TE Vwgh Erkenntnis 1990/9/20 90/06/0024

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.09.1990
beobachten
merken

Index

L85007 Straßen Tirol;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
LStG Tir 1989 §44 Abs5;
LStG Tir 1989 §70 Abs2 lita;
LStG Tir 1989 §70 Abs2 litc;
LStG Tir 1989 §73;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Giendl und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des J gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 5. Dezember 1989, Zl. IIb1-L-1724/2-1989, betreffend Enteignung nach dem Tiroler Straßengesetz (mitbeteiligte Partei: Gemeinde A, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Kundmachung vom 13. November 1989 beraumte die belangte Behörde auf Antrag der mitbeteiligten Gemeinde eine mündliche Verhandlung nach § 68 des Tiroler Straßengesetzes für Donnerstag den 30. November 1989 an; Gegenstand dieser Verhandlung war danach die dauernde und lastenfreie Enteignung der für den Bau des "Grubenweges" auf Grund der rechtskräftigen Straßenbaubewilligung vom 15. September 1988, Zl. 612-1 benötigten Flächen sowie die Festsetzung der Entschädigung. Vom nunmehrigen Beschwerdeführer wurden folgende Flächen beansprucht: Grundstück Nr. 4: 1 m2, Grundstück Nr. 7: 5 m2, Grundstück Nr. 1: 24 m2, alle in KG A. Nach Durchführung der Verhandlung wurden mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 5. Dezember 1989 unter I zugunsten der mitbeteiligten Gemeinde Grundflächen, die nicht planlich dargestellt wurden, für dauernd lastenfrei enteignet erklärt. Unter II wurden die für die eingelösten Grundflächen zu leistenden Entschädigungen festgesetzt. Zur Begründung führte die Behörde aus, die Verhandlung habe ergeben, daß bei projektsgemäßer Ausführung in öffentlicher Hinsicht keine Bedenken gegen das Straßenbauvorhaben der mitbeteiligten Gemeinde bestünden. Die Notwendigkeit der Beanspruchung und der Bedarf seien auf Grund der rechtskräftigen Baubewilligung gegeben. Die Voraussetzungen für die Enteignung der beanspruchten Flächen seien somit gegeben. Die Entschädigungsbeträge seien auf Grund der Gutachten der Sachverständigen festgesetzt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor, verzichtete jedoch ebenso wie die mitbeteiligte Partei auf die Erstattung einer Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich zunächst dadurch in seinen Rechten verletzt, daß die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Enteignung nicht gegeben seien, und das Straßenbauvorhaben insbesondere auch durch Einräumung der Dienstbarkeit des unbeschränkten Geh- und Fahrrechtes verwirklicht werden könnte. Entgegen § 59 Abs. 1 AVG 1950 enthalte der Spruch des angefochtenen Bescheides nicht die angewendeten Gesetzesbestimmungen; auch lasse die nur ansatzweise vorhandene Begründung nicht erkennen, auf welche gesetzliche Grundlage die belangte Behörde ihren Bescheid gestützt habe. Entgegen § 58 AVG 1950 sei die belangte Behörde ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen. Die Bewilligung der Enteignung von Grundstücksflächen nach dem Tiroler Straßengesetz setze das Vorliegen eines Detailprojektes und eines Grundeinlösungsplanes, dem die Qualität eines verbücherungsfähigen Teilungsplanes zukomme, voraus. Im gegenständlichen Fall liege kein Grundeinlösungsplan vor, im Spruch des Bescheides sei der Gegenstand der Enteignung unzureichend bestimmt. Ein Vergleich des Punktes II des Spruches des angefochtenen Bescheides mit dem Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 15. September 1988 zeige, daß sich die Flächenausmaße lediglich vorläufig auf Grund des vorliegenden Projektes ergäben und das endgültige Ausmaß erst auf Grund des Ergebnisses der Vermessung nach Fertigstellung des Baues vorliegen werde. Es werde somit im bekämpften Bescheid unzulässigerweise lediglich eine Zirka-Fläche des von der Enteignung betroffenen Gegenstandes angegeben. Entgegen der Bestimmung des § 70 Abs. 2 lit. a des Tiroler Straßengesetzes enthalte der angefochtene Bescheid nicht einmal ansatzweise eine Beschreibung des Vorhabens, dessen Verwirklichung die Enteignung diene. Der Beschwerdeführer sei solcherart nicht in der Lage, die bescheidmäßige Ausführung des beabsichtigten Straßenbauvorhabens zu überprüfen. Gemäß § 68 Abs. 2 des Tiroler Straßengesetzes seien die dem Enteignungsantrag nach § 67 Abs. 2 lit. a und b leg. cit. anzuschließenden Unterlagen während der Dauer des Anschlages betreffend die Anberaumung der mündlichen Verhandlung im Gemeindeamt zur allgemeinen Einsicht aufzulegen. Dem Ansuchen der mitbeteiligten Gemeinde seien weder ein Enteignungsplan, noch eine mit der Rechtskraftklausel versehene Ausfertigung des das Vorhaben bewilligenden Bescheides angeschlossen gewesen; dementsprechend seien diese Unterlagen auch nicht zur Einsichtnahme aufgelegt worden. Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer solcherart nicht beurteilen könne, ob der das beabsichtigte Bauvorhaben bewilligende Bescheid bereits in Rechtskraft erwachsen ist, sei dem Beschwerdeführer durch die Nichtauflage der genannten Urkunden in seinen Möglichkeiten einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung wesentlich beeinträchtigt.

