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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §20 Abs2 idF 1989/364;Betreff
N gegen Landesarbeitsamt Wien vom 1. September 1987, Zl. IVb/7022/7100 B, 920/2895 230155, betreffend Familienzuschlag gemäß § 20 Abs. 2 AlVG
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste (Wien) vom 3. Juni 1987 wurde aufgrund des Antrages der Beschwerdeführerin vom 13. Oktober 1986 auf Zuerkennung eines Familienzuschlages für ihren Sohn festgestellt, daß ihr kein Familienzuschlag gebühre. Die Begründung erschöpft sich in einem Hinweis auf § 17 Abs. 1 und § 20 Abs. 1 AlVG, wonach das Arbeitslosengeld aus dem Grundbetrag und den Familienzuschlägen besteht. Nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens beziehe der Sohn der Beschwerdeführerin eine Waisenrente in Höhe von S 1.362,10; ein Anspruch auf Familienzuschlag sei daher nicht gegeben.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung.
1.2. Mit Bescheid vom 1. September 1987 gab das Landesarbeitsamt Wien dieser Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Der Sohn der Beschwerdeführerin habe bis zum 1. Jänner 1987 eine monatliche Waisenpension von S 1.312,20, nach dem 1. Jänner 1987 eine solche in Höhe von S 1.362,10 bezogen. Die Betreuung des Kindes im Rahmen der Haushaltsführung stelle einen wesentlichen Beitrag zu dessen Unterhalt im Sinne des § 20 Abs. 2 erster Halbsatz AlVG dar. Dieser Umstand komme jedoch nicht zum Tragen, wenn ein Tatbestand nach § 20 Abs. 2 zweiter Halbsatz AlVG erfüllt sei.
Da der Unterausschuß im konkreten Fall entschieden habe, daß die per 1. Jänner 1987 auf S 1.362,10 erhöhte Waisenpension des Sohnes der Beschwerdeführerin "zum Unterschied von vorher ausreichende Mittel im Sinne der obigen gesetzlichen Bestimmung darstellt", sei die erstinstanzliche Feststellung zu Recht getroffen worden.
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin trage unbestritten durch finanzielle Aufwendungen und durch die Haushaltsführung zum Lebensunterhalt ihres am 21. August 1972 geborenen Sohnes bei. Feststellungen darüber, ob ihr Sohn imstande sei, mit einer Pension von S 1.362,10 monatlich seinen Anteil an den Wohnungs-, Strom-, Gas- und Heizungskosten zu begleichen, seinen Nahrungs- und Kleidungsaufwand abzudecken und im Sinne der "Angemessenheit" des Lebensunterhaltes einen Mindeststandard an kulturellem und außerschulischem Bildungsaufwand zu erfüllen, seien nicht getroffen worden. Es dränge sich der Schluß auf, daß die belangte Behörde von einem starren Grenzwert ausgehe, der nicht valorisiert werde. Die belangte Behörde habe ja selbst zum Ausdruck gebracht, daß die im Jahr 1986 bezogene Waisenpension, deren Kaufkraft sich von jener ab 1. Jänner 1987 faktisch nicht unterschieden habe, zur Bestreitung eines angemessenen Lebensunterhaltes nicht ausgereicht habe, da der Familienzuschlag bis zu diesem Zeitpunkt gewährt worden sei.
1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
2.1. Gemäß § 20 Abs. 2 AlVG sind Familienzuschläge für Ehegatten (Lebensgefährten), Eltern und Großeltern, Kinder und Enkel, Stiefkinder, Wahlkinder und Pflegekinder (zuschlagsberechtigte Personen) zu gewähren, wenn der Arbeitslose zum Unterhalt dieser Personen tatsächlich wesentlich beiträgt. Der Familienzuschlag gebührt nicht, wenn den zuschlagsberechtigten Personen zugemutet werden kann, den Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere durch eigene Arbeit, zu bestreiten.
Nach § 60 AVG 1950 sind in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Gemäß § 67 AVG 1950 gilt diese Bestimmung auch für Berufungsbescheide.
2.2. Die Begründung des angefochtenen Bescheides erschöpft sich in der Feststellung, da der Unterausschuß im konkreten Fall entschieden habe, daß die zum 1. Jänner 1987 auf S 1.362,10 erhöhte Waisenpension des Sohnes der Beschwerdeführerin zum Unterschied von vorher ausreichende Mittel im Sinne des § 20 Abs. 2 AlVG darstelle, sei die erstinstanzliche Entscheidung zu Recht ergangen. Diese Begründung sagt daher lediglich, daß die Behörde eine bestimmte Entscheidung getroffen habe, nicht aber warum sie so entschieden habe. Eine solche Begründung verstößt eklatant gegen § 60 AVG 1950, da sie nicht einmal andeutungsweise die Erwägungen der Behörde bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe "Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt" und bei der Anwendung des so gewonnenen Auslegungsergebnisses auf den konkreten Sachverhalt erkennen läßt. Die Behörde verstößt bei Erlassung einer Entscheidung dieser Art nicht nur gegen ein fundamentales verwaltunsgspolitisches Ziel, durch Verstehbarkeit und Nachvollziehbarkeit staatlicher Entscheidungen deren Akzeptanz seitens des Bürgers zu erhöhen - und dies gilt in hohem Maß auch für die leistende Sozialverwaltung -, sondern auch gegen eine ihr gegenüber der Verfahrenspartei auferlegte Rechtspflicht.
2.3. Im besonderen hätte sich die belangte Behörde mit der Valorisierungsfrage auseinandersetzen müssen, da die dem Sohn der Beschwerdeführerin zugeflossenen eigenen Mittel auf einer Erhöhung seiner Waisenpension beruhten und daher offenbar eine Steigerung der Lebenshaltungskosten widerspiegelten. Es liegt daher der Schluß nahe - und dies ergibt sich dann eindeutig aus der Gegenschrift (in der jedoch eine fehlende Bescheidbegründung nicht nachgetragen werden kann) -, daß die belangte Behörde eine starre Grenze für die Zuschlagsschädlichkeit des eigenen Einkommens der zuschlagsberechtigten Person angenommen und diese um 10 Groschen (Ü) überschritten gesehen hat (S 13.062,-- Grundbetrag des Arbeitslosengeldes in der niedrigsten Lohnklasse nach dem AlVG, S 13.062,10 monatliche Waisenpension).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird nun aber die Höhe der den Familienzuschlag ausschließenden eigenen Mittel in § 20 Abs. 2 AlVG nicht nach einem starren Maßstab - wie es der Grundbetrag des Arbeitslosengeldes in der niedrigsten Lohnklasse ist - bestimmt, sondern richtet sich nach dem zur Bestreitung des angemessenen Lebensunterhaltes des Zuschlagsberechtigten notwendigen Aufwand (vgl. z.B. die hg. Erkentnisse vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0291 = ZfVB 1988/5/1951, vom 15. Dezember 1988, Zl. 87/08/0062, vom 27. März 1990, Zl. 88/08/0277, und gleichfalls vom 27. März 1990, Zl. 89/08/0144).
2.4. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat.
Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst BGBl. Nr. 206/1989.
2.6. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes BGBl. Nr. 45/1965 hingewiesen.
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1987080272.X00Im RIS seit
18.10.2001