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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BAO §115 Abs2;Beachte
Besprechung in:ÖStZB 1991, 10;Betreff
N gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 25. November 1988, GZ. GA 7-1832/88, betreffend Nachsicht von Abgabenschulden
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom 26. Jänner 1988 beantragte die Beschwerdeführerin, eine Prostituierte, die Nachsicht von Abgaben in der Höhe von S 137.122,--. Diese Steuernachforderung hatte sich auf Grund der erklärungsgemäßen Veranlagung der Beschwerdeführerin für die Jahre 1984 bis 1986 ergeben. Begründet wurde das Nachsichtsansuchen im wesentlichen damit, daß die Beschwerdeführerin in den Streitjahren ihren Lebensunterhalt vorwiegend aus Einkünften aus der Prostitution bestritten habe und "sich auf Grund der bis zu diesem Zeitpunkt allgemein geübten Verwaltungspraxis der Finanzämter einer Steuerpflicht für Einkünfte aus dieser Tätigkeit nicht bewußt" gewesen sei. Da diese ihre Einkünfte nur einen bescheidenen Umfang erreicht hätten, wären sie zur Gänze zur Bestreitung des Lebensunterhaltes der Beschwerdeführerin verwendet worden. Vorsorge für etwaige Steuerverpflichtungen habe sie nicht getroffen. Infolge der zur Zeit grassierenden Aids-Angst seien die Einküfte der Beschwerdeführerin aus der Prostitution stark rückläufig, sodaß ihr eine Abstattung der Abgabennachforderung aus den vorhandenen finanziellen Mitteln nicht möglich sei. Die Einhebung des in Rede stehenden Steuerbetrages würde eine Bedrohung des Nahrungsstandes und der Existenz der Beschwerdeführerin bedeuten.
Gegen den Bescheid des Finanzamtes, mit welchem dasselbe das Nachsichtsbegehren der Beschwerdeführerin abwies, erhob diese innerhalb offener Frist Berufung. Darin wird vorgebracht, daß im erstinstanzlichen Bescheid auf die Darlegungen im Ansuchen der Beschwerdeführerin nicht eingegangen werde. Ihr stünde zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes monatlich ein Betrag von S 12.000,-- zur Verfügung, von welchem ihr jedoch nach Abzug von Fixkosten (Miete, Strom, Gas, Telefon) in Höhe von S 7.200,-- lediglich S 4.800,-- verblieben. Die Bezahlung des in Rede stehenden Abgabenbetrages von S 137.122,-- würde demnach die wirtschaftliche Existenz der Beschwerdeführerin bedrohen.
Gleichzeitig beantragte sie, die nach Genehmigung der begehrten Nachsicht noch "verbleibende Restschuld von S 13.455,-- zuzüglich der in den nächsten 12 Monaten fällig werdenden Einkommensteuervorauszahlungen in 11 Monatsraten zu je S 1.000,-- und einer Schlußrate abstatten zu dürfen".
Nachdem das Finanzamt dieses Rechtsmittel mit Berufungsvorentscheidung abgewiesen hatte, stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, die Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vorzulegen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab und führte begründend im wesentlichen folgendes aus:
Im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse der Beschwerdeführerin könne "der Unbilligkeitstatbestand des § 236 BAO als verwirklicht angesehen werden". Die belangte Behörde habe daher vorliegendenfalls im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden.
Der in Rede stehende Abgabenrückstand sei auf Grund der erklärungsmäßigen Veranlagung für die Jahre 1984 bis 1986 entstanden. Sämtliche Erklärungen habe die Beschwerdeführerin erst am 29. Juni 1987 eingereicht. Dazu habe sie erklärt, daß von ihr keine Aufzeichnungen über ihre Einnahmen geführt worden seien, weshalb sie dieselben nach bestem Wissen und Gewissen aus der Erinnerung angesetzt habe. Als Entschuldigung für diese Vorgangsweise werde vorgebracht, "daß die Steuerpflicht der Einkünfte aus Prostitution auf Grund der bisher geübten Verwaltungspraxis der Finanzämter nicht erkennbar gewesen sei".
