TE Vwgh Erkenntnis 1990/9/25 89/08/0313

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Veröffentlicht am 25.09.1990
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Index

60/03 Kollektives Arbeitsrecht;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ArbVG §96 Abs1 Z4;
ASVG §49 Abs1;
KollV eisen- und metallverarbeitende Industrie Abschn10;
KollV eisen- und metallverarbeitende Industrie Abschn8 Z7;

Betreff

Wiener Gebietskrankenkasse gegen Landeshauptmann von Wien vom 4. Oktober 1989, Zl. MA 14-K 52/89, betreffend Beitragsnachbelastung (mitbeteiligte Partei: K-GmbH)

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.0. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der näheren Darstellung des Sachverhaltes auf die Entscheidungsgründe des in dieser Rechtssache ergangenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Juni 1989, Zl. 87/08/0331, verwiesen.

1.1. Mit diesem Erkenntnis hat der Gerichtshof den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Oktober 1987 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, da weder dieser noch der erstinstanzliche Bescheid hinreichend Aufschluß über die anzuwendenden lohn- und arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen des Kollektivvertrages für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie (in der Folge: Kollektivvertrag) gebe. Der Grundsatz "Iura novit curia" sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 13. Oktober 1988, Zl. 86/08/0190) auf einen Kollektivvertrag nicht anzuwenden. Seitens der belangten Behörde seien daher Tatsachenfeststellungen über den Inhalt aller im genannten Sinn maßgebenden Bestimmungen des Kollektivvertrages erforderlich, um den angefochtenen Bescheid auf seine Rechtswidrigkeit überprüfen zu können.

1.2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde gemäß den §§ 413 und 414 in Verbindung mit § 355 ASVG festgestellt, daß die mitbeteiligte Gesellschaft nicht verpflichtet sei, für die in der Anlage zum angefochtenen Bescheid angeführten Dienstnehmer für die Zeit vom 1. Jänner 1982 bis 31. Dezember 1985 Sonderbeiträge in der Gesamthöhe von S 154.206,37 an die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse zu entrichten.

In der Begründung wurde nach Darstellung des bisherigen Verfahrensgeschehens und Wiedergabe der Abschnitte VIII Z. 5 und 6 und X des Kollektivvertrages die Auffassung vertreten, daß die von der mitbeteiligten Partei gewährten Wegzeitvergütungen nicht dem Verdienstbegriff des Abschnittes X des Kollektivvertrages unterlägen. Nach der Aktenlage stünde fest, daß die Mitbeteiligte den in der Anlage des Bescheides genannten Dienstnehmern in der Zeit vom 1. Jänner 1982 bis 31. Dezember 1985 Wegzeitvergütungen je nach Anfall bezahlt habe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes zur nahezu gleichlautenden Bestimmung des Abschnittes X des Kollektivvertrages für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe seien solche Vergütungen, die den betroffenen Dienstnehmern nur nach dem tatsächlichen Anfall und nicht in Form eines Pauschalbetrages ausbezahlt würden, wohl ein "Entgelt" im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG, könnten jedoch nicht dem Begriff des "Verdienstes" im Sinne des Abschnittes X des Kollektivvertrages für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe unterstellt werden. Als den Dienstnehmern nicht von vornherein in fester Höhe, sondern nur bei Anfall entsprechender Wegzeiten gebührende Entgeltteile gehörten sie nicht zum Grundlohn und seien auch nicht als leistungsbezogene Entgeltteile gemäß § 96 Abs. 1 Z. 4 des Arbeitsverfassungsgesetzes anzusehen. Seien die an die Dienstnehmer bezahlten Wegzeitvergütungen nicht dem "Verdienst" im Sinne des Abschnittes X des im Gegenstande anzuwendenden Kollektivvertrages zuzuordnen, dann könnten sie auch entsprechend den kollektivvertraglichen Bestimmungen nicht in die Bemessungsgrundlage für den Urlaubszuschuß und die Weihnachtsremuneration einbezogen werden, weshalb die Beitragsfreiheit der ausbezahlten Vergütungen zu bejahen sei. Wenn die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse vorbringe, nach dem Urteil des OGH vom 22. Februar 1989, 9 Ob A 17/89, seien die in Frage stehenden Wegzeitvergütungen Arbeitslohn im Sinne des Abschnittes X, so sei dem entgegenzuhalten, daß im Verwaltungsverfahren auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Bedacht genommen werden müsse.

