TE Vwgh Erkenntnis 1990/10/23 90/11/0134

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Veröffentlicht am 23.10.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
KFG 1967 §66 Abs2 lite;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des G gegen den Bescheid des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 30. Mai 1990, Zl. 420.905/3-IV/2/90, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für die Gruppen A, B, C, E, F und G entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm bis einschließlich 5. Juni 1995 keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und darin die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Erlassung des angefochtenen Bescheides in dritter und letzter Instanz ist gemäß § 123 Abs. 1 KFG 1967 gegeben. Die Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers wurde mit der Zustellung des Mandatsbescheides der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 16. Juni 1988 am 20. Juni 1988 wirksam; die (von der Vorstellungsbehörde, der zweitinstanzlichen Berufungsbehörde und der belangten Behörde unverändert belassene) Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 beträgt somit mehr als fünf Jahre.

Die Behörden des Verwaltungsverfahrens begründeten die in Rede stehende Entziehungsmaßnahme damit, daß der Beschwerdeführer als Lenker eines Pkws am 5. Juni 1988 in einem durch Alkohol schwer beeinträchtigten Zustand einen Verkehrsunfall verschuldet habe. Der Blutalkoholgehalt des Beschwerdeführers habe laut Gutachten des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Wien zwei Stunden nach dem Unfall 1,45 %o betragen; laut Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen im Zeitpunkt des Unfalles 1,35 %o. Bei diesem Unfall wurden drei Personen getötet und drei weitere Personen (darunter der Beschwerdeführer selbst) schwer verletzt. An zwei Pkws entstand Totalschaden, an einem dritten schwerer Sachschaden. Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 6. Oktober 1989 wurde der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung gemäß § 81 Z. 2 StGB verurteilt; über ihn wurde eine unbedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verhängt. Er wurde ferner in diesem Zusammenhang von der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten mit Straferkenntnis vom 12. Dezember 1988 wegen Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 rechtskräftig bestraft. Damit liege eine bestimmte, die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers indizierende Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 vor.

Im Rahmen der Wertung dieser bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 3 KFG 1967 und im Zusammenhang mit der Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 stellten die Behörden auf die Alkoholdelikten bereits ganz allgemein innewohnende Verwerflichkeit, den hohen Grad der Alkoholisierung, die bis zum Unfall zurückgelegte lediglich kurze Fahrpraxis (Erteilung der Lenkerberechtigung im November 1986) und die Gefährlichkeit der Verhältnisse beim Verkehrsunfall (regennasse Fahrbahn, "erhebliche Geschwindigkeit") ab. Die belangte Behörde zog zusätzlich einen Vorfall vom 29. August 1988 heran, bei dem der Beschwerdeführer sein Motorfahrrad im Ortsgebiet mit einer Geschwindigkeit von 86 km/h gelenkt habe. Das Alkoholdelikt lasse "eine ganz gravierende Fehleinstellung zu den sozialen Werten erkennen". "Das Lenken eines Motorfahrrades mit einer ganz wesentlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zur Nachtzeit" sei "als überaus verantwortungslos anzusehen"; dieses Fehlverhalten liege "auf der gleichen charakterlichen Linie wie der mit katastrophalen Folgen verbundene Verkehrsunfall vom 5. Juni 1988 ..... Wie soll die zur Wahrung der Verkehrssicherheit berufene Behörde vorgehen, wenn ein Verkehrsübeltäter nicht einmal drei Monate nach einem von ihm verschuldeten Verkehrsunfall, der schreckliche Folgen nach sich gezogen hat, zur Nachtzeit im Ortsgebiet mit einem Motorfahrrad mit 86 km/h unterwegs ist?". "Wenn auch die Unfallsfolgen nicht entscheidungswesentlich sein können, so werfen sie doch im Gesamtkonnex des bedauerlichen Geschehens ein bezeichnendes Licht auf die charakterliche Einstellung des Berufungswerbers, sind doch bei einem derart verantwortungslosen Verhalten von vornherein schwerste Konsequenzen geradezu vorprogrammiert".

