Index
10 Verfassungsrecht;Norm
B-VG Art139 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Individualantrag auf Aufhebung der FleischV des BMGU vom 15.5.1979; behaupteter Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers (Gastgewerbebetreibender) hier in der V nach Art und Ausmaß nicht eindeutig bestimmt; kein unmittelbarer Eingriff in die Rechtssphäre - Mangel der AntragslegitimationSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Auf Grund des §7 Abs2 des Lebensmittelgesetzes 1975, BGBl. Nr. 86 (LMG 1975), erließ der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz am 15. Mai 1979 die V über das Verbot des Inverkehrbringens von Fleisch und Fleischwaren bestimmter Beschaffenheit (FleischVO). Diese V - kundgemacht mit BGBl. unter Nr. 251 - hat folgenden Wortlaut:
"§1. (1) Es ist verboten, Fleisch in verdorbener, unreifer, nachgemachter, verfälschter oder wertgeminderter Beschaffenheit auch bei deutlicher und allgemein verständlicher Kenntlichmachung dieser Beschaffenheit in Verkehr zu bringen.
(2) Die Bestimmungen des Abs1 gelten auch für Fleischwaren, das sind Zubereitungen aus Faschiertem, Fleischkonserven, Rohwürste, Räucherwaren, Rohpökelwaren, Kochwürste, Kochpökelwaren, Brühwürste und gebratene Würste.
(3) Die Bestimmungen der Abs1 und 2 gelten nicht für das Inverkehrbringen von minderwertigem und bedingt tauglichem Fleisch und daraus hergestellten Fleischwaren in unter besonderer amtlicher Kontrolle stehenden Verkaufsstätten (Freibänke).
§2. Diese V tritt mit 1. Juli 1979 in Kraft."
2. Der Antragsteller begehrt mit der vorliegenden, auf Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Eingabe, diese V als gesetzwidrig aufzuheben und ihm die Kosten des Verfahrens zuzusprechen. Der Antragsteller behauptet, durch die FleischVO unmittelbar in seinen Rechten verletzt worden zu sein, weil sie ohne vorangegangene Erlassung eines Bescheides und ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung für ihn als Gastgewerbetreibenden wirksam geworden sei. Im Rahmen seines Gastgewerbebetriebes biete er seinen Kunden seit vielen Jahren auf der Speisenkarte "Wiener Schnitzel (vom Schwein) m. Kartoffelsalat" an. Im Rahmen einer routinemäßigen Überprüfung seines Betriebes im Jahre 1986 seien von Beamten des Marktamtes des Magistrates der Stadt Wien drei Stück panierte Schweinsschnitzel als Probe mitgenommen worden. Die Proben seien bei der Lebensmitteluntersuchungsanstalt der Stadt Wien zur Untersuchung und Begutachtung eingereicht und von dieser als verfälscht beurteilt und der Sachverhalt gemäß §44 LMG 1975 zur Anzeige gebracht worden. Die Lebensmitteluntersuchungsanstalt der Stadt Wien habe den Standpunkt vertreten, "daß nach herrschender Verbrauchererwartung ein 'Wiener Schnitzel' aus Kalbfleisch herzustellen sei, danach wäre die begutachtete Ware, da sie aus Schweinefleisch hergestellt sei, als verfälscht zu beurteilen". Die Lebensmitteluntersuchungsanstalt der Stadt Wien habe sich bei Beurteilung dieses Sachverhaltes auf die angefochtene FleischVO gestützt. Nach Durchführung von bezirksgerichtlichen Vorerhebungen sei das Strafverfahren über Antrag des Bezirksanwaltes ohne Begründung gemäß §90 StPO eingestellt worden. Es sei dem Antragsteller nicht zumutbar, ein weiteres Strafverfahren zu provozieren, um die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen V über Antrag eines Gerichtes beim VfGH überprüfen zu lassen. Die V sei jedenfalls ohne Erlassung eines Bescheides direkt für ihn wirksam geworden.
In der Folge begründet der Antragsteller seine Ansicht, daß die angefochtene V gesetzwidrig sei.