Für die Erledigung der vorliegenden Beschwerde sind folgende Bestimmungen des Tiroler Straßengesetzes, LGBl. Nr. 13/1989, maßgebend:

"§ 63

Gegenstand und Umfang der Enteignung

(1) Durch Enteignung können

a) an Grundstücken das Eigentum sowie Dienstbarkeiten und andere Rechte, die zum Gebrauch oder zur Nutzung des Grundstückes berechtigen, eingeräumt werden,

b) unbeschadet des § 71 Abs. 4 Dienstbarkeiten, Reallasten und andere im Privatrecht begründete dingliche und obligatorische Rechte, die zum Gebrauch oder zur Nutzung eines Grundstückes berechtigen, eingeschränkt oder entzogen werden.

(2) Eine Enteignung ist nicht zulässig

a) an Grundstücken des Bundes und des Landes, die öffentlichen Zwecken dienen, und

b) an Grundstücken, die Zwecken dienen, für die nach anderen Gesetzen eine Enteignung zulässig ist.

(3) Eine Enteignung durch Einräumung des Eigentums an einem Grundstück ist nur zulässig, wenn der Zweck der Enteignung nicht durch Einräumung eines anderen Rechtes nach Abs. 1 lit. a verwirklicht werden kann.

(4) Eine Enteignung ist nur in dem zur Verwirklichung ihres Zweckes erforderlichen Umfang zulässig.

(5) Würden bei der Enteignung eines Teiles eines Grundstückes Grundstücksreste entstehen, die weder in der bisherigen Weise noch sonst zweckmäßig nutzbar wären, so sind auf Antrag des Enteigneten auch diese Grundstücksreste zu enteignen.

(6) Würde ein Grundstück durch im Wege der Enteignung einzuräumende Rechte derart belastet werden, daß es weder in der bisherigen Weise noch sonst zweckmäßig nutzbar wäre, so ist auf Antrag des Enteigneten das Grundstück durch Einräumung des Eigentums zu enteignen.

(7) Würde die nach § 38 Abs. 3 für den Wegfall einer Verkehrsverbindung zu leistende Vergütung den Verkehrswert des durch diese Verkehrsverbindung erschlossenen Grundstückes übersteigen, so ist das Grundstück auf Antrag des Straßenverwalters zu enteignen.

§ 67

Einleitung des Enteignungsverfahrens

(1) Ein Enteignungsverfahren wird auf schriftlichen Antrag des Enteigners eingeleitet.

(2) Dem Enteignungsantrag sind jene Unterlagen anzuschließen, die zur Beurteilung der Zulässigkeit der Enteignung erforderlich sind. Jedenfalls anzuschließen sind:

a) ein Enteignungsplan, aus dem die von der Enteignung betroffenen Grundstücke hervorgehen;

b) ein nach Katastralgemeinden getrenntes Verzeichnis der von der Enteignung betroffenen Grundstücke, das für jedes Grundstück den Namen und die Adresse des Grundeigentümers, die Grundstücksnummer, die Zahl der Grundbuchseinlage, die Benützungsart, das Flächenausmaß und, sofern nur ein Teil eines Grundstückes von der Enteignung betroffen ist, das Flächenausmaß dieses Teiles zu enthalten hat;

c) Grundbuchsauszüge über die von der Enteignung betroffenen Grundstücke;

d) bei einer Enteignung für Vorhaben, die einer Straßenbaubewilligung bedürfen, eine mit der Rechtskraftklausel versehene Ausfertigung des Bewilligungsbescheides;

e) bei einer Enteignung für Vorhaben, die keiner Straßenbaubewilligung bedürfen, eine genaue Beschreibung des Vorhabens;

f) bei einer Enteignung zugunsten einer öffentlichen Privatstraße eine mit der Rechtskraftklausel versehene Ausfertigung des Bescheides nach § 61 Abs. 2.

(3) Parteien des Enteignungsverfahrens sind der Enteigner, die Enteigneten und, soweit es sich um die Festsetzung der Vergütung für Vermögensnachteile im Sinne des § 65 Abs. 1 handelt, die Nebenberechtigten. Bei einem Wechsel in der Person des Enteigneten oder des Nebenberechtigten tritt der Rechtsnachfolger in das Enteignungsverfahren in jenem Stand ein, in dem es sich im Zeitpunkt des Rechtsüberganges befindet.

§ 68

Mündliche Verhandlung

(1) Die Behörde hat über jeden Enteignungsantrag, sofern er nicht als unzulässig zurückzuweisen ist, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Sie ist mit einem Augenschein an Ort und Stelle zu verbinden.

