TE Vfgh Erkenntnis 1987/10/15 B750/86

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Veröffentlicht am 15.10.1987
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art9 Abs1
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art5 / Verwaltungsakt
StGG Art8
StGG Art12 / Vereinsrecht
MRK Art3
MRK Art11

Leitsatz

Betreten eines der Allgemeinheit nicht zugänglichen Parkplatzes durch Gendarmerieorgane - Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt; hier nur Betreten eines nicht für die Vereinsmitglieder reservierten Parkplatzes und Notierung der Nummern der dort befindlichen Kfz - keine Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt; Zurückweisung der Beschwerde als unzulässig Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; StGG Art8, Art12; MRK Art3, Art5, Art11; Beschl. der Prov. Nationalversammlung vom 30.10.1918; (mißlungener) Versuch einer Verhaftung, - keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit; hiebei maßgehaltende Anwendung von Gewalt - keine Verletzung des Art3 MRK; keine Willkür; keine Verletzung im Eigentumsrecht durch Beschädigung der Kleidung als unvermeidliche, sekundäre Folge der Amtshandlung, auch nicht durch die Sicherstellung eines Tonbandgerätes sowie durch das Abhandenkommen von Schlüsseln im Zuge der Auseinandersetzung; kein Eingriff in das Recht auf Vereinsfreiheit durch die Vorgänge - kein Vereinslokal, sondern ein für jedermann zugängliches Vergnügungslokal; weder Art12 MRK noch das (1.) ZP MRK vom 20.3.1952 gewährleisten verfassungsgesetzlich die Unverletzlichkeit des guten Rufes; durch die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes werden Rechte einzelner keinesfalls unmittelbar begründet; keine Abtretung der Beschwerde an den VwGH insoweit sie die Verhaftung bzw. das Recht, Vereine zu bilden, betrifft

Spruch

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen das Befahren eines Privatparkplatzes mit einem Dienstfahrzeug und das Betreten durch Organe der Bundesgendarmerie in der Nacht zum 25. Juli 1986 in N, ..., und die dabei verfügte Notierung von Kraftfahrzeugkennzeichen richtet, zurückgewiesen.

Im übrigen sind die Bf. durch die angefochtenen Maßnahmen weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Der Antrag, die Beschwerde an den VwGH abzutreten, wird, soweit sie zurückgewiesen wurde und soweit sie sich gegen die Verletzung des Rechtes auf persönliche Freiheit und des Rechtes auf Vereinsfreiheit richtet, abgewiesen.

Im übrigen wird die Beschwerde dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Bf. durch die angefochtenen Maßnahmen in einem sonstigen Recht verletzt worden sind.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.       1. W B, Bad Hall, ist Obmann des Geselligkeitsvereins H

P und betreibt das vom Verein in Bestand genommene Klublokal in

N, .... Er und der genannte Verein erheben wegen von der

Bundesgendarmerie auf dem zum Klublokal gehörenden Grundstück in

N in der Nacht zum 25. Juli 1986 durchgeführter, näher

bezeichneter Maßnahmen eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde.

Der Erstbeschwerdeführer W B behauptet darin, durch die geschilderten, im Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land getroffenen Maßnahmen in den verfassungsgestzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit, auf Unterlassung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, auf Unterlassung der Schädigung des guten Rufes, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein. Der Verein behauptet, durch behördliche Maßnahmen in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf das Hausrecht, auf Vereinsfreiheit, auf Unterlassung der Schädigung des guten Rufes, auf Gleichbehandlung und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein. Zugleich wurde - hilfsweise - die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

