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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
N gegen Wiener Landesregierung vom 29. Dezember 1989, Zl. MA 70-10/1757/89/Str, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, als mit ihm wegen einer Übertretung nach § 97 Abs. 5 StVO 1960 eine Verwaltungsstrafe verhängt und ein Verfahrenskostenbeitrag vorgeschrieben wurde; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10,530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe "am 17.8.1987 um
14.30 Uhr in Wien 23, in der Gutheil-Schoder-Gasse 1 Richtung Anton-Baumgartner-Straße als Lenker des Kraftfahrzeuges W nnn.nnn 1) ein Fahrzeug auf einem Schutzweg überholt, obwohl dieser weder durch Arm- noch durch Lichtzeichen geregelt wurde und 2) das deutlich sichtbar von einem Organ der Straßenaufsicht erteilte Zeichen, anzuhalten, nicht beachtet, sondern "sei" weitergefahren und 3) die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erheblich überschritten, indem Sie mit ca. 70 km/h fuhren". Dadurch habe er Übertretungen nach 1) § 16 Abs. 1 lit. d StVO 1960, 2) § 97 Abs. 5 in Verbindung mit § 99 Abs. 4 lit. i StVO 1960 und 3) § 20 Abs. 2 StVO 1960 begangen. Über ihn wurden zu 1) gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe von S 500,-- (36 Stunden Ersatzarrest), zu 2) gemäß § 99 Abs. 4 lit. i StVO 1960 eine Geldstrafe von S 500,-- (30 Stunden Ersatzarrest) sowie zu 3) gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe von S 400,-- (keine Ersatzarreststrafe) verhängt und Verfahrenskostenbeiträge im Ausmaß von insgesamt 20 v.H. der Strafbeträge vorgeschrieben.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Gerichtshof hat erwogen:
1. Zur Übertretung des § 16 Abs. 1 lit. d StVO 1960 führt der Beschwerdeführer aus, es sei Verfolgungsverjährung eingetreten und die belangte Behörde habe als Berufungsbehörde die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat ausgewechselt. Aus diesen Gründen sei der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes und mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde belastet. Er begründet dies damit, daß ihm innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 31 Abs. 2 VStG 1950 zur Last gelegt worden sei, auf dem in Rede stehenden Schutzweg mehrere Pkws überholt zu haben; dies sei auch Inhalt des Spruches des erstinstanzlichen Straferkenntnisses der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Liesing, vom 21. September 1989 gewesen.
Dazu ist zu bemerken, daß die Anzahl der auf einem Schutzweg überholten Fahrzeuge kein Tatbestandselement einer Übertretung der lit. d des § 16 Abs. 1 StVO 1960 ist. Durch diese Bestimmung wird auf Schutzwegen, in deren Bereich der Verkehr nicht durch Arm- oder Lichtzeichen geregelt wird, das Überholen schlechthin verboten. Es liegt im Vorwurf, auf dem Schutzweg mehrere Pkws überholt zu haben, in Ansehung der im Spruch des angefochtenen Bescheides - in Übereinstimmung mit der Aktenlage - enthaltenen Tatumschreibung, ein Fahrzeug überholt zu haben, weder eine untaugliche Verfolgungshandlung noch die Anlastung einer anderen Tat.
2. Zur Übertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 rügt der Beschwerdeführer, die Schätzung seiner Fahrgeschwindigkeit sei unzulänglich. So sei insbesondere die Geschwindigkeit des überholten Fahrzeugs nicht festgestellt worden. Die belangte Behörde gehe auch auf die optischen und akustischen Komponenten, die auf die Schätzung von Einfluß sein konnten, nicht ein.
Der Verwaltungsgerichtshof hat gegen die Annahme der belangten Behörde, die Schätzung der Fahrgeschwindigkeit durch den Meldungsleger sei eine verläßliche Grundlage für ihre Sachverhaltsfeststellung, keine Bedenken. Laut Zeugenaussage des seit zwölf Jahren im Straßenaufsichtsdienst stehenden Meldungslegers erfolgte die Schätzung auf Grund der Beobachtung des vom Beschwerdeführer gelenkten Pkws auf einer Strecke von 100 m im Vorbeifahren. Dafür, daß die Umstände so beschaffen waren, daß - etwa wegen schlechter Sichtverhältnisse oder wegen eines unübersichtlichen, sich in mehreren Richtungen abwickelnden Verkehrsaufkommens - eine Schätzung erheblich erschwert oder mit hinlänglicher Verläßlichkeit überhaupt unmöglich gewesen wäre, bestehen keine Anhaltspunkte. Insbesondere hat auch der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren keine solchen Umstände vorgebracht. Im übrigen hat der Meldungsleger die Geschwindigkeit des überholten Fahrzeugs mit mindestens 50 km/h angegeben.
3.1. Zur Übertretung nach § 97 Abs. 5 StVO 1960 führt der Beschwerdeführer aus, die belangte Behörde habe keine Feststellungen dazu getroffen, daß seine Anhaltung "zwecks Lenker- und Fahrzeugkontrolle" erfolgt sei.
Dabei übersieht der Beschwerdeführer, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Zweck der Anhaltung nicht Tatbestandselement einer Übertretung nach § 97 Abs. 5 StVO 1960 und daher auch nicht notwendiger Inhalt eines Schuldspruches nach dieser Bestimmung ist (vgl. das Erkenntnis vom 8. Juli 1988, Zl. 88/18/0075).
In diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß der Spruch des angefochtenen Bescheides auch im übrigen dem Gesetz entspricht. Aus ihm ergibt sich insbesondere, daß es sich bei dem vom Meldungsleger gegebenen Zeichen nicht um ein Armzeichen zum Zweck der Verkehrsregelung im Sinne des § 37 Abs. 1 bis 3 StVO 1960 gehandelt hat, dessen Nichtbeachtung einen anderen strafbaren Tatbestand darstellt (vgl. die Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Juni 1983, Zl. 83/02/0035, und vom 23. Dezember 1983, Zl. 83/02/0136); laut Spruchpunkt 1 (betreffend die Übertretung nach § 16 Abs. 1 lit. d StVO 1960) war der Schutzweg nicht durch Armzeichen gesichert. Die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das zitierte Erkenntnis vom 8. Juli 1988) geforderte Konkretisierung des gegebenen und nicht befolgten Zeichens hat lediglich den Zweck klarzustellen, ob es sich um ein nach den Abs. 1, 2 oder 3 des § 37 oder um ein nach § 97 Abs. 5 StVO 1960 strafbares Verhalten handelt. Auch wenn im Spruch das Wort "Handzeichen" nicht aufscheint, ist demnach der Tatvorwurf dennoch ausreichend umschrieben. Daß der Meldungsleger kein Anhaltezeichen oder ein für den Beschwerdeführer nicht verständliches Zeichen gegeben habe, wird vom Beschwerdeführer nicht behauptet.
3.2. Zur Behauptung, die belangte Behörde habe "als Strafnorm" zu Unrecht § 99 Abs. 4 lit. i StVO 1960 herangezogen, genügt ein Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der verletzten Verwaltungsvorschrift des § 97 Abs. 5 StVO 1960 die Strafsanktionsnorm des § 99 Abs. 4 lit. i StVO 1960 entspricht (vgl. das Erkenntnis vom 22. November 1984, Zl. 84/02B/0133). Eine Anordnung nach § 97 Abs. 5 StVO 1960 stellt ein Gebot oder ein Verbot im Sinne des § 99 Abs. 4 lit. i StVO 1960 dar. Solche Gebote und Verbote brauchen nicht Inhalt eines Bescheides zu sein; die Einschränkung auf die Strafbarkeit von Verstößen gegen bescheidmäßige Absprüche bezieht sich lediglich auf die im § 99 Abs. 4 lit. i StVO 1960 genannten "Auflagen, Bedingungen oder Fristen", welche ja typische sogenannte Nebenbestimmungen in individuellen Rechtsakten sind.
3.3. Zur Bemessung der Strafe wegen der Übertretung des § 97 Abs. 5 StVO 1960 führt der Beschwerdeführer aus, die belangte Behörde habe es nicht begründet, warum sie die von der Erstbehörde verhängte Strafe bestätigt habe, obwohl sie die Strafnorm ausgetauscht habe. Die von der Erstbehörde herangezogene lit. a des § 99 Abs. 3 StVO 1960 sehe eine Höchststrafe von S 10.000,--, § 99 Abs. 4 hingegen eine solche von S 1.000,-- vor.
Diesem Vorbringen des Beschwerdeführers kann der Erfolg nicht versagt werden. Die Erstbehörde hat die Verwaltungsstrafe in rechtsirrtümlicher Heranziehung des § 99 Abs. 3 StVO 1960 mit 5 v.H. der Höchststrafe bemessen. Wenn nun die belangte Behörde zutreffend auf § 99 Abs. 4 StVO 1960 zurückgreift, aber die Strafe unverändert beläßt, sie demnach mit 50 v.H. der Höchststrafe bemißt, müßte sie gewichtige andere Strafbemessungsgründe anführen. Der einzige von ihr von der Begründung des Straferkenntnisses der Erstbehörde abweichende Strafbemessungsgrund ist, daß der Beschwerdeführer nicht verwaltungsstrafrechtlich unbescholten ist, wie es die Erstbehörde aktenwidrig angenommen hat. Die einzige Vormerkung des Beschwerdeführers betrifft aber eine Übertretung nach § 24 Abs. 1 lit. e StVO 1960. Es liegt daher nur eine, noch dazu nicht einschlägige Vorstrafe vor. Dies rechtfertigte ohne weitere Begründung aber nicht, die Strafe im Verhältnis zur Höchststrafe derart anders zu bemessen.
Die Bemessung der Strafe wegen der Übertretung des § 97 Abs. 5 StVO 1960 und die damit zusammenhängende Vorschreibung eines Verfahrenskostenbeitrages waren daher wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel ZeugenbeweisMängel im SpruchBeweismittel Zeugenbeweis Zeugenaussagen von AmtspersonenFeststellen der GeschwindigkeitBescheidcharakter Bescheidbegriff Inhaltliche ErfordernisseMängel im Spruch Fehlen von wesentlichen Tatbestandsmerkmalenfreie BeweiswürdigungSpruch Begründung (siehe auch AVG §58 Abs2 und §59 Abs1 Spruch und Begründung)"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild)Spruch Begründung (siehe auch AVG §58 Abs2 und §59 Abs1 Spruch und Begründung) Tatvorwurf Beschreibung des in der BegründungRechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4Erschwerende und mildernde Umstände VorstrafenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990020030.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
18.06.2009