TE Vfgh Beschluss 1987/10/14 G128/87

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Veröffentlicht am 14.10.1987
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

AVG 1950 §18 Abs4 letzter Satz
VfGG §19 Abs3 Z2 lite
VfGG §62 Abs1 zweiter Satz
BAO §96 letzter Satz

Leitsatz

Gerichtsantrag auf Aufhebung des §96 letzter Satz BAO; im Antrag (ua.) Verweis auf Bedenken, die in einem früheren Verfahren vom VfGH nicht geteilt wurden bzw. auf Bedenken des VfGH in einem dritten Verfahren - keine ausreichende Darlegung der Bedenken iSd §62 Abs1 VerfGG

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit dem auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt der VwGH, den letzten Satz des §96 der Bundesabgabenordnung, BGBl. 194/1961 idF BGBl. 134/1969 (künftig: BAO), als verfassungswidrig aufzuheben. Hiezu wird vorgebracht:

1.1. Es sei beim VwGH ein vom Bundesminister für Landund Forstwirtschaft erlassener Bescheid angefochten, mit dem gegen 14 Erledigungen des Milchwirtschaftsfonds erhobene Berufungen wegen Unzuständigkeit als unzulässig zurückgewiesen worden seien. Die Berufungen gegen die Erledigungen des Milchwirtschaftsfonds seien mit dem angefochtenen Bescheid mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen worden, daß ihnen Urschriften zu Grunde lägen, die mit der Unterschrift des die Erledigung Genehmigenden nicht versehen seien, was aber, nach dem Erkenntnis des VwGH vom 24. April 1986, Z86/17/0072-74, Voraussetzung dafür sei, daß eine Erledigung als Bescheid anzusehen ist. In den an den VwGH gerichteten Beschwerden werde die Aufhebung des bekämpften Bescheides des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft begehrt, weil die Bf. vermeinen, daß die Rechtsansicht, die Erledigungen des Milchwirtschaftsfonds seien absolut nichtige Verwaltungsakte, mit der Rechtslage nicht im Einklang stehe. Bei der Überprüfung des vor dem VwGH angefochtenen Bescheides, insbesondere der rechtlichen Beurteilung der allein strittigen Frage, ob es sich bei den Enuntiationen des Milchwirtschaftsfonds um rechtswirksame Bescheide im Sinne der die Prozeßvoraussetzungen vor dem VwGH regelnden Bestimmungen (Art131 B-VG iVm §96 BAO) handle, habe der VwGH §96 letzter Satz BAO unmittelbar anzuwenden. Dies deshalb, weil es sich beim Importausgleich nach dem Marktordnungsgesetz 1967 um eine Abgabe handle, die anläßlich der Einfuhr von Waren erhoben wird, und weil die Erledigungen des Milchwirtschaftsfonds, welche der bf. Partei zugestellt wurden, nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten weder eine Unterschrift noch eine Beglaubigung enthalten. Daraus ergebe sich, daß dieser Gesetzesstelle in der vorliegenden Beschwerdesache Präjudizialität im Sinne des Art140 Abs1 B-VG zukomme.

1.2. Die Bedenken gegen die angegriffene Gesetzesstelle trägt der VwGH nach Wiedergabe des Gesetzeswortlautes, Zitierung der Materialien sowie Hinweisen auf ein vom VfGH von Amts wegen eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren betreffend §18 Abs4 letzter Satz des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (künftig: AVG 1950) und auf die Vorjudikatur zu der mit dem vorliegenden Antrag angegriffenen Gesetzesstelle wie folgt vor:

"Am 17. März 1987 hat der VfGH in seinem Beschwerdeverfahren A6/86 nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG u.a. die Verfassungsmäßigkeit des §18 Abs4 letzter Satz des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes, BGBl. Nr. 172/1950 in der Fassung BGBl. Nr. 199/1982, von Amts wegen zu prüfen.

Der VfGH hegt nunmehr das - in der Begründung dieses Beschlusses näher ausgeführte - Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Bestimmung tatsächlich in Widerspruch zu dem von der Verfassung - insbesondere in Art130 und Art144 B-VG vorausgesetzten Bescheidbegriff stehe.

