TE Vwgh Erkenntnis 1990/9/21 90/11/0044

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Veröffentlicht am 21.09.1990
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
43/01 Wehrrecht allgemein;

Norm

ABGB §186;
ABGB §40;
ABGB §42;
WehrG 1978 §37 Abs2 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 18. Dezember 1989, Zl. 692.285/1-2.5/89, betreffend Befreiung von der Präsenzdienstpflicht, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des im Jahre 1969 geborenen Beschwerdeführers vom 3. April 1989 auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes gemäß § 37 Abs. 2 lit. b des Wehrgesetzes 1978 abgewiesen.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren vorgebracht, daß er als Arbeitskraft im landwirtschaftlichen Betrieb seines Onkels und "Ziehvaters" unentbehrlich sei. Als sonstige Arbeitskraft sei nur der im Jahre 1939 geborene, krankheitsbedingt zu 30 bis 40 Prozent erwerbsunfähige Betriebsinhaber vorhanden. Auf dem Hofe lebe noch seine ebenfalls im Jahre 1939 geborene "Ziehmutter", die - neben der Haushaltsführung - im Rahmen ihrer Möglichkeiten ebenfalls in der Landwirtschaft mitarbeite. Es handle sich um einen extremen Bergbauernbetrieb in der Erschwerniszone III mit einem Viehstand von je 12 Milchkühen und Jungrindern. Auf Grund von Investitionen sei ein Schuldenstand von S 400.000,-- gegeben.

Die belangte Behörde hat das Vorliegen wirtschaftlicher Interessen des Beschwerdeführers an seiner Befreiung verneint, familiäre Interessen des Beschwerdeführers hingegen anerkannt, diesen aber die besondere Rücksichtswürdigkeit im Sinne des Gesetzes abgesprochen. Es könnten sowohl die voll erwerbsfähige "Ziehmutter" des Beschwerdeführers im Rahmen ihrer ehelichen Beistandspflicht als auch familienfremde Arbeitskräfte unter der Anleitung und Aufsicht des Betriebsinhabers für die Aufrechterhaltung des Betriebes sorgen, wobei eine vorübergehende Einschränkung der Tierhaltung zumutbar sei. Im übrigen könne der Beschwerdeführer, dessen Einberufung in eine nahegelegene Garnsion in Aussicht genommen sei, den Betriebsinhaber in seiner dienstfreien Zeit und im Rahmen von allfälligen Dienstfreistellungen nach § 49 Abs. 9 des Wehrgesetzes 1978 bei der Betriebsführung unterstützen.

Gemäß § 37 Abs. 2 lit. b des im Beschwerdefall noch anzuwendenden) Wehrgesetzes 1978 können Wehrpflichtige auf deren Antrag von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes befreit werden, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.

Die belangte Behörde geht in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes davon aus, daß wirtschaftliche Interessen des Beschwerdeführers an seiner Befreiung im Sinne des Gesetzes nicht bestehen. Betriebsinhaber ist nicht der Beschwerdeführer. Sein Interesse an der ungestörten Aufrechterhaltung des Betriebes gründet sich auf seine beabsichtigte Hofübernahme. Dieser Umstand hat aber außer Betracht zu bleiben, handelt es sich doch dabei um ein ungewisses, in der Zukunft liegendes Ereignis, während die Militärbehörden von dem zum Zeitpunkt zur Erlassung ihrer Bescheide gegebenen Sachverhalt auszugehen haben (vgl. das Erkenntnis vom 30. Juni 1987, Zl. 87/11/0091).

Besonders rücksichtswürdige familiäre Interessen im Sinne des § 37 Abs. 2 lit. b des Wehrgesetzes 1978 liegen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann vor, wenn ein Familienangehöriger in seinen eigenen Belangen der Unterstützung durch den Wehrpflichtigen bedarf, die ihm dieser aber wegen der Ableistung des ordentlichen Präsenzdienstes nicht gewähren könnte, und wenn durch die Nichtunterstützung des Angehörigen durch den Wehrpflichtigen eine Gefährdung der Gesundheit oder sonstiger lebenswichtiger Interessen des Angehörigen zu befürchten ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Dezember 1987, Zl. 87/11/0094).

Der Verwaltungsgerichtshof hegt im Beschwerdefall keine Bedenken dagegen, daß eine allfällige Unterstützungsbedürftigkeit des als "Onkel und Ziehvater" bezeichneten Inhabers des landwirtschaftlichen Betriebes familiäre Interessen des Bfrs an seiner Befreiung von der Präsenzdienstpflicht begründen kann. Solche Interessen können auch in Ansehung von Personen vorliegen, zwischen denen keine gesetzlichen Unterhaltsansprüche bestehen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Dezember 1989, Zl. 89/11/0087). Mangels einer gesetzlichen Definition der Begriffe des "familiären Interesses" bzw. der "Familie" im Wehrgesetz und mangels einer praktikablen allgemeinen Definition des letztgenannten Begriffes (vgl. § 40 ABGB, wonach unter Familie die Stammeltern mit allen ihren Nachkommen verstanden wird) ist - ausgehend vom Zweck der Regelung - darunter ein Verhältnis zwischen blutsverwandten Personen zu verstehen, die nach der Art ihres Zusammenlebens, auch in wirtschaftlicher Hinsicht, mit einer Familie im engsten denkbaren Sinn, also der Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten, Kindern und allenfalls Großeltern, vergleichbar sind. Dabei wird auch auf die jeweiligen gesellschaftlichen (hier also auf bäuerliche) Verhältnisse abzustellen sein.

