TE Vwgh Erkenntnis 1990/6/27 89/03/0220

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Veröffentlicht am 27.06.1990
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
VStG §25 Abs2;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

N gegen Salzburger Landesregierung vom 9. Juni 1989, Zl. 9/01-31.044/1-1989, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 9. Juni 1989 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe dadurch, daß er am 12. Juli 1988 um

17.35 Uhr in Salzburg einen dem Kennzeichen nach bestimmten Personenkraftwagen in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand mit einem Blutalkoholgehalt von über 0,8 Promille durch die St. Julienstraße in Richtung Rainerstraße gelenkt habe, eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit § 5 Abs. 1 zweiter Satz StVO begangen. Über den Beschwerdeführer wurde auf Grund des § 99 Abs. 1 lit. a StVO eine Geldstrafe (Ersatzarreststrafe) verhängt. Zudem wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, gemäß § 67 VStG die Kosten des Strafverfahrens und gemäß § 5 Abs. 9 StVO die Kosten für die Blutuntersuchung zu ersetzen. Zur Begründung führte die Behörde unter anderem aus, daß beim Beschwerdeführer ein Blutalkoholgehalt zum Zeitpunkt der Blutabnahme von 3,06 %o festgestellt worden sei, was für den Tatzeitpunkt einen Blutalkoholwert von etwa 3,3 %o ergebe. Dem Einwand des Beschwerdeführers, daß er zur Tatzeit zurechnungsunfähig gewesen sei, wurde entgegnet, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein die Zurechnungsfähigkeit ausschließender Rauschzustand in der Regel erst bei einem Blutalkoholwert von 2,7 bis 3,0 %o auftrete. Damit sei aber keineswegs ausgesagt, daß nicht allenfalls auch bei einem höheren Blutalkoholwert die Zurechnungsfähigkeit des Täters noch gegeben sein könne. Im Beschwerdefall sei der Polizeiarzt anläßlich der kurz nach Beendigung des Lenkens erfolgten Untersuchung des Beschwerdeführers zum Ergebnis gelangt, daß der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt trotz des Vorliegens gravierender Alkoholisierungssymptome klar bei Bewußtsein und zurechnungsfähig gewesen sei. Da auch den nach zwei vom Beschwerdeführer verschuldeten Verkehrsunfällen einschreitenden Polizeibeamten eine Unzurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht aufgefallen sei, dieser sogar in der Lage gewesen sei, eine Atemluftuntersuchung mittels Alkoteströhrchens durchzuführen, erscheine die Annahme gerechtfertigt, daß der Beschwerdeführer auch beim Lenken des Fahrzeuges zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen sei. Diese Schlußfolgerung hätte nur widerlegt werden können, wenn der Beschwerdeführer im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens seine Zurückhaltung abgelegt und von sich aus eine Schilderung zur Frage gegeben hätte, an welche Ereignisse er sich noch erinnern könne, zu welchem Zeitpunkt eine Bewußtseinsstörung vorgelegen sei und wann das Erinnerungsvermögen eingesetzt habe. Hingegen vermöge das bloße Bezweifeln der Zurechnungsfähigkeit mit der Behauptung, daß der Untersuchungszeitpunkt mit der Lenkzeit nicht ident gewesen sei, eine Unzurechnungsfähigkeit zur Tatzeit nicht zu erweisen. Die Einholung eines gerichtsärztlichen Gutachtens habe in diesem Zusammenhang als unerheblich unterbleiben können, weil die Frage der Deliktsfähigkeit des Beschwerdeführers zur Tatzeit bereits durch die vorliegenden Beweisergebnisse eindeutig geklärt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bemängelt, daß die belangte Behörde das ihm aufgetragene und von ihm auch beigebrachte Gutachten des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Salzburg vom 30. Mai 1989, demzufolge er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Unfallszeitpunkt volltrunken gewesen sei und sich in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand der vollen Berauschung befunden habe, in keiner Weise berücksichtigt habe.

