TE Vwgh Erkenntnis 1990/9/25 90/07/0012

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Veröffentlicht am 25.09.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §61;
AVG §61a;
AVG §71 Abs1 lita;

Betreff

TH gegen Landesagrarsenat beim Amt der Tiroler Landesregierung vom 30. November 1989, Zl. LAS-120/36-80, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Unter dem Datum 7. Mai 1987 hatte der Landesagrarsenat beim Amt der Tiroler Landesregierung (LAS) einen Bescheid erlassen, mit dem er über die Berufungen dreier Parteien (des nunmehrigen Beschwerdeführers, der JK und des OA) gegen den in einem Verfahren nach dem Wald- und Weideservitutengesetz, LGBl. Nr. 21/1952, ergangenen Bescheid der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz vom 23. Jänner 1987 entschieden hatte, und zwar dahingehend, daß ("zu 1") der Berufung des Beschwerdeführers in einem näher bezeichneten Umfang Folge gegeben; ("zu 2") die Berufung der JK als unbegründet abgewiesen; ("zu 3") die Berufung des OA als unzulässig zurückgewiesen werde. Der Bescheid des LAS enthält

- unmittelbar anschließend an den die Berufungen erledigenden Spruch - die Rechtsmittelbelehrung ("zu 2 und 3"), daß gegen ihn eine weitere Berufung nicht zulässig sei, und ("zu 1"), daß gegen ihn binnen zwei Wochen, gerechnet vom Tag der Zustellung an, beim Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz Berufung eingebracht werden könne (in zweifacher Ausfertigung und mit einem begründeten Berufungsantrag versehen); am Ende dieses Bescheides - nach dem letzten Absatz der Begründung und vor der an die drei Parteien gerichteten Zustellverfügung - findet sich unter Bezunahme auf § 61 (richtig: § 61a) AVG 1950 der "Hinweis", daß gegen ihn binnen sechs Wochen ab Zustellung Beschwerde an den Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof erhoben werden könne, die von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein müsse.

2. Mit an das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz (AB) gerichteter Eingabe vom 15. Juni 1987 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Berufung gegen den Bescheid des LAS vom 7. Mai 1987 (unter gleichzeitiger Nachholung der Berufung). Begründet wurde dieser Antrag zusammenfassend damit, daß der Beschwerdeführer zufolge der unklaren - nur von einem Juristen erkennbaren - Rechtsmittelbelehrung und dem Hinweis gemäß § 61a AVG 1950 verhindert gewesen sei, rechtzeitig die Berufung gegen den vorgenannten Bescheid einzubringen. Da es sich nicht um eine im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. b AVG 1950 falsche Rechtsmittelbelehrung handle, sei der Wiedereinsetzungsantrag auch bei der Agrarbehörde erster Instanz einzubringen, bei welcher die versäumte Berufung einzubringen gewesen wäre.

3. Mit Bescheid vom 6. Juli 1987 wies die AB den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet ab.

4. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wies der LAS (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 30. November 1989 gemäß § 66 Abs. 4 und § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 als unbegründet ab.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensablaufes führte die belangte Behörde dazu unter Bezugnahme auf § 71 Abs. 1 AVG 1950 und einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im wesentlichen folgendes aus: Es sei jedes Geschehen, insbesondere auch ein psychischer Vorgang als

- allenfalls relevantes - "Ereignis" anzusehen. Solche durch Ereignisse der Außenwelt ausgelösten inneren Denkvorgänge könnten aber nur dann eine Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung bilden, wenn sie sich ebenso wie der Vorgang in der Außenwelt als ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellten. In jenen Fällen, in denen ein Irrtum durch eine "unrichtige Rechtsauskunft" eines behördlichen Organes veranlaßt oder bestärkt worden sei, werde aber im Einzelfall jedenfalls die Verschuldensfrage zu prüfen und ein Wiedereinsetzungsgrund nur dann zu verneinen sein, wenn dem Wiedereinsetzungswerber wenigstens Fahrlässigkeit bei der Versäumung eines Termines zur Last falle. In Ansehung dieser Rechtslage könne im konkreten Fall von einem unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis schon deshalb nicht die Rede sein, weil eine unrichtige "Rechtsauskunft (Rechtsmittelbelehrung)" unbestrittenermaßen nicht vorliege. Wenn man aber - wie der Beschwerdeführer in seinem Wiedereinsetzungsantrag - davon ausgehe, daß die Rechtsmittelbelehrung nur für Juristen erkennbar sei, so sei folglich der ausschlaggebende Grund für die Versäumung der Berufungsfrist mangelnde Rechtskenntnis des Beschwerdeführers gewesen. Mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum seien aber nicht als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zu werten. Dies ergebe schon die einfache Überlegung, daß die rein subjektive Beurteilung einer (unklaren) Rechtslage die Wiedereinsetzungswerber niemals hindern könne, sich vorsorglich bei Rechtskundigen zu informieren. Da es somit an einer wesentlichen Tatbestandsvoraussetzung für die Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages fehle, komme der Berufung schon aus diesem Grund keine Berechtigung zu.

