Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AAV §86 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissärin Dr. Kral, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 4. April 1990, Zl. VII/1-V-1225/2/1-90, betreffend Bestrafung wegen Übertretung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (mitbeteiligte Partei: M.W.), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Strafverfügung des Bürgermeisters der Stadt Wiener Neustadt vom 3. April 1989 wurde die Mitbeteiligte für schuldig befunden, sie habe es am 6. Dezember 1988 als Arbeitgeber unterlassen, jedem Arbeitnehmer zur Aufbewahrung und zur Sicherung gegen Wegnahme seiner Straßen- und Arbeitskleidung einen ausreichend großen, luftigen und versperrbaren Kasten zur Verfügung zu stellen und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 31 Abs. 3 lit. b Arbeitnehmerschutzgesetz in Verbindung mit § 86 Abs. 1 AAV begangen. Es wurde eine Geldstrafe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) verhängt.
Gegen diese Strafverfügung erhob die Mitbeteiligte Einspruch, welcher sich lediglich gegen die Höhe der verhängten Strafe richtete. Dies mit der Begründung, daß der Betrieb sehr klein sei; weiters sei der Kasten unmittelbar nach der Beanstandung am 6. Dezember 1988 angeschafft worden.
Mit Bescheid vom 4. April 1990 gab die belangte Behörde diesem, gemäß § 49 Abs. 2 VStG 1950 als Berufung zu wertenden Rechtsmittel insoweit Folge, daß gemäß § 21 VStG 1950 von der Verhängung einer Strafe abgesehen wurde. In der Begründung wurde u.a. darauf hingewiesen, das Verschulden sei in Form der Fahrlässigkeit anzunehmen. Mildernd sei das Geständnis sowie die bisherige Straflosigkeit zu werten gewesen, ein besonderer Erschwerungsgrund liege nicht vor. Nachteilige Folgen der Tat seien nicht evident. Überdies habe die Mitbeteiligte zwischenzeitlich den gesetzwidrigen Zustand beseitigt, sodaß eine Wiederholung der Tat nicht zu erwarten sei. Gemäß § 21 VStG 1950 könne die Behörde von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig sei und die Folgen der Übertretung unbedeutend seien. Die vorgenannten Umstände erfüllten nach Auffassung der Berufungsbehörde diese Bedingungen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, gemäß § 9 Abs. 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 erhobene Beschwerde. Das Beschwerdevorbringen läßt sich dahin zusammenfassen, daß der Beschwerdeführer den Standpunkt vertritt, die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 21 Abs. 1 VStG 1950 seien nicht gegeben gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 21 Abs. 1 erster Satz VStG 1950 kann die Behörde ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind.
Die belangte Behörde hat - wie sich aus der dargestellten Begründung des angefochtenen Bescheides entnehmen läßt - in Verkennung der Rechtslage die beiden Begriffe "Fahrlässigkeit" und "geringfügiges Verschulden" gleichgesetzt und dabei nicht in Betracht gezogen, daß nach der hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. August 1990, Zl. 90/02/0086) von einem geringen Verschulden nur die Rede sein kann, wenn das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt. Daß dies im vorliegenden Fall zutrifft, vermag der Verwaltungsgerichtshof allerdings nicht zu erkennen. Die von der belangten Behörde angenommenen Milderungsgründe vermögen die Annahme eines geringfügigen Verschuldens nicht zu begründen, weil sie in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Tathandlung stehen. Zu Recht verweist der Beschwerdeführer im übrigen im Einklang mit der Aktenlage (vgl. dazu die Strafanzeige des Arbeitsinspektorates vom 27. Dezember 1988) darauf, daß die Mitbeteiligte bereits vor dem ihr angelasteten Tattag zweimal schriftlich aufgefordert worden sei, die Vorschrift des § 86 Abs. 1 AAV zu befolgen, was sie jedoch unterlassen hat. Von einem "geringfügigen" Verschulden der Mitbeteiligten kann jedenfalls keine Rede sein. Der angefochtene Bescheid erweist sich daher schon aus diesen Gründen mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
Soweit die belangte Behörde im übrigen in der Gegenschrift verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 14 Abs. 4 des Arbeitnehmerschutzgesetzes (betreffend die gesetzliche Grundlage für die hier in Rede stehende, übertretene Vorschrift des § 86 Abs. 1 AAV) vorträgt, war darauf infolge des rechtskräftigen Schuldspruches mangels Präjudizialität nicht näher einzugehen. Auch der dortige Hinweis der belangten Behörde auf § 51 Abs. 4 VStG 1950 geht fehl, weil eine solche Erledigung nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist.
Nach dem oben Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990190290.X00Im RIS seit
01.06.2001