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44 ZivildienstNorm
ZDG §2 Abs1Leitsatz
Verletzung im durch §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zvildienstleistung - keine Einvernahme der (angebotenen) ZeugenSpruch
Die bf. Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Bf. zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 11.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDOK) wies mit dem im Instanzenzug erlassenen Bescheid vom 5. Juni 1986 unter Bezugnahme auf §2 Abs1 und §6 Abs2 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974, idF der Nov. BGBl. 459/1984 (nunmehr wiederverlautbart als Zivildienstgesetz 1986, BGBl. 679; im folgenden: ZDG) den Antrag des Bf. ab, ihn zwecks Zivildienstleistung von der Wehrpflicht zu befreien. Sie begründete ihren Bescheid im wesentlichen folgendermaßen:
"Der Antragsteller und nunmehrige Berufungswerber hat im wesentlichen - kurz zusammengefaßt - folgendes vorgebracht:
Im Antrag vom 4.11.1985:
Die Ausbildung mit Waffen beim Bundesheer sei für ihn unvorstellbar, da er jede Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen aus schweren Gewissensgründen ablehne und daher die Ableistung des Präsenzdienstes mit seiner humanitären und sozialen Gesinnung unvereinbar sei. Er selbst habe in seinem bisherigen Leben nie Gewalt, und schon gar nicht Waffengewalt, angewendet. Seine soziale Gesinnung beruhe auf seiner Erziehung und habe sich als ehrenamtlicher Studentenvertreter in der Hochschulpolitik besonders entfaltet. Im Konfliktfall trete er auch im zwischenstaatlichen Bereich für eine gewaltfreie Beilegung, z.B. durch diplomatische Vermittlung, ein.
In der Verhandlung vom 29.1.1986:
Er habe eine gewaltfreie Erziehung genossen. Er wolle nie einen anderen Menschen verletzen, der auch nichts dafür könne, daß er als Soldat gegen Österreich kämpfe. Gegen einen Angreifer sollte man sich nicht mit Waffengewalt, sondern mit sogenannter sozialer Verteidigung wehren, die in der Vergangenheit schon wiederholt erfolgreich angewendet wurde.
In der Berufung vom 14.3.1986:
Er habe zwar noch nie Waffengewalt angewendet, aber schon einige Male in Dokumentaraufnahmen gesehen, wie Menschen im Krieg getötet oder zumindest verletzt wurden. Solche Erlebnisse hätten sich tief in ihm eingeprägt. Spätestens beim Anblick solcher Greuelszenen sei ihm klar geworden, daß er Waffengewalt gegen Menschen mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne. Er könnte es unter keinen Umständen vor seinem Gewissen verantworten, mit Waffengewalt gegen Menschen vorzugehen. Wenn er dazu gezwungen würde, könnte er dieser Gewissensbelastung nicht standhalten. Mit einer Gewissensschuld, jemand getötet zu haben, könnte er nicht leben.
In der Berufungsverhandlung vom 5.6.1986:
Er wolle nicht zum Bundesheer gehen, weil er keinen Menschen töten könne. Er wäre ein sehr sensibler Mensch und es würde ihm sehr schlecht gehen, wenn er Gewalt anwenden müßte. Er wäre für die Umstellung des Bundesheeres auf gewaltfreie Verteidigung. Darunter stelle er sich vor, daß alle Einrichtungen erhalten bleiben und keine Zerstörungen erfolgen. Man könnte z.B. die Infrastruktur blockieren und das Nicht-Funktionieren der Betriebe versuchen. Das Idealste wäre ein Generalstreik. Die von ihm namhaft gemachten Zeugen könnten bestätigen, daß er ein Mensch sei, der keine Gewalt ausübe.
Die Zivildienstoberkommission hat dazu folgendes erwogen:
Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige im Sinne des Wehrgesetzes 1978, BGBl. Nr. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden.
Voraussetzung für die Befreiung einer Person von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung ist dem §6 Abs2 ZDG zufolge, daß der Zivildienstwerber Behauptungen aufstellt, die geeignet sind darzutun, er lehne es aus schwerwiegenden Gründen ab, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und würde daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten.
Derartige (an sich taugliche) Behauptungen müssen aber, sollen die Voraussetzungen für die Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung erfüllt sein, nicht nur aufgestellt, sondern kraft der Bestimmung des §6 Abs2 ZDG auch glaubhaft gemacht werden.
Soweit in den Darlegungen des Berufungswerbers die Behauptung schwerwiegender Gewissensgründe im Sinne des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) erblickt werden kann, ist es ihm nicht gelungen, diese Gründe auch glaubhaft zu machen (§6 Abs2 ZDG). M M wirkte auf den Berufungssenat, der über reiche Vergleichsmöglichkeiten verfügt, nicht wie ein Mensch, der eine auf gründlichen eigenständigen Überlegungen beruhende gefestigte innere Überzeugung wiedergibt und auf der Basis grundsätzlicher und vorbehaltloser Ablehnung von Waffengewalt gegen Menschen im Falle der Wehrdienstleistung tatsächlich in schwere Gewissensnot geraten würde. Es fehlte sichtlich eine echte gewissensmäßige Identifikation mit den klischee- und schablonenhaft vorgetragenen Grundsätzen und Anschauungen.
M M, dessen Parteiaussage sich vom Niveau seiner schriftlichen Ausführungen in auffälliger Weise unterschied, hat sich offenbar mit der besonderen Situation Österreichs bewaffnete Verteidigung der Neutralität - und mit den Fragen möglicher Alternativen zur bewaffneten Landesverteidigung nur sehr oberflächlich auseinandergesetzt. Seine diesbezüglichen Darlegungen erschöpften sich in bloßen Schlagworten.
In freier Würdigung der Person des Antragstellers, der Art seines Vorbringens und des Inhaltes seiner Argumente ist es M M somit nicht gelungen, glaubhaft zu machen, daß das von ihm verbal Vorgebrachte tatsächlich seiner Gewissenslage entspricht und er somit im Fall der Anwendung von Waffengewalt wirklich in schwere Gewissensnot geraten könnte. Die Befragung der von ihm namhaft gemachten Zeugen (Mag. A K und G K) war entbehrlich, weil das von ihnen zu bekundende bisherige gewaltfreie Verhalten als erwiesen angenommen wurde.
Die Aussage der Vertrauensperson J F wurde bei der Gesamtwürdigung des Vorbringens in Rechnung gestellt, war jedoch in Anbetracht des persönlichen Eindruckes des Berufungswerbers ebensowenig wie seine Hochschulaktivitäten oder seine Friedensarbeit geeignet, zu einer anderen Sachentscheidung zu führen."
2. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Bf. eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.
II. Die Beschwerde ist gerechtfertigt.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH liegt eine Verletzung des in §2 Abs1 ZDG gewährleisteten
Grundrechtes dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzung maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 8787/1980, 9732/1983).
Die Beschwerde wirft der belangten Zivildienstbehörde zu Recht einen gravierenden und darob in die Verfassungssphäre reichenden Verfahrensfehler vor, weil sie es unterließ, die vom Bf. beantragte Vernehmung der Zeugen Mag. A K und G K durchzuführen.
Die ZDOK ging zwar davon aus, daß der Bf.
schwerwiegende Gewissensgründe geltend gemacht hatte, erachtete diese jedoch als nicht glaubhaft. Wie die Bescheidbegründung zeigt, stützte sie diese Wertung ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Bf. im Verwaltungsverfahren, nämlich - gerafft wiedergegeben - auf den von ihm bei der Parteiaussage gewonnenen Eindruck, auf einen angenommenen Niveauunterschied zwischen seinen mündlichen und seinen schriftlichen Ausführungen sowie auf eine unzureichende Auseinandersetzung mit Fragen nach einer Alternative zur bewaffneten Landesverteidigung. Daß es bei einer derartigen gleichsam durch die Selbstdarstellung des Bf. charakterisierten Beweislage in einem besonderen Maße geboten ist, auch andere in Betracht kommende Beweise heranzuziehen, um ein möglichst verläßliches Bild von der Persönlichkeitsstruktur des Zivildienstwerbers zu gewinnen, bedarf nach Ansicht des VfGH keiner weiteren Begründung. Der Bf. legte in der Berufungsschrift seine Einstellung zur Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen eingehend dar und schloß seine Darlegungen mit dem Begehren "zur Glaubhaftmachung meiner Ausführungen" die beiden namentlich genannten Personen als Zeugen zu vernehmen (die eine bezeichnete er als seine Vertrauensperson, die andere als jemand "der mich als langjähriger Freund gut kennt"). Wenn sich der Bf. auf diese Weise zum Nachweis seiner im Freundes- und Bekanntenkreis manifestierten Gesinnung auf zwei Zeugen beruft, so kann ein solches Beweisanbot nicht mit der (auf eine knappe Äußerung des Bf. im Rahmen seiner Parteiaussage bezugnehmenden) Begründung abgelehnt werden, ein bisheriges gewaltfreies Verhalten des Bf. sei ohnedies als erwiesen angenommen worden (s. dazu insbesondere VfSlg. 11337/1987).
2. Der bel. Beh. unterlief sohin ein wesentlicher Verstoß in dem durch §2 Abs1 ZDG geschützten verfahrensrechtlichen Bereich, sodaß eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung vorliegt.
Der angefochtene Bescheid war sohin aufzuheben.
Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 1.000 S auf die Umsatzsteuer.
III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.
Schlagworte
ZivildienstEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B1046.1986Dokumentnummer
JFT_10128993_86B01046_00