Daß der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund nicht vorliege, ergebe aber auch eine Prüfung der Verschuldensfrage. Es könne wohl nicht bezweifelt werden, daß es dem Beschwerdeführer nicht nur möglich und zumutbar, sondern angesichts einer "unklaren" oder gar "widersprüchlichen" Rechtsmittelbelehrung auch geboten gewesen sei, sich die nötigen Rechtskenntnisse zu verschaffen. Wenn also für den Beschwerdeführer aufgrund der Bezeichnung der Rechtsmittelbelehrung ("zu 1", "zu 2 und 3") tatsächlich nicht feststellbar gewesen sei, ob er das Rechtsmittel der Berufung erheben könne oder nicht, so hätte er sich unter Bedachtnahme auf die ihm zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht darauf verlassen dürfen, daß eine Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshofbeschwerde jedenfalls zulässig sei.

5. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem Recht darauf verletzt, daß die durch den hinsichtlich des Beschwerdeführers unrichtigen Hinweis am Ende des Bescheides des LAS vom 7. Mai 1987 bei ihm eingetretene unrichtige Ansicht über die einzubringenden Rechtsmittel und die dadurch eingetretene Fristversäumnis durch die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behoben werde. Er macht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

6. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 71 Abs. 1 AVG 1950 ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn (lit. a) die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen, oder (lit. b) die Partei die Berufungsfrist versäumt hat, weil der Bescheid fälschlich die Angabe enthält, daß keine Berufung zulässig sei.

Nach § 71 Abs. 4 leg. cit. ist zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

2.1. Wenn - so die Beschwerde - unter dem in § 71 Abs. 4 AVG 1950 verwendeten Begriff "unrichtige Rechtsmittelbelehrung" auch unrichtige Rechtsauskunft - damit wird auf den im Bescheid des LAS vom 7. Mai 1987 enthaltenen Hinweis gemäß § 61a AVG 1950 Bezug genommen - zu verstehen sei, dann wäre die belangte Behörde zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag in erster Instanz zuständig gewesen.

2.2. Die unter dem Gesichtspunkt der Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend gemachten Bedenken sind verfehlt.

Dies im Hinblick darauf, daß die Prämisse nicht zutrifft: Der Hinweis auf die Möglichkeit einer Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof oder Verfassungsgerichtshof (§ 61a AVG 1950) ist keine Rechtsmittelbelehrung i.S. des § 61 leg. cit. (vgl. RINGHOFER, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 1987, S. 551). Da § 71 Abs. 4 AVG 1950 seinem klaren Wortlaut zufolge allein auf letztere, nicht aber auch auf besagten "Hinweis" abstellt, war zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers in erster Instanz jene Behörde zuständig, bei der die versäumte Handlung, nämlich die Einbringung der Berufung, vorzunehmen war. Die AB hat somit zu Recht in erster Instanz über den in Rede stehenden Antrag entschieden.

3.1. Der Beschwerdeführer stimmt mit der belangten Behörde darin überein, daß mangels Geltendmachung des Wiedereinsetzungsgrundes nach § 71 Abs. 1 lit. b AVG 1950 im Beschwerdefall allein von Relevanz sei, ob der Tatbestand des § 71 Abs. 1 lit. a leg. cit. vorliege.

Die Beschwerde bringt dazu unter dem Titel inhaltlicher Rechtswidrigkeit vor, daß die Rechtsmittelbelehrung ("zu 1") im Bescheid des LAS vom 7. Mai 1987, derzufolge gegen diesen Berufung eingebracht werden könne, und der am Ende dieses Bescheides aufscheinende Hinweis, wonach dagegen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden könne, einander widersprächen. Dadurch sei beim Beschwerdeführer der Irrtum erzeugt worden, daß gegen den genannten Bescheid jedenfalls Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshofbeschwerde eingebracht werden könne. Der Hinweis gemäß § 61a AVG 1950 sei zumindest als Rechtsauskunft zu werten. Der Gesetzgeber habe sich wohl nicht vorstellen können, daß dieser Hinweis mit der Vorschrift über die Rechtsmittelbelehrung in einem einzigen Bescheid konkurrieren könnte; da dies nun aber eingetreten sei, könne eine dadurch gestiftete Verwirrung nur über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand saniert werden. Der Beschwerdeführer habe sich - im Gegensatz zur Argumentation der belangten Behörde - nicht in einem durch mangelnde oder unrichtige Rechtskenntnis von ihm zu verantwortenden Rechtsirrtum befunden, sondern sei durch die belangte Behörde bzw. deren unrichtige Rechtsauskunft im Hinweis gemäß § 61a AVG 1950 in Irrtum geführt worden. Dies sei für den Beschwerdeführer ein unvorhergesehenes Ereignis gewesen, das zur Versäumung der Berufungsfrist geführt habe.

