Index
L8 Boden- und Verkehrsrecht;Norm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
Vorschreibung eines Aufschließungsbeitrages gem. §6a Stmk. BauO; verfassungskonforme Auslegung des §6a dahingehend, daß als eine die Zahlungspflicht auslösende "erstmalige Widmungsbewilligung" nur eine Bauplatzschaffung nach Inkrafttreten der BauO-Novelle 1974 in Betracht kommt; hier offensichtlich keine Schaffung eines Bauplatzes bei Erteilung der Widmungsbewilligung für ein (mit einem Renaissance-Gebäude) bebautes Grundstück - Vorschreibung des Aufschließungsbeitrages in gleichheitswidriger Auslegung des §6a Abs1 und denkunmöglicher Gesetzesanwendung; Verletzung im Gleichheits- und im EigentumsrechtSpruch
Die Bf. sind durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Landeshauptstadt Graz ist schuldig, den Bf. zu Handen ihres Beschwerdevertreters die mit 22.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt
Graz vom 30. November 1984 wurde den Bf. "die Widmung der
Grundstücke ... und ..., EZ 284, KG I Innere Stadt" (zwischen
Burggasse, Bürgergasse und Trauttmansdorffgasse) unter Festsetzung von Bebauungsgrundlagen und Auflagen bewilligt. Aus der Begründung dieses Bescheides geht unter anderem hervor, daß
". . . eine Hinaufsetzung der maximalen Höhe des
Gebäudes an der Burggasse über die Höhe des Bestandes eine
Aufstockung bedingen (würde), die dem Erscheinungsbild des
Renaissance-Gebäudes abträglich wäre, da die ausgewogenen
ursprünglichen Proportionen und damit die eigentliche Identität des
Bauwerkes verloren gingen. Die in den Straßenrand der Burggasse
vorgerückte Situierung läßt an dieser Engstelle eine derartige
Baumassenkonzentration ohne Qualitätsverlust der Außenraumwirkung
nicht zu. Außerdem würde durch eine solche Maßnahme die derzeit
gegebene Blickbeziehung vom Burgtor über das Haus Burggasse 4 hinweg
zur Oper unterbrochen werden. Die Baubehörde konnte dem schlüssigen
Gutachten . . . folgen, wonach eine Aufstockung des
Renaissance-Gebäudes die ausgewogenen ursprünglichen Proportionen
zerstören und somit dem Auftrag des Grazer
Altstadterhaltungsgesetzes nach Bewahrung des überlieferten
Stadtbildes zuwiderlaufen würde. . .
. . .
Der Widmungsrahmen zielt somit auf die Schaffung der Rahmenbedingungen für die Erhaltung der vorhandenen Baulichkeiten ab und garantiert bei Neubauten eine sensible Einfügung in die Bausubstanz".
Unter Hinweis auf diese - nach Auffassung der Behörde erstmalige - Widmungsbewilligung wurde den Bf. sodann mit Bescheid des Stadtsenates vom 13. Dezember 1984 gemäß §6a Stmk. BauO ein Aufschließungsbeitrag in der Höhe von 27.065 S vorgeschrieben. Die gegen diese Vorschreibung gerichtete Berufung blieb erfolglos: Das Gesetz biete keinen Anhaltspunkt für die Meinung, daß die Vorschreibung für Grundstücke zu unterbleiben habe, die bereits bebaut (aber bisher noch nicht gewidmet) sind.
In der gegen den Berufungsbescheid erhobenen Beschwerde an den VfGH wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums gerügt. Da es sich um Bauten aus der Renaissance und den teilweisen Neubau eines Ecktraktes aus 1954 handle, sei anzunehmen, "daß implizit Widmungsbewilligungen vorhanden sind". Durch das Widmungsansuchen hätte eine teilweise Aufstockung ermöglicht werden sollen, doch sei der Widmungsrahmen nunmehr so gehalten worden, daß der gegenwärtige Bestand festgeschrieben ist. Unter diesen Umständen sei die Vorschreibung eines Aufschließungsbeitrages absurd.
II. Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der VfGH ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §6a Stmk. BauO eingeleitet. Die Bedenken des Gerichtshofes erwiesen sich jedoch als nicht begründet. Die geprüfte Bestimmung ist einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Der Gerichtshof hat daher den §6a Stmk. BauO mit Erkenntnis vom 1. Oktober 1987, G142/87, nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
III. Die Beschwerde ist begründet.
Das Gesetzesprüfungsverfahren hat ergeben, daß die Auslegung der bel. Beh. dem Gesetz fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Hätte das Gesetz diesen Inhalt, würde es einzelne Gruppen von Eigentümern längst bebauter Liegenschaften ohne sachlichen Grund verschieden behandeln.
Der VfGH hat daher bei Beurteilung der Beschwerde davon auszugehen, daß als eine die Zahlungspflicht auslösende "erstmalige Widmungsbewilligung" im Sinne des §6a Abs1 Stmk. BauO nur eine Bauplatzschaffung nach Inkrafttreten der Bauordnungsnovelle 1974 in Betracht kommt. Die Liegenschaften der Bf. waren im Zeitpunkt der Erteilung der Widmungsbewilligung vom 30. November 1984 längst bebaut. Es ist offensichtlich, daß es bei der Erteilung der Widmungsbewilligung nicht zur Schaffung eines Bauplatzes gekommen war. Indem die bel. Beh. den Bf. im angefochtenen Bescheid trotzdem einen Aufschließungsbeitrag vorgeschrieben hat, hat sie §6a Abs1 Stmk. BauO fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Die verfassungswidrige Auslegung bedeutet zugleich eine denkunmögliche Gesetzesanwendung (vgl. B353-361/86 vom 14. Oktober 1987 und die dort genannte Vorjudikatur). Die behaupteten Verfassungsverletzungen fallen ihr daher zur Last.
Der Bescheid ist aufzuheben.
Das kann in nichtöffentlicher Sitzung geschehen (§19 Abs4 Z2 VerfGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG; im zugesprochenen Betrag sind 2.200 S Umsatzsteuer enthalten.
Schlagworte
Baurecht, Raumordnung, WidmungsbewilligungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B549.1985Dokumentnummer
JFT_10128799_85B00549_00