TE Vwgh Erkenntnis 1990/9/18 90/05/0089

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Veröffentlicht am 18.09.1990
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Niederösterreich;
L82000 Bauordnung;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;

Norm

BauO NÖ 1976 §120 Abs3 idF 8200-1;
BauO NÖ 1976 §120 Abs3;
BauRallg impl;
BauRallg;

Betreff

N-Aktiengesellschaft gegen Niederösterreichische Landesregierung vom 30. März 1990, Zl. R/1-V-8958, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde X, vertreten durch den Bürgermeister)

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 29. Februar 1988 beantragte die Beschwerdeführerin die Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung eines Lebensmittelmarktes auf den Grundstücken Nr. 88/2 in EZ 3712 und Nr. 46 in EZ 1, jeweils KG X (M-Straße Nr. 10). Den Einreichplänen ist zu entnehmen, daß das derzeit bestehende Objekt zur Gänze abgetragen und durch einen Neubau ersetzt werden soll. Dieser Neubau soll von der Straßenfluchtlinie zurückgesetzt werden, davor sollen Abstellplätze für neun Pkw und einen Zuliefer-Lkw geschaffen werden.

Über dieses Ansuchen fand am 7. Juli 1988 eine Verhandlung an Ort und Stelle statt, bei der sich Anrainer gegen das Bauvorhaben aussprachen. Der bautechnische Amtssachverständige erachtete das Vorhaben als nicht genehmigungsfähig, da die westseitige Hauszeile in der M-Straße durch ihr geschlossenes, an die Straßenfluchtlinie gebautes Erscheinungsbild gekennzeichnet sei; der vorgesehene Parkplatz, sowie die Ein- und Ausfahrten in die M-Straße würden nach seiner Ansicht ein "Aufreißen" der geschlossenen Gebäudefront bedeuten. Die Anordnung der Abstellplätze widerspreche dem § 3 der NÖ Garagenverordnung wegen der ungenügenden Querdurchlüftung und dem § 5 Abs. 4 der NÖ Garagenverordnung wegen der Situierung ihrer Zufahrt. In weiterer Folge legte die Beschwerdeführerin Austauschpläne vor, die an der Straßenfluchtlinie eine Mauer mit einer Ein- und Ausfahrt vorsahen.

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde hat mit Bescheid vom 25. Juli 1988 die Baubewilligung versagt, weil das Vorhaben gegen § 120 Abs. 3 Z. 1 NÖ Bauordnung sowie gegen die §§ 3 und 5 Abs. 4 der NÖ Garagenverordnung verstoße.

In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, ihr Vorhaben stehe nicht im auffallenden Widerspruch zur bestehenden Bebauung, da die Liegenschaften M-Straße 1, 3, 5, 18, 20 und 22 keine Bebauung an der Straßenfluchtlinie aufwiesen. Gleichzeitig wurde die Planungsvariante mit der Errichtung einer Einfriedungsmauer zur M-Straße zurückgezogen. Die Anwendbarkeit des § 3 der NÖ Garagenverordnung (Abstellplätze in Höfen) wurde bestritten, hinsichtlich der Zufahrt im Sinne des § 5 Abs. 4 der NÖ Garagenverordnung verwies die Beschwerdeführerin auf ein verkehrstechnisches Gutachten aus dem Betriebsanlagengenehmigungsverfahren, aus dem hervorgehe, daß auch bei Betrieb des Projektes die notwendige Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs weiterhin gegeben sei und die gesetzlichen Vorschriften eingehalten würden. Der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde holte hierauf ein verkehrstechnisches Gutachten des Amtssachverständigen Dipl.Ing. G. vom 20. Dezember 1988, sowie ein Gutachten des Amtssachverständigen Dipl.Ing. K. vom 25. Jänner 1989 hinsichtlich des Ortsbildes ein. In der Berufungsverhandlung vom 2. Februar 1989 wurden diese beiden Gutachten, die das Bauvorhaben negativ beurteilten, erörtert. Die Beschwerdeführerin legte dar, weshalb ihrer Auffassung nach den Gutachten nicht gefolgt werden könne.

Mit Berufungsbescheid vom 21. März 1989 wies der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet ab.

In der dagegen eingebrachten Vorstellung führte die Beschwerdeführerin aus, weshalb ihrer Ansicht nach das Vorhaben weder gegen baurechtliche noch sonstige gesetzliche Bestimmungen verstoße. Mit Schreiben vom 16. Juni 1989 legte die Beschwerdeführerin Stellungnahmen der Abteilung B/10 (Umwelt- und Strahlenschutz) der belangten Behörde vom 5. April 1989 sowie vom 11. April 1989 vor, in welchen das Bauvorhaben in lärmtechnischer Hinsicht als zulässig beurteilt und ausgeführt wird, daß durch die beim Betrieb des Einkaufsmarktes zu erwartenden Immissionen keine unzumutbaren Belästigungen zu erwarten seien. Mit Eingabe vom 12. Dezember 1989 legte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde ein Gutachten des Dipl.Ing.Dr.techn. W.F. vom 1. Dezember 1989 vor. Dieser Privatgutachter führte aus, allein das Festhalten an einer Baufluchtlinie ergebe noch keine in sich geschlossene Fassadengestaltung. Dazu seien die Bauhöhen, Traufenkanten, Dachformen, Fensterkonstruktionen bzw. deren Gestaltung zu different. Die Öffnung der geschlossenen Bebauung würde durch das Bauvorhaben zwar erfolgen, sie würde aber die Gestaltung des ohnehin nicht sehr bedeutenden "Ensembles" nicht besonders stören, da auch das anschließende Gebäude durch seine einzigartige Dachgestaltung einen Solitärcharakter aufweise. Auf Grund der unkoordinierten Fassadengestaltung, bei der kaum von einem Ensemble bzw. einem einheitlichen Straßenbild gesprochen werden könne, widerspreche der geplante Lebensmittelmarkt nicht dem § 120 Abs. 3 Z. 1 Nö BO, da das geplante Vorhaben in keinem auffallenden Widerspruch zur bestehenden Bebauung stehe.

Diesem Gutachten sind 14 Fotos angeschlossen.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 30. März 1990 wies die belangte Behörde die Vorstellung der Beschwerdeführerin ab. Die Aufsichtsbehörde ging nach der Begründung ihres Bescheides davon aus, daß das Bauvorhaben in einem auffallenden Widerspruch zur bestehenden Bebauung stehe, weil das Projekt nicht in gleicher Lage wie die angrenzenden Gebäude errichtet werden solle. Es reiche aus, daß das Gebäude hinsichtlich seiner Lage im Widerspruch zu der in der Umgebung bestehenden Bebauung stehe, sodaß ein weiteres Eingehen auf Kriterien wie die Bebauungsweise, Bebauungshöhe und Bebauungsdichte sowie die äußere Gestaltung der Baulichkeiten, zur Feststellung, ob ein auffallender Widerspruch zu der in der Umgebung bestehenden Bebauung vorliege, nicht mehr erforderlich sei, da durch das Zurückrücken des Gebäudes allein bereits ein schwerwiegender Widerspruch zu der in diesem Bereich bestehenden geschlossenen Bebauung an der vorderen Straßen- und Baufluchtlinie verursacht würde. Damit erübrige sich ein Eingehen auf die weiteren, auf Gemeindeebene herangezogenen Versagungsgründe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, ebenso wie die mitbeteiligte Marktgemeinde, eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 120 Abs. 3 der NÖ Bauordnung 1976 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung LGBl. 8200-6, ist eine Bewilligung gemäß § 92 oder § 93 in Gemeinden, in denen nur ein vereinfachter Bebauungsplan gemäß Abs. 1 gilt - abgesehen von § 100 Abs. 2 - zu versagen, wenn 1. das geplante Bauvorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht; 2. das Vorhaben außerhalb eines zusammenhängenden bebauten Ortsgebietes geplant ist und die geordnete Entwicklung der Bau- und Siedlungstätigkeit der Gemeinde gefährdet. In einer Gemeinde, in der noch kein und auch kein vereinfachter Bebauungsplan gilt, ist gemäß § 120 Abs. 4 leg. cit. eine Baubewilligung zu versagen, wenn das geplante Vorhaben einer Bestimmung des Abs. 3 widerspricht.