Nun sei jedoch jenes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes, welches die einkommensteuerliche Qualifikation der Einkünfte aus Prostitution unmißverständlich zum Ausdruck gebracht habe, bereits 1983 ergangen und habe "einen seltenen Bekanntheitsgrad in den Medien erreicht". Es sei daher bereits ab 1984 die Versteuerung der Einkünfte aus Prositution zu erwarten gewesen. Die Beschwerdeführerin könne deshalb die Vernachlässigung ihrer steuerlichen Pflichten mit ihrem diesbezüglichen Vorbringen nicht entschuldigen.
Die im konkreten Fall erfolgte Zusammenballung von Steuern sei eindeutig auf eine Vernachlässigung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen durch die Beschwerdeführerin zurückzuführen.
Im übrigen würde die Gewährung der begehrten Nachsicht unerwünschte Beispielsfolgen für sämtliche ähnlich gelagerten Fälle zeitigen und wäre schon aus diesem Grunde nicht vertretbar.
Das Angebot der Beschwerdeführerin, neben den laufenden Vorauszahlungen einen Betrag von S 13.455,-- in monatlichen Raten von S 1.000,-- zu entrichten, könne nicht als ein eine Nachsichtsmaßnahme rechtfertigender Zahlungswille angesehen werden.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zur Zl. 89/13/0020 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Beschluß vom 5. April 1989, Zl. 89/13/0020, wurde diese Beschwerde mit der Begründung, sie sei verspätet eingebracht worden, zurückgewiesen. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin zur hg. Zl. 89/13/0095 Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und begründete diesen damit, daß die Zustellung des angefochtenen Bescheides nicht - wie dies aus der Übernahmsbestätigung auf dem betreffenden Rückschein hervorgehe - bereits am 1. Dezember 1988, sondern in Wahrheit erst am 2. Dezember 1988 erfolgt sei, weshalb die in Rede stehende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde rechtzeitig (zur Post gegeben am 13. Jänner 1989) eingebracht worden wäre. Da sich diese Darlegungen nach Durchführung entsprechender Erhebungen durch den Verwaltungsgerichtshof als richtig erwiesen, gab der Gerichtshof mit Beschluß vom 8. November 1989, Zl. 89/13/0095, dem Wiederaufnahmsantrag der Beschwerdeführerin statt und hob den Beschluß vom 5. April 1989, Zl. 89/13/0020, auf.
In dem zur hg. Zl. 89/13/0249 wiederaufgenommenen Verfahren legte die belangte Behörde eine Gegenschrift vor, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschulden auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Falle eines Ansuchens um Nachsicht zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspricht. Verneint sie diese Frage, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, demnach ist der Antrag abzuweisen. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Nach übereinstimmender Ansicht von Lehre und Rechtsprechung liegt eine Ermessensüberschreitung keinesfalls darin, daß die Behörde den Erwägungen der Zweckmäßigkeit gegenüber denen der Billigkeit den Vorrang einräumt, doch müssen die Zweckmäßigkeitserwägungen mit dem Sinn des Gesetzes im Einklang stehen, d.h. die Behörde darf sich bei ihrer Entscheidung nicht von unsachlichen Erwägungen leiten lassen (vgl. Stoll, Bundesabgabenordnung, Wien 1980, Seite 583 f).
Wie sich nun aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, hat die belangte Behörde die Rechtsfrage, ob die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten im Beschwerdefall unbillig ist, bejaht, womit die Voraussetzung für eine von ihr zu treffende Ermessensentscheidung gegeben erscheint. Bei Ermessensentscheidungen beschränkt sich die Überprüfung durch den Gerichtshof darauf, ob vom eingeräumten Ermessen innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht wurde, oder ob dies - in Form einer Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmißbrauches - nicht der Fall gewesen ist (vgl. hg. Erkenntnis vom 14. November 1984, Zl. 83/13/0086, und die dort angeführte hg. Judikatur).
Als Begründung dafür, warum die belangte Behörde das ihr durch § 236 BAO eingeräumte Ermessen nicht im für die Beschwerdeführerin positiven Sinn gehandhabt hat, weist sie darauf hin, daß jener Rückstand, hinsichtlich dessen eine Nachsicht begehrt wird, auf Grund der erklärungsmäßigen Veranlagung für die Jahre 1984 bis 1986 erfolgte, wobei die Beschwerdeführerin die entsprechenden Abgabenerklärungen allesamt erst im Juni 1987 dem Finanzamt vorlegte und dazu mitteilte, die in diesen Erklärungen enthaltenen Angaben habe sie - mangels irgendwelcher diesbezüglicher Aufzeichnungen - lediglich aus ihrer Erinnerung gemacht. Bei diesem unbestrittenen Sachverhalt aber sei davon auszugehen, daß die die Beschwerdeführerin nunmehr belastende, gegebene "Zusammenballung von Steuern" eindeutig auf eine Vernachlässigung der abgabenrechtlichen Pflichten durch die Beschwerdeführerin zurückzuführen sei.
Diese von der belangten Behörde angestellten Erwägungen, auf welche sie die Versagung der beantragten Nachsicht stützt, stellen sich nach Ansicht des Gerichtshofes als durchaus sachlicher Art dar und lassen nicht erkennen, daß die belangte Behörde ihr Ermessen willkürlich gehandhabt hat.
Wenn in der Beschwerde behauptet wird, der Beschwerdeführerin seien "die Ermessenserwägungen der Behörde" nicht vorgehalten worden, in welcher Vorgangsweise eine Verletzung des Parteiengehörs liege, weshalb der angefochtene Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet sei, so übersieht die Beschwerdeführerin - worauf in der Gegenschrift zu Recht hingewiesen wird - daß die vom Gesetz vorgeschriebene Anhörung der Parteien auf die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes abzielt. Die Schlüsse jedoch, welche die Behörde aus dem einwandfrei festgestellten Sachverhalt im Hinblick auf die ihrem Ermessen anheim gestellte rechtliche Gestaltung zieht, müssen nicht vorgehalten werden (vgl. Reeger-Stoll, Kommentar zur Bundesabgabenordnung, Seite 404).
Die Beschwerdeführerin vermag aber auch mit dem Hinweis, ihr sei im Streitzeitraum nicht klar gewesen, ob und inwieweit ihre Einnahmen aus der Prostitution steuerlich zu erfassen seien, für ihren Standpunkt im Beschwerdeverfahren nichts zu gewinnen; wäre es doch ihre Sache gewesen, sich nach Ergehen des hg. Erkenntnisses vom 16. Februar 1983, Zlen. 82/13/0208, 0215, in welchem eindeutig die Steuerpflicht der Tätigkeit als Prostituierte bejaht wird, und von welchem die Beschwerdeführerin nicht einmal behauptet, daß sie von ihm keine Kenntnis gehabt habe, im Falle von Unklarheiten hinsichtlich der steuerlichen Folgen ihrer in Rede stehenden Tätigkeit, zeitgerecht entsprechend zu informieren. Die in diesem Zusammenhang von der Beschwerdeführerin gemachte Aussage, die Finanzämter hätten auch nach dem Ergehen des letztzitierten hg. Erkenntnisses die Gruppe der Prostituierten steuerlich nicht gezielt erfaßt, stellt lediglich eine unbewiesene Behauptung dar.
Wenn schließlich die belangte Behörde die Ansicht vertritt, daß bei einem gesamten Abgabenrückstand von rund S 150.000,-- und einer begehrten Nachsicht für rund S 137.000,-- das Angebot, die verbleibenden rund S 13.000,-- in Monatsraten von S 1.000,-- zu entrichten, keinen ausreichenden, eine Nachsicht rechtfertigenden Zahlungswillen dokumentiert, so kann ihr nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.
Da die Beschwerdeführerin demnach die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht darzutun vermochte, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH ErmessensentscheidungenVerfahrensbestimmungen ErmessenErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989130249.X00Im RIS seit
11.01.2002Zuletzt aktualisiert am
28.02.2017