TE Vwgh Erkenntnis 1990/5/29 89/04/0272

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.05.1990
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;

Betreff

N gegen Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 31. Oktober 1989, Zl. 312.166/1-III-3/89, betreffend Zurückweisung einer Berufung (mitbeteiligte Partei: A in X).

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 31. Oktober 1989 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. April 1989 gemäß § 63 Abs. 5 AVG 1950 als verspätet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, auf Grund des Ansuchens der mitbeteiligten Partei vom 17. Mai 1988 habe der Magistrat Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 1./8. Bezirk als zuständige Gewerbebehörde erster Instanz mit Bescheid vom 28. Juli 1988 die gewerbebehördliche Genehmigung für die Gastgewerbebetriebsanlage in Wien I erteilt. Gegen diesen Bescheid habe der Beschwerdeführer Berufung erhoben. Der Landeshauptmann von Wien als Gewerbebehörde zweiter Instanz habe mit Bescheid vom 17. April 1989 der Berufung teilweise Folge gegeben. Dieser Bescheid sei dem Beschwerdeführer am 1. Juni 1989 zugestellt worden. Am 16. Juni 1989 habe laut Vermerk auf der Berufungsschrift ein Bote die mit 15. Juni 1989 datierte Berufung des Beschwerdeführers dem Magistratischen Bezirksamt für 1./8. Bezirk überbracht. Die zweiwöchige Berufungsfrist habe somit für den Beschwerdeführer mit 1. Juni 1989 zu laufen begonnen und habe am 15. Juni 1989 (um 24.00 Uhr) geendet. Da die Berufung nicht durch die Post übermittelt worden sei, sondern durch einen Boten, sei das Datum, an dem sie bei der Behörde erster Instanz eingelangt sei, maßgeblich. Dies sei laut Stempel des Magistratischen Bezirksamtes für den 1./8. Bezirk der 16. Juni 1989. Dieses Datum liege bereits außerhalb der Berufungsfrist. Die Berufung sei somit gemäß § 63 Abs. 5 AVG 1950 als verspätet zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, der Beschwerde keine Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Seinem Vorbringen zufolge erachtet sich der Beschwerdeführer in dem Recht auf gesetzmäßige Behandlung der von ihm rechtzeitig eingebrachten Berufung vom 15. Juni 1989 verletzt. Er bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, am 15. Juni 1989 habe seine Sekretärin beim Postamt 1015 Wien die Berufung vom 15. Juni 1989, gerichtet an das Magistratische Bezirksamt für den 1./8. Bezirk, überreicht. Auf dem im Akt befindlichen Original seiner Berufung befinde sich der Eingangsstempel des Magistratischen Bezirksamtes für den 1./8. Bezirk, Ref. Dr. Y, vom 16. Juni 1989. Unmittelbar darüber sei handschriftlich vermerkt: "Durch Boten 1/88 Ref., 1189 MA 36 B s. 29.5.89 1051/1". Dieser handschriftliche Vermerk beziehe sich, wie ihm vom zuständigen Referenten, Senatsrat Dr. Y, mitgeteilt worden sei, auf beigeschaffte andere Akten. Auch die Eingangsstampiglie beziehe sich auf diese am 16. Juni 1989 überbrachten drei Akten. Bei richtiger Anwendung des § 37 AVG 1950 hätte die belangte Behörde erkennen müssen, daß sich dieser handschriftliche Vermerk und der Eingangsstempel auf diese durch Boten überbrachten drei Akten beziehe. Daraus folge, daß sich auf seiner Berufung kein Hinweis finde, wann diese bei der Behörde eingelangt sei. Die belangte Behörde hätte daher entsprechende Erhebungen, darunter seine Einvernahme, anordnen müssen, um die Frage der Rechtzeitigkeit seiner Berufung zu überprüfen. Insofern dies unterlassen worden sei, leide der angefochtene Bescheid an einem erheblichen Mangel des Ermittlungsverfahrens. Zweifle aber die belangte Behörde, ob der 16. Juni 1989 laut Eingangsstempel den Posteingang der Berufung wiedergebe, dann hätte sie in Entsprechung des § 37 AVG 1950 die erforderlichen Ermittlungen anzustellen gehabt, um den für die Beurteilung der Frage der Rechtzeitigkeit der Berufung maßgebenden Sachverhalt festzustellen. Auch in diesem Falle hätte ihm die belangte Behörde Gelegenheit zum Nachweis der Rechtzeitigkeit seiner Berufung zu geben gehabt. Zum Nachweis seines Vorbringens lege er insbesondere das Original des Postaufgabescheines vom 15. Juni 1989 beim Postamt 1015 Wien vor.

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu:

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach dargetan hat (siehe hiezu u.a. das hg. Erkenntnis vom 7. Mai 1980, Slg. N.F. Nr. 10.116/A), handelt es sich bei der Frage, ob eine Berufung rechtzeitig oder verspätet eingebracht wurde, um eine solche, die die Behörde auf Grund der von ihr festgestellten Tatsachen zu entscheiden hat. Nach § 45 Abs. 2 AVG 1950 hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Der sogenannte Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, daß der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG 1950 hat nur zur Folge, daß - sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist - die Würdigung der Beweise keinen anderen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Diese Regelung schließt keinesfalls eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben wurde und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie u.a. den Denkgesetzen, somit auch dem allgemein menschlichen Erfahrungsgut entsprechen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1983, Zl. 82/04/0262, und die dort zitierte weitere hg. Rechtsprechung).