Der VwGH teilt die in diesem Beschluß im einzelnen angeführten Bedenken. Er hat sich nämlich bereits in seinem von einem verstärkten Senat gefaßten Anfechtungsbeschluß vom 24. September 1964, Zl. 2045/63 (im wesentlichen Wortlaut in JBl 1966, 217 ff veröffentlicht; vgl. VfSlg. 4986), mit den verfassungsrechtlichen Determinanten des in den Art130 und 131 B-VG vorausgesetzten Bescheidbegriffes auseinandergesetzt.

Die nunmehr gegen §18 Abs4 letzter Satz AVG 1950 entstandenen Bedenken des VfGH haben daher gleichermaßen für die nahezu wörtlich gleichlautende Bestimmung des §96 letzter Satz BAO zu gelten. ..."

2. Gemäß Art140 Abs1 B-VG erkennt der VfGH über Verfassungswidrigkeit eines Bundes- oder Landesgesetzes u.a. auf Antrag des VwGH. Gemäß §62 Abs1 VerfGG 1953 hat ein solcher Antrag die gegen die Verfassungsmäßigkeit des bekämpften Gesetzes sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen.

3. Der VwGH begnügt sich im vorliegenden Antrag mit dem bereits Wiedergegebenen unter Hinweis auf ein vom VfGH in einem anderen Verfahren, nämlich A6/86, gegen eine andere Gesetzesstelle, nämlich §18 Abs4 letzter Satz AVG 1950, von Amts wegen eingeleitetes und noch anhängiges Gesetzesprüfungsverfahren; er beschränkt sich auf die Aussage, die in diesem Beschluß des VfGH angeführten Bedenken zu teilen. Er habe sich nämlich bereits in einem Anfechtungsbeschluß vom 24. September 1964, Z2045/63, mit den verfassungsrechtlichen Determinanten des in Art130 und 131 B-VG vorausgesetzten Bescheidbegriffes auseinandergesetzt. Wie diese Ausführungen zu verstehen sind, wird im vorliegenden Antrag nicht näher dargelegt. Solcher Ausführungen hätte es schon deshalb bedurft, weil die mit der eben zitierten (seinerzeitigen) Anfechtung des VwGH vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken - damals gegen §299 Abs1 und 2 BAO -, wie sich aus dem im vorliegenden Prüfungsantrag ebenfalls zitierten Erkenntnis VfSlg. 4986/1965 ergibt, vom VfGH nicht geteilt wurden, was zur Abweisung der Anfechtung führte. Wenn nun der VwGH einerseits auf Bedenken zurückgreift, die in einem früheren Verfahren vom VfGH nicht geteilt wurden, andererseits daraus ableitet, daß er die vom VfGH in dem am 17. März 1987 zu A6/86 gefaßten Einleitungsbeschluß dargelegten Bedenken teilt, steht dies argumentativ in einem solchen Spannungsverhältnis, daß von einer Darlegung der Bedenken, wie sie nach §62 Abs1 VerfGG 1953 geboten ist, nicht mehr die Rede sein kann. Dazu kommt, daß der VwGH auch nicht darlegt, was er als dafür maßgeblich erachtet, daß die gegen §18 Abs4 letzter Satz AVG 1950 gerichteten Bedenken in gleicher Weise auf §96 letzter Satz BAO zutreffen. Weder der Normzusammenhang, in dem die Bestimmungen jeweils stehen, noch der Wortlaut der Bestimmungen erlaubt es, von einer offenkundigen Gleichartigkeit der in Frage stehenden Regelungen auszugehen. Auch die Unterschiedlichkeit der Materien einerseits des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts, andererseits des Abgabenverfahrensrechts - verbietet es, verfassungsrechtliche Bedenken, die gegen §18 Abs4 letzter Satz AVG 1950 bestehen, ohne weiteres zur Gänze auf die vom VwGH bekämpfte Rechtsvorschrift zu übertragen (vgl. VfSlg. 8241/1978, 8308/1978).

4. Das Fehlen der Darlegung von Bedenken ist aber nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. VfSlg. 7593/1975, 8485/1979, 8612/1979) kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozeßhindernis, führt also zur Zurückweisung des Antrages. Es war daher spruchgemäß vorzugehen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorangegangene Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Antrag, Formerfordernisse, VfGH / Bedenken, Finanzverfahren, Verwaltungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G128.1987

Dokumentnummer

JFT_10128986_87G00128_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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