TE Vwgh Erkenntnis 1990/6/27 90/18/0055

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Veröffentlicht am 27.06.1990
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §4 Abs5;

Betreff

R gegen Wiener Landesregierung vom 29. Jänner 1990, Zl. MA 70-11/1220/89/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenem Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 29. Jänner 1990 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug für schuldig erkannt, er habe es am 21. März 1989 um 20.00 Uhr in Wien 12, Canalettogasse 9, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws und an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang stehend unterlassen, ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle von dem Verkehrsunfall in Kenntnis zu setzen. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; die von der ersten Instanz verhängten Geld- und Ersatzarreststrafen wurden herabgesetzt. Nach der Begründung des Berufungsbescheides sei der Beschwerdeführer, trotz seines Leugnens, als Lenker des Kraftfahrzeuges zur Tatzeit am Tatort anzusehen. Der Amtssachverständige der Magistratsabteilung 46 sei nach Besichtigung beider unfallbeteiligten Fahrzeuge und nach Vermessung der möglichen Kontaktzonen zu dem Ergebnis gekommen, daß die von den Zeugen E und P geschilderte Situation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, ferner, daß dem Lenker des schädigenden Fahrzeuges angesichts der Größe der Schäden die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit Sachschaden bei gehöriger Aufmerksamkeit akustisch und optisch hätte zum Bewußtsein kommen müssen. Die Berufungsbehörde folge diesem Gutachten. Da dem Beschwerdeführer bei gehöriger Aufmerksamkeit auf Grund objektiver Umstände der Verkehrsunfall mit Sachschaden hätte zum Bewußtsein kommen müssen, sei er verpflichtet gewesen, die nächste Polizeidienststelle hievon ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Dieser Verpflichtung sei der Beschwerdeführer aber nicht nachgekommen, weshalb die Tat als erwiesen anzunehmen gewesen sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Rechtswidrigkeit des Inhaltes liegt nicht vor, da die Beschwerde unter diesem Gesichtspunkt Umstände vorbringt, die allenfalls einen Verfahrensmangel begründen könnten. Die belangte Behörde ging nämlich durchaus von der richtigen Rechtsansicht aus, daß das Tatbestandsmerkmal "Eintritt eines Sachschadens" sowohl in der Schuldform der positiven Kenntnis - also des Vorsatzes - als auch in der Schuldform der Unkenntnis bei Unterlassung gehöriger Aufmerksamkeit - also in der Schuldform der Fahrlässigkeit - begangen werden könne (so die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, z.B. Erkenntnis vom 25. Februar 1983, Zl. 81/02/0038 und die dort zitierte weitere Judikatur).

Es liegen aber folgende Verfahrensmängel vor:

Bei der Verwertung des Gutachtens des Amtssachverständigen der Magistratsabteilung 46 unterliefen in wesentlichen Punkten zwei Aktenwidrigkeiten: Der Amtssachverständige führte im letzten Absatz seines Gutachtens wörtlich aus:

"Das Ausmaß der Beschädigungen ist so groß, daß es nicht auszuschließen ist, daß dem Lenker des Fahrzeuges (W nnn.nnn) bei gehöriger Aufmerksamkeit die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit Sachschaden akustisch und haptisch zu Bewußtsein kommen hätte müssen."

Die belangte Behörde ließ den Satzteil im Gutachten "daß es nicht auszuschließen ist, ..." völlig unbeachtet und ersetzte das Wort "haptisch" (= den Tastsinn betreffend) durch das Wort "optisch". Die erstgenannte Aktenwidrigkeit führte dazu, daß ein nicht auszuschließender Umstand im angefochtenen Bescheid zum erwiesenen Umstand wurde, die zweitangeführte Aktenwidrigkeit betrifft die Art und Weise, in der der Lenker vom Eintritt des Sachschadens hätte Kenntnis nehmen können - nämlich durch das Gefühl oder durch den Gesichtssinn. Beide Fragen betreffen nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes wesentliche Punkte der oben aufgezeigten Rechtsfrage - vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Kenntnis vom Eintritt des Sachschadens.

Es liegt aber noch ein weiterer Verfahrensmangel vor:

Schon im Bericht des Sicherheitswachebeamten F vom 8. April 1989 wird erwähnt, daß an diesem Tage am gegenständlichen Kraftfahrzeug des Beschwerdeführers an der linken Fahrzeugseite sowohl an der Fahrertüre sowie teilweise auch an der Schiebetüre Kratzspuren im Lack in einer Höhe von etwa 50 cm festzustellen waren. Der Zeuge E sagte am 9. Mai 1989 unter anderem aus, es sei zu einer Kollision zwischen dem abgestellten Auto und der linken hinteren Seite des VW-Busses (des Beschwerdeführers) gekommen, es sei "glaublich die Stoßstange" gewesen. Am 26. Mai 1989 sagte der Beschwerdeführer als Beschuldigter aus, die am 8. April 1989 vom SWB F festgestellten Beschädigungsspuren stammten von einem Unfall am 26. März 1989 in Wien 15, Goldschlagstraße Nr. 74, mit dem Kraftfahrzeug der L, welches Kraftfahrzeug das geparkte Kraftfahrzeug des Beschwerdeführers gerammt habe. Der Amtssachverständige der Magistratsabteilung 46 schwieg über Schäden auf der linken Seite des VW-Busses und stellte nur fest, die hintere Stoßstangenecke weise keine sichtbaren Verformungen auf. Schließlich fügte der Beschwerdeführer seiner abermaligen Vernehmung als Beschuldigter am 10. November 1989 in türkischer Sprache hinzu (Übersetzung im Aktenvermerk vom 10. November 1989) man solle den Verkäufer des Pkws K "zum Unfall befragen", ohne daß geklärt worden wäre, ob dieser offenbar beim Unfall nicht Anwesende allenfalls Angaben über frühere Beschädigungen an der linken Seite des Kraftfahrzeuges hätte machen können.

Infolge der sich aus § 25 Abs. 2 VStG 1950 ergebenden Verpflichtung der belangten Behörde, wonach die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen sind, wie die belastenden, wäre es ihre Pflicht gewesen, entweder eindeutig auszusprechen, daß die

- schließlich von einem Sicherheitswachebeamten wahrgenommenen - Beschädigungen am Kraftfahrzeug des Beschwerdeführers mit dem vorliegenden Unfall nichts zu tun haben oder, wenn dies nicht ausgeschlossen werden kann, durch Vernehmung der Zeugen L und K zu klären, ob die Beschädigungen auf der linken Seite des Kraftfahrzeuges von einem anderen Unfall herrührten.

Durch die Unterlassung solcher Feststellungen oder der Ergänzung des Ermittlungsverfahrens in dieser Richtung wurden Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990180055.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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