In ihrer Gegenschrift bringt die belangte Behörde in diesem Zusammenhang vor, zunächst sei zum Beschwerdevorbringen festzuhalten, daß es sich dabei um tatsächliche Neuerungen handle, die erst im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vorgebracht worden seien. Der Sachverhalt sei für die Behörde derart klar gewesen, daß kein vernünftiger Grund zu zweifeln übrigbleibe. Der Berufung gegen den Bescheid der Behörde zweiter Instanz sei kein Aufgabekuvert beigefügt, sondern es trage dieses den Eingangsstempel des Magistratischen Bezirksamtes für den 1./8. Bezirk vom 16. Juni 1989 (also nach Ablauf der Berufungsfrist) und weiters den Vermerk "durch Boten". Dieser Sachverhalt lasse keinen anderen Schluß zu, als den, daß die Berufung durch Boten nach Ablauf der Berufungsfrist überbracht worden sei. Zu dem erstmals in der Beschwerde erstatteten Vorbringen, der Vermerk "durch Boten" beziehe sich auf beizuschaffende Akten, lasse sich in dem vorgefundenen Sachverhalt nicht einordnen. Weshalb hätte nämlich die Behörde erster Instanz, die das Verfahren selbst geführt habe und der die Akten vorgelegen seien, zusätzlich durch Boten Akten beischaffen und dies auf der Berufung vermerken sollen. Die vorgelegten Verwaltungsakten ließen auch keinen Hinweis, wonach durch Boten zusätzliche Akten vorgelegt worden seien, erkennen. Vielmehr sei auch der zuständige Referent der Behörde erster Instanz zur Auffassung gelangt, daß die vorliegende Berufung verspätet eingebracht worden sei (nämlich am 16. Juni 1989 durch Boten); er habe einen diesbezüglichen Vorlagebericht an die Magistratsabteilung 63 (als Berufungsbehörde) verfaßt. Zusammenfassend sei daher festzuhalten, daß der aus dem Akt entnehmbare Sachverhalt derart klar und eindeutig gewesen sei, daß keinerlei zusätzliche Erhebungen zur Frage der Rechtzeitigkeit der Berufung gegen den Bescheid der Behörde zweiter Instanz erforderlich gewesen seien. Das in der Beschwerde erstattete Vorbringen könne darüber hinaus - wie oben dargestellt - nicht als schlüssig bezeichnet werden. Zu dem in Ablichtung vorgelegten Aufgabeschein sei auszuführen, daß dieser keinerlei Hinweis darüber enthalte, auf welches Schriftstück sich dieser Aufgabeschein beziehe, außer, daß das Schriftstück an das Magistratische Bezirksamt für den 1./8. Bezirk adressiert gewesen sei. Diese Adresse lasse den Kreis der damit aufgegebenen Schriftstücke auch nicht allzu eng eingrenzen, da es bei einem Rechtsanwalt im ersten Wiener Gemeindebezirk durchaus häufig vorkommen möge, daß Schriftstücke an dieses Bezirksamt gerichtet seien und diese mit einem Aufgabeschein aufgegeben würden. Es sei damit jedoch keineswegs bewiesen, daß die vorliegende Berufung nicht persönlich durch Boten am 16. Juni 1989, sondern am 15. Juni 1989 zur Post gebracht worden sei.

Abgesehen davon, daß eine unterlassene Bescheidbegründung durch ein Vorbringen in der Gegenschrift nicht nachgeholt werden könnte, ist darauf hinzuweisen, daß die Rechtsmittelbehörde das Risiko einer Bescheidaufhebung dann zu tragen hat, wenn sie von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist ausgeht, diese Feststellung dem Rechtsmittelwerber aber vor ihrer Entscheidung nicht vorgehalten hatte.

Ausgehend davon ist zunächst darauf hinzuweisen, daß ein Vorbringen in der Beschwerde, zu dem der Beschwerdeführer zufolge des Verfahrensganges keine Gelegenheit hatte, nicht als vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige Neuerung anzusehen und - sofern ihm Relevanz zukommt - auch zu berücksichtigen ist, wenn es nicht etwa schon allein schlüssig durch die im Einklang mit der Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens stehende Bescheidbegründung im vordargestellten Sinn widerlegt erscheint. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, da der Nichtanschluß eines Aufgabekuverts bei der in den Verwaltungsakten befindlichen Berufung nicht denknotwendig ausschließlich auf den Umstand einer mangelnden Postaufgabe des Berufungsschriftsatzes zurückgeführt werden kann, daß der Vermerk "durch Boten" bei der Eingangsstampiglie der Erstbehörde vor allem auch im Hinblick auf die dort angeführten Beifügungen nach den oben dargestellten, für die Schlüssigkeitsprüfung maßgeblichen Gesichtspunkten ohne nähere Darlegungen nicht schon für sich allein zu der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Annahme einer verspäteten Berufungseinbringung dienen konnte.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid in Hinsicht darauf mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, wobei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Hinblick auf § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben konnte. Für das fortgesetzte Verfahren sei darauf hingewiesen, daß im Zusammenhang mit dem in der Beschwerde bezogenen Postaufgabeschein auch der auf dessen Rückseite aufscheinende Vermerk "A - X-Gasse und B - C. KG" in die behördlichen Erörterungen einzubeziehen sein wird.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 59 Abs. 3 letzter Satz VwGG, im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Parteiengehör Rechtsmittelverfahren Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989040272.X00

Im RIS seit

29.05.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten