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41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Festnahme und Anhaltung vor Erlassung eines rechtswirksamen Schutzhaftbescheides - in Ausübung unvertretbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangene Verwaltungsakte FrPG 1954 §5 Abs1; Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit §4; Verhängung der Schutzhaft schließt Festnahme ein; keine rechtswirksame Zustellung des Schutzhaftbescheides,Übergabe einer Ausfertigung an den - rechtsfreundlich vertretenen - Bf. Festnahme und Anhaltung gesetzlos - Verletzung der persönlichen FreiheitSpruch
1. Der Bf. ist durch die am 18. August 1987 um 09,00 Uhr von Gendarmeriebeamten im Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn in seiner Wohnung in Hohenems erfolgte Festnahme und die anschließende Anhaltung, soweit sie bis 10,00 Uhr desselben Tages währte, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Bf. zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 11.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen zu bezahlen.
2. Die Behandlung der gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 8. September 1987 gerichteten Beschwerde wird abgelehnt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (SD Vlbg.) verhängte mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 23. März 1987 gemäß §3 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954 idF der Nov. BGBl. 555/1986 (künftig kurz: FrPG) gegen den Bf. - einen türkischen Staatsangehörigen - ein bis zum 16. Feber 1995 befristetes Aufenthaltsverbot.
Der Fremde verließ das Bundesgebiet nicht.
Die Bezirkshauptmannschaft (BH) Dornbirn ordnete deshalb mit Bescheid vom 17. August 1987 gemäß §5 Abs1 FrPG zur Sicherung der Abschiebung die vorläufige Verwahrung (Schubhaft) an; gemäß §64 Abs2 AVG 1950 wurde die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen.
Am 18. August 1987 um etwa 08,30 Uhr erschienen über Auftrag der BH Dornbirn Gendarmeriebeamte des Gendarmeriepostens Hohenems in der Wohnung des Bf., übergaben ihm eine Ausfertigung des Schubhaftbescheides, nahmen ihn sodann um etwa 09,00 Uhr fest und überstellten ihn dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus.
Der BH Dornbirn war bekannt, daß der Bf. (auch) in dieser Rechtssache durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde. Sie stellte daher den Schubhaftbescheid auch dem Rechtsvertreter als Empfänger zu, und zwar im Wege der Post. Der Rechtsanwalt übernahm den Bescheid am 18. August 1987 um 10,00 Uhr.
b) Die SD Vlbg. wies mit Bescheid vom 8. September 1987 die gegen den Schubhaftbescheid erhobene Berufung ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.
2. Der Einschreiter erhebt gemäß Art144 Abs1 B-VG zwei Beschwerden, nämlich
a) zu Zl. B996/87 gegen die als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gewertete Festnahme am 18. August 1987 und gegen die darauffolgende Anhaltung bis zu der um 10,00 Uhr erfolgten Zustellung des Schubhaftbescheides an den Rechtsvertreter des Bf. (es wird die kostenpflichtige Feststellung begehrt, daß der Bf. durch diese Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde), sowie
b) zu Zl. B1008/87 gegen den Berufungsbescheid der SD Vlbg. vom 8. September 1987 (es wird begehrt, den Bescheid wegen Willkür, wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit und allenfalls wegen Anwendung einer verfassungswidrigen generellen Norm kostenpflichtig aufzuheben).
3. Die BH Dornbirn (als bel. Beh. zu B996/87 - s.o. I.2.a) erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
Die SD Vlbg. (als bel. Beh. zu B1008/87 - s.o.I.2.b) legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Zur Beschwerde B996/87 (s.o. I.2.a)
1. Die bekämpfte Festnahme und die angefochtene Anhaltung sind keine Maßnahmen zur Vollstreckung eines Schubhaftbescheides (wie etwa im Fall VfSlg. 11171/1986); die Maßnahmen wurden vielmehr - wie im folgenden Pkt. 2.b näher dargetan wird - gesetzt, noch bevor ein rechtswirksamer Schubhaftbescheid ergangen war. Die Beschwerde richtet sich also gegen in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsund Zwangsgewalt ergangene Verwaltungsakte iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG. Die Beschwerde ist mithin zulässig (vgl. zB VfSlg. 9323/1982, 10978/1986).
2.a) Gemäß §5 Abs1 FrPG kann ein Fremder unter anderem zur Sicherung der Abschiebung vorläufig in Verwahrung genommen werden (Schubhaft), wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder aus dem Grunde notwendig erscheint, um ein unmittelbar zu befürchtendes strafbares Verhalten des Fremden zu verhindern. Die Schubhaft ist, wie sich aus §11 Abs2 FrPG ergibt, mit Bescheid anzuordnen. Die Verhängung der Schubhaft schließt auch die Festnahme ein (vgl. zB VfSlg. 9323/1982 und die dort zitierte Vorjudikatur).
Eine Festnahme, die dazu dient, einen Fremden in Schubhaft zu nehmen, darf also nur erfolgen, wenn sie durch einen Bescheid verfügt worden ist. Ein schriftlicher Bescheid gilt erst dann als erlassen, wenn er wirksam zugestellt wurde.
b) Die Voraussetzung für eine Festnahme wurde hier zunächst nicht erfüllt: Der Bf. wurde am 18. August 1987 um 09,00 Uhr von Gendarmeriebeamten festgenommen, ohne daß zuvor ein Schubhaftbescheid erlassen worden wäre. Der Schubhaftbescheid war zwar bereits am 17. August 1987 ausgefertigt worden. Er wurde dem Bf. persönlich am 18. August 1987 kurz vor der Festnahme ausgefolgt. Da er - wie der Behörde bekannt war rechtsfreundlich vertreten war, bewirkte diese Übergabe einer Ausfertigung des Schubhaftbescheides keine wirksame Zustellung (vgl. zB VfSlg. 10978/1986). Vielmehr gilt der Schubhaftbescheid erst am 18. August 1987, 10,00 Uhr, als erlassen, dies dadurch, daß er dem Rechtsvertreter des Bf. im Wege der Post zugestellt wurde.
c) Nach §4 des im Verfassungsrang stehenden Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt (nur) in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Ein solcher Fall lag hier nicht vor: Die Festnahme des Bf. konnte mangels eines wirksam zugestellten Schubhaftbescheides nicht auf das FrPG gestützt werden (vgl. zB VfSlg. 9323/1982); gleiches gilt für die Anhaltung bis zur wirksamen Zustellung an den Rechtsvertreter des Bf. (10,00 Uhr). Eine andere gesetzliche Grundlage (etwa §35 VStG) war nicht gegeben; dies wird auch von der bel. Beh. gar nicht behauptet.
Der von der BH Dornbirn in der Gegenschrift vorgebrachte Einwand, unter diesen Voraussetzungen sei der im öffentlichen Interesse gelegene effiziente Vollzug der Schubhaft vielfach ausgeschlossen, ist ein rechtspolitisches Argument, das an der bestehenden Rechtslage nichts ändert. Im übrigen ist es der Behörde zumindest in der Regel möglich, den Zeitpunkt der Zustellung des Schubhaftbescheides (die erforderlichenfalls auch durch ein Organ der Behörde erfolgen kann - s. §2 Zustellgesetz) und jenen der Vollstreckung dieses Bescheides so zu koordinieren, daß der Erfolg der Amtshandlung nicht gefährdet wird.
d) Es war sohin festzustellen, daß der Bf. durch die am 18. August 1987 um 09,00 Uhr vorgenommene Festnahme und durch die darauf folgende Anhaltung bis 10,00 Uhr im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.
In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 1.000 S enthalten.
4. Diese Feststellung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
III. Zur Beschwerde B1008/87 (s.o. I.2.b)
...
Der VfGH kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes. Nach den Beschwerdebehauptungen wären die behaupteten Rechtsverletzungen (s.o. I.2.b) zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.
Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Verfassungswidrigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Gesetzesbestimmung behauptet wird, läßt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 5970/1969) zu den maßgebenden Fragen die behauptete Rechtsverletzung als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß die Beschwerde - unter dem Blickwinkel der vom VfGH wahrzunehmenden Rechtsverletzungen - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen (vgl. die Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8295/1978), wonach bei Beschwerden, die sich gegen Bescheide richten, die in das Recht auf persönliche Freiheit eingreifen, auch eine Zuständigkeit des VwGH besteht (vgl. auch zB VfSlg. 10427/1984)).
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der gegen den Bescheid der SD Vlbg. vom 8. September 1987 gerichteten Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 VerfGG).
Schlagworte
Fremdenpolizei, Schubhaft, Festnehmung, VfGH / ZuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B996.1987Dokumentnummer
JFT_10119775_87B00996_00