TE Vwgh Erkenntnis 1990/6/25 89/09/0087

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Veröffentlicht am 25.06.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §68 Abs1;
KOVG 1957 §4 Abs1;
KOVG 1957 §7;

Betreff

N gegen Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 3. Mai 1989, Zl. OB. 115-168.547-008, betreffend Kriegsopferversorgung (Beschädigtenrente)

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezieht eine gemäß den §§ 7 und 8 des Kriegsopferversorgungsgesetzes (KOVG 1957) ermittelte Beschädigtenrente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 %, wobei als Dienstbeschädigungen

"1.) Hüftgelenkspfannenbruch links mit Bewegungseinschränkung bis 70 % und starker Arthrose und 2.) Oberarmbruch links geheilt mit geringer Fehlstellung" anerkannt sind.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland (LIA) vom 31. März 1983 wurden ein vom Beschwerdeführer gestellter Antrag auf Anerkennung einer weiteren Dienstbeschädigung "Veränderungen in der Wirbelsäule" sowie sein gleichzeitig gestellter Antrag auf Erhöhung der Beschädigtenrente abgewiesen.

Am 28. September 1987 stellte der Beschwerdeführer neuerlich Anträge auf Anerkennung der Veränderungen in der Wirbelsäule als Dienstbeschädigung sowie auf Rentenerhöhung. Ein vom LIA eingeholtes chirurgisches Gutachten des Sachverständigen Dr. A ergab dazu, daß die Gesamt-MdE aus medizinischer Sicht weiterhin mit 60 % zu bemessen sei; die Wirbelsäulenveränderungen und -beschwerden seien rein degenerativ und altersbedingt und somit als akausal einzuschätzen.

Mit Bescheid vom 2. März 1988 wies das LIA den Antrag auf Anerkennung der "Veränderungen in der Wirbelsäule" als Dienstbeschädigung wegen entschiedener Sache zurück; der gleichzeitig gestellte Antrag des Beschwerdeführers auf Erhöhung der ihm zustehenden Beschädigtenrente wurde gemäß den §§ 4, 7, 8, 11 und 52 Abs. 2 KOVG 1957 abgewiesen. Begründend verwies das LIA hinsichtlich der Zurückweisung auf den in Rechtskraft erwachsenen Bescheid vom 31. März 1983, dem im wesentlichen bereits derselbe Sachverhalt zugrunde gelegen sei. Im übrigen seien die geltend gemachten Wirbelsäulenveränderungen rein degenerativ und altersbedingt und daher als akausal zu werten. Es liege weder eine Verschlimmerung des maßgebenden Gesundheitszustandes noch eine Änderung in den beruflichen Verhältnissen des Beschwerdeführers vor, sodaß sein Erhöhungsantrag abzuweisen sei.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer insbesondere auf die Einschätzung seiner Leiden durch seinen behandelnden Arzt Dr. T, welcher eine Verschlechterung der Beweglichkeit des Beschwerdeführers festgestellt und die Veränderungen in dessen Wirbelsäule als Folge der Dienstbeschädigung beurteilt habe.

Die belangte Behörde holte dazu eine Stellungnahme des Chefarztes Dr. E ein, der zwar eine Verschlimmerung der Situation der Wirbelsäule des Beschwerdeführers bestätigte, diese jedoch eben so wie der Sachverständige Dr. A als akausal beurteilte.

Dieser Beurteilung hielt der Beschwerdeführer ein weiteres Attest Dris. T entgegen, wonach links eine Oberschenkelverlängerung von 2 cm bestehe; die Wirbelsäulenveränderungen seien zum Teil auf diese Tatsache zurückzuführen, welche eine Folge der als Dienstbeschädigung anerkannten Hüftgelenkspfannenbruches darstelle.

Daraufhin sah sich die belangte Behörde zur Einholung eines Ergänzungsgutachtens Dris. A veranlaßt, der nunmehr als Dienstbeschädigung 3. "degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule" feststellte, welche nach Richtsatzposition I/f/190 mit 20 % einzuschätzen und mit 10 % als kausal zu werten wären. Die Gesamt-MdE betrage weiterhin 60 %, weil die führende erste Dienstbeschädigung durch jene zu 3.) nicht erhöht werde. Es handle sich um degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule, "wobei die Veränderungen an der LWS teilweise als causal anerkannt werden können, jedoch die Gesamt-DB nicht erhöhen". Somit komme es wegen "zu geringem causalen Leidenswert" zu keiner maßgeblichen Erhöhung der Gesamt-MdE.

Auch zu diesem Ergänzungsgutachten wurde dem Beschwerdeführer das Parteiengehör gewährt, welcher darauf hinwies, daß nun eine Änderung im Sachverhalt erwiesen sei, weshalb seiner Berufung gegen die erstinstanzliche Zurückweisung wegen entschiedener Sache Folge zu geben wäre. Hinsichtlich des Ausmaßes der MdE vermißte der Beschwerdeführer eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Befundbericht Dris. T.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 3. Mai 1989 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge und bestätigte gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 den Bescheid des LIA. Begründend führte die belangte Behörde aus, sie habe zunächst den zurückweisenden Teil des erstinstanzlichen Bescheides geprüft und festgestellt, "daß die Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG 1950 - Zurückweisung des Antrages vom 28. September 1987 auf Anerkennung der Wirbelsäulenschädigung gemäß § 4 KOVG - den gesetzlichen Bestimmungen entspricht". Hinsichtlich der Prüfung, ob in den als Dienstbeschädigungen anerkannten Leiden eine maßgebliche Veränderung eingetreten sei, stellte die belangte Behörde eine offensichtliche Verschlimmerung der Situation der Wirbelsäule fest. Somit sei zwar eine "Zunahme der Wirbelsäulenveränderung" wahrscheinlich und glaubhaft, es liege aber keine Achsenabweichung der Wirbelsäule, keine Beinverkürzung und eine völlige Ausgleichsfähigkeit vor, sodaß den Ausführungen Dris. A, was die Kausalität der Wirbelsäulenveränderungen betreffe, voll zuzustimmen sei. Auch wenn im Zustand der Wirbelsäulenverhältnisse eine Änderung eingetreten sei, bestehe keine Abweichung hinsichtlich der Kausalitätsbeurteilung, zumal an den kausalen Leiden keine maßgebliche Änderung gegenüber dem Vergleichsgutachten zu verzeichnen sei, die eventuell maßgeblich für Sekundärauswirkungen in anderen Skelettbereichen wären. Der Sachverständige Dr. A habe in Kenntnis des Befundberichtes Dris. T die Gesamt-MdE aus medizinischer Sicht weiterhin mit 60 % eingestuft. Allenfalls teilweise kausale Veränderungen der Wirbelsäule würden die Gesamt-MdE nicht erhöhen. Das Gutachten Dris. A sei als schlüssig erkannt und daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden. Mangels einer für die Höhe der Leistung maßgeblichen Änderung habe eine Neubemessung der Beschädigtenrente des Beschwerdeführers gemäß § 52 Abs. 2 KOVG 1957 nicht stattzufinden. Die erneut vorgebrachten Einwendungen des Beschwerdeführers seien nicht geeignet, das Beweisverfahren zu erweitern, zumal die Entscheidung des LIA gemäß § 68 Abs. 1 AVG 1950 bei einer bloßen Änderung in der medizinischen Beurteilung nicht außer Kraft gesetzt werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht "auf richtige Anwendung der Bestimmungen des KOVG 1957" sowie in seinem Recht "auf richtige Anwendung der Verwaltungsvorschriften" verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG 1950 sind Anbringen von Beteiligten, die außer in den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Ein auf diese Gesetzesstelle gestütztes Vorgehen des LIA hinsichtlich der vom Beschwerdeführer beantragten Anerkennung von Veränderungen der Wirbelsäule als weitere Dienstbeschädigung hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid als den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend bestätigt. Sie ist dabei offenbar davon ausgegangen, daß sich der Sachverhalt in dieser Frage gegenüber jenem, welcher bereits dem Bescheid des LIA vom 31. März 1983 zugrunde gelegen war, nicht geändert habe; denn einer neuen Sachentscheidung steht die Rechtskraft eines früher in derselben Angelegenheit ergangenen Bescheides nur dann entgegen, wenn in den für die Entscheidung maßgebenden Umständen keine Änderung eingetreten ist (vgl. dazu etwa die bei Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze I, auf S. 672 f angeführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes).

Dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des LIA vom 31. März 1983 lag in der Frage der Anerkennung von Veränderungen in der Wirbelsäule ein Gutachten zugrunde, nach welchem diese Veränderungen "ausschließlich Folge eines alters- und verschleißbedingten Abnützungsprozesses, wie er auch bei einem gleichaltrigen Mann ohne durchgeführten Wehrdienst anzutreffen ist", gewesen seien. Auch im nunmehrigen Verfahren vor dem LIA wurden die Wirbelsäulenveränderungen und -beschwerden als rein degenerativ und altersbedingt und somit als akausal eingeschätzt.

