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64 Besonderes Dienst- und Besoldungsrecht;Norm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Denkmögliche Anwendung des §63 Abs3 im Anlaßverfahren betreffen die Untersagung der Ausübung einer Kontrollfunktion in einem Aufsichtsrat gem. §63 Abs2 - Präjudizialität einiger Worte in §63 Abs3; Unsachlichkeit der Ausnahmebestimmung, die nur die Interessen des Bundes als Dienstgeber als rechtfertigend für die Ausübung einer Kontrollfunktion in einem Aufsichtsrat ansieht; Aufhebung einiger Worte in §63 Abs3 als verfassungswidrigSpruch
1. In §63 Abs3 des BG vom 14. Dezember 1961, BGBl. Nr. 305, über das Dienstverhältnis der Richter und Richteramtsanwärter (Richterdienstgesetz-RDG), wird die Wortfolge "dies im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen ist oder" als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1988 in Kraft.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
2. Im übrigen wird das Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien untersagte dem Richter des Landesgerichtes Eisenstadt Dr. F S mit Bescheid vom 4. Juli 1985, Z Jv 7051-1b/85, die von diesem am 6. Mai 1985 gemeldete Nebenbeschäftigung als Mitglied des Aufsichtsrates der Burgenländischen Elektrizitätswirtschafts-Aktiengesellschaft
(BEWAG).
2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte Dr. F S aus, daß er die Tätigkeit im Aufsichtsrat der erwähnten Kapitalgesellschaft auf Grund seiner politischen Funktion als Mitglied des Burgenländischen Landtages ausübe. Ihm dürfe das verfassungsmäßig gewährleistete Recht auf freie Ausübung seines Mandates durch §63 RDG nicht genommen werden.
Mit Bescheid vom 3. September 1985, Z2145/5-III 4/85, gab der Bundesminister für Justiz der Berufung nicht Folge.
Begründend wurde ua. ausgeführt, daß auch das Vorliegen der Voraussetzungen des §63 Abs3 RDG zu verneinen sei; dieser Feststellung wurde eine ausführliche Begründung angefügt.
3. Der Richter Dr. F S stellte mit Schreiben vom 23. Juli 1985 an den Bundesminister für Justiz den Antrag, ihm gemäß §63 Abs3 RDG die Ausübung seiner Aufsichtsratsfunktion bei der BEWAG zu genehmigen.
Der Bundesminister für Justiz gab dem Ansuchen, dem Richter Dr. F S gemäß §63 Abs3 RDG zu gestatten, daß er dem Aufsichtsrat der Burgenländischen Elektrizitätswirtschafts-Aktiengesellschaft (BEWAG) angehöre, mit Bescheid vom 4. September 1985, Z2145/6-III 4/85, nicht Folge.
In der Begründung wurde ausgeführt, daß die Tätigkeit bei der BEWAG entgeltlich ausgeübt werde, daß diese Tätigkeit nicht im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen sei, daß sie nicht der Förderung humanitärer Bestrebungen oder wirtschaftlicher Verhältnisse von öffentlichen Bediensteten oder deren Angehörigen diene. Schließlich wurde ausgeführt, daß die Ausübung eines politischen Mandates nicht auch die Tätigkeit im Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft umfasse, die im Eigentum eines Bundeslandes stehe.
4. Gegen diese unter 2. und 3. angeführten Bescheide des Bundesministers für Justiz vom 3. September 1985 und vom 4. September 1985 richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des Richters Dr. F S, in der dieser die Verletzung der verfassungsgesetzlich geschützten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 Abs1 B-VG, auf ungeschmälerte Ausübung der politischen Rechte durch öffentlich Bedienstete gemäß Art7 Abs2 B-VG und freie Mandatsausübung nach Art22 der Burgenländischen Landesverfassung (L-VG) in Verbindung mit Art95 B-VG und Art26 L-VG geltend macht, ferner anregt, §63 Abs3 RDG auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt.
5. Der VfGH hat aus Anlaß der von Dr. F S erhobenen Beschwerden gemäß Art140 Abs1 B-VG mit Beschluß vom 1. Dezember 1986, B785, 786/85, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §63 Abs3 RDG eingeleitet.
6. §63 RDG hat folgenden Wortlaut:
"§63. (1) Der Richter darf neben seinem Amt keiner Beschäftigung nachgehen und keine Stellung annehmen, die der Würde seines Amtes widerstreiten oder die ihn in der Erfüllung seiner Dienstpflichten behindern oder die Vermutung der Befangenheit in Ausübung des Dienstes hervorrufen könnten.
(2) Dem Richter ist untersagt, dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft anzugehören.
(3) Ausnahmsweise kann das Bundesministerium für Justiz gestatten, daß ein Richter dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft ohne Entgelt angehört, wenn dies im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen ist oder es sich um Gesellschaften handelt, die ausschließlich die Förderung humanitärer Bestrebungen oder wirtschaftlicher Verhältnisse von öffentlich Bediensteten oder deren Angehörigen zum Zwecke haben.
(4) Jede erwerbsmäßige Nebenbeschäftigung ist der Dienststelle zu melden."
7. Der Beschluß vom 1. Dezember ist im wesentlichen wie folgt begründet:
"Der VfGH geht vorläufig davon aus, daß keine sachliche Rechtfertigung dafür zu finden ist, einem Richter ausnahmsweise zu gestatten, für den Bund im unmittelbaren Bundesinteresse eine Kontrollfunktion im Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft auszuüben, ihm aber die Ausübung einer solchen Kontrollfunktion im Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft im unmittelbaren Landes- oder Gemeindeinteresse ausnahmslos zu verwehren."
8. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den Antrag stellte, der VfGH möge aussprechen, daß §63 Abs3 RDG nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird. Für den Fall der Aufhebung möge der VfGH gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.
Sie regt an, die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit auf die Wortfolge "dies im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen ist oder" einzuschränken.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der Bundesminister für Justiz entschied zwar in dem mit Bescheid zweiter Instanz vom 3. September 1985 abgeschlossenen Verfahren nur über die Untersagung der Tätigkeit des Richters gemäß §63 Abs2 RDG. Hiebei faßte er jedoch die Möglichkeit der nachträglichen Genehmigung gemäß §63 Abs3 RDG ins Auge und begründete besonders ausführlich, warum die Voraussetzungen hiefür nicht vorlägen. Die bel. Beh. wendete demnach §63 Abs3 RDG denkmöglich auch bei Erlassung dieses Bescheides an und der VfGH hätte daher im Sinne des Art140 Abs1 B-VG diese Gesetzesstelle bei der Prüfung des Bescheides anzuwenden. §63 Abs3 RDG ist daher auch für die Prüfung dieses Bescheides präjudiziell.
2. Der VfGH ist in Übereinstimmung mit der Bundesregierung der Auffassung, daß sich seine im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des §63 Abs3 RDG ausschließlich gegen die Wortfolge "dies im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen ist oder" richten. Zwischen dieser Wortfolge und dem übrigen Wortlaut des §63 Abs3 RDG besteht kein untrennbarer Zusammenhang. Der verbleibende Teil des Gesetzes würde durch die auf diese Wortfolge eingeschränkte Aufhebung auch keinen grundsätzlichen Bedeutungswandel erfahren.
Das Gesetzesprüfungsverfahren war sohin, soweit es sich nicht auf die angeführte Wortfolge bezieht, einzustellen, weil eine mögliche Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ausschließlich in dieser Wortfolge ihren Sitz hat.
Hinsichtlich dieser Wendung ist jedoch das Gesetzesprüfungsverfahren, da auch die übrigen Voraussetzungen vorliegen, zulässig.
3. Nach Ansicht der Bundesregierung macht der Bundesgesetzgeber von seinen ihm eingeräumten rechtspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten keinen den Gleichheitsgrundsatz verletzenden Gebrauch, wenn er den den Bund als Dienstgeber unmittelbar berührenden Interessen eine größere Bedeutung beimißt als den Interessen anderer Gebietskörperschaften. Im Rahmen einer dienstrechtlichen Regelung erscheint nach Meinung der Bundesregierung eine an der Dienstgeberpersönlichkeit orientierte Differenzierung durchaus sachlich.
Der VfGH ist der Auffassung, daß - ungeachtet des bundesstaatlichen Aufbaues der Republik Österreich - kein sachlicher Grund dafür besteht, daß der Bundesgesetzgeber einem Richter oder Verwaltungsbeamten die Tätigkeit in einem Aufsichtsrat (oder Vorstand) einer Kapitalgesellschaft in unmittelbarem Bundesinteresse ausnahmsweise ermöglicht, eine solche im öffentlichen Interesse ausgeübte Tätigkeit aber ausnahmslos untersagt, auch wenn es sich um die Interessen eines Landes handelt, also nur die Interessen des Bundes als Dienstgeber als rechtfertigende öffentliche Interessen ansieht, nicht aber gleichartige Interessen anderer Gebietskörperschaften.
Auch die Bundesregierung konnte die Sachlichkeit einer solchen Regelung nicht aufzeigen. Die Anknüpfung an die Dienstgebereigenschaft des Bundes genügt hiefür jedenfalls nicht.
Die vom VfGH im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken treffen daher zu.
Die Wortfolge "dies im unmittelbaren Bundesinteresse gelegen ist oder" in §63 Abs3 RDG war sohin als verfassungswidrig aufzuheben.
4. Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG 1953 idF. BGBl. 297/1984 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Dienstrecht Richter, NebentätigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:G49.1987Dokumentnummer
JFT_10128870_87G00049_00