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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BAO §20;Beachte
Besprechung in: ÖStZB 1991/521;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 10. November 1988, GZ. GA 7 - 1686/2/88, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.710,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Eingabe vom 9. November 1987 beantragte der Beschwerdeführer, welcher nach seinen eigenen Angaben in einem technischen Beruf tätig ist, die "Nachsicht der Abgabenschuldigkeiten an Einkommensteuer 1985" in Höhe von S 819.072,--. Begründend brachte er vor, daß er und seine Schwester nach dem Tode des Vaters im Jahre 1984 dessen Wirtschaftstreuhandkanzlei als Deszendentenfortbetrieb durch einen Kanzleiverweser hätten führen lassen. Da der Beschwerdeführer 1985 auf Grund berufsrechtlicher Vorschriften der WTBO aus der Kanzleigemeinschaft mit seiner Schwester habe austreten müssen, sei der Veräußerungsgewinn seines "50 %igen Anteiles an der Kanzleigemeinschaft ... nach einkommensteuerlichen Vorschriften ermittelt" worden. Darüber hinaus hätte auch sein Anteil an den von seinem Vater für 1981 bis 1984 "gebildeten Investitionsrücklagen im Jahre 1985 überschußwirksam aufgelöst werden" müssen.
Die steuerliche Belastung aus dem laufenden Überschuß und dem Übergangs- und Veräußerungsgewinn seines "Anteiles 1985" würde insgesamt S 701.820,-- betragen. Durch die Auflösung des ihm zuzuschreibenden Investitionsrücklagenteiles erhöhe sich die Abgabenbelastung jedoch auf S 1,520.891,64.
Die vor dem Erbanfall gebildeten und bis dahin noch nicht aufgelösten Investitionsrücklagen stellten lediglich eine "steuerliche Rechengröße" dar. Der Beschwerdeführer habe über diese Beträge nie verfügen können. Dies bedeute, daß er "Abgaben zum Spitzensteuersatz ... für fiktive Erträgnisse" zu entrichten habe, die ihm nie zugeflossen seien. Die steuerliche Belastung aus den aufgelösten, ihm angelasteten Rücklagen betrüge S 819.072,--. Sein "Jahresnettoerwerbseinkommen" erreiche derzeit eine Höhe von rund S 360.000,--, welchen Betrag er überwiegend zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes und zur Gründung einer Familie benötige.
Die Bezahlung der auf die Rücklagen entfallenden Einkommensteuer gefährde seine Existenz und Zahlungsfähigkeit und stelle in seinem besonders gelagerten Fall "offensichtlich eine unbillige Härte" dar.
Gegen den Bescheid des Finanzamtes, mit welchem die "Bewilligung einer Nachsicht in der Höhe von S 663.988,--" abgewiesen wurde, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung. In dieser wird eingewendet, daß die Bildung einer steuermindernden Rücklage keineswegs die Nachsicht der auf die steuerpflichtige Auflösung entfallenden Abgaben hindere, weil eine Unbilligkeit nicht dadurch ausgeschlossen werde, daß die Festsetzung einer Abgabe dem Gesetz entspreche. Die Steuerersparnis sei bei seinem Rechtsvorgänger eingetreten. Die Steuerlast sollte aber nun ihn als Rechtsnachfolger treffen, obwohl die ersparten Steuerbeträge ihm nicht zugekommen seien.
Zum Beweis dafür, daß im Streitfall die strenge Anwendung der Abgabenvorschriften zu einem vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigten nachteiligen Ergebnis führen würde, werde eine "effektive Einnahmen-Ausgaben-Rechnung betreffend den ererbten Kanzleianteil" vorgelegt, aus welcher sich ein "Überhang der Ausgaben über die Einnahmen" von S 189.319,-- ergebe.
Aus dieser Tatsache gehe eindeutig hervor, daß die vom Gesetz geforderte Unbilligkeit der Einhebung durch die besondere Lage des Falles gegeben sei.
Im vorliegenden Fall sei nicht nur die Abgabenvorschreibung unbillig, sondern auch die Einhebung, weil der Beschwerdeführer die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes benötige und eine Steuerzahlung über das ererbte Vermögen hinaus zu einer Existenzgefährdung führen könne.
Es werde daher beantragt, die begehrte Nachsicht "betreffend die Abgabenbelastung der aufgelösten Investitionsrücklage, in der Höhe von S 819.072,--" zu gewähren.
