TE Vwgh Erkenntnis 1990/9/26 90/10/0062

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Veröffentlicht am 26.09.1990
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Index

L40019 Anstandsverletzung Lärmerregung Wien;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 lita impl;
AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
EGVG Art8/Wr Fall2 Lärmerregung;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

N gegen Wiener Landesregierung vom 15. Jänner 1990, Zl. MA 62-III/536/89/Str, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Verwaltungsstrafsache wegen Übertretung des Art. VIII zweiter Fall EGVG 1950

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin richtete am 19. Mai 1989 an die Bundespolizeidirektion Wien einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit folgendem Inhalt:

"Im Verfahren gegen Frau N zu obiger Zahl hat mir diese die Strafverfügung vom 1989-04-25 zur Erhebung des Einspruches übergeben. Aus einem Irrtum meiner Kanzlei heraus, wurde die Frist für den Einspruch vom Tag des Einlangens der Strafverfügung in meiner Kanzlei an gerechnet und nicht vom Tag der Zustellung an Frau N. Es ist dies ein erstmaliges Versehen meiner Sektretärin, E. Diese ist seit 1 1/2 Jahren als verantwortliche Kanzleikraft bei mir tätig und hat bisher die Erfassung der Fristen vollkommen verläßlich vorgenommen, es war daher von mir immer nur eine stichprobenartige Überprüfung der Fristenerfassung erforderlich. So konnte es passieren, daß auch mir die falsche Eintragung um genau 1 Woche später nicht auffiel."

1.2. Mit Bescheid vom 22. August 1989 wurde der Antrag vom 19. Mai 1989 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung eines Einspruches gegen die Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat A, vom 25. April 1989, Zl. n 1, gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950 als unbegründet abgewiesen.

Nach der Begründung stelle ein derartiges Versehen einer Kanzleikraft, wie es die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin behaupte, nur dann ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar, wenn der Rechtsvertreter seiner ihm zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen sei. Hinsichtlich der Einhaltung dieser Überwachungspflicht sei der Antrag hinreichend zu substantiiern, was die Antragstellerin im vorliegenden Fall jedoch unterlassen habe. Weiters sei zu bemerken, daß gerade im vorliegenden Fall eine erhöhte Sorgfaltspflicht einzuhalten gewesen wäre, da die Beschwerdeführerin die Strafverfügung nicht sogleich am Tag der Zustellung, sondern erst später ihrer Rechtsvertreterin übergeben habe. Dieser sei nicht mehr die volle 14-Tage-Frist zur Erhebung des Einspruches zur Verfügung gestanden, weshalb aus diesem Grunde schon eine erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich gewesen wäre. Es könne deshalb nicht davon gesprochen werden, daß die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden getroffen habe.

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin Berufung erhoben.

1.3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der Bescheid der Bundespolizeidirektion bestätigt.

In der Begründung wurde darauf hingewiesen, daß die Beschwerdeführerin angegeben habe, der Kanzleikraft ihrer Vertreterin sei insofern ein Irrtum unterlaufen, als die Frist für die Einbringung des Einspruches vom Tag des Einlangens der Strafverfügung in der Kanzlei und nicht vom Tag der Zustellung an die Beschwerdeführerin gerechnet worden sei. Es sei dies ein erstmaliges Versehen der Kanzleikraft gewesen, die bisher die Erfassung der Fristen stets vollkommen verläßlich vorgenommen habe. Als Beweis für ihr Vorbringen habe die Beschwerdeführerin die Einvernahme der Kanzleikraft sowie die Vorlage des Fristvormerkbuches beantragt. Gehe man von der Richtigkeit der Ausführungen der Beschwerdeführerin aus, so liege die Ursache für die verspätete Einbringung des Einspruches in einer unrichtigen Berechnung der Rechtsmittelfrist und als deren Folge in der unrichtigen Vormerkung der Frist im Fristenbuch. Es möge durchaus richtig sein, daß der Kanzleiangestellten der Rechtsvertreterin viele Jahre hindurch ein solches Versehen nicht unterlaufen sei. Damit sei aber für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen, denn die Erfüllung der einem Rechtsanwalt gegenüber einer Angestellten obliegenden Überwachungspflicht hinsichtlich der Berechnung von Rechtsmittelfristen und deren richtige Eintragung im Terminkalender durch eine Angestellte sei selbst dann als nicht ausreichend anzusehen, wenn der Rechtsanwalt stichprobenartige Überprüfungen durchführe. Für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist sei der Anwalt verantwortlich. Er selbst habe die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tue er dies nicht oder unterlaufe ihm dabei ein Versehen, ohne daß er dartun könne, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten der Kanzleiangestellten beruhe und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliege, so treffe ihn ein Verschulden, welches sich gegen die von ihm vertretene Partei auswirke. Im konkreten Fall sei nach dem Parteivorbringen die Fristberechnung nicht von der Rechtsanwältin, sondern von deren Kanzleiangestellten durchgeführt worden. Die unrichtige Berechnung der Rechtsmittelfrist habe die Versäumung der Einspruchsfrist zur Folge gehabt. Darin liege im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das der Partei zuzurechnende Verschulden der Rechtsanwältin.

