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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §6;Betreff
N gegen Disziplinaroberkommission für Unteroffiziere und Chargen beim Korpskommando II vom 30. Jänner 1990, Zl. 1/4-DOKUOCH II/89, betreffend Disziplinarstrafe der Geldbuße
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der beantragten Höhe von S 9.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht als Vizeleutnant in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er ist Soldat iS des § 1 Abs. 2 Z. 2 des Heeresdisziplinargesetzes 1985, BGBl. Nr. 294 (HDG). Seine Dienststelle ist das Kasernenkommando X-Kaserne, Militärkommando Tirol.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 30. Jänner 1990 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe durch Verteilung eines Flugblattes innerhalb des militärischen Dienstbereiches einen Akt parteipolitischer Betätigung gesetzt. Er habe damit schuldhaft (fahrlässig) die in § 46 Abs. 3 WehrG, § 43 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 1 BDG 1979, § 3 Abs. 1 und 2 ADV normierten Dienst- und Meldepflichten verletzt und einige - im einzelnen näher zitierte - Erlässe des Bundesministeriums für Landesverteidigung nicht befolgt. Über den Beschwerdeführer wurde die Disziplinarstrafe der Geldbuße in Höhe von 2.500 S verhängt. In den schriftlichen Gründen dieses Erkenntnisses wurde, soweit für die Beschwerde von Relevanz, ausgeführt, der Beschwerdeführer habe am 9. Dezember 1987 zwischen ca. 18.00 und ca. 22.00 Uhr in Zivil den Chargen vom Tag der A- und X-Kaserne einen Stapel mit Adressenklebern versehener, verschlossener und kompanieweise gebündelter Briefe mit der Bitte übergeben, diese zu verteilen, von deren Inhalt er aber nicht informiert gewesen sei, lediglich über das Thema und den Ort der Veranstaltung aber Kenntnis gehabt habe. Diese verschlossenen Briefe habe er von einer Angehörigen der Kinderfreunde K, die ihm bekannt gewesen sei, aber deren Namen er nicht kenne, in einem Schuhkarton, mit Zetteln abgeteilt, übergeben bekommen. Die besagten Kuverts hätten Flugblätter der "Jungen Generation in der SPÖ Tirol" zum Inhalt gehabt, worin zu einer Diskussionsveranstaltung mit dem Thema "Braucht das Bundesheer mehr Drill oder Demokratie??" im Hotel S am 14. Dezember 1987, 17.00 Uhr eingeladen worden sei. Diese Briefe seien an Grundwehrdiener der Ausbildungskompanie des Landwehrstammregimentes n1 gerichtet gewesen. Der für die Beurteilung dieses Verhaltens wesentliche Gesichtspunkt sei, so führte die belangte Behörde aus, die Erhaltung des zwischen der Bevölkerung und dem österreichischen Bundesheer bestehenden Vertrauensverhältnisses, dessen Fortbestand für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Bundesheeres unerläßlich sei. Durch das Verhalten des Beschwerdeführers müsse aber in der Bevölkerung zwangsläufig der Eindruck entstehen, daß einem Heer, in dem Unteroffiziere sich außerhalb bestehender Normen parteipolitisch betätigten, nach anderen, als streng sachlichen Gesichtspunkten, Dienst versehen, nicht mehr vertraut werden könne. Bei der Beurteilung des Vorliegens der Pflichtverletzung einer Schädigung staatlicher Interessen, d.h. der Schädigung des Ansehen des Bundesheeres im allgemeinen und jenes des Unteroffizierskorps im besonderen, sei es unerheblich, ob diese Schädigung tatsächlich eingetreten sei, weil eine bloße Gefährdung für deren Vorwerfbarkeit bereits genüge. Bei Prüfung der vorgeworfenen Pflichtverletzungen habe sich diese Verfehlung des Beschwerdeführers ihrem Unrechtsgehalt nach als nicht geringfügig erwiesen. Nach Ansicht der belangten Behörde dürfe das österreichische Bundesheer nicht zum Exerzierfeld für die vielfältigen politischen Parteien werden, wobei der Aspekt nicht außer acht gelassen werden dürfe, daß militärische Führungsorgane auf die politische Willensbildung der ihnen unterstellten Soldaten, die in einem besonderen Unterordnungs- und Gehorsamsverhältnis zu diesen stünden, Einfluß nehmen könnten. Durch die allgemeine Wehrpflicht erscheine es deshalb besonders wichtig, ein einwandfreies, über alle Zweifel erhabenes Verhalten der militärischen Führungsorgane sicherzustellen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer nach seinem gesamten Vorbringen in dem Recht darauf, daß er nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 WehrG einer Dienstpflichtverletzung als schuldig erkannt werde, verletzt. In Ausführung des so aufzufassenden Beschwerdepunktes trägt er hiezu unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit vor, seiner Ansicht nach liege in der Verteilung von verschlossenem, kompanieweise gebündelten neutralen Briefumschlägen, die mit Adressenklebern versehen seien, und die zu einer angemeldeten und allgemein zugänglichen Diskussionsveranstaltung einladen, kein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 WehrG vor. Dies deshalb, weil das gegenständliche Thema kurz vorher in der Tageszeitung "Der Kurier" behandelt worden sei, und u.a. Aussagen des Armeekommandanten zu diesem Thema beinhaltet habe. Jedenfalls sei er der Meinung, daß durch die neutralen, geschlossenen Briefumschläge kein gemäß § 46 Abs. 3 WehrG verbotener politischer Akt gesetzt worden sei. Auch die Tatsache, daß der Armeekommandant zum gegenständlichen Thema ausführlich Stellung bezogen habe und dies in den öffentlichen Medien (Zeitung "Der Kurier") dargestellt worden sei, habe in ihm die Überzeugung gefestigt, daß seine Handlungsweise zweifelsohne nicht unter die Verbotsnormen des § 46 Abs. 1 bzw. Abs. 3 WehrG subsumierbar sei. Vielmehr sei er der Meinung, daß diese streitverfangene Diskussionsveranstaltung und in weiterer Folge die durch ihn als Bote übermittelten neutralen Briefumschläge mit den Diskussionseinladungen als erlaubter Beitrag zur Information zum tagespolitischen Geschehen zu betrachten sei. Zu bemerken sei, daß die gegenständlichen neutralen Briefumschläge, wären sie durch die Post und nicht durch ihn zugestellt worden, ebenfalls den einzelnen Soldaten zugekommen wären. Sollte sein Verhalten dennoch unter die Verbotsbestimmungen des § 46 Abs. 1 und 3 WehrG subsumiert werden, dann hätte er sich zweifelsohne in einem Rechtsirrtum befunden.
Die Beschwerde ist begründet.
Gemäß § 46 Abs. 1 des Wehrgesetzes 1978, BGBl. Nr. 150 (WehrG) ist das Bundesheer von jeder parteipolitischen Betätigung und Verwendung fernzuhalten. Nach der Anordnung des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle kommen die staatsbürgerlichen Rechte dem Soldaten gemäß Art. 7 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 im selben Umfang wie den anderen Staatsbürgern zu. Während des Dienstes und innerhalb des militärischen Dienstbereiches ist im Grunde des Abs. 3 der zuletzt zitierten Gesetzesstelle jede nach außen in Erscheinung tretende parteipolitische Betätigung, wie die Werbung für Ziele und Zwecke einer politischen Partei oder einer Wahlpartei, die Abhaltung von Versammlungen oder Kundgebungen in militärischen oder vom Bundesheer belegten Gebäuden und Räumen einschließlich der Kasernenhöfe und militärischen Anlagen verboten. Von dem Verbot wird insbesondere die persönliche Information über politisches Tagesgeschehen aus allgemein zugänglichen Nachrichtenquellen nicht berührt. Gemäß § 46 Abs. 4 leg. cit. dürfen Soldaten sich an öffentlichen Versammlungen, Umzügen und Demonstrationen in Uniform nicht beteiligen.
§ 46 Abs. 3 WehrG, auf welche Bestimmung die Bestrafung des Beschwerdeführers in erster Linie gestützt wird, regelt die parteipolitische Betätigung des Soldaten in seiner Dienstzeit UND innerhalb der dienstlichen Anlagen und Unterkünfte. Eine Legaldefinition des unbestimmten Rechtsbegriffes "parteipolitische Betätigung" findet sich im Wehrgesetz nicht. Seine Sinnermittlung ist daher Angelegenheit der juristischen Interpretation. Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinneszusammenhang ergibt, in den dieser hineingestellt ist. Gegenstand der Auslegung ist dabei der Gesetzestext als Träger des in ihm niedergelegten Sinnes, um dessen Verständnis es bei der Auslegung geht; Ziel der Auslegung ist die Ermittlung des rechtlich maßgeblichen, des normativen Sinnes des Gesetzes (vgl. im Zusammenhang das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. März 1985, Zl. 84/16/0200, Slg. Nr. 5977/F).
Nach der oben wiedergegebenen beispielshaften Aufzählung des Gesetzgebers fallen u.a. die Werbung für Ziele und Zwecke einer politischen Partei oder einer Wahlpartei unter das Verbot des § 46 Abs. 3 WehrG. Der Gesetzgeber geht davon aus, daß diese Verhaltensweisen typischerweise geeignet sind, den inneren Frieden im Bundesheer zu gefährden und damit letztlich die Verteidigungsbereitschaft des Bundesheeres in Frage zu stellen. Die Aufzählung ist nicht erschöpfend; auch andere Betätigungen können unter das Verbot des § 46 Abs. 3 WehrG fallen, sofern sie geeignet sind, Gefahren für Kameradschaft und Disziplin nach sich zu ziehen. Ein Verbot parteipolitischer Betätigung liegt insbesondere vor, wenn Angehörige des Bundesheeres für eine politische Partei Mitglieder werben, für oder gegen die Wahl einer bestimmten Partei bzw. politischen Gruppierung ("Friedensbewegung", "außerparlamentarische Opposition") auftreten, Wahlaufrufe, Flugblätter oder Informationsmaterial parteipolitischen Inhalts verteilen, Sammlungen von Unterschriften für politische Resolutionen durchführen, Geldspenden mit politischer Zielrichtung sammeln, Wahlplakate anbringen etc.
Inhaltlich trifft das Verbot jegliche Kundgebung einer parteipolitischen Meinung in Wort, Schrift, Ton, Bild oder beliebiger Ausdrucksweise. Das absolute Verbot der parteipolitischen Propaganda, welches nur den DIENSTLICHEN Bereich (arg.: ..."Während des Dienstes und innerhalb des militärischen Dienstbereiches ...") betrifft, hat nicht nur den Sinn und Zweck, einen durch keine parteipolitischen Auseinandersetzugnen gestörten Dienstbetrieb sicherzustellen und damit die Kameradschaft und gegenseitige Achtung als unerläßliche Voraussetzungen für die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Bundesheeres zur Erfüllung des in Art. 79 Abs. 1 B-VG normierten Verfassungsauftrages zu gewährleisten, sondern sichert auch das Vertrauen der Bevölkerung in parteipolitische Objektivität und Neutralität des nach Abschluß des Staatsvertrages im Jahre 1955 geschaffenen Bundesheeres (geschütztes Rechtsgut).
Die Systematik des § 46 WehrG geht eindeutig davon aus, daß ein differenziertes Verbot parteipolitischer Betätigung besteht, je nach dem ob diese während des Dienstes, in der Freizeit aber innerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen oder in der Freizeit außerhalb derselben stattfindet (vgl. Abs. 4).
Die Entstehungsgeschichte des § 46 WehrG ("historische Auslegung") bestätigt dieses Ergebnis systematisch-teleologischer Interpretation. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Wehrgesetzes 1955 (§ 36), 604 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates VII GP, sei das Bundesheer als Einrichtung des Staates, das allen Bürgern in gleicher Weise zu dienen habe, von jeder parteipolitischen Verwendung unbedingt fernzuhalten. Im Gesetz seien daher Bestimmungen aufgenommen, die Gewähr bieten sollen, daß der überparteiliche Charakter des Bundesheeres gewahrt bleibe und sein inneres Gefüge nicht durch parteipolitische Bestrebungen untergraben werde. Hiezu gehörten das Verbot jeder parteipolitischen Betätigung im Dienst und in militärischen Unterkunftsbereichen sowie das Verbot der Teilnahme an politischen Versammlungen, Demonstrationen und Aufmärschen von Soldaten in Uniform.
Bei Auslegung des Begriffes "Betätigung" ist davon auszugehen, daß darunter auch eine politische Einzelhandlung, wie z.B. das Verteilen von Druckschriften parteipolitischen Inhalts in den Kasernen, fallen kann. Das politische Handeln muß jedoch eine gewisse Qualität haben, um "Betätigung" iSd § 46 Abs. 3 WehrG zu sein. Das folgt schon aus dem Schutz der Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Art. 13 StGG und Art. 10 MRK (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 1989, B 847/87, JBl. 1989, 514f, und die dort zitierte weitere Rechtsprechung), die nur innerhalb der Schranken des Gesetzes gewährleistet ist. Zweck und Verfassungskonformität des § 46 Abs. 3 WehrG zwingen mithin zu der Auslegung, unter "parteipolitischer Betätigung" begrifflich solches Handeln zu verstehen, mit dem am parteipolitischen Konkurrenzkampf teilgenommen wird.
Nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde hatte der Beschwerdeführer am 9. Dezember 1987 zwischen 18.00 und ca. 20.00 Uhr in Zivil den Chargen vom Tag einen Stapel verschlossener und an Grundwehrdiener adressierter Briefe übergeben, in denen die nachstehende, von der Jungen Generation in der SPÖ Tirol verfaßte Einladung zu einer Dikussionsveranstaltung enthalten war:
"Braucht das Bundesheer mehr Drill oder Demokratie?? Auf Grund von Äußerungen des Armeekommandanten scheint es uns notwendig zu sein, mit den Betroffenen selbst über den aktuellen Zustand der Ausbildung im Bundesheer zu diskutieren. Deshalb laden wir Dich herzlich zu einer DISKUSSIONSVERANSTALTUNG
ein, bei der auch Du Deine Meinung sagen sollstÜ
Ort: Hotel S
Zeit: Montag, 14. Dezember, 17.00 Uhr.
Mit dabei ein aktiver Ausbildner, ein Zugskommandant der Reserve, ein Soldatensprecher, ein Zivildiener, Du und Deine
Kameraden.
Wir freuen uns auf Deine TeilnahmeÜ"
Die Behörden des Disziplinarverfahrens haben die Verurteilung des Beschwerdeführers vorgenommen, ohne festgestellt zu haben, daß er den oben wiedergegebenen Inhalt des fraglichen Schriftstückes gekannt hat oder kennen mußte. Diese Voraussetzung aber wäre unerläßlich dafür gewesen, um die vom Beschwerdeführer gesetzte Handlung als allenfalls tatbestandsmäßig im Sinne des § 46 Abs. 3 WehrG zu erkennen.
Da die belangte Behörde diese Rechtslage nicht berücksichtigte, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes der Aufhebung verfallen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990090050.X00Im RIS seit
11.07.2001