TE Vwgh Erkenntnis 1990/10/3 90/02/0117

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Veröffentlicht am 03.10.1990
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
22/02 Zivilprozessordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §47 Abs1;
AVG §66 Abs4;
VStG §25 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZPO §292 Abs2;
ZustG §17 Abs3;

Betreff

BN gegen Wiener Landesregierung vom 25. April 1990, Zl. MA 70-9/1006/89/Str, betreffend Zurückweisung eines Einspruches gegen eine Strafverfügung in einer Angelegenheit der Straßenverkehrsordnung 1960

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die an den Beschwerdeführer gerichtete Strafverfügung vom 30. August 1989, betreffend Bestrafung wegen Übertretung der StVO, wurde entsprechend dem im Akt erliegenden Zustellnachweis in der Form zugestellt, daß der erste Zustellversuch am 4. September 1989 und der zweite Zustellversuch am 5. September 1989 stattgefunden hat. Die Hinterlegung der Sendung erfolgte am 5. September 1989; sie wurde am selben Tag erstmals zur Abholung bereitgehalten (vgl. § 21 Abs. 2 und § 17 Zustellgesetz). Der gegen diese Strafverfügung erhobene Einspruch des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid der Erstbehörde vom 24. Oktober 1989 gemäß § 68 Abs. 1 AVG 1950 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, weil die Rechtsmittelfrist am 19. September 1989 abgelaufen und der Einspruch frühestens am 20. September 1989 zur Post gegeben geworden sei.

In der gegen diesen Bescheid vom 24. Oktober 1989 eingebrachten Berufung brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, er sei "zum Zeitpunkt der ersten Zustellung bzw. Hinterlegung am 5. 9. 1989" ortsabwesend gewesen, da er sich nicht in Wien befunden habe; er sei erst am 11. September 1989 zurückgekehrt und habe am 12. September 1989 das Schriftstück behoben. In einem weiteren Schreiben brachte der Beschwerdeführer dazu ergänzend vor, es werde beantragt, zum Beweis seines Vorbringens die Zeugin CN (seine Mutter), wohnhaft in X, zu vernehmen. Diese Zeugin gab anläßlich ihrer Einvernahme am 31. Jänner 1990 hiezu folgendes an:

"Bei der Adresse Wien n, Y-Gasse p, handelt es sich um die Studienadresse meines Sohnes. Mein Sohn hält sich üblicherweise in den Sommerferien nicht in Wien auf. Ich kann mich erinnern, daß er in der ersten Septemberhälfte 1989 in X war. Er hat dabei teilweise bei seiner Gattin DN in X, Z-Straße Nr. o, und teilweise bei mir in X, E-Straße q, gewohnt. Wo er sich konkret am 4. und 5. 9. 1989 aufgehalten hat, kann ich heute nicht mehr angeben. Allerdings kann ich angeben, daß er gem. mit mir am zweiten Wochenende im September in F war. Wir waren bei einer Abschiedsfeier eingeladen. Mein Sohn hat sich in den Sommerferien teilweise zu Kurzaufenthalten im Ausland (Italien und BRD) aufgehalten. Wann dies genau war, kann ich nicht angeben. Meines Wissens hat sich mein Sohn am 4. bzw. 5. 9. 1989 nicht in Wien an seiner Studienadresse aufgehalten."

Nachdem die belangte Behörde dem Beschwerdeführer Parteiengehör gewährt hatte, gab sie mit Bescheid vom 25. April 1990 der gegen den obzitierten Bescheid vom 24. Oktober 1989 gerichteten Berufung keine Folge. In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, weder der Beschwerdeführer noch die Zeugin gäben an, wo sich der Beschwerdeführer konkret am 4. bzw. am 5. September 1989 aufgehalten habe. Maßgeblich sei, daß die Mutter die Anwesenheit des Beschwerdeführers nur am zweiten Wochenende des September 1989 dezidiert bestätigen könne. Im Hinblick darauf, daß die Mutter sonst bloß mögliche Aufenthaltsorte des Beschwerdeführers angebe, stelle dies für die Aussage, der Beschwerdeführer sei am 4. bzw. 5. September 1989 nicht in Wien an seiner Studienadresse gewesen, keine ausreichende Bescheinigung dar. Damit aber sei das Vorbringen des Beschwerdeführers durch nichts untermauert und könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer die von ihm geltend gemachte Abwesenheit am Tag des ersten Zustellversuches glaubhaft gemacht habe und er von dem Zustellvorgang nicht rechtzeitig hätte Kenntnis erlangen können. Die Rechtsmittelfrist habe daher am 5. September 1989 begonnen und am 19. September 1989 geendet. Der Einspruch sei sohin erst verspätet, am 20. September 1989, zur Post gegeben worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 20. Juni 1990, Zl. 90/02/0093), daß mit der bloßen Behauptung einer Ortsabwesenheit ohne nähere Angaben und ohne Anbot entsprechender Bescheinigungsmittel das Vorliegen einer unwirksamen Zustellung durch Hinterlegung nicht dargetan werden kann; der Beweis, daß die Zustellung vorschriftsgemäß erfolgt ist, wird durch den eine öffentliche Urkunde darstellenden Zustellnachweis (Rückschein) erbracht, gegen den jedoch gemäß § 292 Abs. 2 ZPO der Gegenbeweis zulässig ist. Behauptet jemand, es läge ein Zustellmangel vor, so hat er diese Behauptung auch entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen, welche die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen.

Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides geht hervor, daß die belangte Behörde der von der angeführten Zeugenaussage untermauerten Behauptung des Beschwerdeführers, er sei zum maßgeblichen Zeitpunkt ortsabwesend gewesen, den Glauben versagt hat. Diese Beweiswürdigung (vgl. zur diesbezüglichen Überprüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0153) bekämpft der Beschwerdeführer zu Recht: Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ist nämlich die Ansicht der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer behauptete Ortsabwesenheit sei nicht genügend "konkret" unter Beweis gestellt worden, nicht mit der allgemeinen Lebenserfahrung in Einklang zu bringen. Vielmehr entspricht es dieser, daß Studenten sich in den Ferien eher nicht an der Studienadresse, sondern zu Hause aufhalten. Dazu kommt, daß es dieser Lebenserfahrung auch nicht widerspricht, daß sich die Zeugin an die konkreten Tage anläßlich ihrer Einvernahme zirka vier Monate danach, ohne einen besonderen Anlaßfall nicht mehr erinnern konnte. Es ergeben sich allerdings aus deren Aussage genügend Anhaltspunkte, welche die behauptete Ortsabwesenheit des Beschwerdeführers durchaus als entsprechend untermauert erscheinen ließen. Wollte die belangte Behörde das durch die Zeugenaussage gestützte Vorbringen des Beschwerdeführers nicht als ausreichenden Beweis für die Richtigkeit seiner Behauptung annehmen, wäre sie verpflichtet gewesen, weitere Erhebungen vorzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 1989, Zl. 89/03/0214). Im Falle des Zutreffens der Behauptung des Beschwerdeführers ist nämlich von einer rechtzeitigen Erhebung des Einspruches auszugehen. Der angefochtene Bescheid leidet daher unter Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG zu seiner Aufhebung führt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Beweismittel Urkunden Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtsmittelverfahren freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990020117.X00

Im RIS seit

03.10.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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