Unbestritten ist, daß in der mitbeteiligten Marktgemeinde bisher kein Bebauungsplan gilt.

Nach der Aktenlage ist das Vorhaben der Beschwerdeführerin nicht außerhalb eines zusammenhängenden bebauten Ortsgebietes geplant. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht, bedarf es, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mit Erkenntnis vom 10. Dezember 1985, Zl. 85/05/0149, BauSlg. Nr. 592, ausgesprochen hat, eines entsprechenden Beurteilungsmaßstabes, welcher nur dadurch gefunden werden kann, daß alle jene Liegenschaften in Betracht gezogen werden, die miteinander nach der überwiegend herrschenden faktischen Bebauung ein im wesentlichen einheitliches, zusammenhängendes Ganzes bilden, das sich dem äußeren Eindruck nach von den angrenzenden Gebieten abhebt. Hiezu bedarf es nach diesem Erkenntnis konkreter Feststellungen, von welchem abgegrenzten Ortsbereich die Behörde bei ihrer Annahme eines auffallenden Widerspruches zur bestehenden Bebauung ausgegangen ist.

Bereits auf Gemeindeebene wurden zu dieser Frage Sachverständigengutachten eingeholt, in welchen festgestellt wurde, daß das zu bebauende Grundstück in der M-Straße an der rechten Straßenseite, ca. 70 m nach der Kreuzung

B-Straße - W-Straße - L-Straße in Richtung Y inmitten einer geschlossenen Häuserreihe liegt und mit dem abzubrechenden Gebäude über die gesamte Grundstücksbreite in geschlossener Bebauungsweise bebaut ist. Die Straßenfluchtlinie bilde mit den angrenzenden Baufluchtlinien (im wesentlichen geradlinig und zur Straßenachse parallel) eine lineare Einheit, die sich vom Beginn des alten Ortskerns bei der H-Gasse über die L-Gasse erstrecke und sich am Ende des Angers an der dem alten Ortskern zugewandten Straßenseite nach Norden und Süden fortsetze. Im Süden ende diese geschlossene Bebauung und die einheitliche vordere Baufluchtlinie erst nach Parzelle Nr. 48 (M-Straße 18) und bilde in dieser Form in ihrer Gesamtheit DAS dominierende Gestaltungsmerkmal des historischen Ortskerns. Diese (beidseitig des Angers) bis jetzt erhaltene und ungestörte Struktur werde im wesentlichen nur durch Seitengassen unterbrochen, jedoch nicht durch zur Straße hin offene Platz- oder Hofbildungen in der "nahtlosen" geschlossenen Bebauung. Die lineare Struktur sei auch durch geringfügige Vor- bzw. Rücksprünge der Baufluchtlinie in ihrer Signifikanz nicht beeinträchtigt. Vorhandene Hofeinfahrten seien in der bestehenden Baufluchtlinie durch Einfriedungsmauern in Traufenhöhe und mit Holztoren zum Straßenraum hin abgeschlossen, ließen keine Einbuchtungen der Baufluchtlinie entstehen, seien in keinem Fall über die gesamte Grundstücksbreite ausgeführt und deshalb auch den dominierenden Hauptfassaden der Gebäude untergeordnet, ebenso wie allenfalls geringfügig sichtbare Feuermauern von Anrainerobjekten. Dieser geschlossene einheitliche Straßenzug - und eben nur dieser - werde auf Grund seiner klaren und scharfen Begrenzung an beiden Enden der dazwischen bisher unveränderten, oben beschriebenen Struktur in seiner gesamten Länge als DIE zu beurteilende vorherrschende Bebauung herangezogen. Dies vor allem auch deshalb, weil die Signifikanz und Dominanz dieser geschlossenen linearen Baustruktur mit einer einheitlichen Baufluchtlinie und Straßenfluchtlinie durch die diffuse und offene Bebauung rundherum im restlichen Ortsgebiet in ihrer Bedeutung für den Ortskern noch zusätzlich verstärkt werde. Das gegenständliche Bauvorhaben sehe nunmehr den Abbruch des inmitten dieser geschlossenen Struktur bestehenden Gebäudes vor. Danach soll auf derselben Parzelle ein Neubau errichtet werden, der die bestehende Baufluchtlinie in diesem geschlossenen System nicht beibehalte, sondern dessen Baufluchtlinie und straßenseitige Fassade teilweise 4 m, 13 m oder 17 m hinter der bestehenden liege, teilweise parallel, teilweise schräg, teilweise normal zur Straßenachse verlaufe, die geschlossene Struktur durch die Schaffung eines "Hofes" bzw. einer Einbuchtung der Baufluchtlinie aufreiße, über die gesamte Grundstücksbreite unterbreche, dadurch die Einfahrt bzw. Zufahrt zum Hauptgebäude zu dem dominierenden Merkmal werden lasse, dadurch auch den für die oben beschriebene Baustruktur des Beurteilungsgebietes an sich bedeutungslosen Feuermauern der Anrainerobjekte nunmehr eine ihnen niemals zugedachte Fassadenaufgabe zuweise - die diese auf Grund ihrer Beschaffenheit nicht erfüllen könnten - und in Summe die charakteristische Eigenart dieses zusammenhängenden Fassadenbandes schwer beeinträchtige. Selbst der von der Beschwerdeführerin beauftragte Gutachter Dipl.Ing.Dr. W.F. führt in seinem Gutachten aus, daß durch das Bauvorhaben die Öffnung der geschlossenen Bebauung erfolgen werde.

