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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
N auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der zur hg Zl 90/14/0032 protokollierten Beschwerde:
Spruch
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.
Begründung
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Mai 1990, Zl 90/14/0032-6, wurde das Verfahren betreffend die vom Antragsteller erhobene Beschwerde gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Tirol, Berufungssenat I, vom 15. November 1989, Zl 30.852-3/89, betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 1982 bis 1983, Einkommensteuer für die Jahre 1981 bis 1983 sowie Verspätungszuschläge hinsichtlich Umsatzsteuer für das Jahr 1982 und Einkommensteuer für die Jahre 1981 bis 1983 eingestellt, weil der Antragsteller dem an ihn ergangenen Auftrag zur Verbesserung der Beschwerde insoweit nicht nachgekommen war, als er zwar innerhalb der gesetzten Frist statt des von ihm geforderten Schriftsatzes in dreifacher Ausfertigung und der zwei weiteren Ausfertigungen der Beschwerde einen neuen, von seinem Rechtsfreund unterfertigten Schriftsatz in dreifacher Ausfertigung, in dem alle Vorschriften über die Form und den Inhalt einer Beschwerde nach Art 131 Abs 1 B-VG eingehalten wurden, samt den notwendigen Beilagen vorlegte, es jedoch unterließ, die zurückgestellte Beschwerde beizuschließen.
Mit dem nunmehrigen, am 16. Juli 1990 zur Post gegebenen Antrag begehrt der Antragsteller unter Vorlage der zurückgestellten Beschwerde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wobei er zur Begründung ausführt, erst durch den am 2. Juli 1990 zugestellten hg Beschluß vom 22. Mai 1990 habe er Kenntnis erlangt, daß dem Auftrag zur Verbesserung der Beschwerde nicht zur Gänze nachgekommen worden sei. Wie sich auf Grund der angestellten Nachforschungen ergeben habe, habe sein Rechtsfreund nach Einholung der entsprechenden Information den neuen Schriftsatz selbst verfaßt und nach Durchsicht und Unterfertigung desselben nochmals geprüft, ob die zurückgestellte Beschwerde beigeschlossen sei. Da dies nicht der Fall gewesen sei, habe er mit Bleistift auf der Durchschrift des neuen Schriftsatzes handschriftlich "1 Schreiben" vermerkt und sodann seiner Kanzleikraft erklärt, die zurückgestellte Beschwerde sei beizuschließen. Die verläßliche, schon seit sechs Jahren in der Anwaltskanzlei tätige Kanzleikraft habe, nachdem sie die erforderlichen Kopien angefertigt hätte, offenbar übersehen, auch noch die zurückgestellte Beschwerde zu kuvertieren. Daß es sich im vorliegenden Fall nur um einen minderen Grad des Versehens im Sinn des letztes Satzes des § 46 Abs 1 VwGG handle, sei evident. Denn sein Rechtsfreund habe auf Grund der bisherigen Verläßlichkeit und Tüchtigkeit der Kanzleikraft darauf vertrauen dürfen, daß sie dessen Weisungen folgend die zurückgestellte Beschwerde beischließe. Die im § 46 Abs 3 VwGG normierte Frist sei gewahrt.
Dem Antrag ist eine Erklärung der Kanzleikraft beigeschlossen, in der zunächst die Ausführungen des Antragstellers bestätigt werden und darüberhinaus folgendes ausgeführt wird: "Ich entsinne mich aber auch, daß ich dieses Schriftstück nicht beigeschlossen habe, kann es aber heute nicht mehr genau sagen, warum nicht. Ich kann nur aus dem Terminkalender rekonstruieren, daß mein Chef am 2. Mai 90 mehrere Konferenzen hatte, weil er im Laufe des 3. Mai 90 mit einem Krankenpilgerzug des Malteser-Ordens als Mithelfer nach Lourdes gefahren ist. Es war daher sicherlich zwischen verschiedenen Telefonanrufen, der Vermittlung von Telefongesprächen und den in die Kanzlei kommenden Klienten, den Aktenvorlagen ein Gedränge, daß ich unter dem Druck der zu erledigenden Agenden den Auftrag, das "Schriftstück" (das Schreiben vom 9.1.1990) der Beschwerde beizuschließen, übersehen habe. Ein derartiger Flüchtigkeitsfehler ist mir bislang noch nicht unterlaufen, zumal ich im Hinblick auf meine Einschulung in der Kanzlei meines Dienstgebers genau weiß, daß mein Chef hinsichtlich der den Schriftsätzen oder sonstigen Schreiben beizuschließenden Unterlagen penibel ist. Die Unterlassung des Beischlusses des Schriftstückes stellt in dieser Art eine einmalige, jedoch sicherlich entschuldbare Fehlleistung dar." Weiters ist dem Antrag die Durchschrift des neuen Schriftsatzes mit dem handschriftlichen Vermerk "1 Schreiben" sowie der Auftrag zur Verbesserung der Beschwerde beigeschlossen, in dem der Hinweis, "die zurückgestellte Beschwerde (einschließlich der angeschlossen gewesenen, gesetzlich vorgeschriebenen Beilagen) ist auch dann wieder vorzulegen, wenn zur Ergänzung ein neuer Schriftsatz eingebracht wird", angestrichen ist.
Die Behauptungen des Antragstellers konnten im Hinblick auf die detaillierten Angaben im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, in der Erklärung und den weiter vorgelegten Beweismitteln im Zusammenhalt mit dem Inhalt des Aktes zur hg Zl 90/14/0032 als bescheinigt angesehen werden. Ausgehend von diesem Sachverhalt ist der Antrag aus folgenden Erwägungen berechtigt:
Gemäß § 46 Abs 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S 656 f). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmungen des § 46 Abs 1 zweiter Satz VwGG nur in Betracht, wenn dem Antragsteller und seinem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden kann. Ein Versehen einer Kanzleikraft eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber der Kanzleikraft unterlassen hat. Unterläuft einer Kanzleikraft, deren Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben samt den zugehörigen Beilagen durch den Rechtsanwalt im Zug der Kuvertierung ein Fehler, so stellt dies nach der hg Rechtsprechung ein unvorhergesehenes Ereignis dar (vgl den hg Beschluß vom 20. Juni 1990, Zl 90/13/0136). Eine regelmäßige Kontrolle der Kuvertierung durch eine verläßliche Kanzleikraft ist einem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht dessen Sorgfaltspflicht überspannen.
Diese in der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes enthaltenen Erwägungen kommen auch im vorliegenden Fall zum Tragen. Auch hier hat der Rechtsfreund des Antragstellers das für die fristgerechte Erfüllung des ihm erteilten Auftrages zur Verbesserung der Beschwerde Erforderliche vorgekehrt. Zur Versäumung der aufgetragenen Frist kam es nur auf Grund des oben beschriebenen Versehens einer Kanzleikraft, das dieser erst nach fristgerechter Unterfertigung aller Schriftsatzausfertigungen durch den Rechtsfreund des Antragstellers und Erteilung der Weisung, diese Schriftsatzausfertigungen samt der zurückgestellten Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zu übersenden, im Zug der Abfertigung unterlaufen ist. Da dem Antragsteller und seinem Rechtsfreund ein Verschulden an der Versäumung nicht vorgeworfen werden kann, war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990140147.X00Im RIS seit
07.09.1990