(2) Zur Verhandlung sind der Enteigner sowie die Enteigneten und die Nebenberechtigten zu laden. Die Anberaumung der mündlichen Verhandlung ist überdies durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde während zweier Wochen bekanntzumachen. Die dem Enteignungsantrag nach § 67 Abs. 2 lit. a und b anzuschließenden Unterlagen sind während der Dauer des Anschlages im Gemeindeamt zur allgemeinen Einsicht aufzulegen. Auf die Auflegung dieser Unterlagen ist in der Ladung und im Anschlag ausdrücklich hinzuweisen.

(3) Der Enteigner hat die von der Enteignung betroffenen Grundflächen spätestens am dritten Tag vor der mündlichen Verhandlung in der Natur in geeigneter Weise zu kennzeichnen.

(4) Der mündlichen Verhandlung sind jedenfalls die Sachverständigen beizuziehen, die für die Beurteilung des für die Bemessung der Vergütung maßgebenden Sachverhaltes erforderlich sind.

§ 70

Enteignungsbescheid

(1) Die Behörde hat über einen Enteignungsantrag mit schriftlichem Bescheid zu entscheiden.

(2) Wird dem Enteignungsantrag stattgegeben, so hat der Enteignungsbescheid jedenfalls zu enthalten:

a) eine genaue Beschreibung des Vorhabens, dessen Verwirklichung die Enteignung dient;

b) bei einer Enteignung für Vorhaben, die nicht einer Straßenbaubewilligung bedürfen, eine angemessene Frist für die Ausführung des Vorhabens;

c)

die genaue Bezeichnung des Gegenstandes der Enteignung;

d)

die Festsetzung der den Enteigneten bzw. den Nebenberechtigten zustehenden Vergütung, sofern nicht ein zulässiges Übereinkommen zwischen dem Enteigner und den Enteigneten bzw. den Nebenberechtigten über die Vergütung vorliegt;

              e)              bei einer Enteignung durch Einräumung des Eigentums an einem Grundstück die Feststellung, welche Rechte nach § 71 Abs. 4 erlöschen.

(3) Die nach Abs. 2 lit.b festzusetzende Frist darf fünf Jahre nicht übersteigen. Sie ist auf Antrag des Straßenverwalters um höchstens drei Jahre zu verlängern, wenn die Ausführung des Vorhabens ohne Verschulden des Straßenverwalters verzögert wurde."

Entgegen der Bestimmung des § 70 Abs. 2 lit. a des Tiroler Straßengesetzes enthält der angefochtene Bescheid keine Beschreibung des Vorhabens, dessen Verwirklichung die Enteignung dient. Weder dem Spruch noch der Begründung des angefochtenen Bescheides kann entnommen werden, auf welche rechtskräftige Baubewilligung sich die Enteignung bezieht. Schon dadurch ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Das Erfordernis der genauen Beschreibung des Vorhabens, dessen Verwirklichung die Enteignung dient, ergibt sich aber nicht nur aus des § 70 Abs. 2 lit. a des Straßengesetzes, sondern auch aus § 44 Abs. 5 im Zusammenhang mit § 73 leg. cit.: Nach der erstgenannten Bestimmung erlischt nämlich die Straßenbaubewilligung, wenn mit der Ausführung des Bauvorhabens nicht binnen fünf Jahren nach dem Eintritt der Rechtskraft der Bewilligung begonnen wurde. Wenn nicht zweifelsfrei feststeht, auf welchen straßenrechtlichen Baubewilligungsbescheid sich der Enteignungsbescheid bezogen hat, wäre der Enteignete somit in der Geltendmachung seines Rechtes auf Rückübereignung gemäß § 73, der an die Frist des § 44 Abs. 5 des Gesetzes anknüpft, beeinträchtigt.

Im Spruch des Bescheides müßte festgehalten sein, welche nach Ausmaß und Lage definierten Flächen enteignet werden. Nur eine genaue verbale Umschreibung oder der Verweis auf einen Bescheidbestandteil bildenden Plan entspricht nämlich dem im § 70 Abs. 2 lit. c des Tiroler Straßengesetzes normierten Gebot der genauen Bezeichnung des Enteignungsgegenstandes.

Dem vorgelegten Verwaltungsakt kann ferner nicht entnommen werden, daß die nach § 67 Abs. 2 lit. a und b des Tiroler Straßengesetzes dem Antrag anzuschließenden Unterlagen während der Dauer des Anschlages im Gemeindeamt in Entsprechung der Anordnung des § 68 Abs. 2 dritter Satz des Tiroler Straßengesetzes zur allgemeinen Einsicht aufgelegen wären. Mit der Frage, ob der Zweck der Enteignung nicht durch Einräumung eines anderen Rechtes nach § 63 Abs. 1 lit. a des Tiroler Straßengesetzes erreicht werden könnte, hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ebenfalls nicht auseinandergesetzt. Da nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei Durchführung der erforderlichen Ermittlungen zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, belastete sie den angefochtenen Bescheid damit überdies mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Bescheid war schon aus den eingangs dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Mit der Erledigung der Beschwerde ist der Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990060024.X00

Im RIS seit

20.09.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten