TE Vfgh Erkenntnis 1987/12/5 V93/87, V94/87, V95/87, V96/87, V97/87, V98/87, V99/87, V100/87, V101/8

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Veröffentlicht am 05.12.1987
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Index

95 Technik;
95/06 Ziviltechniker

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs1
B-VG Art144 Abs1
Beschluß der Kammervollversammlung der Ingenieurkammer für Wien. Niederösterreich und Burgenland vom 25.11.1986 über die Kammerumlage 1987 Z2 und Z3
IngKammerG §10 Abs4
IngKammerG §11 Abs4 Z4
IngKammerG §45 Abs1

Leitsatz

Beschluß der Kammervollversammlung der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland über die Kammerumlage 1987; der VfGH ist bei Prüfung der Prozeßvoraussetzungen an keine bestimmte Reihenfolge gebunden; im Hinblick auf die generelle Zuständigkeit des Kammervorstandes bietet das IngenieurkammerG keine gesetzliche Grundlage dafür, im Verordnungsweg eine Zuständigkeit des Präsidenten oder des Präsidiums zur Erlassung von Bescheiden betreffend die Kammerumlage zu regeln; ebenso keine gesetzliche Grundlage für die Einrichtung eines Instanzenzuges innerhalb der Ingenieurkammer; Aufhebung der Z2 und 3 des Abschnittes VI des Beschlusses mangels gesetzlicher Grundlage

Spruch

Z2 und 3 des Abschnittes VI des Beschlusses der Kammervollversammlung der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 25. November 1986 über die Kammerumlage 1987 werden als gesetzwidrig aufgehoben.

Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Die zwanzig zu B178-197/87 protokollierten Beschwerden bekämpfen den jeweils an den Bf. ergangenen Bescheid des Präsidenten der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, mit dem die Entrichtung der betragsmäßig bestimmten Kammerumlage 1987 vorgeschrieben wurde. Die Befugnis zur Erlassung dieser Bescheide stützte der Präsident der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland auf Punkt VI Z2 des "Umlagenbeschlusses der Kammervollversammlung vom 25.11.1986". Als Rechtsmittelbelehrung führen die bekämpften Bescheide jeweils aus: "Gegen diesen Bescheid steht binnen zwei Wochen ab Zustellung die Berufung an das Präsidium der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland offen. Einer allfälligen Berufung kommt gemäß Punkt VI 3. des Umlagenbeschlusses keine aufschiebende Wirkung zu."

b) Mit den zu B289-309/87 protokollierten Beschwerden bekämpfen die selben zwanzig Bf. sowie ein weiterer die jeweils an sie ergangenen Bescheide des Präsidiums der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, mit denen den von ihnen entsprechend der Rechtsmittelbelehrung erhobenen Berufungen gegen die Vorschreibung der Kammerumlage für das Jahr 1987 keine Folge gegeben wurde.

2. Die Bf. dieser Verfahren behaupten, in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt zu sein, regen dem Inhalt nach die Prüfung der Gesetzmäßigkeit des Beschlusses der Kammervollversammlung der Ingenieurkammer vom 25. November 1986 über die Kammerumlage 1987 an und beantragen, die angefochtenen Bescheide aufzuheben, in eventu die Beschwerden dem VwGH zur Entscheidung abzutreten.

Der VfGH hat die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

3. Bereits in diesen Beschwerdeverfahren haben der Präsident und das Präsidium der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland in ihren Gegenschriften und der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten auf Aufforderung des VfGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit des Beschlusses der Kammervollversammlung der Ingenieurkammer vom 25. November 1986 über die Kammerumlage 1987 Stellung genommen.

4. Der VfGH hat am 1. Oktober 1987 beschlossen, die Gesetzmäßigkeit der Z2 und 3 des Abschnittes VI des Beschlusses der Kammervollversammlung der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 25.11.1986 über die Kammerumlage 1987 von Amts wegen zu prüfen, und zwar mit folgender Begründung:

"1. Die Abschnitte I bis V dieses Beschlusses regeln die Höhe, Fälligkeit und Einhebung der Kammerumlage im Falle der Befugnisverleihung und der Befugniszurücklegung, Meldepflichten zur Bemessung der Kammerumlage und das Aufteilungsverhältnis, wenn mehrere Umlagepflichtige in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen sind. Der mit 'Verfahren' überschriebene Abschnitt VI des Beschlusses (in Prüfung gezogen werden lediglich Z2 und 3) hat folgenden Wortlaut:

'1.

Die gesamte Umlage gelangt zu Jahresbeginn zur Vorschreibung, Umlagennachforderungen können bis zum Ende des 5. Kalenderjahres, das auf das Beitragsjahr folgt, vorgeschrieben werden.

2.

Wenn dies vom Zahlungspflichtigen spätestens 1 Monat nach Vorschreibung verlangt wird, hat der Präsident einen Bescheid über Art und Ausmaß der Umlagenpflicht zu erlassen.

3.

Gegen diesen Bescheid kann binnen zwei Wochen ab Zustellung Berufung an das Präsidium erhoben werden. Der Erhebung der Berufung kommt keine aufschiebende Wirkung zu.

4.

Nach Eintritt der Fälligkeit einer Umlage oder eines sonstigen Beitrages (Gebühr) ist der Säumige monatlich zu mahnen.

Nach zweimaliger fruchtloser Mahnung der bereits fälligen Umlage ist der ausstehende Betrag gemäß §45 Abs3 des Ingenieurkammergesetzes im Wege der politischen Exekution einzubringen.'

Der Beschluß wurde durch Versendung an alle Kammermitglieder (zusammen mit dem Zahlschein für die Kammerumlage) kundgemacht.

2.a) Die in Prüfung gezogenen Z2 und 3 des Abschnittes VI des Umlagenbeschlusses regeln das Verfahren zur bescheidmäßigen Durchsetzung der Umlagepflicht und richten hiefür einen Instanzenzug innerhalb der Ingenieurkammer ein. Da somit Rechte und Pflichten eines nach bestimmten Merkmalen festgelegten Personenkreises, nämlich der Mitglieder der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland geregelt werden, geht der VfGH vorläufig davon aus, daß es sich um eine V iS des Art139 B-VG handelt.

b) Der VfGH hat zur Prüfung der Prozeßvoraussetzungen im Verordnungsprüfungsverfahren zu beurteilen, ob die zugrundeliegenden Beschwerden zulässig sind. Hiebei ist auch zu untersuchen, ob es sich bei den angefochtenen Bescheiden um letztinstanzliche Bescheide iS des Art144 Abs1 letzter Satz B-VG handelt. Der VfGH geht vorläufig davon aus, daß er bereits zur Beurteilung dieser Frage die in Prüfung gezogenen Bestimmungen anzuwenden hat, sodaß das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig sein dürfte.

3. Verordnungen dürfen nach Art18 Abs2 B-VG nur auf Grund der Gesetze erlassen werden. Dies gilt auch für V beruflicher Selbstverwaltungskörper (vgl. zB VfSlg. 7903/1976, S. 237 f).

Das Ingenieurkammergesetz (IKG) scheint davon auszugehen, daß über die Kammerumlage bescheidmäßig abgesprochen werden kann (§11 Abs4 Z4, §45 Abs1 IKG). Dem Gesetz dürfte aber im Hinblick auf die generelle Zuständigkeit des Kammervorstandes (§10 Abs4) weder eine Zuständigkeit des Präsidenten noch eine solche des Präsidiums zur Erlassung derartiger Bescheide zu entnehmen sein. Es scheint insbesondere im hier maßgeblichen Bereich auch keine Zuständigkeitsübertragung an das Präsidium im Sinne des §10 Abs4 Z3 vorzuliegen oder ein Fall einer Entscheidung des Präsidiums nach §10 Abs2 Z2 IKG gegeben zu sein. Zur Einrichtung eines Instanzenzuges dürfte das Gesetz ebenfalls keine Grundlage bieten.

Auch der Präsident sowie das Präsidium der Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland und der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten räumen in ihren Äußerungen ein, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen ohne gesetzliche Grundlage erlassen wurden; sie begründen das Vorgehen der Vollversammlung lediglich mit Zweckmäßigkeitserwägungen. Der VfGH hegt daher gegen die in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen das Bedenken, daß sie ohne jede gesetzliche Grundlage erlassen worden sind."

5. Im Verordnungsprüfungsverfahren wurde von den Beteiligten zur Sache keine Stellungnahme (mehr) abgegeben.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Es ist nichts hervorgekommen, was die Annahmen des VfGH über die Prozeßvoraussetzungen des Verordnungsprüfungsverfahrens widerlegt hätte. Hinzuzufügen ist, daß der VfGH bei Prüfung der Prozeßvoraussetzungen an keine bestimmte Reihenfolge gebunden ist; es wurde daher (nur) eine Prozeßvoraussetzung herausgegriffen und geprüft, ob die angefochtenen Bescheide letztinstanzliche sind. Das Verfahren ist daher zulässig.

2. Das Verordnungsprüfungsverfahren hat nichts ergeben, was die Bedenken des VfGH gegen die in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen entkräftet hätte. Auch wenn das Ingenieurkammergesetz eine bescheidmäßige Absprache über die Kammerumlage vorsieht (§11 Abs4 Z4, §45 Abs1 IKG), bietet es im Hinblick auf die generelle Zuständigkeit des Kammervorstandes (§10 Abs4) keine Grundlage, im Verordnungsweg eine Zuständigkeit des Präsidenten oder des Präsidiums zur Erlassung von Bescheiden, wie sie in den Anlaßbeschwerdeverfahren bekämpft werden, zu regeln. Ebensowenig besteht eine gesetzliche Grundlage zur Einrichtung eines Instanzenzuges innerhalb der Ingenieurkammer zur Überprüfung solcher Bescheide.

Die in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen sind daher mangels gesetzlicher Grundlage aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Der Ausspruch über die Kundmachung beruht auf Art139 Abs5 B-VG.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsgegenstand, Ingenieurkammer, Ziviltechniker, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:V93.1987

Dokumentnummer

JFT_10128795_87V00093_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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