2. Die Bf. behaupten, am Abend des 24. Juli 1986 sei eine aus drei Beamten bestehende Gendarmeriepatrouille mit einem Dienstkraftfahrzeug zu dem von dem Verein betriebenen Klublokal gekommen. Ungeachtet der Hinweistafel, daß es sich bei dem angrenzenden Parkplatz des Klublokals um ein privates Grundstück handle und deutlich angeschrieben sei, daß das Betreten und Befahren nur mit Genehmigung der Hausinhabung statthaft sei, überdies eine deutlich gekennzeichnete, mit einem Eingangstor versehene Einfahrt gegeben sei, hätten die Beamten gleich Amtshandlungen gesetzt, indem sie die amtlichen Kennzeichen der dort geparkten Kraftwagen notiert hätten. Der Erstbeschwerdeführer habe die Beamten "unzählige Male" darauf aufmerksam gemacht, daß es sich um einen Privatgrundbesitz handle. Da sich dieser Vorgang am selben Abend wiederholt habe, habe der Erstbeschwerdeführer dieses Verhalten der Beamten als Provokation aufgefaßt, das Parkplatztor abgesperrt und sich zum Eingang des Vereinslokals begeben.

Darauf habe ihn der Gendarmeriebeamte S vor dem Eingang des Lokals festgehalten und ihm den Eintritt hiezu verwehrt. Er habe ihn aufgefordert, das Parkplatztor aufzusperren. In der Zwischenzeit habe ein Vereinsmitglied den Eingang zum Lokal geöffnet. In diesem Moment habe sich S ohne erkennbaren Grund fallen gelassen, ohne daß eine Einwirkung von anderer Seite erfolgt sei. Ein solcher Angriff - wie S ihn behauptet habe - sei schon aus räumlichen Gründen nicht möglich gewesen.

Die Beamten seien darauf zum Kraftfahrzeug zurückgekehrt und hätten dieses bis zum versperrten Parkplatztor gefahren. Die Beamten hätten erklärt, sie würden den Erstbeschwerdeführer verhaften, wenn er nicht unverzüglich das Tor öffne. Darauf sei er aus Angst vor einer drohenden gewaltsamen Verhaftung zum Hauseingang geeilt. Da habe ihm einer der Beamten die Diensttaschenlampe nachgeworfen, die ihn am Hinterkopf getroffen habe. Während des Laufes sei mit einem Gummiknüppel auf ihn eingeschlagen worden. S habe mit dem Griff seiner Dienstpistole mit voller Gewalt mehrfach auf den Hinterkopf des Bf. eingeschlagen. Seine Flucht in das Lokal habe von den Beamten vorerst verhindert werden können, weil er von hinten an den Kleidungsstücken festgehalten worden sei, sodaß sein Hemd zerrissen wurde. Als der Erstbeschwerdeführer wegen seiner Verletzungen am Boden liegen geblieben sei, hätten die Beamten mit großer Hast den Ort verlassen, ohne sich um den verletzten Erstbeschwerdeführer zu kümmern. Da der Erstbeschwerdeführer im Zuge des Getümmels den Schlüssel zum Parkplatztor verloren habe, seien die Beamten auf den Parkplatz zurückgekehrt und hätten nach Aufsperren des Tores den Parkplatz mit dem Wagen verlassen. Der Schlüssel sei nicht zurückgegeben worden. Weiters sei ihm auch ein Tonbandgerät, das er in seiner Hemdtasche aufbewahrt habe und auf dem der gesamte Dialog aufgenommen worden sei, entwendet worden. Ein Vereinsmitglied habe die Rettung verständigt, die ihn ins Krankenhaus nach Steyr gebracht habe, wo er behandelt (genäht) worden sei.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Hinsichtlich des Sachverhaltes führte die bel. Beh. aus, daß das Parkplatztor beim Einlangen der Gendarmeriebeamten offen gestanden sei. Die Gendarmen seien daher nicht auf das Privatgrundstück "eingedrungen". Die Amtshandlungen der Gendarmeriebeamten seien keine Provokationen gewesen, sondern die Vollziehung eines rechtmäßigen behördlichen Auftrages gemäß §9 Abs1 des Gendarmeriegesetzes 1884, RGBl. 1/1895 idgF. Die drei Gendarmeriebeamten seien zu einem früheren Zeitpunkt nicht aufgefordert worden, das Betreten oder Befahren des Grundstückes zu unterlassen. In der mit dem Erstbeschwerdeführer am 13. April 1986 aufgenommenen Niederschrift habe er nur erklärt, den Gendarmeriebeamten keinen Zutritt zu den Klublokalitäten zu gewähren. Die Beamten hätten sich daran gehalten. Im übrigen sei es widersprüchlich, das Betreten und Befahren des Grundstückes durch die Gendarmen abzulehnen, dabei aber die Beamten samt dem Dienstfahrzeug auf dem Grundstück einzusperren, ihnen also die Möglichkeit zu nehmen, das Dienstfahrzeug vom Grundstück zu entfernen. Der Gendarmeriebeamte S habe sich nicht selbst fallen gelassen, sondern er sei vom Erstbeschwerdeführer von der Haustüre abgedrängt worden. Letzterer habe die Haustüre mit Gewalt aufgerissen und gegen den Beamten geschlagen, wodurch dieser über eine ca. 40 cm hohe Betonmauer in eine Rasenfläche gestürzt sei, wobei er sich mehrfache Verletzungen zugezogen habe. Die Festnehmung des Erstbeschwerdeführers sei mit großer Wahrscheinlichkeit nicht angedroht, sondern von dem Gendarmeriebeamten R wegen Verdachtes der Freiheitsentziehung, des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der schweren körperlichen Beschädigung sowie wegen Betretens auf frischer Tat gemäß §177 Abs1 Z1 StPO in aller Form ausgesprochen worden, weil die Einholung eines richterlichen Befehls wegen Gefahr im Verzug nicht möglich gewesen sei. Daß einer der drei Beamten dem Erstbeschwerdeführer eine Taschenlampe nachgeworfen habe, sei nicht erwiesen worden.

Der Gummiknüppel sei von dem Gendarmeriebeamten R gebraucht worden, weil sich der Erstbeschwerdeführer der Festnehmung vehement widersetzt habe. Er sei maßvoll und mit geringer Wirkung eingesetzt worden. In dieser Notwehrlage, zur Erzwingung der Festnehmung und zur Überwindung des auf die Vereitelung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes im Sinne des §2 Z1, 2 und 3 des Waffengebrauchsgesetzes, BGBl. 169/69, sei dies notwendig gewesen. Der Gendarmeriebeamte S habe mit der gesicherten Dienstpistole gegen den Erstbeschwerdeführer einen Schlag gegen die Schulterpartie führen wollen, infolge heftiger Angriffsbewegungen desselben und Renitenz sei er aber am Kopf getroffen worden. Entgegen den Behauptungen habe es sich nur um einen Schlag gehandelt. Der Erstbeschwerdeführer sei nicht am Boden liegen geblieben, sondern sofort im Hause verschwunden. Die Beamten hätten die Rettung über Funk im Wege des Gendarmeriepostens Sierning gerufen. Die tatsächliche Festnehmung habe 5 Minuten gedauert. Die Festnehmung habe mit der Flucht des Erstbeschwerdeführers in das Haus und dem Absperren der Hauseingangstüre geendigt. Der Erstbeschwerdeführer sei mehrmals aufgefordert worden, das auf dem Grundstück aufgefundene Tonaufnahme- und Wiedergabegerät und den Parkplatztorschlüssel beim Gendarmerieposten Sierning abzuholen. Da alle diese Aufforderungen erfolglos geblieben seien, seien die Gegenstände dem Gemeindeamt Sierning als Fundamt übergeben worden, weil nicht feststehe, wem sie gehören. Die behauptete Beschädigung der Kleidung des Erstbeschwerdeführers möge zutreffend sein, werde aber im Falle der Feststellung der Rechtmäßigkeit des Waffengebrauches als gerechtfertigt anzusehen sein. Eine Verletzung der Vereinsfreiheit liege schon deshalb nicht vor, weil in keinem Fall einer Person der Zutritt zum Vereinslokal oder die tatsächliche Teilnahme am Vereinsleben auch nur erschwert worden sei. Das bloße Notieren von Fahrzeugkennzeichen oder die Befragung von Personen über den Besuchsverlauf, worüber letztlich niemand zur Auskunftserteilung verpflichtet sei, könne nicht als ein Eingriff in die Vereinsfreiheit angesehen werden.

