Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des H gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 29. Jänner 1990, Zl. 11-39 He 10-88, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 7. April 1988 wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, F und G wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 vorübergehend für die Dauer von drei Monaten, von der Zustellung dieses Bescheides an gerechnet, entzogen. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 11. April 1988 zugestellt.
Nach "vorläufiger Wiederausfolgung" des Führerscheines an den Beschwerdeführer am 5. Mai 1988 sprach die Bezirkshauptmannschaft Liezen mit Vorstellungsbescheid vom 27. Mai 1988 gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers für die Dauer von drei Monaten aus, und zwar "gerechnet ab dem Tage der Rechtskraft dieses Bescheides" und unter "Abrechnung" der Zeit vom 11. April 1988 bis zur vorläufigen Wiederausfolgung des Führerscheines.
Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 29. Jänner 1990 abgewiesen, gleichzeitig wurde jedoch der Spruch des Vorstellungsbescheides dahin geändert, "daß der Zeitraum vom 18. März 1988 (Zeitpunkt der vorläufigen Abnahme des Führerscheines) bis zur Wiederausfolgung desselben am 5. Mai 1988 auf die Entziehungszeit angerechnet wird".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1.) Wie schon der Vorstellungsbescheid enthält auch der vorliegend angefochtene Bescheid keinen Ausspruch betreffend Bestätigung des Mandatsbescheides vom 7. April 1988. Vielmehr ist allein die Rede von der Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers mit Wirkung "ab dem Tage der Rechtskraft" des Vorstellungsbescheides, das ist im vorliegenden Fall ab Erlassung des ihn bestätigenden angefochtenen Bescheides. Der normative Inhalt des angefochtenen Bescheides erschöpft sich demnach in der Anordnung der Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers mit Wirkung ab Erlassung dieses Bescheides für einen Zeitraum von drei Monaten abzüglich der Zeit von der vorläufigen Abnahme des Führerscheins bis zu dessen "vorläufiger Wiederausfolgung" (48 Tage). Dieser Ausspruch über die Zeit im Sinne des § 73 Abs. 2 KFG 1967 widerspricht dem dort enthaltenen Gebot, wonach diese Zeit - von dem hier nicht gegebenen Ausnahmefall des Abs. 3 abgesehen - bei Personen, die nicht verkehrszuverlässig sind, nicht kürzer als drei Monate sein darf, andernfalls eine Entziehung der Lenkerberechtigung nicht in Betracht kommt (vgl. dazu auch das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11.237/A). Schon daraus folgt die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides.
2.) Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides ging die belangte Behörde von der Annahme aus, der Beschwerdeführer habe am 18. März 1988 mit einem näher bezeichneten Kraftfahrzeug einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verschuldet und in der Folge durch Verweigerung der Atemluftprobe eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 begangen. Sie erblickte darin eine bestimmte Tatsache im Sinne des "§ 66 Abs. 1 und 2 KFG 1967", deren besondere Verwerflichkeit zur Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers berechtige.
Soweit der Beschwerdeführer die Annahme bekämpft, er habe am 18. März 1988 durch Verweigerung der Atemluftprobe eine Verwaltungsübertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, ist er auf seine rechtskräftige Bestrafung wegen der genannten Übertretung durch den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 4. August 1989 hinzuweisen. Damit stand für die belangte Behörde ungeachtet der dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof die Begehung dieser Übertretung durch den Beschwerdeführer bindend fest (vgl. zur diesbezüglichen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter anderem das Erkenntnis vom 19. Februar 1988, Zl. 87/11/0121, und die dort angeführte Vorjudikatur). Die in diesem Zusammenhang vorgetragenen Verfahrensrügen gehen demnach ins Leere. In Ansehung der Annahme, er habe am 18. März 1988 einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verschuldet, indem er mit seinem Pkw ein vorschriftsmäßig abgestelltes Kraftfahrzeug gestreift und es dadurch beschädigt habe, wendet der Beschwerdeführer lediglich ein, es stehe nicht fest, daß er einen Verkehrsunfall verschuldet habe. Er bringt aber auch in der Beschwerde nichts vor, was Zweifel an der Annahme seines Verschuldens am Verkehrsunfall erwecken könnte; auch die Aktenlage gibt keinen Anlaß zu Bedenken gegen diese Annahme. Sein Vorbringen, "das diesbezügliche Verwaltungsstrafverfahren BH Liezen" sei noch nicht endgültig entschieden, es sei auch insoweit ein Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof anhängig, betrifft offenbar die weitere (hier nicht zu erörternde) Frage, ob der Beschwerdeführer am 18. März 1988 auch Übertretungen nach § 4 Abs. 1 lit. a und Abs. 5 StVO 1960 dadurch begangen hat, daß er nach dem Streifen des abgestellten Pkws sein Kraftfahrzeug nicht sofort angehalten und außerdem die gebotene Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle unterlassen hat.