Der belangten Behörde kann nun nicht entgegengetreten werden, wenn sie auf Grund dieser Gutachten zu dem Schluß kam, daß nach der Lage des gegenständlichen Bauvorhabens - abgerückt von der Straßen- und Baufluchtlinie der anschließenden Gebäude - das Projekt zur bestehenden Bebauung im Beurteilungsbereich in einem auffallenden Widerspruch steht. Die dem Gutachten des Dipl.Ing.Dr. W.F. beigelegten Fotos bestätigen die Richtigkeit dieses Schlusses.

Die Auffassung der Beschwerdeführerin, ein Verstoß gegen § 120 Abs. 3 Z. 1 Nö BauO könne nur dann vorliegen, wenn das Bauvorhaben in einem auffallenden Widerspruch zu Bebauung stehe, deren wesentliche Merkmale durch die Lage, die Baustruktur (Bebauungsweise, Bebauungshöhe und Bebauungsdichte) und die äußere Gestaltung der Baulichkeiten gekennzeichnet seien, wobei erst die SUMME dieser Merkmale die Eigenart der bestehenden Bebauung ergebe, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu teilen. Wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend ausgeführt hat, ist ein Bauvorhaben im Hinblick auf jedes einzelne Merkmal zu beurteilen. Der auffallende Widerspruch im Sinne des § 120 Abs. 3 der Nö BauO kann sich durchaus durch ein Merkmal allein ergeben, wie etwa hier im markanten Zurückrücken hinter die Straßenfluchtlinie oder etwa auch durch die auffallende Höhe eines Gebäudes.

Auch die Beschwerderüge, als maßgebliches Beurteilungsgebiet könne nicht nur die rechte (westseitige) Hauszeile in der M-Straße herangezogen werden, sondern es sei das gesamte bebaute Gebiet im Bereich der Kreuzung B-Gasse

Schlagworte

Planung Widmung BauRallg3Baubewilligung BauRallg6

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990050089.X00

Im RIS seit

03.05.2001

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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