1.4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

1.5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 11 Abs. 1 VwGG gebildeten Strafsenat erwogen:

2.1. Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten.

2.2. Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit bringt die Beschwerde im wesentlichen vor, die Kanzleiangestellte ihrer Rechtsvertreterin habe in ihrer über 1 1/2 jährigen Tätigkeit keinen Anlaß gegeben, daran zu zweifeln, daß eine Frist von ihr richtig eingetragen würde. Eine unrichtige Erfassung einer Frist durch sie sei daher nicht vorherzusehen gewesen. Der Irrtum, der ihr dadurch unterlaufen sei, daß sie die Eintragung der Frist gerechnet vom Tage des Einganges des Schriftstückes in die Kanzlei und nicht ab Zustellung an die Partei vorgenommen habe, verstoße derart gegen die Grundsätze einer ordentlichen Fristerfassung, daß der Rechtsanwalt bei aller Voraussicht nicht damit habe rechnen müssen. Auf Grund der Verläßlichkeit der Kanzleikraft sei auch nur eine stichprobenartige Überprüfung erforderlich gewesen. Die belangte Behörde hätte auch feststellen müssen, warum im konkreten Fall eine stichprobenartige Überprüfung nicht genügt hätte. Durch das Unterlassen jeglicher Untersuchungen hierüber sei das Verwaltungsverfahren auch mangelhaft geblieben.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen.

2.3. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist. Allerdings ist das Verschulden eines Kanzleibediensteten des bevollmächtigten Rechtsanwaltes dem Verschulden der Partei oder des bevollmächtigten Rechtsanwaltes nicht schlechterdings gleichzuhalten; es schließt daher nicht von vornherein die Wiedereinsetzung zugunsten der Partei aus. Das Versehen eines Kanzleibediensteten stellt für den Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei allerdings nur dann ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, das ohne sein Verschulden die Einhaltung einer Frist verhinderte, dar, wenn ihm selbst im gegebenen Zusammenhang nicht eine leichte Fahrlässigkeit - sei es als culpa in eligendo, sei es als culpa in custodiendo - unterlaufen ist (vgl. z.B. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. September 1985, Zl. 85/11/0181).

Bezüglich der Beachtung der jeweiligen Rechtsmittelfrist vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß dafür in einer Rechtsanwaltskanzlei stets der Rechtsanwalt verantwortlich ist, denn er selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Selbst dann, wenn die Kanzleiangestellte überdurchschnittlich qualifiziert und deshalb mit der selbständigen Besorgung bestimmter Kanzleiarbeiten, so auch der Führung des Fristenvormerks, betraut worden ist und es bisher nicht zu Beanstandungen gekommen sein sollte, ist der Rechtsanwalt seiner Überwachungspflicht nicht enthoben, weil im Hinblick auf die Bedeutung der richtigen Vormerkung von Terminen für die fristgerechte Setzung von (mit Präklusion sanktionierten) Prozeßhandlungen der Rechtsanwalt aus seiner (Letzt-)Verantwortung für die richtige und vollständige Führung des Fristenvormerkes nicht entlassen werden kann (vgl. etwa das Erkenntnis vom 27. September 1989, Zl. 89/02/0132, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Darin, daß die Vertreterin der Beschwerdeführerin es allein der Kanzleikraft überlassen hat, das Zustelldatum der Strafverfügung festzuhalten und sodann die Rechtsmittelfrist zu berechnen, obwohl sie selbst das Zustelldatum durch Befragen der Beschwerdeführerin hätte feststellen und sodann die Frist kalendermäßig festsetzen hätte müssen, muß ein Verschulden der Vertreterin, welches auch die Beschwerdeführerin trifft, erblickt werden (vgl. das Erkenntnis vom 16. September 1983, Zl. 81/02/0341, VwSlg. 11140/A).

Die Erfüllung der einem Rechtsanwalt gegenüber einer Angestellten obliegenden Überwachungspflicht hinsichtlich der Berechnung von Rechtsmittelfristen und deren richtigen Eintragung im Terminkalender durch eine Angestellte ist nach der Rechtsprechung auch als nicht ausreichend anzusehen, wenn der Rechtsanwalt - wie dies im Beschwerdefall vorgebracht wird - nur "stichprobenartige Überprüfungen" durchführt (vgl. hiezu das Erkenntnis vom 30. September 1986, Zl. 86/04/0072, VwSlg. 12247/A).

Der Vollständigkeit halber sei auch darauf hingewiesen, daß bereits im Wiedereinsetzungsantrag Art und Intensität der über die Kanzlei ausgeübten Kontrolle darzutun ist. Mangelt es an einem solchen Vorbringen, so ist der Wiedereinsetzungsantrag schon allein deshalb abzuweisen (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 28. September 1984, Zl. 84/02/0167). Auch dieser Anforderung wird der unter Pkt. 1.1. wiedergegebene Antrag nicht gerecht.

2.4. Auf Grund dieser Erwägungen war die vorliegende Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

2.5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. 1989/206.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990100062.X00

Im RIS seit

03.12.2001

Zuletzt aktualisiert am

17.05.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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