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Meinung der belangten Behörde, daß die Wertungskriterien der Verwerflichkeit und der Gefährlichkeit der Verhältnisse zu Lasten des Beschwerdeführers erheblich ins Gewicht fallen. Ob als Unfallsursache hauptsächlich ein "Aqua-Planing" anzusehen ist und nicht ein Fahrfehler des Beschwerdeführers, ist nicht wesentlich, weil es der Beschwerdeführer jedenfalls unterlassen hat, seine Fahrgeschwindigkeit den damals herrschenden Straßen- und Witterungsverhältnissen anzupassen. Auch die beträchtliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verhältnismäßig kurz nach dem schweren Verkehrsunfall läßt auf schwere charakterliche Mängel des Beschwerdeführers schließen. Die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei verkehrsunzuverlässig und werde seine Verkehrszuverlässigkeit nicht vor Ablauf von 18 Monaten wiedererlangen, ist zutreffend. Die Entziehung der Lenkerberechtigung nach § 73 Abs. 1 KFG 1967 entspricht daher dem Gesetz.

Im Zusammenhang mit der nach denselben Kriterien wie die Wertung nach § 66 Abs. 3 KFG 1967 vorzunehmenden Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 übersieht die belangte Behörde aber, daß die genannten strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers dessen einzige aktenkundige sind; insbesondere hat sich der Beschwerdeführer lediglich EINES Alkoholdeliktes schuldig gemacht. Außer den genannten Umständen liegt gegen den Beschwerdeführer nichts vor. Es hätte aber weiterer erbeblicher Fakten bedurft, um davon ausgehen zu können, der Beschwerdeführer werde sieben Jahre benötigen, um seine Verkehrszuverlässigkeit wiederzuerlangen.

Auch wenn man in Rechnung stellt, daß der Beschwerdeführer zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde und zumindest einen Teil davon auch tatsächlich abbüßt, sodaß er während dieser Zeit eine Änderung seiner Sinnesart nicht unter Beweis stellen kann, was die Festsetzung einer entsprechend längeren Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 rechtfertigte (worauf sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides freilich gar nicht beruft), ist die Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 mit sieben Jahren zu lang. Obwohl die belangte Behörde zutreffend ausdrücklich darauf hinweist, daß es auf die Unfallsfolgen nicht ankommt, läßt die Begründung des angefochtenen Bescheides sehr wohl erkennen, daß sich die Behörde davon zu Lasten des Beschwerdeführers leiten ließ. Anders wäre die ungewöhnlich harte Entziehungsmaßnahme auch gar nicht zu erklären.

Zum Beschwerdevorbringen sei noch angemerkt, daß die Verkehrsunzuverlässigkeit eine charakterliche Eigenschaft einer Person ist, die zwar bei Verwendung von Kraftfahrzeugen verschiedener Gruppen zu unterschiedlichen Gefährdungen u.a. der Verkehrssicherheit führen kann, die aber grundsätzlich nicht hinsichtlich von Kraftfahrzeugen verschiedener Gruppen wesentlich anders zu beurteilen ist. Jedenfalls in Ansehung von Alkoholdelikten wäre eine differenzierte Prognose der Wiederherstellung der Verkehrszuverlässigkeit in zeitlicher Hinsicht nach KFZ-Gruppen fehl am Platz (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. September 1985, Zl. 83/11/0173). Die Annahme, eine Person werde die Verkehrssicherheit durch Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeuges einer bestimmten Gruppe infolge übermäßigen Alkoholgenusses gefährden, in Ansehung einer anderen Gruppe hingegen nicht, ist begrifflich ausgeschlossen. Die im § 73 Abs. 1 KFG 1967 vorgesehene unterschiedliche Vorgangsweise hinsichtlich einzelner KFZ-Gruppen ist auch in erster Linie auf Fälle des Mangels der körperlichen (allenfalls auch der geistigen und fachlichen) Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen abgestellt.

Die belangte Behörde hätte mit einer wesentlich kürzeren Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 zur Wiederherstellung der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers das Auslangen finden müssen. Der Ausspruch nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 ist daher inhaltlich rechtswidrig. Mangels Trennbarkeit dieses Ausspruchs von der Entziehung der Lenkerberechtigung nach § 73 Abs. 1 KFG 1967 (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11.237/A) ist der angefochtene Bescheid zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Beschwerdeschriftsatz lediglich in zweifacher Ausfertigung vorzulegen war und die für die überflüssige dritte Beschwerdeausfertigung entrichteten Stempelgebühren nicht ersetzt werden können.

Schlagworte

Trennbarkeit gesonderter Abspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990110134.X00

Im RIS seit

19.03.2001

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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