TE Vfgh Erkenntnis 1987/11/27 B463/87

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Veröffentlicht am 27.11.1987
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
PersFrSchG §4
VStG 1950 §53 Abs1
VfGG §88

Leitsatz

Vorführung zum Antritt einer nach der StVO verhängten Ersatzfreiheitsstrafe (Festnehmung und Anhaltung) ohne die in §53 Abs1 VStG zwingend vorgeschriebene Aufforderung zum Antritt der Freiheitsstrafe - Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit; Vollstreckung einer im Landesvollzugsbereich verhängten Strafe - Kostenersatz durch das Land (Wien)

Spruch

Der Bf. ist dadurch, daß er am 30. März 1987 durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen und in der Folge etwa 45 Minuten angehalten worden ist, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Das Land Wien ist schuldig, dem Bf. die mit 11.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Bundespolizeidirektion Wien-Bezirkspolizeikommissariat (Kommissariat) Innere Stadt, erkannte mit Strafverfügung vom 13. Oktober 1986 den Bf. einer Übertretung nach §24 Abs1 lita StVO 1960 schuldig und verhängte über ihn gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe von 800 S und eine Ersatzarreststrafe von 48 Stunden. Die Strafverfügung wurde rechtskräftig.

Da die Geldstrafe nicht bezahlt wurde, ersuchte das Kommissariat Innere Stadt am 26. März 1987 das Kommissariat Landstraße, die Geldstrafe zu vollziehen.

Ohne daß eine Aufforderung an den Bf. ergangen wäre oder irgendwelche Feststellungen über seine Zahlungsfähigkeit erfolgt wären, nahmen Kriminalbeamte des Kommissariates Landstraße am 30. März 1987 um etwa 21,00 Uhr im Rahmen einer "Sonderstreifung" den Bf. in seiner Wohnung fest; die Beamten meinten irrtümlich, es bestehe der Auftrag, (außer anderen Personen) auch den Bf. zum Antritt einer (Ersatz-)Arreststrafe vorzuführen.

Der Bf. wurde ins Kommissariatsgebäude gebracht und dort angehalten. Nachdem eine andere Person den Strafbetrag von 800 S erlegt hatte, wurde der Bf. um etwa 21,45 Uhr freigelassen.

2. Gegen die Festnehmung und Anhaltung richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit behauptet wird, diese Rechtsverletzung festzustellen.

Die Bundespolizeidirektion Wien legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift. Darin wird die behauptete Rechtsverletzung nicht in Abrede gestellt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die in Pkt. I.1. getroffenen Feststellungen stützen sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und das in den hier wesentlichen Belangen übereinstimmende Vorbringen der Parteien.

2.a) Es ist unbestritten, daß die geschilderte Festnehmung und Anhaltung stattgefunden hat. Ein derartiges Vorgehen ist ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergehender Verwaltungsakt, der nach Art144 B-VG beim VfGH bekämpfbar ist.

b) Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §53 VStG 1950. Der Bf. wäre aber dann durch die Festnehmung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden, wenn die Festnehmung in dieser Gesetzesvorschrift nicht gedeckt wäre.

c) Die Gesetzmäßigkeit des Vollzugs einer Freiheitsstrafe ist zunächst davon abhängig, daß die betreffende Verwaltungsstrafe rechtskräftig verhängt ist. Dies war hier unbestritten der Fall.

Wie der VfGH in ständiger Rechtsprechung erkannt hat (vgl. zB VfSlg. 8770/1980 und 10555/1985 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur) ist die Gesetzmäßigkeit des Vollzugs einer Freiheitsstrafe, und zwar auch einer Ersatzarreststrafe, aber weiters davon abhängig, daß die in §53 Abs1 VStG 1950 zwingend vorgesehene Aufforderung zum Antritt der Freiheitsstrafe ergangen ist.

Eine solche Aufforderung ist dem Bf. aber nicht zugestellt worden.

d) Die Festnehmung und Anhaltung des Bf. waren daher schon deshalb in §53 VStG 1950 nicht gedeckt. Der Bf. wurde deshalb in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.

3. Die Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden, da die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des VfGH bereits genügend klargestellt sind.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 1.000 S enthalten.

Da es sich um die Vollstreckung einer im Landesvollziehungsbereich verhängten Strafe handelt, war das Land (Wien) zum Kostenersatz zu verpflichten (vgl. zB VfSlg. 8770/1980).

Schlagworte

Verwaltungsstrafrecht, Vollzug Strafe, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B463.1987

Dokumentnummer

JFT_10128873_87B00463_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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