4. Der Erstbeschwerdeführer erstattete gegen die Gendarmeriebeamten S und R eine Anzeige wegen Körperverletzung, Imstichlassen eines Verletzten und Amtsmißbrauches. Die Anzeige wurde nach Durchführung sicherheitsbehördlicher Erhebungen am 9. Oktober 1986 gemäß §90 Abs1 StPO zurückgelegt. Der eingebrachte Subsidiarantrag des Anzeigers wurde mit Beschluß des Kreisgerichtes Steyr ZVr 645/86 zurückgewiesen (Z2 St 1590/86, Vr 645/86 KG Steyr).

Der Erstbeschwerdeführer wurde vom Kreisgericht Steyr mit Urteil vom 26. Jänner 1987, Z8 a EVr 514/86, schuldig erkannt, er habe in der Nacht zum 25. Juli 1987 in N Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung gehindert, und zwar a) die Gendarmeriebeamten R, S und S an der Fortsetzung einer Funkpatrouillenfahrt, indem er das Dienstfahrzeug auf dem Parkplatz des Hauses ... durch Versperren des Einfahrtstores eingeschlossen habe, b) die Gendarmeriebeamten R und S an seiner Festnahme, indem er dem Beamten S einen Schlag versetzt, gegen die Beamten mit Füßen getreten und seinen Schäferhund herbeigerufen habe. Dadurch habe er das Vergehen des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach den §§15 und 269 Abs1 StGB begangen. Dagegen wurde er gemäß §259 Z3 StPO von der wider ihn erhobenen Anklage freigesprochen, er habe den Beamten R, S und S dadurch, daß er sie samt ihrem Funkpatrouillenfahrzeug auf dem eingefriedeten Parkplatz des Hauses ... eingeschlossen habe, indem er das Zufahrtstor versperrt habe, die persönliche Freiheit entzogen und den Beamten S während der Vollziehung seiner Aufgaben dadurch, daß er ihm eine Eingangstür entgegengeschlagen habe, wodurch der Genannte am linken Fuß getroffen worden sei, über eine Betonumrandung gestürzt sei und Abschürfungen am linken Ellbogen, sowie Abschürfungen und eine Prellung des linken Mittelfußes sowie eine Verstauchung des linken Handgelenkes erlitten habe, vorsätzlich am Körper verletzt und habe dadurch das Vergehen der Freiheitsentziehung nach §89 StGB und das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§83 Abs1, 84 Abs2 Z4 StGB begangen.

5. Die beiden Gendarmeriebeamten R und S wurden in der ersten Stunde des 25. Juli 1986 vom prakt. Arzt Dr. H K in S... untersucht. Bei R wurde ein schmerzhaftes Hämatom über dem

4. Mittelhandknochen links, bei S wurden mehrere oberflächliche Abschürfungen am linken Handrücken, an beiden Handgelenken und am linken Ellbogen festgestellt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Der zweitbeschwerdeführende Verein bekämpft als Bestandnehmer das Betreten bzw. Befahren des zum Klublokal gehörenden Privatparkplatzes durch die Gendarmerieorgane, welche die Kennzeichennummern der dort parkenden Kraftwagen aufgeschrieben haben.

Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Unter diese Maßnahmen fällt auch das Betreten eines der Allgemeinheit nicht zugänglichen Parkplatzes.

Der Parkplatz ist vom zweitbeschwerdeführende Verein in Bestand genommen worden; er war jedoch nach den eigenen Behauptungen der Beschwerde nicht für die Vereinsmitglieder reserviert. Er stand vielmehr jedem Besucher des Vereinslokals zur Benützung frei zur Verfügung. Die Gendarmerieorgane haben den Parkplatz ohne Ausübung irgendeines Zwanges betreten und haben nur die Nummern der dort befindlichen Kraftfahrzeuge notiert. Dieser Vorgang ist jedoch nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren. Soweit sich die Beschwerde des zweitbeschwerdeführende Vereins dagegen richtet, war sie demnach als unzulässig zurückzuweisen.

2. Die Gendarmeriebeamten haben den Erstbeschwerdeführer zu verhaften versucht. Der Erstbeschwerdeführer macht die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit geltend.

Art8 StGG gewährt - ebenso wie Art5 MRK - Schutz gegen gesetzwidrige Verhaftung (VfSlg. 10321/1985).

Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Bundesverfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Gesetzliche Bestimmungen iS des §4 des angeführten Gesetzes sind ua. die §§175 bis 177 StPO.

Nach den übereinstimmenden Behauptungen des Erstbeschwerdeführers und der bel. Beh. haben sich die Gendarmeriebeamten R, S und S mit ihrem Funkpatrouillenkraftfahrzeug auf dem Parkplatz befunden. Sie wollten diesen zur Fortsetzung ihrer Funkpatrouillenfahrt mit dem Kraftfahrzeug verlassen. Der Erstbeschwerdeführer versperrte jedoch das Einfahrtstor des Parkplatzes. Die Gendarmeriebeamten waren solcherart gehindert, ihre Funkpatrouillendienstfahrt zur Kontrolle des Straßenverkehrs fortzusetzen. Trotz mehrmaliger Aufforderung, das Einfahrtstor wieder aufzuschließen, kam der Erstbeschwerdeführer dem nicht nach. Er versuchte vielmehr, die Haustüre zu erreichen, um sich der angedrohten Verhaftung zu entziehen. Wie immer sich der Vorgang vor der Haustüre abgespielt haben mag - eindeutige Feststellungen hierüber lassen sich nicht mehr treffen und sind auch nicht entscheidungswesentlich - die Angabe des Erstbeschwerdeführers, RevInsp. S habe sich vor der Haustüre völlig grundlos fallen gelassen, ist unglaubwürdig. Der VfGH folgt daher den Angaben der Gendarmeriebeamten, die durch die Ergebnisse des erstinstanzlichen Strafverfahrens gegen den Erstbeschwerdeführer beim Kreisgericht Steyr gestützt sind, daß sich der Erstbeschwerdeführer durch einen Schlag gegen S, Fußtritte gegen die Gendarmeriebeamten und Herbeirufen seines Schäferhundes der drohenden Verhaftung zu entziehen versuchte.

Die Gendarmeriebeamten haben demnach versucht, den Erstbeschwerdeführer zu verhaften. Dieser Versuch ist jedoch mißlungen. Der Erstbeschwerdeführer ist daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

3. Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) bestimmt in Art3, daß niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Der VfGH hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 8145/1977 ausgesprochen, daß der Waffengebrauch selbst keineswegs von vorneherein gegen Art3 MRK verstößt. Gegen das im Art3 MRK statuierte - im vorliegenden Fall allein in Betracht zu ziehende - Verbot "erniedrigender Behandlung" verstoßen derartige physische Zwangsakte vielmehr nur dann, wenn qualifizierend hinzutritt, daß ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist. Dies trifft aber im Beschwerdefall nicht zu.

