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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
B gegen Bundesminister für Landesverteidigung
vom 29. November 1989, Zl. 679.436/1-2.5/88, betreffend Befreiung vom ordentlichen Präsenzdienst.
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenen Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 29. November 1989 wurde der Antrag des (im Jahre 1958 geborenen) Beschwerdeführers vom 16. August 1988 auf gänzliche (über den 15. November 1988 hinausgehende) Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes gemäß § 37 Abs. 2 lit. b des Wehrgesetzes 1978 abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 37 Abs. 2 lit. b Wehrgesetz 1978 können Wehrpflichtige auf ihren Antrag von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes befreit werden, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.
Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, daß dann, wenn die Voraussetzungen nach dieser Gesetzesstelle gegeben sind, ein Rechtsanspruch auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes besteht. Dabei handelt es sich - entgegen der Ansicht der belangten Behörde, die ihre Entscheidung "nach freiem Ermessen" getroffen hat - nicht um eine Ermessensentscheidung (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Mai 1990, Zl. 89/11/0137). Vorauszuschicken ist auch, daß der Beschwerdeführer das Vorliegen besonders rücksichtswürdiger familiärer Interessen nicht geltend gemacht hat.
Die belangte Behörde hat zwar im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer ein Maler- und Anstreicherunternehmen betreibt, das Vorliegen eigener wirtschaftlicher Interessen an der von ihm begehrten Befreiung angenommen, jedoch diese nicht als besonders rücksichtswürdig gewertet. Dies hat sie zunächst unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (nämlich dessen Erkenntnisse vom 11. Oktober 1983, Zlen. 83/11/0197, 0198, vom 3. März 1989, Zl. 88/11/0069, und vom 16. Mai 1989, Zl. 88/11/0177) damit begründet, daß es Aufgabe jedes Wehrpflichtigen sei, seine wirtschaftlichen Angelegenheiten so einzurichten, daß seiner Einberufung zur Ableistung des ordentlichen Präsenzdienstes keine vorhersehbaren Schwierigkeiten entgegenstehen. Es würde zu weit gehen, ein besonders rücksichtswürdiges wirtschaftliches Interesse darin zu erblicken, daß der Wehrpflichtige durch seine eigene mangelnde Vorsicht in Schwierigkeiten gerate. Dieser Grundsatz sei demnach auch auf den Fall zu übertragen, daß sich der Wehrpflichtige (wie im vorliegenden Beschwerdefall) auf die angebliche Bedrohung seiner Existenz und die damit verbundene finanzielle Benachteiligung berufe. Davon ausgehend sei dem Beschwerdeführer wohl zuzustimmen, daß er zum Zeitpunkt der Gründung seines Unternehmens im Jahre 1983 als Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland in Österreich nicht wehrpflichtig gewesen sei. Es wäre jedoch seine Aufgabe gewesen, sich vor der Antragstellung auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft dahingehend zu informieren, welche Verpflichtungen mit der Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft verbunden seien. Er hätte sich damit in die Lage versetzt, abzuwägen, ob die Verpflichtung zur Ableistung des ordentlichen Präsenzdienstes in Österreich mit seinen wirtschaftlichen Interessen im Zusammenhang mit seinem Gewerbebetrieb in Einklang zu bringen sei. Falls er zu dem Ergebnis gekommen wäre, daß seine aus der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft erwachsende Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes seinen wirtschaftlichen Interessen im Zusammenhang mit seinem Gewerbebetrieb entgegenstehe, hätte er von der Antragstellung auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft Abstand nehmen müssen. Wenn dem entgegen das Militärkommando Kärnten "in großzügiger Auslegung der Bestimmungen des Wehrgesetzes 1978" mit den Bescheiden vom 16. September 1987 und vom 29. Dezember 1987 die saisonale Unabkömmlichkeit des Beschwerdeführers von seinem Gewerbebetrieb als besonders rücksichtswürdiges wirtschaftliches Interesse im Sinne der bezogenen Gesetzesstelle anerkannt und seine befristete Befreiung bis 15. August 1988 ausgesprochen habe, so hätten diese Entscheidungen der grundsätzlichen Verpflichtung des Beschwerdeführers, die Planung und Gestaltung seiner wirtschaftlichen Angelegenheiten im Interesse einer Harmonisierung mit seiner öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes so vorzunehmen, daß für den Fall seiner zu erwartenden Einberufung vorhersehbare oder zu befürchtende Schwierigkeiten vermieden oder möglichst verringert werden, keinen Abbruch tun können. Mit dieser Argumentation hat aber die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.