Die Verweigerung der Atemluftprobe durch den Beschwerdeführer am 18. März 1988 bildet eine seine Verkehrsunzuverlässigkeit indizierende bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967, und zwar sowohl in der von der belangten Behörde bereits anzuwendenden Fassung der 12. KFG-Novelle, BGBl. Nr. 375, als auch (im Hinblick auf den vom Beschwerdeführer verschuldeten Verkehrsunfall) in der bei Erlassung des Vorstellungsbescheides noch in Geltung gestandenen Fassung dieser Gesetzesstelle vor der genannten Novelle (nach der sublit. bb). Die Beschwerde ist, soweit sie das Vorliegen einer solchen bestimmten Tatsache an sich bestreitet, nicht berechtigt.
Sie erweist sich aber insoweit, als sie unter Hinweis auf die seit der Tat vergangene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers während dieser Zeit die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides in Frage stellt, als berechtigt. Die Rechtmäßigkeit der mit ihm ausgesprochenen Entziehungsmaßnahme "ab Rechtskraft des Bescheides" hängt unter anderem davon ab, ob die belangte Behörde mit Recht angenommen hat, der Beschwerdeführer sei auch noch im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides verkehrsunzuverlässig (vgl. zu diesem Erfordernis das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11.237/A). Dies ist nicht der Fall. Maßgebend für die Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers war die Wertung der Verweigerung der Atemluftprobe nach dem von ihm verschuldeten Verkehrsunfall vom 18. März 1988 im Lichte des § 66 Abs. 3 KFG 1967, also unter Bedachtnahme auf ihre Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurde, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers während dieser Zeit. Die belangte Behörde hat nun zu Recht die besondere Verwerflichkeit auch von derartigen Alkoholdelikten betont. Zu beachten ist hiebei aber, daß es sich nach der Aktenlage um das erste vom Beschwerdeführer begangene Alkoholdelikt handelt und daher jedenfalls nicht von einer besonderen Neigung des Beschwerdeführers zur Begehung von Alkoholdelikten die Rede sein kann (vgl. zur Wertung der erstmaligen Begehung eines Alkoholdeliktes die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1988, Zl. 87/11/0247, vom 5. Juli 1989, Zl. 89/11/0082, und vom 22. Mai 1990, Zl. 90/11/0022). Nicht dem Gesetz entsprechend berücksichtigt hat die belangte Behörde die Kriterien der seither verstrichenen Zeit und des Verhaltens während dieser Zeit. Für den Beschwerdeführer fällt nämlich die Länge der seit der Tat vom 18. März 1988 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides verstrichenen Zeit (mehr als 22 Monate) und sein nach der Aktenlage gegebenes Wohlverhalten während dieser Zeit, in der er nach der "vorläufigen Wiederausfolgung" seines Führerscheines am 5. Mai 1988 zum Lenken von Kraftfahrzeugen berechtigt war, entscheidend ins Gewicht. Im Hinblick darauf war, wenngleich einem Wohlverhalten während eines anhängigen Entziehungsverfahrens nur mindere Bedeutung zukommt (vgl. unter anderem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Juni 1983, Zl. 82/11/0125), bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers nicht mehr berechtigt, weshalb auch aus diesem Grund die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Entziehung seiner Lenkerberechtigung mit Wirksamkeit ab Erlassung dieses Bescheides nicht dem Gesetz entspricht.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere RechtsproblemeRechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990110047.X00Im RIS seit
19.03.2001Zuletzt aktualisiert am
18.06.2009