Nachdem das Finanzamt Feststellungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers getroffen hatte, wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid das Rechtsmittel "betreffend Versagung einer Abgabennachsicht in Höhe von S 663.988,--" ab. Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt:
Der nachsichtsbezogene Betrag stelle sich wie folgt dar:
"Zu versteuerndes Einkommen 1985 S 3,300.737,--
darauf entfallende Einkommensteuer S 1,666.348,69 - 50,48 %
aufzulösende Investitionsrücklage S 1,315.350,-- x 50,48 %
= S 663.988,-- Einkommensteuer".
Eine Unbilligkeit, die für die davon Betroffenen aus dem Gesetz folge und für deren Hintanhaltung der Gesetzgeber selbst hätte vorsorgen müssen, sei der Beseitigung im Wege des an Unbilligkeit aus der Besonderheit des Einzelfalles orientierten § 236 BAO entzogen. Eine tatbestandsmäßige Unbilligkeit des Einzelfalles sei aber dann nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage festzustellen sei, die alle von dem betreffenden Gesetz erfaßten Abgabepflichtigen in gleicher Weise treffe. Gerade dies liege aber im Streitfall vor. Jeder Rechtsnachfolger habe bei Veräußerung seines vom Rechtsvorgänger ererbten Betriebes gebildete Investitionsrücklagen überschuß- bzw. gewinnerhöhend aufzulösen. Es liege somit keine Besonderheit des Einzelfalles vor. Daran vermöge auch der Einwand, daß die Steuerersparnis beim Rechtsvorgänger eingetreten sei, nichts zu ändern. Der Beschwerdeführer übersehe auch, daß er dafür einen kapitalkräftigeren Betrieb übernommen habe.
Wie ferner den Ausführungen des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der Aktenlage zu entnehmen sei, beziehe dieser ein monatliches Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von S 28.550,--. Weiters flößen ihm monatlich S 30.000,-- auf Grund des Auseinandersetzungsguthabens aus der Kanzleiveräußerung zu. Weiters habe der Beschwerdeführer an Vermögenswerten einen Hälfteanteil an einem Reihenhaus in M, einen Drittelanteil an einem Einfamilienhaus in S sowie einen Pkw X, Baujahr 1984. Die Belastung der beiden Liegenschaftsanteile durch Kreditrückzahlungen und Betriebskosten betrüge zusammen monatlich ca. S 20.000,--. Wenn der Beschwerdeführer auch die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes benötige, dürfe bei Beurteilung der Unbilligkeit der Einhebung nicht außer acht gelassen werden, "daß ihm die Abstattung der Abgabenschuld - ohne auch nur den Grundbesitz anzutasten - über einen längeren Zeitraum in monatlichen Raten, wie dies schon bisher vorgenommen wurde, durchaus zumutbar erscheint".
Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer vorgenommenen Gegenüberstellung seiner aus der Erbschaft des Kanzleianteiles resultierenden Einnahmen und Ausgaben sei festzuhalten, daß diese Aufstellung nicht geeignet sei, eine Unbilligkeit der Einhebung nachzuweisen; denn jeder, der eine Erbschaft antrete, müsse sich bewußt sein, welche Vor- und Nachteile damit verbunden wären. Dem Beschwerdeführer wäre es freigestanden, die Erbschaft wegen allfälliger hoher Belastungen nicht anzutreten.
Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Falle eines Ansuchens um Nachsicht zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspricht. Verneint sie diese Frage, dann ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, demnach ist der entsprechende Antrag abzuweisen. Nur wenn die Abgabenbehörde das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes bejaht, hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden (vgl. auch Stoll, Bundesabgabenordnung, Wien 1980, Seite 583).
Wie sich nun aus dem klaren Wortlaut des angefochtenen Bescheides ergibt, hat die belangte Behörde die Rechtsfrage, ob die Einhebung der in Rede stehenden Abgabenschuldigkeiten im Streitfall unbillig ist, verneint, sodaß die Voraussetzung für eine von ihr zu treffende Ermessensentscheidung nicht gegeben ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im allgemeinen voraus, daß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen steht, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben, daß also ein wirtschaftliches Mißverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im subjektiven Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteils vorliegt. Eine aus dem Gesetz selbst folgende Unbilligkeit ist der Beseitigung im Wege der Nachsicht grundsätzlich entzogen. Eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann aber gegeben sein, wenn bei Anwendung des Gesetzes im Einzelfall ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 1985, Zl. 84/13/0007, und die dort angeführte hg. Judikatur).
Im Streitfall ist zunächst auf die Tatsache einzugehen, daß der Beschwerdeführer in seinem diesbezüglichen Antrag die Nachsicht einer Abgabenschuld in Höhe von S 819.072,-- begehrte. Das Finanzamt versagte in seinem daraufhin erlassenen Bescheid ohne weitere Begründung lediglich die Bewilligung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten im Ausmaß von S 663.988,--. Ein bescheidmäßiger Abspruch über den Differenzbetrag von S 155.084,-- erfolgte nicht. In seiner Berufung sprach der Beschwerdeführer neuerlich von einem nachzusehenden Betrag von S 819.072,--. Aber auch die belangte Behörde sprach im Spruch des angefochtenen Bescheides ausschließlich über "die Versagung einer Abgabennachsicht in Höhe von S 663.988,--" ab. Dies bedeutet, daß bisher eine formelle finanzbehördliche Absprache über den oben angeführten Differenzbetrag noch aussteht. Den ausstehenden Abspruch kann der Beschwerdeführer nur durch Geltendmachung der Entscheidungspflicht, nicht aber durch eine Bescheidbeschwerde herbeiführen. An dieser Gesamtbeurteilung des Sachverhaltes vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, daß die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ermittlung des Betrages von S 663.988,-- darzustellen versucht.
Was nun die vom Beschwerdeführer behauptete Unbilligkeit der Einhebung hinsichtlich jenes Abgabenbetrages anlangt, welcher sich durch die überschußerhöhende Auflösung der schon wiederholt genannten Investitionsrücklagen ergab, so ist zunächst davon auszugehen, daß zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kein Streit darüber besteht, diese Auflösung sowie die darauf beruhende Abgabenvorschreibung sei dem Gesetz entsprechend erfolgt. Der belangten Behörde ist daher beizustimmen, wenn sie in diesem Zusammenhang die Ansicht vertritt, daß in der vorliegendenfalls geübten Vorgangsweise der Finanzverwaltung keine Besonderheit des Einzelfalles des Beschwerdeführers zu erblicken ist, sondern daß diese Vorgangsweise auf alle Abgabepflichtigen, welche sich in der gleichen Situation wie der Beschwerdeführer befinden, Anwendung findet.
Nun behauptet aber der Beschwerdeführer, daß in seinem Fall die an sich richtige Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes nachteiliges Ergebnis zeitigte. Es liege nämlich bei ihm eine "anormale Belastungswirkung" und ein "atypischer Vermögenseingriff" vor, die dazu führten, "daß die steuerliche Belastung aus dem ererbten Anteil an der Wirtschaftstreuhandkanzlei das erlangte Vermögen letztendlich übersteigt". Zum Beweis für diese seine Ausführungen legte der Beschwerdeführer die schon oben erwähnte Einnahmen-Ausgaben-Rechnung vor, die einen Überhang der Ausgaben über die Einnahmen ausweist.
Ohne sich mit der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der in dieser Berechnung ausgewiesenen Beträge auch nur mit einem Wort auseinanderzusetzen bzw. sie anzuzweifeln, verwarf die belangte Behörde in dem angefochtenen Bescheid - und lediglich dieser, nicht irgendwelche Ausführungen in der Gegenschrift sind Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, weshalb auch die in den Repliken hochgespielte Frage des Veräußerungspreises ohne Bedeutung ist - den durch Vorlage dieser Einnahmen-Ausgaben-Rechnung versuchten Beweis des Beschwerdeführers, indem sie lediglich darauf hinwies, der Beschwerdeführer hätte sich ja vor Antritt der in Rede stehenden Erbschaft über deren steuerliche und allgemeinrechtliche Auswirkungen informieren und sodann allenfalls auf den Antritt dieser Erbschaft verzichten können.
Diese Ausführungen allein vermögen aber schlüssig nicht darzutun, daß nicht der Umstand - sofern dieser wirklich gegeben ist -, daß die steuerliche Belastung des Beschwerdeführers "aus dem ererbten Anteil an der Wirtschaftstreuhandkanzlei das ererbte Vermögen letztendlich übersteigt", eine tatsächliche Unbilligkeit der Einhebung im Einzelfall des Beschwerdeführers darstellen kann, gleichgültig, ob sich der Beschwerdeführer vor Antritt seiner Erbschaft über deren rechtliche und steuerliche Auswirkungen im Detail informierte oder nicht.
Da sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid mit dieser Frage überhaupt nicht auseinandersetzte, erweist sich derselbe schon aus diesem Grund mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil im Zusammenhang mit der Vorlage der Beschwerde samt Vollmacht und Beilage nicht S 690,-- sondern nur S 600,-- an Stempelmarken entrichtet wurden.
Schlagworte
Anrufung der obersten Behörde Anspruch auf Sachentscheidung Besondere Rechtsgebiete Ermessen Verletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche AngelegenheitenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989130010.X00Im RIS seit
03.10.1990