TE Vwgh Erkenntnis 1990/10/18 90/09/0004

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Veröffentlicht am 18.10.1990
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §67;
AVG §69 Abs1 lita;
KOVG 1957 §12 Abs2;
KOVG 1957 §13 Abs1;
KOVG 1957 §54 Abs1;
VStG §24;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde der Verlassenschaft nach der am 12. Juli 1990 verstorbenen N gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 24. Oktober 1989, Zl. 126-138.742-007, betreffend Kriegsopferversorgung (Rückersatz zu Unrecht erbrachter Leistungen), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die am 21. Februar 1911 geborene Beschwerdeführerin bezog nach ihrem im Zweiten Weltkrieg gefallenen Ehemann auf Grund der einschlägigen Bestimmungen des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 (KOVG 1957) eine Witwenrente mit Zusatzrente. Aus Anlaß eines Antrages auf Gewährung einer Hilflosenzulage gab die Beschwerdeführerin in einem Fragebogen am 26. August 1987 an, daß sie außer den Versorgungsbezügen vom Landesinvalidenamt (LIA) eine Unfallrente beziehe. Von diesem Einkommen der Beschwerdeführerin erhielt das LIA damit erstmalig Kenntnis.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des LIA vom 27. Juni 1988 (bestätigt mit Bescheid der belangten Behörde vom 14. November 1988) wurde die Zusatzrente der Beschwerdeführerin nach Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß den §§ 69 Abs.1 lit. a und Abs. 3 AVG 1950 und 86 Abs. 1 KOVG 1957 unter Bedachtnahme auf ihre Unfallrente ab dem 1. Dezember 1962 neu bemessen, ohne daß vorerst darüber entschieden wurde, ob und in welcher Höhe der dadurch entstandene Übergenuß der Beschwerdeführerin zu ersetzen sei.

Nach weiteren (amtsinternen) Ermittlungen sprach dann das LIA mit Bescheid vom 8. Juni 1989 aus, daß die Beschwerdeführerin eine ungebührliche Mehrzahlung in der Höhe von S 146.269,30 in monatlichen Raten zu S 1.000,-- zu ersetzen habe. Eine Abstandnahme von der Hereinbringung der Schuld wegen besonderer Härte erfolge nicht; der Ersatz werde durch Aufrechnung mit der Beschwerdeführerin gebührenden Versorgungsleistungen bewirkt.

Diesen Bescheid begründete das LIA unter Bezugnahme auf § 54 KOVG 1957 damit, daß ein Verschulden im Sinne dieser Gesetzesstelle dann gegeben sei, wenn Tatsachen, welche für die Gebührlichkeit einer Versorgungsleistung von wesentlicher Bedeutung seien, in auf Vorteil gerichteter Irreführungsabsicht verschwiegen oder über derartige Anspruchsvoraussetzungen objektiv unrichtige Angaben gemacht würden. Der Beschwerdeführerin sei mit Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom 23. Jänner 1963 ab dem 28. September 1962 eine Unfallrente zuerkannt worden. Die auf diesen Umstand zurückzuführende Mehrzahlung der Leistung sei durch eine Handlung im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 herbeigeführt worden. Dies ergebe sich in freier Beweiswürdigung aus dem Sachverhalt, nämlich daraus, daß die Beschwerdeführerin ihr Einkommen aus der Unfallrente trotz nachweislicher Kenntnis des Bestehens einer diesbezüglichen Anzeigeverpflichtung dem LIA nicht gemeldet habe. Es seien somit die Voraussetzungen für die Vorschreibung zum Ersatz für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren, gerechnet vom Ersten des Monats der Kenntnisnahme vom Neubemessungsgrund an, gegeben. Das mache vom Februar 1962 bis zum Dezember 1987 S 146.269,30 aus.

