TE Vwgh Beschluss 1990/6/18 90/19/0268

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Veröffentlicht am 18.06.1990
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 90/19/0269

Betreff

N betreffend

1) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 13. März 1990, Zl. MDR-W 7/90, betreffend Gewährung von Pflegegeld (hg. Zl. 90/19/0268);

2) Beschwerde vom 27. April 1990 gegen den unter 1) genannten Bescheid (hg. Zl. 90/19/0269).

Spruch

1) Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

2) Die Beschwerde vom 27. April 1990 wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit dem zu 2) genannten, mit Beschwerde angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Wiener Magistrates vom 8. November 1989, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Pflegegeld gemäß § 26 Abs. 2 und 3 des Wiener Behindertengesetzes 1986, LGBl. für Wien Nr. 16, abgewiesen worden ist, erhobene Berufung abgewiesen und den angefochtenen Bescheid bestätigt. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin nach ihren eigenen Angaben am 19. März 1990 zugestellt. Der letzte Tag der sechswöchigen Beschwerdefrist des § 26 Abs. 1 Z. 1 VwGG war der 30. April 1990.

Mit einem mit 15. Mai 1990 datierten - am 16. Mai 1990 zur Post gegebenen - Schriftsatz beantragte die Beschwerdeführerin die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde gegen den eingangs genannten Bescheid der belangten Behörde. Gleichzeitig mit diesem Antrag erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid Beschwerde (datiert mit 27. April 1990) an den Verwaltungsgerichtshof.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages brachte die Beschwerdeführerin zusammengefaßt folgendes vor: Der von ihr bevollmächtigte Rechtsanwalt habe am 27. April 1990 den von seiner Sekretärin R. K. nach seinem Diktat geschriebenen Beschwerdeschriftsatz unterschrieben und die Sekretärin beauftragt, die Beschwerde noch am selben Tag zur Post zu bringen. Ihr Anwalt habe am Abend desselben Tages eine Urlaubsreise in das Ausland angetreten und sei erst wieder am 2. Mai 1990 in die Kanzlei zurückgekehrt. Überdies sei in der Anwaltskanzlei am Montag dem 30. April 1990 (am letzten Tag der Beschwerdefrist) nur ein Journaldienst geführt worden. Die regelmäßig für den Postversand und den Fristvormerk zuständige Angestellte M. K. habe den Anwalt Dr. A im Hinblick auf dessen Abwesenheit während der folgenden Tage noch am 27. April 1990 auf die am 30. April 1990 ablaufende Beschwerdefrist aufmerksam gemacht, worauf ihr von Dr. A sinngemäß erklärt worden sei, die Sache sei erledigt, er habe die Beschwerde schon unterschrieben und habe R. K. den Auftrag erteilt, den Schriftsatz zur Post zu bringen. Auf Grund dieser Erklärung habe M. K. den Kalender gestrichen. R. K. habe das Kuvert mit der Beschwerde in ein Plastiksackerl gegeben, in dem sich verschiedene Zeitschriften befunden hätten. Ermüdet und relativ spät habe sie die Kanzlei verlassen und habe dadurch den Auftrag, die Beschwerde aufzugeben, vergessen. Erst als Dr. A am 2. Mai 1990 nach Rückkehr von der Urlaubsreise die für den Akt bestimmte Kopie der Beschwerde verlangt habe, sei erkannt worden, daß die Beschwerde nicht zur Post gegeben worden sei.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG in der Fassung des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 1985, BGBl. Nr. 564, ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber (bzw. sein Vertreter) darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben (vgl. etwa den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Februar 1987, Zlen. 86/10/0154, 0155, und die dort zitierte Vorjudikatur). Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligten Personen (vgl. dazu Fasching, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechtes2, Rz 580).

Geht man von dem von der Beschwerdeführerin zur Begründung ihres Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgebrachten Sachverhalt aus, so erweist sich schon deshalb ihre Ansicht, es wäre für die Versäumung der Beschwerdefrist nur das Fehlverhalten der Sekretärin des Beschwerdevertreters ursächlich gewesen, als unhaltbar, weil das Unterbleiben der Postaufgabe der Beschwerde am 27. April 1990 dann nicht zur Versäumung der Beschwerdefrist geführt hätte, wenn der ordnungsgemäß im Fristenvermerk eingetragene Kalender nicht von der dafür zuständigen Angestellten noch vor dem Vorliegen des Nachweises über die erfolgte Postaufgabe gestrichen worden wäre. Grundsätzlich muß davon ausgegangen werden, daß die Organisation des Kanzleibetriebes eines Rechtanwaltes so einzurichten ist, daß die fristgerechte Einbringung von Rechtsmitteln oder von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes gesichert erscheint. In einem Fall wie dem gegenständlichen, bei dem der Rechtsanwalt von dieser eingerichteten Organisation abweichende Anordnungen trifft, ohne gleichzeitig durch andere geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, daß dennoch die fristgerechte Einbringung der Beschwerde gesichert erscheint, muß dem Rechtsanwalt ein Verschulden an der Versäumung der Beschwerdefrist angelastet werden. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdevertreter nicht der regelmäßig für den Postversand zuständigen Angestellten (M. K.), sondern seiner Sekretärin (R. K.) den Auftrag zur Postaufgabe der Beschwerde erteilt. Darüber hinaus hat er der sonst für die Postaufgabe und den Fristvormerk zuständigen Angestellten, als sie ihn auf die offene Beschwerdefrist hingewiesen hat, erklärt, daß die Sache erledigt sei und seine Sekretärin die Beschwerde zur Post bringen werde. Da ihm aber gleichzeitig bekannt war, daß infolge des folgenden Wochenendes und des auf einen Journaldienst reduzierten Dienstes am darauffolgenden Montag (dem letzten Tag der Beschwerdefrist) in der Kanzlei eine Kontrolle der Postaufgabe der streitgegenständlichen Beschwerde vor Streichung des dafür eingetragenen Kalenders nicht möglich sein wird, hat er überdies zu verantworten, daß die Löschung des Kalenders im Fristenvormerk noch vor Aufgabe des Poststückes durchgeführt worden ist. Angesichts der so gegebenen außergewöhnlichen Verhältnisse wäre der Beschwerdevertreter verhalten gewesen, eine Anordnung zu treffen, die es ermöglicht hätte, die zeitgerechte Postaufgabe der Beschwerde zu kontrollieren. Dies umso mehr, als der die Beschwerdeführerin vertretende Rechtsanwalt als berufsmäßig zur Parteienvertretung berufene Person im Hinblick auf seine Vertrautheit mit dem Vorgang der Kontrolle der Einhaltung des Fristenvormerks um die dabei geradezu regelmäßig auftretende Gefahr von Fehlleistungen wissen mußte. Der Beschwerdevertreter hat durch das Unterlassen, in geeigneter Weise Vorsorge für eine wirkungsvolle Kontrolle der Einhaltung der Beschwerdefrist zu treffen, die im gegebenen Fall erforderliche und zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen. Da solcherart eine Maßnahme unterblieben ist, deren Notwendigkeit jedermann einleuchten mußte, fällt dem Beschwerdevertreter und damit der Beschwerdeführerin auffallende Sorglosigkeit zur Last.

Mit Rücksicht darauf, daß nach dem Gesagten die Beschwerdeführerin die Versäumung der Beschwerdefrist nicht lediglich auf Grund eines minderen Grades des Versehens verschuldet hat, war ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Grunde des § 46 Abs. 1 VwGG nicht stattzugeben.

Damit war auch die gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingebrachte Beschwerde vom 27. April 1990 gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren mit Beschluß zurückzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990190268.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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