TE Vwgh Erkenntnis 1990/5/31 90/09/0014

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Veröffentlicht am 31.05.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

ABGB §6;
AVG §37;
AVG §52;
AVG §60;
KOVG 1957 §4 Abs1;
KOVG 1957 §90 Abs1;
VwRallg;

Betreff

N gegen Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Tirol vom 11. Dezember 1989, Zl. 810-052380-007, betreffend Anerkennung von Dienstbeschädigungen nach dem KOVG

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1921 geborene Beschwerdeführer beantragte am 8. Oktober 1985 beim Landesinvalidenamt für Tirol die Anerkennung folgender Leiden als Dienstbeschädigung:

"beträchtliche Herzmuskelschwäche, Cor pulmonale Lungenemphysem, chronische Emphysembronchitis, Bronchiektasen, Verdauungsstörungen, Gastritis, chronische Verstopfung, Blähungen, übermäßiges Schwitzen (Hyperhydrosis), Zittern, Schreibkrampf". Für diese erstmals als Dienstbeschädigung geltend gemachten Gesundheitsschädigungen, beanspruchte der Beschwerdeführer Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG).

Die Versorgungsbehörde erster Instanz holte daraufhin zu diesem Antrag und zu den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen ein ärztliches Sachverständigengutachten eines Facharztes für innere Medizin ein, der sich mit der Kausalität der Leiden:

1. Hypertonie mit coronarsklerotischer Myocardfibrose und manifester Linksherzinsuffizienz; Neigung zu Belastungsstenocardien,

2.

Fettleber,

3.

Gastritis und

4.

Dickdarmspasmen mit chronischer Obstipation auseinandersetzte und die geltend gemachten Schädigungen als akausal und die zweimalige Gelbsucht des Beschwerdeführers als bereits abgeheilt qualifizierte. Der weiters hinsichtlich der geltend gemachten Leiden "übermäßiges Schwitzen (Hyperhydrosis), Zittern und Schreibkrampf" beigezogene Facharzt für Neurologie und Psychiatrie (Dr. T) kam in seinem Gutachten vom 7. März 1986 zum Ergebnis, daß es sich offensichtlich um eine "konstitutionelle Neurasthenie" mit Stimmungschwankungen, Zittrigkeit und vegetativen Störungen (Schwitzen) handle, diese Beschwerden bereits vor dem Wehrdienst bestanden hätten, eine kausale Verschlechterung durch den Wehrdienst nicht anzunehmen sei und aus neurologisch-psychiatrischer Sicht keine Dienstbeschädigung bestehe. Gestützt auf diese beiden ärztlichen Sachverständigengutachten wies die Versorgungsbehörde erster Instanz mit Bescheid vom 23. April 1986 den Antrag des Beschwerdeführers auf Anerkennung der genannten Leidenszustände als Dienstbeschädigung ab.

Die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde von der belangten Behörde mit Bescheid vom 14. August 1986 als verspätet zurückgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof behob diesen Bescheid mit Erkenntnis vom 18. März 1987, Zl. 86/09/0155.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Berufung nach Durchführung eines umfangreichen Verfahrens teilweise Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 insoweit abgeändert, als die festgestellte Gesundheitsschädigung "tyseptische Störungen nach geheilter Hepatitis" gemäß §§ 1 und 4 KOVG, und zwar zur Hälfte als Dienstbeschädigung (Richtsatzposition 360, Minderung der Erwerbsfähigkeit 10. v.H.), anerkannt wurde.

Zur Begründung wird - soweit dies für die Behandlung der vorliegenden Beschwerde von Bedeutung ist - im wesentlichen dargelegt:

Nach Wiedergabe des mit dem erstinstanzlichen Bescheid bestimmten Verfahrensgegenstandes und der Berufungsausführungen des Beschwerdeführers, insbesondere der Darstellung der belastenden Verhältnisse beim Einsatz des Beschwerdeführers in Rußland und in Nordafrika sowie seiner Beweisanbote führt die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiter aus:

Wie bereits im Antrag des Beschwerdeführers führe er sein Herzleiden oder zumindestens dessen Verschlimmerung auf die kriegsbedingten schweren körperlichen Anstrengungen wie Heben und Tragen der schweren Nebelwerfergranaten und auf die ständigen Schanzarbeiten auf der Krim und in Nordafrika bei größter Hitze zurück. Bezüglich des Gutachtens des Dr. T, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 7. März 1986 halte er seine schriftlichen Einwendungen vom 3. April 1986 vollinhaltlich aufrecht und beantrage bei Notwendigkeit ein fachärztliches Gutachten hinsichtlich der nachteiligen Nebenwirkungen bei der durchgeführten thorokalen Sympathektomie.

Nach Wiedergabe des Verfahrensgegenstandes und der Rechtslage führt die belangte Behörde weiter aus, auf Grund der Berufungsausführungen des Beschwerdeführers sei im Wege der Amtshilfe ein ärztliches Sachverständigengutachten vom Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland eingeholt worden. Dieses innerfachärztliche Sachverständigengutachten (aktenmäßig) vom 22. November 1988 laute im wesentlichen wie folgt:

Zu beurteilen seien drei Krankheitskomplexe, nämlich

1.

eventuelle Folgen nach Gelbsucht (Hepatitis) und Ruhr

2.

diverse neurasthenische und neurovegetative Störungen und

3.

das Herzleiden.

Zu 1.:

Die Erkrankung an Gelbsucht, offenbar eine Hepatitis A könne auf Grund der immer gleichlautend gemachten Angaben des Beschwerdeführers und durch die Feldpostkarten als gesichert angenommen werden. Die Erkrankung heile aber in über 90 % der Fälle folgenlos aus. Sollte dies im gegenständlichen Fall nicht geschehen sein, so wären schon früher Symptome der chronischen Hepatitis aufgefallen. Es fehlten aber diesbezüglich Objektiv-Befunde aus der Zeit des Wehrdienstes; im Entlassungsschein werde der Beschwerdeführer als gesund testiert und erst in den letzten Jahren sei eine Fettleber festgestellt worden. Die neuerliche Gelbsucht im Jahre 1952 sei sicher kein Rezidiv der ersten Gelbsucht, sondern eine Neuansteckung, eventuell mit Hepatitis B - die Hepatitis A hinterlasse in der Regel eine lebenslange Immunität - gewesen. Wie dem auch sei, gegenwärtig bestehe an der Leber nur eine Steathose (Verfettung), die keine Folge einer überstandenen Hepatitis sei. Die Sonographie der Leber sei bis auf die Zeichen der Stethose normal, die Transaminasenaktivitäten immer im Rahmen der Norm. Adipositas, erhöhte Blutfette, gelegentlich leichter erhöhter Blutzucker bei vielleicht geringer Störung des Kohlehydratstoffwechsels seien genügend anlagebedingte akausale Urachen für die Entstehung der Fettleber. Als einzige Folge der Hepatitis könnten diverse Verdauungsbeschwerden, wie Blähungen, Neigung zu Verstopfung, Völlegefühl angesehen werden, die aber sicher teilweise auch im Rahmen der neurovegetativen Störungen bei dem anschließend zu besprechenden Neurasthenie-Syndrom fallen würden. Die leichte Gastritis sei unbedeutend, die axile Gleithernie am Mageneingang sei Folge anlagebedingter Bindegewebsschwäche des Zwerchfelles. Am Dickdarm seien keine organischen Wandveränderungen festgestellt worden.

Zu 2.:

Dem Gutachten Dris. T der den Beschwerdeführer auch vorher schon gelegentlich behandelt gehabt habe, könne hinsichtlich des neurologisch-psychiatrischen Zustandsbildes nur zugestimmt werden. Es handle sich um ein Neurasthenie-Syndrom mit beträchtlichen vegetativen Störungen, die sich im Bereich des Verdauungstraktes mit eventuellen tyspeptischen Störungen nach der Hepatitis zum Teil überschneiden. Der ganze Krankheitskomplex sei rein persönlichkeitsbedingt und sei durch die Eigentümlichkeiten des Wehrdienstes nicht beeinflußt. Auch die übermäßige Schweißabsonderung sei eine typische vegetative Fehlsteuerung und ebenso akausal wie die thorokale Sympathektomie 1970 mit ihren Folgen.

Zu 3.:

Die richtige Diagnose und wahre Natur des Herzleidens und seiner Folgen sei erst mit ärztlichem Befund der Universitätsklinik Innsbruck für Innere Medizin vom 19. Mai 1988 eindeutig geklärt worden, nach dem in den ärztlichen Befunden Drs. D vom 13. August 1987 und Drs. A vom 22. Feber 1988 Verdachtsdiagnosen gestellt worden seien. Es handle sich um einen Defekt in der Herzvorhofscheidewand auf Grund einer embryonalen Fehlentwicklung, ein sogenanntes offenes Foramen orale. Diese Fehlbildung sei gar nicht so selten und verlaufe häufig auch symptomlos bis die damit behafteten Personen im hohen Alter an anderweitigen Erkrankungen versterben. Die Schwere der konsekutiven Veränderungen hänge von der Größe des Defektes ab und wie groß das Shuntvolumen vom linken in den rechten Vorhof ist. Je größer dieser ist, desto stärker seien die Belastungen des rechten Vorhofes, des rechten Ventrikels und des Lungenkreislaufes. Derzeit sei beim Beschwerdeführer der rechten Ventrikel und rechte Vorhof hypertrophiert, aber auch dilatiert mit Zeichen pulmonaler Stauung. Der Kreislauf sei schon seit 1983 zeitweise dekompensiert. Am gegenwärtigen Zustand sei aber eine arterielle Hypertonie und eine coronale Sklerose beteiligt, wie Hypertrophie und Dilatation auch des linken Ventrikels bewiesen hätten. Letztere Erkrankungen seien anlage- und altersbedingt und stünden mit dem Vorhofseptumdefekt und dem Wehrdienst nicht in ursächlichem Zusammenhang. Dem ärztlichen Befund von Prof. Z vom 19. Mai 1988 sei durchaus zuzustimmen, daß durch längere Zeit anhaltende schwere körperliche Belastungen den Verlauf des Leidens verschlimmern und beschleunigen könnten und von diesem Gerichtspunkt aus der Fall überprüft werden müsse. Dies müsse aber im Einzelfall nach den eben für diesen Fall zu treffenden Gegebenheiten und vorhandenen Unterlagen geschehen. Hiebei ergebe sich nun, daß aus der Vorkriegszeit und aus der Zeit des Wehrdienstes einigermaßen verwertbare Objektivbefunde fehlten. Im Gefangenschaftsentlassungsschein sei der Beschwerdeführer sogar ärztlich als gesund bezeichnet worden. Aus der Folgezeit fehlten ebenfalls jegliche Befunde, die eigenen Angaben des Beschwerdeführers über einen "Leistungsknick" seien recht vage und zeitlich nicht exakt fixiert. Die diesbezüglichen anamnestischen Niederlegungen in ärztlichen Berichten seien nur auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers erfolgte. Nach dem Anamnesen im fachärztlichen Befund Drs. A vom 15. November 1983 und im ärztlichen Sachverständigengutachten Drs. S vom 17. Jänner 1986 könne aber als einigermaßen gesichert angenommen werden, daß ab ca. 1975 Brustbeklemmungen und Atemnot bestanden hätten. Rhythmusstörungen (Vorhofflimmern) und der offenbar 1985 erstmals festgestellte Rechtsschenkelblock seien bei diesem Septumdefekt sehr häufig. Nach dem klinischen Befund vom 19. Mai 1988 sei das gegenwärtige Shuntvolumen mit 49 % des Lungenzirkulationsvolumens beträchtlich. Das heiße, das fast die Hälfte der von der rechten Herzkammer in den Lungenkreislauf beförderten Blutmenge nicht aus dem großen Körperkreislauf komme, sondern über den Umweg des linken Vorhofes und durch den Septumdefekt nochmals durch die Lunge gepumpt werde. Es könne nun angenommen werden, daß dieser Zustand nicht schon von Anfang an gegeben gewesen sei, denn diesfalls hätten schon viel früher die schweren und für den Defekt typischen Symptome auftreten müssen.

Höchstwahrscheinlich sei der Defekt von Geburt an nur klein ohne größeren links-rechts Shunt gewesen. Die charakteristische Symptomatik sei erst seit den späteren 70er Jahren aktenkundig, 30 Jahre nach der Beendigung des Wehrdienstes und in einem Alter, in dem bereits Bluthochdruck, Ateriosklerose und auch die altersmäßige Komponente des Lungenemphysems, eine Hypertrophie und Ausweitung aller Herzhöhlen und damit auch durch Dehnung eine Vergrößerung des Septumdefektes und des Shuntvolumens bewirkt haben dürften. Nach dem Gesagten müsse eine den Verlauf des angeborenen Grundleidens mit dessen Folgen nennenswerte Beeinflussung und Verschlimmerung durch die Eigentümlichkeiten des vom Beschwerdeführer im zweiten Krieg geleisteten Wehrdienstes als sehr unwahrscheinlich angesehen werden.

Als Dienstbeschädigung wären daher nur die tyspeptischen Störungen nach geheilter Hepatitis, nach der Richtsatzposition 360 mit 10 v.H. anzuerkennen. Der mittlere Rahmensatz sei deswegen heranzuziehen gewesen, weil ein Teil der geklagten Beschwerden auch auf der akausalen vegetativen Neurose beruhe.

Diesem ärztlichen Sachverständigengutachten habe die leitende Ärztin des Landesinvalidenamtes für Tirol vom 12. Dezember 1988 zugestimmt und ausgeführt, daß sich grundsätzlich keine Änderung in der bisherigen Beurteilung der Sachverständigen, die vom Landesinvalidenamt für Tirol bestellt worden seien, ergebe und als Dienstbeschädigung die vorher angegebene Gesundheitsschädigung mit einer kausalen MdE von 10 v.H. festzusetzen sei. Die belangte Behörde habe sich nach eingehender Prüfung und Beratung dieser medizinsichen Beweisführung vollinhaltlich anschließen können und diese für schlüssig befunden, weil sich der beigezogene ärztliche Sachverständige ausführlich und erschöpfend mit der Kausalitätsfrage befaßt habe und die medizinische Beurteilung einer stichhältigen Begründung nicht mangle.

Auf Grund der teilkausalen Anerkennung der im Spruch angeführten Gesundheitsschädigungen sei ein Einschätzungsverfahren nach § 8 KOVG geboten gewesen. Im Folgenden wird dann in der Begründung des angefochtenen Bescheides dargelegt, daß sich durch die anerkannte Dienstbeschädigung keine beruflichen Sonderverhältnisse für den Beschwerdeführer ergeben hätten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.

Der Beschwerdeführer hat im Laufe des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof weitere Eingaben, zum Teil mit ergänzenden Gutachten, vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer folgt der von der belangten Behörde in der Begründung dargelegten Dreiteilung seines Krankheitskomplexes und beschränkt seine Einwendungen ausdrücklich auf Punkt 2 "diverse neurasthenische und neurovegetative Störungen" und auf Punkt 3 "das Herzleiden".