In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin im wesentlichen aus, sie habe die Unfallrente selbst beim Antrag auf Gewährung des Hilflosenzuschusses angegeben; schon daraus gehe eindeutig hervor, daß sie die Unfallrente nur in Unkenntnis der gesetzlichen Bestimmungen nicht angezeigt habe. Eine Irreführungsabsicht liege keinesfalls vor, weil sich die Beschwerdeführerin nicht dessen bewußt gewesen sei, daß es sich bei ihrer Unfallrente um nach dem KOVG 1957 anrechenbares Einkommen handle. Es sei also nur die Meldepflicht verletzt, aber von der Beschwerdeführerin nichts erschlichen worden. Auch bedeute die Ratenhöhe von S 1.000,-- eine besondere Härte für die Beschwerdeführerin.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 24. Oktober 1989 hat die belangte Behörde ohne weitere Ermittlungen der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, daß die Aufrechnungsrate auf monatlich S 200,-- herabgesetzt wurde. Begründend führte die belangte Behörde aus, sie habe "die Berufungsangelegenheit überprüft und festgestellt, daß die Entscheidung des Landesinvalidenamtes hinsichtlich der Verpflichtung zum Ersatz den gesetzlichen Bestimmungen entspricht". Mit Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse (monatlich ca. S 6.800,--) halte die belangte Behörde jedoch eine monatliche Rückzahlung von S 200,-- für gerechtfertigt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin werde durch den bekämpften Bescheid in ihrem Recht verletzt, "empfangene Bezüge von S 146.269,30 behalten zu dürfen und dieselben gemäß § 54 Abs.1 KOVG 1957 nicht rückersetzen zu müssen".

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach dem ersten Satz des § 53 KOVG 1957 sind die Versorgungsberechtigten verpflichtet, jede ihnen bekannte Veränderung in den rechtlichen Voraussetzungen für den Rentenbezug, die den Verlust oder eine Minderung ihres Anspruches begründet, binnen zwei Wochen dem zuständigen Landesinvalidenamt (§ 79) anzuzeigen.

Gemäß § 54 Abs. 1 KOVG 1957 sind zu Unrecht empfangene Rentenbezüge und sonstige Geldleistungen einschließlich eines von einem Träger der Krankenversicherung für Rechnung des Bundes gezahlten Kranken- und Familiengeldes dem Bund zu ersetzen. Sie dürfen jedoch nur für einen Zeitraum von drei Jahren, gerechnet vom Ersten des Monates an, in dem die Behörde (§ 78) von dem Neubemessungs- oder Einstellungsgrund Kenntnis erlangt hat, zum Rückersatz vorgeschrieben werden, sofern die Leistungen nicht durch eine Handlung im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 herbeigeführt worden sind. Trifft den Empfänger an der Ungebührlichkeit dieser Leistung kein Verschulden und ist die Leistung von diesem in gutem Glauben empfangen worden, so tritt keine Verpflichtung zum Rückersatz ein.

§ 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 läßt eine Wiederaufnahme des Verfahrens unter bestimmten formellen Voraussetzungen dann zu, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.

Im Beschwerdefall steht rechtskräftig fest, daß die Beschwerdeführerin in der Zeit ab dem 1. Dezember 1962 einen der Höhe nach unbestrittenen Übergenuß an Zusatzrente zu ihrer Witwenrente deshalb bezogen hat, weil sie (bis zum Zeitpunkt ihrer eigenen Angabe der Unfallrente im Zuge des Verfahrens über ihren Antrag auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses) dem LIA den Empfang der Unfallrente von der Sozialversicherung der Bauern nicht gemeldet hat. Es entspricht ferner - entgegen den Beschwerdeausführungen zur behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeit - der Rechtslage, daß eine Versehrtenrente aus der Unfallversicherung dem Einkommen des Versorgungsberechtigten im Sinne des § 13 Abs. 1 KOVG 1957 zuzurechnen ist (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. März 1984, Zl. 83/09/0223). Es ist daher mit den im Beschwerdefall eingeschrittenen Versorgungsbehörden davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin jahrelang ihrer Anzeigepflicht gemäß § 53 KOVG 1957 hinsichtlich des Erhaltes der erwähnten Unfallrente nicht nachgekommen ist.

Dieser Umstand allein rechtfertigt indes noch nicht die Vorschreibung des Übergenusses an Zusatzrente, weil der Versorgungsberechtigte trotz Verletzung der Anzeigepflicht unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 54 Abs. 1 KOVG 1957 von der Rückersatzpflicht befreit ist. Eine solche Befreiung tritt allerdings nur dann ein, wenn die beiden in der zuletzt genannten Gesetzesstelle angeführten Voraussetzungen - kein Verschulden UND guter Glaube - zutreffen (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. September 1988, Zl. 87/09/0310, und die dort angeführte Vorjudikatur).

Der Beschwerdeführerin ist darin beizustimmen, daß sie dadurch, daß sie den Neubemessungsbescheid ohne Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes in Rechtskraft erwachsen ließ, nicht mit Wirkung für das nunmehrige Rückersatz-Verfahren zugestanden hat, sie sei beim Empfang ihrer Witwen- und Zusatzrente in den vergangenen Jahren schuldhaft oder schlechtgläubig vorgegangen, noch folgt daraus ein Anerkenntnis, daß der Tatbestand nach § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 verwirklicht wäre. Auf der anderen Seite ist die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid jegliche Begründung dafür, warum sie der Beschwerdeführerin Verschulden oder schlechten Glauben vorwirft, schuldig geblieben; die dort verwendete Formulierung, die Entscheidung des LIA habe nach Ansicht der belangten Behörde den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen, kann bestenfalls als Verweis auf die Begründung der Unterinstanz verstanden werden. Mit einem solchen Verweis vermag die Berufungsbehörde indes nur unter der Voraussetzung ihrer Begründungspflicht zu entsprechen, daß schon im erstinstanzlichen Bescheid auf alle in der Berufung vorgebrachten Tatsachen und Rechtsausführungen eingegangen wurde und der Oberinstanz keine durch die Begründung der Unterinstanz offengelassene Frage vorgelegt worden ist (vgl. auch dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. September 1988, Zl. 87/09/0310, sowie die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, auf S. 603 angeführte Vorjudikatur).

Im Beschwerdefall hat das LIA der Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Bescheid ausschließlich die Verletzung der Anzeigepflicht vorgeworfen und es hat ausschließlich daraus "in freier Beweiswürdigung" abgeleitet, es sei dadurch die der Beschwerdeführerin geleistete Mehrzahlung auf eine Handlung im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 zurückzuführen. Eine Auseinandersetzung mit dem - in der Beschwerde wiederholten - Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin zu ihrer behaupteten Gutgläubigkeit - dieses Vorbringen schließt jedenfalls auch die Bestreitung des Vorliegens eines Tatbestandes nach § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 mit ein - hat daher weder im Ermittlungsverfahren noch in der Begründung des angefochtenen Bescheides stattgefunden, obwohl für den Standpunkt der Beschwerdeführerin immerhin die objektiv feststehende Tatsache spricht, daß sie den Empfang der Unfallrente im Rahmen der Erhebungen zu dem von ihr beantragten Hilflosenzuschuß aus freien Stücken einbekannt hat. Zu prüfen bleibt auch, ob es der Beschwerdeführerin nach ihren persönlichen Verhältnissen zugemutet werden konnte, auf Grund der an sie ergangenen Rechtsbelehrungen zu erkennen, daß auch ihre Unfallrente zu jenem Einkommen zählte, welches nach dem Gesetz geeignet war, die von ihr bezogene Kriegsopferversorgung betraglich zu mindern.

Die belangte Behörde hat sich aus diesen Gründen nicht in einer den §§ 58 Abs. 2 und 60 AVG 1950 entsprechenden Weise mit der Frage befaßt, welche Tatsachen und welche für die Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen die Gutgläubigkeit der Beschwerdeführerin beim Empfang des festgestellten Übergenusses ausgeschlossen hätten. Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 59 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Bezüge die als Einkommen anzusehen sind Diverses Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde Verschulden und guter Glaube

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990090004.X00

Im RIS seit

27.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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