Wie schon ausgeführt wurde, hat der Erstbeschwerdeführer die Beamten an der Fortsetzung ihrer Dienstfahrt mit dem Kraftwagen durch Versperren des Eingangstores zum Parkplatz mit Gewalt gehindert. Als die Beamten versuchten, ihn dazu zu bewegen, das Tor aufzusperren, hat er sich dem Versuch einer Verhaftung durch Gewalt entzogen. Die Beamten waren daher gezwungen, auch ihm gegenüber Gewalt anzuwenden, wobei sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch zwei Beamte verletzt wurden. Der Gerichtshof nimmt hiebei entgegen den Behauptungen der Beschwerde in Übereinstimmung mit der bel. Beh. als erwiesen an, daß der Erstbeschwerdeführer mit der Dienstpistole unbeabsichtigt auf den Kopf anstatt auf die Schulter getroffen wurde und daß vom Gummiknüppel maßhaltend Gebrauch gemacht wurde. Das Nachwerfen der Taschenlampe nimmt der Gerichtshof nicht als erwiesen an. Die Beamten haben Gewalt in Anbetracht der gegebenen Sachlage demnach maßhaltend angewendet. Eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Erstbeschwerdeführers als Person war nach Lage des Falles nicht gegeben.

Ein Verstoß gegen Art3 MRK liegt daher nicht vor. Ob die Beamten im übrigen die Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes beachtet haben, war vom VfGH nicht zu beurteilen.

4. Die Bf. behaupten auch, daß die bel. Beh. durch die Vorgangsweise der Gendarmeriebeamten, die ihr zuzurechnen sei, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt habe, indem sie willkürlich vorgegangen sei. Die Behörde habe das Gesetz nur zum Schein angewendet, in Wahrheit liege ein gesetzloser Eingriff vor.

Die obigen Ausführungen zeigen, daß die Beamten keineswegs willkürlich vorgegangen sind. Die Bf. sind daher durch die von den Gendarmeriebeamten gesetzten Maßnahmen nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

5. Der Erstbeschwerdeführer behauptet weiters, daß er im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden sei, weil ihm bei der Gewaltanwendung durch die Beamten das Hemd beschädigt worden sei und weil ihm ohne sein Einverständnis ein Tonbandgerät abgenommen worden sei.

Was die Beschädigung der Kleidung anlangt, ist diese auf die Anwendung angemessener Gewalt zur Brechung des Widerstandes des Erstbeschwerdeführers gegen die Beamten zurückzuführen. Wenn dabei - wie hier - die Kleidung des Betroffenen beschädigt wurde, ohne daß dies das Ziel der Amtshandlung, sondern nur deren unvermeidliche, sekundäre Folge war, kann nicht davon gesprochen werden, daß eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums erfolgt wäre (vgl. hiezu VfSlg. 9931/1984). Die Beschwerde spricht zwar von einer "Abnahme" des Tonbandgerätes durch die Beamten. Aber nicht einmal der Erstbeschwerdeführer behauptet, daß die Absicht der Beamten auf eine solche gerichtet war. Vielmehr ist klar erkennbar, daß die Beamten das Gerät, nachdem der Erstbeschwerdeführer in das Haus geflüchtet war, nur sichergestellt haben.

Der zweitbeschwerdeführende Verein behauptet ferner, durch die "Abnahme" der Torschlüssel im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein.

Die Schlüssel sind indes dem Erstbeschwerdeführer im Zuge der handgreiflichen Auseinandersetzung mit den Beamten abhanden gekommen. Die Beamten verwendeten sie nur, um das vom Erstbeschwerdeführer versperrte Parkplatztor wieder aufzusperren. Eine Absicht, sie dem Erstbeschwerdeführer und damit dem zweitbeschwerdeführende Verein abzunehmen, hat nicht bestanden.

Die Bf. sind daher durch die Beschädigung des Hemdes des Erstbeschwerdeführers und die "Abnahme" des Tonbandgerätes und der Schlüssel nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

6. Der zweitbeschwerdeführende Verein sieht sich in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Vereinsfreiheit (Art12 StGG, Art11 MRK) beeinträchtigt, weil durch die Tätigkeit der Gendarmerieorgane laufend die Tätigkeit des Vereines behindert werde.

Das genannte verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht ist in mehreren auf Verfassungsstufe stehenden Rechtsvorschriften verankert, insbesondere durch Art12 StGG, durch Punkt 3 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918, StGBl. 3, und durch Art11 MRK.