Das von der belangten Behörde durchgeführte Berufungsverfahren hat aber davon abweichend Ermittlungsergebnisse erbracht, die auf eine seit dem 31. März 1983 eingetretene Änderung der maßgeblichen Umstände schließen lassen. Es hat nämlich nicht nur der den Beschwerdeführer behandelnde Arzt die Auffassung vertreten, daß die inzwischen eingetretenen Wirbelsäulenveränderungen zumindest zum Teil auf die anerkannte Dienstbeschädigung zurückgingen, sondern es ist insbesondere auch der Sachverständige Dr. A von seinem in erster Instanz erstatteten Gutachten in dieser Richtung abgegangen. Nach seinem Ergänzungsgutachten sind die nunmehr am Beschwerdeführer festgestellten Veränderungen an der Lendenwirbelsäule zu 1/2 als kausal anzusehen.

Die belangte Behörde hat sich mit diesen im Berufungsverfahren erzielten Beweisergebnissen im angefochtenen Bescheid nicht befaßt und insbesondere auch nicht ausgeführt, warum trotz einer daraus ableitbaren Veränderung der für die Anerkennung einer weiteren Dienstbeschädigung des Beschwerdeführers maßgebenden Umstände die Zurückweisung des darauf gerichteten Antrages des Beschwerdeführers durch das LIA "den gesetzlichen Bestimmungen" entsprechen würde.

Gemäß dem ersten Satz des § 4 Abs. 1 KOVG 1957 ist eine Gesundheitsschädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.

Der im Sinne des KOVG 1957 Geschädigte hat nach dieser Gesetzesstelle einen Anspruch darauf, daß sämtliche als Dienstbeschädigungen feststellbare Gesundheitsschädigungen bescheidmäßig anerkannt werden, und zwar nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch dann, wenn sie hinsichtlich der festzustellenden MdE nicht entscheidend ins Gewicht fallen. Bei der gemäß § 7 KOVG 1957 vorzunehmenden Einschätzung der MdE ist in jedem Falle von SÄMTLICHEN an dem Betroffenen feststellbaren kausalen Leiden auszugehen. Es kann dies insbesondere im Falle einer Verschlimmerung von Dienstbeschädigungsleiden für die dann neu vorzunehmende Einschätzung der Gesamt-MdE von entscheidender Bedeutung sein.

Auch wenn somit der Sachverständige Dr. A zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die von ihm zu 1/2 als kausal anerkannte Dienstbeschädigung "degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule" derzeit zu keiner Anhebung der medizinisch anerkannten Gesamt-MdE des Beschwerdeführers von 60 % führen könne, hätte sich die belangte Behörde mit dem von ihr als schlüssig angesehenen Gutachten Dris. A auch in der - von diesem Sachverständigen zuletzt für den Beschwerdeführer günstig beurteilten - Frage der Anerkennung einer weiteren Dienstbeschädigung befassen müssen. Für den Fall, daß die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren auch in dieser Frage dem Gutachten Dris. A folgt, wäre die vom LIA ausgesprochene Zurückweisung des diesbezüglichen Antrages des Beschwerdeführers wegen entschiedener Sache zu beheben. Daraus folgt, daß die belangte Behörde bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, wodurch die Relevanz dieses Mangels feststeht. Denn dann, wenn es gegenüber dem dem Bescheid vom 31. März 1983 zugrunde gelegenen Sachverhalt zu einer Verschlimmerung des Wirbelsäulenleidens des Beschwerdeführers gekommen ist, die auch nur zum Teil als kausal und damit als Dienstbeschädigung anzuerkennen wäre, würde sich die Zurückweisung des darauf abzielenden Antrags des Beschwerdeführers durch das LIA gemäß § 68 Abs. 1 AVG 1950 als Verletzung der subjektiven Rechte des Beschwerdeführers erweisen.

In diesem Falle hätte auch die Einschätzung der Gesamt-MdE des Beschwerdeführers - was im angefochtenen Bescheid mangels Anerkennung des Wirbelsäulenleidens als Dienstbeschädigung nicht geschehen ist - nur unter Einbeziehung auch der dritten anerkannten Dienstbeschädigung vorgenommen werden dürfen. Es erweist sich daher der angefochtene Bescheid nicht nur in der Frage der Anerkennung einer weiteren Dienstbeschädigung, sondern auch in der Frage einer allfälligen Neubemessung der Beschädigtenrente des Beschwerdeführers als mit der von diesem geltend gemachten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Der angefochtene Bescheid war deshalb zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Einschätzungsgrundsätze (hinsichtlich der richtsatzmäßigen Einreihung siehe KOVG RichtsatzV) Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989090087.X00

Im RIS seit

27.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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