3.2. Auch wenn es der Beschwerdeführer nicht so beurteilt sehen will, macht er mit den vorstehenden Ausführungen dennoch einen - behördlicherseits veranlaßten - Rechtsirrtum geltend. Ob er durch diesen "verhindert" war, die Frist zur Erhebung der Berufung gegen den Bescheid des LAS vom 7. Mai 1987 einzuhalten, kann dahingestellt bleiben - immerhin ist dazu festzuhalten, daß der Beschwerdeführer sich ungeachtet des besagten "Hinweises" nicht hindern ließ, mit Schriftsatz vom 15. Juni 1987 (also zehn Tage nach Ablauf der Frist; der Bescheid war ihm laut seinen eigenen Angaben am 22. Mai 1987 zugestellt worden) tatsächlich Berufung zu erheben -, denn selbst wenn man dies bejahte, läge kein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund nach § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 vor. Dies deshalb, weil die dort normierte Voraussetzung des fehlenden Verschuldens der Partei im Beschwerdefall als nicht erfüllt anzusehen ist. Es kann in dieser Hinsicht der Argumentation der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, es sei dem Beschwerdeführer sowohl möglich und zumutbar als auch angesichts der unklaren oder gar widersprüchlichen "Rechtsmittelbelehrung" geboten gewesen, "sich die nötigen Rechtskenntnisse zu verschaffen". Der Beschwerdeführer hat glaubhaft dargelegt, daß durch die einander widersprechenden behördlichen Aussagen - Rechtsmittelbelehrung gemäß § 61 AVG 1950 einerseits, Hinweis nach § 61a leg. cit. anderseits - bei ihm "Verwirrung" gestiftet worden sei. Die solcherart beim Beschwerdeführer hervorgerufene Unklarheit über die für ihn möglichen bzw. von ihm zu ergreifenden Maßnahmen zur Bekämpfung des Bescheides des LAS vom 7. Mai 1987 mußte er - den Maßstab der ihm im konkreten Fall zumutbaren Sorgfalt zugrunde gelegt - durch Einholung von Informationen bei Rechtskundigen zu beseitigen versuchen, und zwar so rechtzeitig, daß ihm gegebenenfalls auch noch die Möglichkeit einer fristgerechten Einbringung der Berufung (und nicht nur einer Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes) gewahrt blieb. Dieser ihm zumutbaren und nach Lage des Falles wohl auch gebotenen Sorgfaltspflicht ist der Beschwerdeführer nicht nachgekommen:

Zwar hat er sich mit einem Rechtsanwalt (dem nunmehrigen Beschwerdevertreter) ins Einvernehmen gesetzt. Dies allerdings erstmals am 1. Juni 1987 (und auch nur telefonisch); die hiebei vom Rechtsanwalt verlangten Unterlagen wurden diesem erst am 4. Juni 1987 übergeben. Damit aber war der Rechtsanwalt erst einen Tag vor Ablauf der Rechtsmittelfrist (5. Juni 1987) in die Lage versetzt worden, sich anhand ausreichenden Tatsachenmaterials mit der Angelegenheit zu befassen und sich über die einzuschlagende Vorgangsweise ins Klare zu kommen. Daß er unter diesen Umständen die Berufungsfrist nicht wahren konnte, hat die Beschwerde in durchaus nachvollziehbarer Weise zum Ausdruck gebracht.

4. Da nach dem Vorgesagten der Wiedereinsetzungstatbestand des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 (in der derzeit noch geltenden Fassung) jedenfalls insofern als nicht verwirklicht anzusehen ist, als den Beschwerdeführer zumindest leichte Fahrlässigkeit an der Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen den mehrfach genannten Bescheid vom 7. Mai 1987 trifft, hat die belangte Behörde nicht rechtswidrig gehandelt, wenn sie den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers vom 15. Juni 1987 im Instanzenzug abgewiesen hat.

5. Bei diesem Ergebnis kommt der Verfahrensrüge, mit der die unzutreffende Annahme der belangten Behörde, daß am 1. Juni 1987 bereits ein Vollmachtsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und dem Beschwerdevertreter bestanden habe, kritisiert wird, keine Bedeutung zu: Die Frage, ob den (allfälligen) Rechtsvertreter ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist anzulasten sei - was von der belangten Behörde bejaht worden ist -, ist im Hinblick darauf unerheblich, daß (bereits) den Beschwerdeführer selbst ein derartiges Verschulden trifft.

6. Da sich sohin die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990070012.X00

Im RIS seit

25.09.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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