Vor allem Art11 Abs2 MRK bietet eine Richtlinie dafür, in welchen Fällen die Behörde rechtmäßig in die Tätigkeit eines Vereines eingreifen darf (vgl. VfSlg. 8090/1977, das die Auflösung eines Vereines betrifft). Danach darf die Ausübung des Rechtes aller Menschen, sich frei mit anderen zusammenzuschließen, keinen anderen als den im Gesetz vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral und des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

Soweit die Beschwerde eine Verletzung des Vereinsrechtes durch das Betreten und Befahren des Grundstückes (Parkplatz) sowie das Notieren der Kraftwagenkennzeichen behauptet, ist dem zu entgegnen, daß hiemit weder Befehls- noch Zwangsgewalt ausgeübt wurde (siehe Pkt. II.1.). Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieses Verhaltens kommt daher schon aus diesem Grund nicht in Betracht.

Aber auch im übrigen hat ein Eingriff in die Vereinsfreiheit des zweitbeschwerdeführende Vereines nicht stattgefunden. Das Klublokal des zweitbeschwerdeführende Vereines war - wie sich dem Behördenakt und insbesondere den darin protokollierten Aussagen von Gästen zweifelsfrei entnehmen läßt in Wahrheit kein Vereinslokal, sondern ein für jedermann zugängliches Vergnügungslokal. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Vereinsfreiheit wurde demnach durch die Maßnahmen der Beamten unter den gegebenen Umständen nicht verletzt.

Insofern sich der zweitbeschwerdeführende Verein in diesem Zusammenhang überdies auf Art6 MRK beruft, ist dem zu entgegnen, daß im Beschwerdefall weder über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen noch über die Stichhältigkeit der gegen jemanden erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden war. Art6 MRK war schon aus diesem Grunde nicht anzuwenden.

7. Die Bf. behaupten schließlich, durch die bekämpfte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in dem - nach ihrer Ansicht - durch Art12 MRK, dem (1.) Zusatzprotokoll zur MRK vom 20. März 1952, sowie Art17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, BGBl. 591/1978, "verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht" auf Unverletzlichkeit des guten Rufes verletzt worden zu sein.

Weder Art12 MRK noch das genannte Zusatzprotokoll gewährleisten verfassungsgesetzlich die Unverletzlichkeit des guten Rufes.

Hinsichtlich des Art17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte behaupten die Bf. selbst nicht, daß ihnen hiedurch ein Recht im Verfassungsrang eingeräumt wäre. Sie stützen sich vielmehr nur darauf, daß der Pakt "im Sinne des Art9 B-VG" (als allgemein anerkannte Regel des Völkerrechtes) "ebenfalls verfassungsrechtlich beachtlich sein wird".

Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH werden Rechte einzelner durch die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes keinesfalls unmittelbar begründet (vgl. VfSlg. 7608/1975).

Die Bf. sind daher durch die bekämpften Maßnahmen auch nicht in den von ihnen behaupteten Rechten verletzt worden.

8. Die behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte haben somit offenkundig nicht stattgefunden. Andere Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte oder die Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm sind im Verfahren vor dem VfGH nicht hervorgekommen.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

9. Soweit die Beschwerde die Rechtmäßigkeit der Verhaftung bzw. das Recht, Vereine zu bilden, betrifft, war der Antrag auf Abtretung derselben an den VwGH abzuweisen (vgl. VfSlg. 10051/1984, 4412/1963).

Im übrigen war die Beschwerde dem VwGH zur Entscheidung darüber abzutreten, ob die Bf. durch die übrige angefochtene Amtshandlung (Gebrauch der Dienstwaffen) in einem sonstigen Recht verletzt wurden.

10. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VfGG 1953 idF BGBl. 297/1984 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Waffengebrauch, Vereinsrecht, Völkerrecht, Rechte subjektive

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B750.1986

Dokumentnummer

JFT_10128985_86B00750_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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