Hinsichtlich des Punktes 2 wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde vor, sie habe über das im Wege des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenlad eingeholte aktenmäßige Gutachten (Obermedizinalrat Dr. E) nur die Feststellungen des Vorgutachters Dr. T aus dem erstinstanzlichen Verfahren übernommen. Gegen die Behauptung des Vorgutachters, die beschriebenen Störungen hätten bereits vor dem Wehrdienst bestanden, habe er seinen Bruder als Zeugen namhaft gemacht; die Behörde hätte aber sein Beweisanbot ignoriert. Des weiteren bemängelt der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang mangelnde Feststellungen zu den nachteiligen Folgen der bei ihm zur Beseititung der Hyperhydrosis durchgeführten thorokalen Sypathektomie.

Hinsichtlich des Punktes 3 weist der Beschwerdeführer auf einen Widerspruch zwischen den dem angefochtenen Bescheid in erster Linie zugrunde gelegten aktenmäßigen Gutachten vom 22. November 1988 und dem von ihm vorgelegten Herzkathederbefund der Universitätsklinik Innsbruck vom 30. November 1989 (richtig: 1988) hin. Das erstgenannte Gutachten habe die Kausalität der Gesundheitsschädigung insbesondere im Hinblick auf eine arterielle Hypertonie und eine Coronar-Sklerose als anlage- und altersbedingt bezeichnet. Dementgegen habe das zweitgenannte Gutachten keine Coronalsklerose befundet, sondern sei vielmehr der Verdacht auf auf eine coronarsklerotische Myocardfibrose coronar-angiographisch nicht bestätigt worden. Der Beschwerdeführer weist weiters auf seine Schwierigkeiten bei der Beweisführung hin und bezeichnet die sogenannte ärztliche Bestätigung bei der Entlassung als eine ohne jede Untersuchung getroffene lapidare Feststellung, gegen die er sich schon deshalb, um überhaupt frei zu kommen, nicht gewehrt habe. Wenn ausgehend von seinem angeborenen Herzfehler die im Verfahren und in der Beschwerde näher dargestellten Belastungen während des Kriegsdienstes bzw. seiner dreijährigen Gefangenschaft berücksichtigt worden wären, sei eine wesentliche Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes bereits dadurch klar. Im übrigen sei in dem der Behörde vorgelegten privatfachärztlichen Gutachten vom 12. August 1987 festgestellt worden, daß wahrscheinlich noch eine weitere myocardiale Schädigung während des Krieges nach einem Infekt stattgefunden hat. Darüber hinaus weist der Beschwerdeführer auf die Schwierigkeiten einer entsprechenden Diagnostizierung seines Herzleidens hin, die erst durch die moderne Medizintechnik beseitigt werden hätten können.

Abschließend bekämpft der Beschwerdeführer das Einschätzungsverfahren nach § 8 KOVG.

Diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigtung zu.

Gemäß § 4 Abs. 1 KOVG ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 KOVG 1957 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist. Für die Auslegung des Begriffes "Wahrscheinlich" ist der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. Dezember 1988, Zl. 88/09/0135).

Die im § 4 Abs. 1 KOVG enthaltene Regelung setzt voraus, daß zunächst einmal die Gesundheitsschädigung festgestellt und das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse erwiesen sind. Der ursächliche Zusammenhang und die - nach dem Gesetz ausreichende - Wahrscheinlichkeit dieses Zusammenhanges sind Rechtsbegriffe; ob der Kausalzusammenhang, und zwar (wenigstens) mit Wahrscheinlichkeit gegeben ist, ist Gegenstand der rechtlichen Beurteilung. Die Behörde hat der rechtlichen Beurteilung einen ausreichend ermittelten Sachverhalt zugrundezulegen und zu diesem Zweck ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, in dessen Rahmen auch Beweis durch ärztliche Sachverständige aufzunehmen ist. Die Behörde hat dabei den ärztlichen Sachverständigen anzuleiten, zu dem von ihr pflichtgemäß ermittelten Vorgängen und Erscheinungen Stellung zu nehmen und sich gutachtlich zu äußern, ob sie ausreichen, einen ursächlichen Zusammenhang als wahr anzunehmen. Das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen darf sich nicht darauf beschränken, den ursächlichen Zusammenhang bloß zu verneinen. Der ärztliche Sachverständige hat vielmehr sein Urteil zu begründen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Oktober 1953, Zl. 2241/51, Slg. N.F. Nr. 3159/A).