3. Der mit den Angelegenheiten des Gesundheitswesens betraute Bundesminister im Bundeskanzleramt erstattete eine Äußerung und stellte den Antrag, die angefochtene V nicht als gesetzwidrig aufzuheben. Zur Frage der Anfechtungslegitimation wird darin ausgeführt:
"Voraussetzung der Legitimation zum Individualantrag auf Verordnungskontrolle gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene V - im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit in seinen Rechten verletzt worden zu sein; dann aber auch, daß die V tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist (VfGH Slg. 8404/1978). Im Beschwerdefall wurde hingegen eine gerichtliche Entscheidung gefällt: Wie der Bf. auf Seite 3, 2. Absatz seiner Beschwerdeschrift selbst bestätigt, wurde das bezughabende Strafverfahren beim Strafbezirksgericht Wien zur Geschäftszahl 18 U 1798/86 geführt und gemäß §90 StPO eingestellt.
Grundsätzliche Voraussetzung der Antragslegitimation ist weiters, daß die V in die Rechtssphäre der betreffenden Person eingreift und diese - im Falle der Gesetzwidrigkeit der V - verletzt. Anfechtungsberechtigt ist also von vornherein nur derjenige, der der V gegenüber Normadressat ist. Nicht jedem Normadressaten aber kommt diese Befugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß der Eingriff in die Rechtssphäre der betreffenden Person nicht etwa auf Grund der angefochtenen V erfolgt, sondern unmittelbar durch die V selbst tatsächlich erfolgt ist. Ein derartiger unmittelbar durch die V erfolgter und (deswegen) die Antragslegitimation begründender Eingriff in die Rechtssphäre einer Person ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die V selbst eindeutig bestimmt ist, die (rechtlich geschützten) Interessen der betreffenden Person nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und der Person ein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr der Rechtsnachteile, die ihr durch die - angeblich gesetzwidrige - V erwachsen, nicht zur Verfügung steht (vgl. die ständige, mit Beschluß Slg. 8009/1977 eingeleitete Judikatur des VfGH zu Individualanträgen).
Im Beschwerdefall hat jedoch nur ein sog. 'Anzeigegutachten' (LUA der Stadt Wien) die angefochtene V geradezu denkunmöglich zitiert, wodurch die Rechtssphäre des Bf. noch nicht betroffen ist: dies wäre erst der Fall, wenn die Behörde (Gericht, Aufsichtsbehörde), auf diese V gegründet, Maßnahmen (Beschlagnahme, Verurteilung) ergreift, was jedoch nicht der Fall gewesen ist (Einstellung des Verfahrens!). Ein einzelnes Gutachten ist zwar faktisch unangenehm, rechtlich liegt jedoch noch keine Beeinträchtigung der Rechtssphäre vor. Jedenfalls müssen dann, wenn ein Verfahren, in dem die Behörde die angefochtene V anzuwenden hat, bereits anhängig ist, besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, um der Partei des Verfahrens trotz der ihr dort offenstehenden Möglichkeiten das Recht auf Einbringung eines Verordnungsprüfungsantrages einzuräumen (VfGH Slg. 8405/1978); man gelangte anderenfalls zu einer Doppelgeleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (vgl. hiezu Slg. 8312/1978). Es ist sohin durchaus zumutbar, Verfahren zu Ende zu führen. Umso mehr gilt dies im vorliegenden Beschwerdefall: es ist nach ho. Ansicht durchaus zumutbar, gegen ein bloßes Sachverständigengutachten Stellung zu beziehen. Zusammenfassend erscheint sohin nach Ansicht der bel. Beh. festzustehen, daß der Bf. auf Grund der Tatsache, daß die angefochtene V ohne Entscheidung des Gerichtes (allenfalls auch ohne Verwaltungsstrafbehörde) nicht unmittelbar anwendbar ist, zur Anfechtung der V BGBl. Nr. 251/1979 nicht legitimiert ist."
II. Der VfGH hat über den Antrag erwogen:
1. Gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG idF BGBl. Nr. 302/1975 erkennt der VfGH über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die V ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
Zur Frage der Legitimation zur Anfechtung einer generellen Norm durch eine Privatperson hat der VfGH seit seinem Erk. VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß diese nur dann gegeben sei, wenn die anzufechtende Norm (hier die FleischVO) die Rechtssphäre des Antragstellers berührt, wenn sie in seine Rechtssphäre eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Anfechtungsberechtigt ist also nur ein Rechtsträger, an oder gegen den sich die angefochtene V wendet, der ihr gegenüber Normadressat ist. Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Befugnis zur Anfechtung zu, es ist darüber hinaus erforderlich, daß der Eingriff in die Rechtssphäre der betroffenen Person nicht etwa auf Grund der angefochtenen V, sondern unmittelbar durch die V selbst erfolgt. Art139 Abs1 letzter Satz B-VG bringt das derart zum Ausdruck, daß er einerseits von der (zu behauptenden) "unmittelbaren" Rechtsverletzung spricht und andererseits fordert, daß die (Rechts)Wirkungen der V "ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides" für den Antragsteller eingetreten sind. Näheres darüber, wann dieser Sachverhalt vorliegt, speziell nach welchen Kriterien diese Frage zu beantworten ist, bestimmt das B-VG weder in Art139 noch an einer anderen Stelle ausdrücklich. Nach Meinung des VfGH ist dem Wortlaut des Art139 Abs1 B-VG aber immerhin zu entnehmen, daß ein unmittelbar durch die V erfolgter und (deswegen) die Antragslegitimation begründender Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers jedenfalls nur dann anzunehmen ist, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die V selbst eindeutig bestimmt ist und die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt.
2. §1 Abs1 der angefochtenen FleischVO verbietet auf Grund der Ermächtigung des §7 Abs2 LMG 1975, Fleisch in verdorbener, unreifer, nachgemachter, verfälschter oder wertverminderter Beschaffenheit in Verkehr zu bringen selbst dann, wenn diese Beschaffenheit deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist. §1 Abs2 FleischVO erstreckt dieses Verbot auch auf Fleischwaren. Das Verbot des Inverkehrbringens von Fleisch und Fleischwaren bestimmter Beschaffenheit richtet sich nun zwar gegen den Antragsteller als Gastgewerbetreibenden, dieser ist also ohne Zweifel Adressat der FleischVO; der von ihm behauptete Eingriff in seine Rechtssphäre ist aber durch diese V keineswegs nach Art und Ausmaß eindeutig bestimmt festgelegt. Ob nämlich das Anbieten von "Wiener Schnitzel (vom Schwein)" als - durch die FleischVO verbotenes "Inverkehrbringen" (§1 Abs2 LMG 1975) von Fleisch in verfälschter Beschaffenheit zu qualifizieren ist - und nur ein derartiger Eingriff wird vom Antragsteller behauptet - steht keineswegs zweifelsfrei fest; der mit den Angelegenheiten des Gesundheitswesens betraute Bundesminister meint sogar, das sog. "Anzeigegutachten" der Lebensmitteluntersuchungsanstalt der Stadt Wien berufe sich bei Beurteilung des Sachverhalts geradezu denkunmöglich auf die FleischVO. Dem VfGH kommt es nun nicht zu, anstelle der nach den Strafbestimmungen des LMG 1975 zur Durchführung des Strafverfahrens allein zuständigen Behörde (etwa dem Gericht nach §63 Abs2 Z2 oder nach §64 LMG 1975) zu entscheiden, ob dieses der FleischVO möglicherweise zuwiderlaufende Verhalten des Antragstellers durch diese V wirklich verboten ist oder nicht. Davon, daß der behauptete Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers in der FleischVO nach Art und Ausmaß eindeutig bestimmt festgelegt sei, kann daher nicht die Rede sein, dies träfe vielmehr nur dann zu, wenn es offenkundig wäre, daß das geschilderte Verhalten danach verboten ist.
3. Es liegt sohin kein unmittelbar durch die angefochtene V bewirkter Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers vor, sodaß der Antrag als unzulässig zurückzuweisen war.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, LebensmittelrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:V21.1987Dokumentnummer
JFT_10128799_87V00021_00