TE Vwgh Erkenntnis 1990/7/3 87/14/0156

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Veröffentlicht am 03.07.1990
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;
40/01 Verwaltungsverfahren;
53 Wirtschaftsförderung;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
BAO §115 Abs2;
EStG 1972 §23;
InvestPrämG §3 idF 1984/128 ;

Beachte

Besprechung in: ÖStZB 1990, 442;

Betreff

N reg GenmbH gegen Finanzlandesdirektion für Tirol vom 17. Juli 1987, Zl 30.058-3/87 betreffend Investitionsprämie für das vierte Kalendervierteljahr 1984 und das zweite Kalendervierteljahr 1985

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von 11.190 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine im Jahr 1939 gegründete registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, hat zunächst lediglich den Handel mit landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln betrieben. Im Jahr 1979 änderte sie ihre Satzung, wobei als weiterer Zweck insbesondere die Be- und Verarbeitung von land- und forstwirtschaftlichen Produkten genannt wurde.

Die Beschwerdeführerin besitzt zwei räumlich getrennte Grundstücke. Auf einem befinden sich die Verwaltung, der Maschinen- und Geräteverkauf sowie die Landmaschinenreparaturwerkstätte. Auf dem anderen befand sich bis zum Jahr 1983 lediglich ein in den Jahren 1976/77 errichtetes Lagerhaus, in dem Dünge- und Futtermittel aufbewahrt werden.

In den Jahren 1984/85 errichtete die Beschwerdeführerin unmittelbar neben dem bereits bestehenden Lagerhaus einen Getreidesilo samt Mischfuttererzeugungsanlage. Diese Baulichkeit schließt über eine 30 cm dicke Wand mit zwei Verbindungsöffnungen an das bestehende Lagerhaus an und ist mit abgestuften Vorbauten versehen, die der Lagerung von Vorprodukten für die Mischfuttererzeugung dienen. Die Produktion des Mischfutters erfolgt durch Mischen verschiedener vorbearbeiteter Getreidesorten mit Zuschlägen (Kleie, Soja, Rübenschnitte, Grünmehl, Malzkeime, Milchpulver, Tiermehl, Fischmehl, Futterkalk etc), wobei der Anteil des Getreides bis zu 60 % beträgt. Es werden 17 Sorten Mischfutter erzeugt. Das Mischfutter wird an der bereits in den Jahren 1976/77 errichteten Laderampe des Lagerhauses abgegeben.

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist strittig, ob mit der Errichtung des Getreidesilos samt Mischfuttererzeugungsanlage eine gewerbliche Produktionsstätte im Sinn der Bestimmungen des § 3 IPrG, idF BGBl Nr 128/1984, errichtet oder eine bestehende Betriebsstätte nur erweitert wurde. Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sind sich im übrigen darin einig, daß die sonstigen Tatbestandserfordernisse des § 3 leg cit für alle in den gemäß § 5 leg cit vorgelegten Verzeichnissen enthaltenen Maschinen und maschinellen Anlagen - ausgenommen einen gebraucht gekauften Quetschstuhl - erfüllt sind.

Wie schon das Finanzamt vertritt auch die belangte Behörde unter Hinweis auf den baulichen Zusammenhang und die räumliche Nähe des Lagerhauses zum neu errichteten Getreidesilo samt Mischfuttererzeugungsanlage im nunmehr angefochtenen Bescheid die Ansicht, es sei eine seit Jahren bestehende Betriebsstätte (Lagerhaus) erweitert worden, weswegen die Bestimmungen des Investitionsprämiengesetzes nicht anwendbar seien. Aber selbst wenn die Errichtung einer neuen Betriebsstätte in den Jahren 1984/85 unterstellt werden sollte, sei von einer gemischten Tätigkeit auszugehen, hinsichtlich derer der Bundesminister für Finanzen in Beantwortung einer Anfrage der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 4. September 1984 folgende Aussage getroffen habe:

"Während eine Getreidesiloanlage zum Wirtschaftszweig Lagerung zählt, kommt einer Betriebsstätte, in der eine Mischfuttererzeugungsanlage betrieben wird, die Eigenschaft einer gewerblichen Produktionsstätte zu. Sollen sowohl Lagerung von Getreide als auch Produktion von Mischfutter von einer Baulichkeit aus erfolgen, ist nur dann insgesamt eine gewerbliche Produktionsstätte gegeben, wenn in der Baulichkeit überwiegend (gemessen an der Wertschöpfung) produziert wird, das heißt die in der Erzeugung von Mischfutter erzielte Wertschöpfung im Verhältnis zu jener, die sich aus der Lagertätigkeit ergibt, überwiegt."

Die Beschwerdeführerin sei daher ersucht worden, "für den Zeitraum, in dem die Mischfuttererzeugungsanlage zum ersten Mal in vollem Betrieb war, die Bruttowertschöpfungen aus der im Neubau ausgeübten Lagertätigkeit einerseits und der Mischfuttererzeugung andrerseits zu ermitteln und diese Berechnungen vorzulegen". Dazu habe die Beschwerdeführerin mitgeteilt, daß der Rohertrag der in den Monaten Oktober und November 1985 eingekauften Getreidemengen für die Lagerung bis 31. Dezember 1985 68.600 S und 22.080 S betragen habe. Vom Getreidelieferanten sei ihr aber für das Jahr 1985 eine Verzinsung von 11,75 % angelastet worden, wodurch sich der Ertrag aus der Lagerung bereits ohne Lagerkosten, Schwund etc aufhebe. Aus der Gegenüberstellung der Einstands- und der Verkaufspreise der im Jahr 1985 erzeugten Mischfuttermengen ergebe sich hingegen ein Rohertrag von 256.050 S, was bei den einzelnen Futtermischungen einen Rohaufschlag von 30,66 % (beim mengenmäßig weitaus überwiegenden Milchmischfutter) bis 72,79 % (beim Hühnerkörnerfutter) bedeute. Aus der Lagerung des bisher als Handelsware zugekauften Futtergetreides hätten in den Jahren 1984 und 1985 nur Rohaufschläge von 22,40 % und 22,21 % erzielt werden können. Mit den bekanntgegebenen Roherträgen habe daher die Beschwerdeführerin - unterstelle man eine Betriebsstättenneuerrichtung - nicht nachgewiesen, daß die Wertschöpfung aus der produzierenden Tätigkeit überwiege. Verstehe doch die Betriebswirtschaftslehre unter dem Begriff "Wertschöpfung" den Überschuß der vom Betrieb abgegebenen Leistungswerte über die von anderen Betrieben erworbene Leistungen (Vorleistungen), somit den Betrag, den der Betrieb dem Sozialprodukt hinzufüge. Als derzeit am besten geeignet, die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens zum Ausdruck zu bringen, werde die Bruttowertschöpfung erachtet, die sich aus den Komponenten Löhne und Gehälter, Sozialkosten, Steuern, Fremdkapitalzinsen, Mieten und Pachten, Gewinn sowie Abschreibungen zusammensetze.

In der Beschwerde wird sowohl inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides als auch dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Beschwerde sind Wertschöpfungsberechnungen (Entstehungsrechnung, Verteilungsrechnung) sowohl für alle auf dem Grundstück befindlichen Baulichkeiten als auch solche, in denen die Wertschöpfung auf den Lager- und Handelsbetrieb einerseits und den Produktionsbetrieb anderseits aufgeteilt wird, angeschlossen. Aus diesen Berechnungen ergibt sich, daß die Wertschöpfung des Produktionsbetriebes bedeutend höher ist, als die des Lagerbetriebes.

In ihrer Gegenschrift beantragt die belangte Behörde, die Beschwerde als unbegründet und kostenpflichtig abzuweisen.

Die Beschwerdeführerin gab eine Stellungnahme zur Gegenschrift ab, worauf die belangte Behörde replizierte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Neben zahlreichen anderen Voraussetzungen erfordert § 3 IPrG, daß nach dem 31. Dezember 1983 mit der Errichtung der Betriebsstätte begonnen wird, wobei als Betriebsstätten nur gewerbliche oder industrielle Produktionsstätten gelten, die sich nicht mit dem Abbau von Bodensubstanzen oder sonstigen natürlichen Vorkommen jeder Art und Bauausführungen befassen (in der Folge: Produktionsstätte).

Der Gesetzeswortlaut bedingt die Differenzierung zwischen Betriebsstättenneuerrichtung und Betriebsstättenerweiterung. Von Bedeutung ist dabei die örtliche Nähe und der bauliche Zusammenhang des neu errichteten Objektes mit anderen Baulichkeiten, somit die Frage nach der Einheit oder Mehrheit von Betriebsstätten. Nur Produktionsstätten aber sind Betriebsstätten im Sinn des § 3 leg cit. So wichtig deshalb die genannten Kriterien sein mögen, um zu beurteilen, ob neben bereits bestehenden Produktionsstätten eine neue Produktionsstätte errichtet worden ist, so bedeutungslos sind sie, wenn - wie im vorliegenden Fall - erstmals ein Produkt erzeugt wird. Denn mangels einer früher bestehenden Produktionsstätte kann eine solche nur neu errichtet worden sein.

Eine gewerbliche oder industrielle Produktionsstätte liegt dann vor, wenn in einer wirtschaftlichen Einheit, aus der Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinn des § 23 EStG erzielt werden, überwiegend körperliche oder unkörperliche Wirtschaftsgüter gefertigt werden. Dabei ist es unerheblich, welche Tätigkeiten außerhalb dieser wirtschaftlichen Einheit ausgeübt werden.

Die im vorliegenden Fall zu beurteilende wirtschaftliche Einheit besteht aus einer Produktionsstätte (Mischfuttererzeugung) und einer Lagerstätte (Getreidesilo und Lagerhaus). Hinsichtlich der in der neu errichteten Produktionsstätte getätigten Investitionen für Maschinen und maschinelle Anlagen sind daher grundsätzlich die Bestimmungen des Investitionsprämiengesetzes anwendbar. Offen bleibt nur mehr die Frage, ob und gemessen an welchen Bezugsgrößen die Produktion überwiegt (vgl das bereits zitierte Schreiben des Bundesministers für Finanzen vom 4. September 1984). Mit dieser Frage hat sich die belangte Behörde jedoch nur unzureichend auseinandergesetzt. Zwar ist die Wertschöpfung ein durchaus geeigneter Maßstab, um Bezugsgrößen festzustellen. Es geht aber nicht an, eine umfassende Gegenüberstellung der Roherträge und Rohaufschläge aus dem Lagergeschäft und der Produktion, wie sie die Beschwerdeführerin auf Vorhalt der belangten Behörde verfaßt hat, allein deshalb zu verwerfen, weil die belangte Behörde im Sinn der Betriebswirtschaftslehre ihrer Entscheidung ein anderes Verständnis des Begriffes "Wertschöpfung" zu Grund gelegt hat. Zu Recht rügt daher die Beschwerdeführerin, daß dieses Verständnis des Begriffes "Wertschöpfung" erstmals im angefochtenen Bescheid dargelegt worden ist. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, das von ihr dem Begriff "Wertschöpfung" zu Grund gelegte Verständnis der Beschwerdeführerin im Sinn des § 115 Abs 2 BAO vorzuhalten, um es ihr so zu ermöglichen, eine Berechnung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen vorzunehmen.

Die belangte Behörde hat somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl Nr 206, insbesondere deren Art III. Mit dem für Schriftsatzaufwand gemäß § 49 Abs 1 ersten Satz VwGG vorgesehenen PAUSCHbetrag nach Art I A 1 der zitierten Verordnung gilt der gesamte mit der Einbringung der Beschwerde verbundene Schriftsatzaufwand als ersetzt. Der in der Stellungnahme begehrte Schriftsatzaufwand war daher nicht zuzuerkennen.

Schlagworte

Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1987140156.X00

Im RIS seit

03.07.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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