1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

1.4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift erstattet.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Nach Abschnitt XVII Z. 5 Kollektivvertrag (dessen im Beschwerdefall maßgebende Bestimmungen im entscheidungsrelevanten Zeitraum im wesentlichen unverändert geblieben sind) hat der Arbeitnehmer einmal in jedem Kalenderjahr zum gesetzlichen Urlaubsentgelt Anspruch auf einen Urlaubszuschuß. Dieser Urlaubszuschuß beträgt ohne Rücksicht auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit einen Monatsverdienst. Nach Abschnitt XVII Z. 11 Kollektivvertrag erfolgt die Berechnung des Urlaubszuschusses nach den Bestimmungen über den Verdienstbegriff (Abschnitt X).

Nach Abschnitt XVIII Z. 1 Kollektivvertrag haben alle Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf eine Weihnachtsremuneration im Ausmaß eines Monatsverdienstes. Nach Abschnitt XVIII Z. 7 Kollektivvertrag erfolgt die Berechnung der Weihnachtsremuneration nach den Bestimmungen über den Verdienstbegriff (Abschnitt X).

Der mit "Verdienstbegriff" überschriebene Abschnitt X Kollektivvertrag hat folgenden Wortlaut:

"Verdienst ist der Arbeitslohn, bei leistungsbezogenen Entgelten gemäß § 96 Abs. 1, Ziffer 4 Arbeitsverfassungsgesetz, deren 13-Wochen-Durchschnitt auf Basis der Normalarbeitszeit. Bei Wächtern, Portieren, Chauffeuren und Beifahrern ist im Falle einer vereinbarten längeren Wochenarbeitszeit diese zugrunde zu legen.

Bei Pauschalentlohnung auf Montage- und Baustellen gebührt für jene Arbeitnehmer, die innerhalb der letzten 13 Wochen vor Fälligkeit mehr als die Hälfte der Zeit im Pauschale beschäftigt worden sind, anstelle des 13-Wochen-Durchschnittes der eingestufte Lohn mit einem Zuschlag von 25 Prozent.

In den Verdienst sind einzubeziehen:

Schmutz-, Erschwernis-, Gefahren-, Montage-, Schicht- und Nachtarbeitszulagen sowie Vorarbeiterzuschlag. Fallen Zulagen und Zuschläge nicht regelmäßig an, so sind sie nach dem Durchschnitt der letzten 13 Wochen zu berechnen."

Die Ziffern 5 und 6 des mit "Wegzeiten" überschriebenen Abschnittes VIII Kollektivvertrag lauten:

"5.

Wegzeiten, die in die Arbeitszeit fallen, werden wie Arbeitszeiten bezahlt. Für Wegzeiten außerhalb der Arbeitszeit gebührt der Stundenlohn (Akkord- bzw. Prämiendurchschnittsverdienst) ohne Zulagen und Zuschläge.

6.

Wegzeiten, die nicht in die Arbeitszeit fallen, sind wie folgt zu vergüten:

Bei Entfernungen - Luftlinie - zwischen dem ständigen Betrieb bzw. Montagebüro und dem nicht ständigen Arbeitsplatz

bis 4 km mit .......................... 1 Stundenlohn

von 4 bis 7 km mit .................... 1 1/2 Stundenlöhnen

und von mehr als 7 km mit dem Lohn für die tatsächlich aufgewendete Wegzeit, jedoch mindestens 1 1/2 Stundenlöhnen.

Wird ein Arbeitnehmer während einer Wegzeit, die nicht in die Arbeitszeit fällt, als Lenker eines Fahrzeuges beschäftigt, erhält er nach Maßgabe der vorangeführten Bestimmung anstelle der Wegzeitvergütung Überstundenentlohnung.

Wenn die Beschäftigung außerhalb des ständigen Betriebes eine Nächtigung außer Haus erfordert oder eine solche angeordnet wird, gilt die Bestimmung des Punktes 6, 1. Satz, analog auch für den Fall, daß der Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit hat, innerhalb von 2 km (Luftlinie) vom nichtständigen Arbeitsplatz entfernt zumutbar zu nächtigen.

Wird der Arbeitnehmer an einem Ort beschäftigt, in dem es eine Betriebsstätte oder ein Montagebüro (Baubüro) gibt, so gilt die für die dortige Betriebsstätte bzw. Montagebüro (Baubüro) geltende Wegkreiseinteilung. Die Wegzeitvergütung gebührt nur in der halben Höhe, wenn der Hin- oder Rückweg in die Arbeitszeit fällt.

Steht die Berechnung der Wegzeit aufgrund der "Luftlinie" offensichtlich in einem größeren Widerspruch zur tatsächlich aufgewendeten Wegzeit, so ist betrieblich eine Regelung zu vereinbaren."

2.2. Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist ausschließlich die Frage strittig, ob die von der mitbeteiligten Partei den in der Anlage des angefochtenen Bescheides genannten Dienstnehmern in der Zeit vom 1. Jänner 1982 bis 31. Dezember 1985 JE NACH ANFALL UND NICHT ALS PAUSCHALVERGÜTUNG gewährte Vergütung für Wegzeit außerhalb der Normalarbeitszeit dem Verdienstbegriff des Abschnittes X des Kollektivvertrages zu unterstellen ist. Die mitbeteiligte Partei verneinte dies - ebenso wie die belangte Behörde - und bezog diese Wegzeitvergütungen nicht in die Berechnungsgrundlage der den Dienstnehmern nach dem Kollektivvertrag gebührenden Urlaubszuschüsse und Weihnachtsremunerationen ein.

Demgegenüber vertritt die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse unter Hinweis auf das Urteil des OGH vom 22. Februar 1989, 9 Ob A 17/89, die Auffassung, daß die gewährten Wegzeitvergütungen "Verdienst" im Sinne des Abschnittes X des Kollektivvertrages darstellen.

2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit dieser Frage in dem von der belangten Behörde und von der mitbeteiligten Partei in ihren Gegenschriften zitierten Erkenntnis vom 19. Juni 1990, Zl. 89/08/0156, auseinandergesetzt und unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 27. März 1990, Zl. 89/08/0237, ausgesprochen, daß unter dem in Abschnitt X des Kollektivvertrages für die eisen- und metallverarbeitende und -erzeugende Industrie gebrauchten Begriff des "Arbeitslohnes" nur das Entgelt für die innerhalb der Normalarbeitszeit erbrachte Arbeit zu verstehen ist. Vergütungen für außerhalb der Normalarbeitszeit zurückgelegte Wegzeiten sind hingegen nicht als Arbeitslohn im Sinne des Abschnittes X des Kollektivvertrages zu werten. In diesem Erkenntnis hat der Gerichtshof auch dargelegt, weshalb die genannten Vergütungen auch nicht den anderen Bestandteilen des Verdienstbegriffes zuzurechnen sind. Auf die Entscheidungsgründe dieser Erkenntnisse wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG hingewiesen.

2.4. Da die im Beschwerdefall gewährten Wegzeitvergütungen nach dem unbestrittenen Parteivorbringen nur "je nach Anfall und nicht als Pauschalvergütung", somit nicht vorbehaltslos und regelmäßig als Bestandteil des Normallohnes ausbezahlt worden sind (vgl. dazu auch das Erkenntnis vom 24. November 1988, Zl. 88/08/0230), handelte die belangte Behörde nicht rechtswidrig, wenn sie diese Vergütungen als Wegzeitvergütungen im Sinne des Abschnittes VIII Z. 6 KV nicht dem Verdienstbegriff des Kollektivvertrages unterstellt hat.

Der Ausschluß der Vergütungen für solche Wegzeiten vom Verdienst und damit von der Berechnungsgrundlage der Sonderzahlungen begründet keine Gesetzwidrigkeit, weil die vom persönlichen Geltungsbereich des KV erfaßten Arbeiter keinen gesetzlichen Anspruch auf Sonderzahlungen haben und es daher den Kollektivvertragspartnern freisteht, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang sie Ansprüche auf Sonderzahlungen einräumen (vgl. zu diesem Problemkreis u.a. das Erkenntnis vom 27. März 1990, Zl. 88/08/0237).

Die Beschwerde der Gebietskrankenkasse war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. 1989/206.

Schlagworte

Entgelt Begriff Anspruchslohn Entgelt Begriff Entschädigung Vergütung Entgelt Begriff Überstunden Kollektivvertrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989080313.X00

Im RIS seit

25.09.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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