenhang, "daß als Folge des Konkursfortbetriebes offenbar Masseforderungen in enormer Höhe aufgelaufen sind". Im Hinblick auf die der Beschwerdeführerin gemäß § 80 Abs. 1 BAO obliegenden abgabenrechtlichen Verpflichtungen war es jedenfalls zu wenig, sich mit dieser Befürchtung zu begnügen und nichts zur Feststellung der aufgelaufenen steuerlichen Masseforderungen zu unternehmen.

5. Bei den Beträgen, für deren Abfuhr die Beschwerdeführerin sorgen hätte müssen und mit denen sie zur Haftung herangezogen wurde, handelt es sich unbestrittenermaßen um Masseforderungen. Diese Masseforderungen waren entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin unbeschadet anderer, später fälliger Masseforderungen BEI IHRER FÄLLIGKEIT zu bezahlen (siehe § 47 Abs. 2 letzter Satz und § 124 Abs. 1 KO). Die Rangordnung und Quotenregelung der ersten beiden Sätze des § 47 Abs. 2 KO wirken nur bei gleichzeitig fälligen Masseforderungen (Wegan, aaO, Seite 52, Petschek-Reimer-Schiemer, Das österreichische Insolvenzrecht, Seiten 530 und 535f, Bartsch-Pollak, aaO, I, Seiten 286 und 288, Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. April 1985, Zlen. 84/15/0009, 0037, Slg. Nr. 5994/F). Die Beschwerdeführerin selbst hat ja auch andere Masseforderungen offensichtlich bei Fälligkeit und jedenfalls nicht erst im Zusammenhang mit der Schlußrechnung beglichen (z.B. Haftpflichtversicherungsprämien). Die Schlußrechnung spricht auch nicht gegen die bestandene Möglichkeit, eine Bezahlung entsprechend den Fälligkeiten vorzunehmen. Vielmehr weist diese Schlußrechnung seit 1981 laufend Einnahmen auf, die schließlich den Betrag von

S 657.708,-- (gegenüber Ausgaben von S 205.354,92) erreichten. Zumindest S 447.375,22 gingen nach dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Schriftverkehr bei ihr selbst (und nicht beim Gemeinschuldner oder seinem Rechtsvertreter) ein (Einnahmen vom 21. April 1981, 6. Oktober 1981, 19. Jänner 1982, 24. März 1982, 18. Februar 1983,

21. Dezember 1984 und 30. September 1985 gemäß den Schreiben der Beschwerdeführerin vom 14. November 1983, 9. Dezember 1983, 13. Juli 1984, 20. Juli 1984, 12. Dezember 1984 und vom 4. Oktober 1985 sowie gemäß Berufung). Warum (inwieweit) diese Eingänge nicht ausgereicht haben sollten, um die Masseforderungen des Finanzamtes abzudecken, wäre von der Beschwerdeführerin bereits im Verwaltungsverfahren darzulegen gewesen. Das Vorbringen in der Beschwerde, schon bei Konkurseröffnung seien Masseforderungen der Gebietskrankenkasse von S 297.806,80 offen gewesen, stellt eine gemäß § 41 Abs. 1 VwGG unbeachtliche Neuerung dar.

6. Unter das Neuerungsverbot fällt auch die Behauptung in der Beschwerde, der Rechtsvertreter des Gemeinschuldners wäre dessen Vermögensverwalter im Sinne des § 80 Abs. 2 BAO gewesen. Dem Tagsatzungsprotokoll vom 29. September 1981 ist übrigens auch nicht im Sinne des Beschwerdevorbringens zu entnehmen, daß der Rechtsvertreter des Gemeinschuldners ausdrücklich mit der Führung des Konkursfortbetriebes beauftragt wurde. Soweit lesbar ist dort von einem Betrieb des Baumeistergewerbes DURCH

DEN GEMEINSCHULDNER UNTER DER VERANTWORTLICHKEIT DES

MASSEVERWALTERS die Rede.

7. Nach den Ausführungen zu den Punkten 1. bis 6. ist die belangte Behörde mit ihrer Überlegung im Recht, daß mangelnde Überwachung des Gemeinschuldners und mangelhafte Information über die abgabenrechtlichen Zahlungsverpflichtungen eine schuldhafte Pflichtverletzung duch die Beschwerdeführerin im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO begründen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführerin, wenn sie sich nicht durchsetzen konnte, im Sinne der Rechtsmeinung der belangten Behörde ihre Enthebung beantragen hätte müssen. Im Hinblick auf die Anordnung des § 80 Abs. 1 KO erscheint fraglich, ob die Beschwerdeführerin die Enthebung mit Erfolg hätte beantragen können. Ein Rechtsanwalt konnte nämlich nach früherer Rechtslage die Bestellung nur aus erheblichen Gründen ablehnen und das Schrifttum (Petschek-Reimer-Schiemer, aaO, Seite 155) folgerte zu Recht, daß dasselbe auch für den Antrag auf Enthebung nach Übernahme des Amtes gelte. Als solche erhebliche Gründe erscheinen aber nicht Schwierigkeiten, die sich bei der Amtsführung ergeben, sondern in der Person des Rechtsanwaltes gelegene Gründe wie hohes Alter, Krankheit, Pflichtenkollision u. dgl. (s. Bartsch-Pollak, aaO, I Seite 396).

8. Da der angefochtene Bescheid aus den in den Punkten 1. bis 6. angeführten Gründen jedoch zutreffend eine schuldhafte Pflichtverletzung durch die Beschwerdeführerin unterstellen durfte, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG und die Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989130251.X00

Im RIS seit

23.05.1990

Zuletzt aktualisiert am

29.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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