Der Verwaltungsgerichtshof geht demnach mit den Parteien des verwaltungsgerichtslichen Verfahrens entgegen seiner im Verfahren geäußerten Zweifel (Berichterverfügung vom 4. Juli 1990, OZl. 5), denen insbesondere die belangte Behörde trotz gebotener Möglichkeit nicht beigetreten ist, davon aus, daß familiäre Interessen gegeben sind, weil der Bfr nach der Aktenlage offensichtlich im Betrieb und im Haushalt des "Onkels und Ziehvaters" (und seiner Ehefrau) eine Stellung wie ein eigenes Kind einnimmt.

Familiäre Interessen im Sinne des Gesetzes wären demnach nur dann anzunehmen, wenn der Betriebsinhaber durch die Präsenzdienstleistung des Beschwerdeführers in eine Lage versetzt würde, in der seine Existenz gefährdet erschiene. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn er infolge Einstellung oder Einschränkung der Betriebsführung aus dem Betrieb den Lebensunterhalt für sich und seine Ehefrau nicht mehr bestreiten könnte oder wenn er Gefahr liefe, den Betrieb infolge des Schuldenstandes zu verlieren. Letzteres hat der Beschwerdeführer nicht behauptet. Der Sache nach macht er aber geltend, daß ohne seine Mitarbeit der Betrieb nicht geführt werden könne und damit die Grundlage für die Bestreitung des Lebensunterhaltes seiner Zieheltern wegfalle.

Soweit die belangte Behörde auf die mögliche Mitarbeit des Beschwerdeführers auch während der Präsenzdienstleistung verweist, ist dies von sehr eingeschränktem argumentativem Wert. Der Beschwerdeführer hat weder einen Rechtsanspruch auf die Einziehung in eine nahegelegene Garnison noch auf eine Dienstfreistellung.

Auch der Hinweis auf die Beschäftigung familienfremder Arbeitskräfte vermag den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen. Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren ausdrücklich bestritten, daß dies finanziell tragbar sei und - vor allem in diesem Zusammenhang - den hohen Schuldenstand des Betriebes ins Treffen geführt. Darauf ist die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht eingegangen.

Die Mitarbeit der "Ziehmutter" im landwirtschaftlichen Betrieb, über die Führung des Haushaltes hinaus, hat der Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren als "nur mehr beschränkt" bezeichnet. Im Hinblick auf deren Lebensalter ist es auch nicht als von vornherein unschlüssig zu erkennen, daß sie die schwersten körperlichen Arbeiten im Betrieb anstelle des Beschwerdeführers nicht würde übernehmen können. Ohne nähere Ermittlungen hätte die belangte Behörde nicht davon ausgehen dürfen, durch die Mitarbeit der "Ziehmutter" des Bfrs an seiner Stelle würde der Betrieb für die Dauer der Ableistung des Grundwehrdienstes durch den Bfr aufrechterhalten werden können.

Es ist auch nicht von vornherein unschlüssig, wenn der Beschwerdeführer dem erstmaligen Hinweis der belangten Behörde auf die Arbeitsentlastung des Betriebsinhabers durch Einschränkung der Tierhaltung mit dem Argument begegnet, daß dadurch insbesondere nichts gewonnen wäre, weil die schwersten Arbeiten - er nannte in diesem Zusammenhang das Verbringen des Stallmists auf Futterflächen in Hanglage - weiterhin, wenngleich in geringerem Ausmaß anfielen.

Die belangte Behörde hat für die in der Begründung des angefochtenen Bescheides gebrauchten Argumente den Sachverhalt lediglich unvollständig festgestellt und auch dadurch Verfahrensvorschriften verletzt, daß sie auf das Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren nicht ausreichend eingegangen ist. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil an Stempelgebührenersatz lediglich ein Betrag von S 420,-- zuzusprechen war (S 240,-- für zwei - nicht pro Bogen, sondern insgesamt mit S 120,-- zu vergebührende - Beschwerdeausfertigungen, S 60,-- für die Ausfertigung des angefochtenen Bescheides - die Vorlage des erstinstanzlichen Bescheides war gesetzlich nicht geboten und auch zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich - sowie S 120,-- für die Vollmachtsurkunde).

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990110044.X00

Im RIS seit

21.09.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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