Der von der belangten Behörde angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes lag jeweils ein mit dem vorliegenden Beschwerdefall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. In all jenen Beschwerdefällen hat der Wehrpflichtige ungeachtet seiner bereits bestehenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes und daher trotz des Umstandes, daß er mit einer Einberufung rechnen mußte, wirtschaftliche Dispositionen getroffen, auf Grund deren sich seiner Behauptung nach im Falle der Einberufung für ihn besondere Schwierigkeiten ergeben würden. Eine Verletzung der Harmonisierungspflicht in diesem Sinne kommt aber von vornherein schon rein gedanklich nicht vor dem Zeitpunkt in Betracht, ab dem der Betreffende der Wehrpflicht im Sinne des § 17 Wehrgesetz 1978 unterliegt, also im Falle des Beschwerdeführers nicht vor der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an ihn. Allenfalls kommt sie - was im vorliegenden Beschwerdefall unerörtert bleiben kann - überhaupt erst ab dem Zeitpunkt in Betracht, in dem die Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes feststeht, was nach § 15 Wehrgesetz 1978 erst dann zutrifft, wenn der Betreffende auf Grund der Stellung gemäß § 23 Abs. 2 leg. cit. für "tauglich" erklärt worden ist, also im Falle des Beschwerdeführers nicht vor dem 19. Dezember 1985. Das bedeutet nicht, daß es absolut ausgeschlossen wäre, die genannte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in besonders gelagerten Fällen auch auf ein Verhalten einer Person in ihren wirtschaftlichen Belangen vor Eintritt ihrer Wehrpflicht zu übertragen, wenn davon ausgegangen werden kann, daß solche schon vorher getroffene Dispositionen im Zusammenhang mit einer künftig erst aktuell werdenden Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes bzw. gar im Hinblick darauf getroffen worden sind. Die belangte Behörde hat aber in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht festgestellt, daß der Beschwerdeführer Entscheidungen wirtschaftlicher Art getroffen hätte, die er auf Grund einer zu erwartenden oder bereits existenten Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes hätte unterlassen müssen. Wenn sie eine solche fehlende Begründung in ihrer Gegenschrift nachzuholen versucht, indem sie den derzeitigen Betriebsumfang des Beschwerdeführers mit dem vergleicht, wie er früher bestanden hat, und daraus schließt, daß sich der Beschwerdeführer "immer stärker im Betrieb integriert" habe, so muß dies unberücksichtigt bleiben. In der Begründung des angefochtenen Bescheides hat sie in diesem Zusammenhang konkret eine Verletzung der Harmonisierungspflicht lediglich darin erblickt, daß der Beschwerdeführer ohne Bedachtnahme auf seine wirtschaftliche Angelegenheiten die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft erwirkt habe. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hätte ihm zwar bei Antragstellung um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft bewußt sein müssen, daß im Falle der Stattgebung seines Antrages damit auch seine Wehrpflicht verbunden ist und er in der Folge einer Stellung mit dem möglichen (allenfalls sogar voraussichtlichen) Ergebnis seiner Eignung zum Wehrdienst unterzogen werden wird. Daraus resultiert aber keineswegs, daß er von seinem Anliegen um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft hätte Abstand nehmen müssen, um auf diese Weise den darauf folgenden Eintritt seiner Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten im Falle seiner Einberufung zu vermeiden. Der Beschwerdeführer vertritt im Ergebnis mit Recht die Auffassung, daß der Umstand, daß er sich diesbezüglich nicht anders verhalten habe, seinen wirtschaftlichen Interessen nicht die besondere Rücksichtswürdigkeit im Sinne des § 37 Abs. 2 lit. b Wehrgesetz 1978 nimmt. Er war lediglich - wie der damalige Beschwerdeführer in dem mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Mai 1989, Zl. 88/11/0153, erledigten Beschwerdefall - gehalten, nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft (jedenfalls ab seiner Stellung) diese öffentlich-rechtliche Verpflichtung mit seinen wirtschaftlichen Angelegenheiten in Einklang zu bringen.
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, seiner Unabkömmlichkeit vom Betrieb könne durch die Einstellung eines geeigneten Geschäftsführers nicht begegnet werden, weil ein solcher "nicht zu finden" sei und auch "finanziell nicht verkraftet" werde könne, hat die belangte Behörde entgegengehalten, daß er in seinen (früheren) Anträgen vom 13. Juni (richtig: Juli) 1987 und vom 23. November 1987 mit den Worten "einen Aufschub für längere Zeit" lediglich eine befristete Befreiung begehrt habe, weshalb sie davon ausgehe, daß dem Beschwerdeführer "zum damaligen Zeitpunkt die Regelung einer vertretungsweisen Geschäftsführung" für die Zeit seiner wehrdienstbedingten Abwesenheit "nicht unmöglich schien". Dieser Begründung fehlt die Schlüssigkeit, hat doch der Beschwerdeführer in diesen beiden Anträgen auf seine "jetzige Situation" im Betrieb zufolge "einiger" von ihm termingerecht durchzuführender "Großaufträge" hingewiesen, ohne daß darin die von der belangten Behörde dem Beschwerdeführer unterstellte Ansicht für die Zeit danach zum Ausdruck gekommen wäre. Die belangte Behörde hat im übrigen richtig erkannt, daß es hiebei auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt ihrer Entscheidung ankommt, weil sie hinzugefügt hat, daß dann, wenn "jedoch" der Beschwerdeführer in der Zwischenzeit den Geschäftsumfang oder die Organisation seines Gewerbebetriebes derart geändert habe, daß ihm nunmehr seine Abwesenheit undenkbar erscheine, dies keine besondere Rücksichtswürdigkeit seiner wirtschaftlichen Interessen zu begründen vermöge und "diesbezüglich ebenfalls auf die obigen Ausführungen hinsichtlich der" ihm "obliegenden Dispositionspflicht und die maßgebliche Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen" werde. Ohne ausreichende Feststellungen ist aber der Verwaltungsgerichtshof weder zu einer Beurteilung, ob dem Beschwerdeführer die vorübergehende Einstellung eines geeigneten Vertreters möglich und zumutbar ist, dies auch unter Berücksichtigung einer objektiv vertretbaren Einschränkung des Geschäftsumfanges während der wehrdienstbedingten Abwesenheit des Beschwerdeführers, noch hinsichtlich einer allfälligen Verletzung seiner Harmonisierungspflicht in der Lage.
Die dem angefochtenen Bescheid zusätzlich beigegebene Begründung, daß dem Beschwerdeführer im Hinblick darauf, daß das Militärkommando Kärnten angewiesen worden sei, die Einberufung des Beschwerdeführers "nach Möglichkeit" in eine seinem Gewerbebetrieb nahegelegene Garnison zu verfügen, die Möglichkeit geboten werde, auch während der Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes nach Maßgabe seiner dienstfreien Zeit die Geschäftsführung seines Gewerbebetriebes wahrzunehmen, ist nicht überzeugend, weil es insofern näherer Feststellungen über die vom Beschwerdeführer im Betrieb notwendigerweise zu verrichtende Tätigkeiten und die damit verbundene zeitliche Inanspruchnahme bedurft hätte, abgesehen davon, daß ungewiß ist, in welche Garnison der Beschwerdeführer tatsächlich einberufen werden wird, und er aus dieser Begründung keinen Rechtsanspruch ableiten kann. Letzteres gilt auch hinsichtlich einer allfälligen Dienstfreistellung nach § 49 Abs. 9 Wehrgesetz 1978 in der Dauer von höchstens zwei Wochen.
Der angefochtene Bescheid war somit auf Grund der zum Teil unrichtigen Rechtsansicht der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
Ermessen besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990110029.X00Im RIS seit
12.06.1990