Der Erlassung eines Bescheides hat gemäß § 56 des auch im Verfahren nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz geltenden AVG 1950 grundsätzlich die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nach den Vorschriften der §§ 37 und 39 dieses Gesetzes voranzugehen. Zweck des Ermittlungsverfahrens ist es nach § 37 AVG 1950 den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach der Anordnung des § 58 Abs. 2 AVG 1950 sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird. In der Begründung sind gemäß § 60 AVG 1950 die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid nicht ausreichend gerecht.

Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall zwar ein umfangreiches Verfahren durchgeführt und eine Reihe von Tatsachen erhoben, die für bzw. gegen die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen der Gesundheitsschädigung des Beschwerdeführers und dem von ihm behaupteten schädigenden Kriegseinwirkungen sprechen. Sie hat jedoch nicht berücksichtigt, daß der Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs Einwendungen erhoben und zum Teil den dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten ärztlichen Gutachten im (teilweisen) Widerspruch stehende fachärztliche Gutachten vorgelegt hat, die für seinen Standpunkt sprechen könnten. Dazu hätte im Sinne der vorher wiedergegebenen Judikatur eine medizinisch begründete Auseinandersetzung erfolgen bzw. ein neuerlicher Beweis durch Untersuchungen angestellt werden müssen. Die belangte Behörde hat zur Frage der Wahrscheinlichkeit der Verschlimmerung des angeborenen Herzleidens des Beschwerdeführers durch die kriegsdienstbedingten Verhältnisse keine Aussage darüber getroffen, sondern hat den gegenwärtigen Leidenszustand - wie bereits dargelegt ohne ausreichende Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Gutachten - als anlage- und altersbedingt bezeichnet.

Hinsichtlich der neurasthenischen und neurovegetativen Störungen geht die belangte Behörde aufbauend auf das vom Beschwerdeführer bereits im erstinstanzlichen Verfahren bekämpfte Gutachten davon aus, daß diese bereits vor der Wehrdienstleistung des Beschwerdeführers bestanden hätten. Dagegen hat der Beschwerdeführer sowohl ein ärztliches Gutachten mit einer gegenteiligen Aussage vorgelegt, als auch seinen Bruder als Auskunftsperson genannt. Eine Auseinandersetzung mit diesen nicht von vornherein als unerheblich zu bezeichnenden Vorbringen ist unterblieben. Bemerkt wird, daß den vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang geltend gemachten Folgen der "thorokalen Sympathektomie (nach Kux)" nur dann allenfalls eine Bedeutung zukommen kann, wenn das zugrundeliegende Leiden, nämlich die Hyperhydrosis zumindest mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Kriegsdienstleistung zurückzuführen ist.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf

die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 206/1989.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes genannt sind, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Ursächlicher Zusammenhang und Wahrscheinlichkeit Allgemein Auslegung Allgemein authentische Interpretation VwRallg3/1 Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Verfahrensrecht Aufgabe des Sachverständigen Wertung von Sachverständigengutachten Befund und Attest (siehe auch KOVG §90 Abs1) Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen in Abgrenzung von den Aufgaben der Behörde Erfordernis des Sachverständigenbeweises Verfahren nach KOVG §4 Abs1 und §34) Anforderung an ein Gutachten Sachverständiger Arzt Vorliegen eines Gutachtens

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990090014.X00

Im RIS seit

31.01.2002

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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