Diese Verfahrensrüge ist berechtigt. Gemäß § 25 Abs. 2 VStG sind die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden. Die Behörde ist demnach verpflichtet, auch auf ein Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen und darf sich nicht über erhebliche Behauptungen und Beweise ohne gegebenenfalls weitere Ermittlungen und Begründung hinwegsetzen. Liegen - wie im Beschwerdefall - widersprechende Beweisergebnisse vor, muß sie dazu in der Begründung, soll diese dem Gesetz entsprechen, im einzelnen Stellung nehmen und schlüssig darlegen, was sie veranlaßt hat, dem einen Beweismittel mehr Vertrauen entgegenzubringen als dem anderen. Die belangte Behörde, die in der Gegenschrift zugesteht, dem Beschwerdeführer Gelegenheit geboten zu haben, zwecks Glaubhaftmachung seiner Unzurechnungsfähigkeit zur Tatzeit ein ärztliches Gutachten beizubringen, auf dieses aber bei der Fällung der Berufungsentscheidung nicht Bedacht genommen hat, hätte sich demnach im Rahmen ihrer Beweiswürdigung auch mit dem vom Beschwerdeführer beigebrachten privatärztlichen Gutachten, das in der Frage der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers zur Tatzeit dem anläßlich der klinischen Untersuchung vom Amtsarzt erstatteten Gutachten widerspricht, auseinandersetzen und die Gedankengänge aufzeigen müssen, die dafür maßgebend waren, daß sie das Gutachten des Amtsarztes dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Gutachten vorzog. Die in der Gegenschrift vertretene Ansicht der belangten Behörde, daß sie im gegenständlichen Fall berechtigt gewesen sei, den Feststellungen des Polizeiarztes anläßlich der klinischen Untersuchung und den sonst vorliegenden Tatumständen, welche für eine Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers zur Lenkzeit sprechen, vollen Beweiswert zuzuerkennen, wobei ein näheres Eingehen auf die Ausführungen im privatärztlichen Gutachten nicht geboten gewesen sei, kann sohin nicht gefolgt werden. Im übrigen ist die belangte Behörde zu den weiteren Darlegungen in der Gegenschrift daran zu erinnern, daß diese die fehlenden Erörterungen und Feststellungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu ersetzen vermögen.

In Hinsicht auf die Ausführungen in dem vom Beschwerdeführer vorgelegten privaten Gutachten des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Salzburg, in dem unter anderem darauf hingewiesen wurde, es stünde die Feststellung einer schlechten örtlichen und zeitlichen Orientierung zur weiteren Feststellung, daß das Bewußtsein des Beschwerdeführers klar war, in Widerspruch, und das insoweit nicht näher begründete Gutachten des Amtsarztes - im Formblatt wurde in der Rubrik "Der Untersuchte ist - nicht - zurechnungsfähig" vom untersuchenden Arzt lediglich das Wort "nicht" gestrichen, wird im fortgesetzten Verfahren die Einholung eines Gutachtens des der belangten Behörde beigegebenen ärztlichen Amtssachverständigen - allenfalls nach Einvernahme der beiden Polizeibeamten über das Gebaren und Verhalten des Beschwerdeführers anläßlich der Anhaltung, insbesondere über Wahrnehmungen von Auffälligkeiten, die über die mit einer wenn auch schweren Alkoholbeeinträchtigung normalerweise verbundenen hinausgehen, und allenfalls auch nach Einvernahme der beiden Ärzte, die das anläßlich der klinischen Untersuchung erstellte Gutachten unterschrieben haben, zu dem in dem vom Beschwerdeführer beigebrachten Gutachten angeführten Widerspruch und zu den Beweggründen für ihr Urteil, daß der Beschwerdeführer zurechnungsfähig sei - wohl unerläßlich sein.

Da die belangte Behörde das vom Beschwerdeführer beigebrachte Gutachten unberücksichtigt ließ, wurde nicht nur der Beschwerdeführer in der Verfolgung seiner Rechte, sondern auch der Verwaltungsgerichtshof an einer nachprüfenden Kontrolle gehindert. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren war in Hinsicht auf die Pauschalierung des Schriftsatzaufwandes abzuweisen.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelBegründung BegründungsmangelBeweiswürdigung Wertung der BeweismittelParteiengehörSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989030220.X00

Im RIS seit

27.06.1990

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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