TE Vwgh Erkenntnis 1990/10/30 90/04/0084

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Veröffentlicht am 30.10.1990
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82000 Bauordnung;
L82009 Bauordnung Wien;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
BauO Wr §6 Abs6;
BauRallg;
GewO 1973 §77 Abs1 idF 1988/399;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Griesmacher, Dr. Weiss, DDr. Jakusch und Dr. Gruber als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Puntigam, über die Beschwerde der N-OHG gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 1. Februar 1990, Zl. 311.502/1-III-3/90, betreffend Verweigerung der Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage (mitbeteiligte Parteien: A, AB, beide in X, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 1. Februar 1990 wurde über die Berufungen der mitbeteiligten Parteien das Ansuchen der Beschwerdeführerin vom 13. April 1987 auf Genehmigung ihrer in Wien 23, Y-Gasse 24a gelegenen Betriebsanlage gemäß § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 abgewiesen (Spruchteil I). Gleichzeitig wurden mehrere Berufungen zurückgewiesen (Spruchteil II). Zur Begründung des das Ansuchen der Beschwerdeführerin abweisenden Spruchteiles führte der Bundesminister aus, mit Schreiben vom 13. April 1987 habe die Beschwerdeführerin um die gewerbebehördliche Genehmigung ihrer Betriebsanlage (Kfz- und Lackierwerkstätte) im Standort Y-Gasse 24a, Wien 23, angesucht. Mit Bescheid vom 2. Mai 1988 habe das Magistratische Bezirksamt für den 23. Bezirk in Wien die gewerbebehördliche Genehmigung unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Gegen diesen Bescheid habe eine Reihe von Nachbarn Berufung erhoben. Mit Bescheid vom 20. März 1989 habe der Landeshauptmann von Wien die Auflagen des erstinstanzlichen Bescheides abgeändert, zusätzliche Auflagen vorgeschrieben und im übrigen die gewerbebehördliche Genehmigung unter Vorbehalt einer Betriebsbewilligung aufrecht erhalten. Gemäß § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 dürfe die Betriebsanlage nicht für einen Standort genehmigt werden, in dem das Errichten oder Betreiben der Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag durch Rechtsvorschriften verboten sei. Gemäß § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien dürften in Wohngebieten nur Wohngebäude und Bauten, die religiösen, kulturellen und sozialen Zwecken oder der öffentlichen Verwaltung dienten, errichtet werden. Darüber hinaus sei die Errichtung von Gast-, Beherbergungs-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, von Büro- und Geschäftshäusern sowie die Unterbringung von Lagerräumen und Werkstätten kleineren Umfanges und von Büros und Geschäftsräumen in Wohngebäuden dann zulässig, wenn sichergestellt sei, daß sie nicht durch Rauch, Ruß, Staub, schädliche oder üble Dünste, Niederschläge aus Dämpfen oder Abgasen, Geräusche, Wärme, Erschütterungen oder sonstige Einwirkungen, Gefahren oder den Wohnzweck beeinträchtigende Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen geeignet seien. Wie sich aus den Verfahrensakten ergebe, sei das gegenständliche Betriebsgrundstück als Wohngebiet gemäß § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien gewidmet. Das eingereichte Projekt könne weder als Wohngebäude noch als Bau, der religiösen, kulturellen oder sozialen Zwecken bzw. der öffentlichen Verwaltung diene, angesehen werden. Auch die Verwendung der Betriebsanlage als Gast-, Beherbergungs-, Versammlungs- und Vergnügungsstätte bzw. als Büro- und Geschäftshaus sei nicht vorgesehen. Zwar solle in der Betriebsanlage auch ein Büroraum samt Nebenräumen eingerichtet werden, dies ändere jedoch nichts am Gesamtcharakter der Anlage als Werkstättenbetrieb. Die gegenständliche Anlage sei auch nicht in einem Wohngebäude untergebracht. Die Betriebsanlage widerspreche daher schon aus diesen Gründen den in § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien aufgezählten Zwecken und Nutzungen. Da es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Beurteilung der Widmungsgemäßheit eines Bauvorhabens auf die Betriebstype ankomme, sei davon auszugehen, daß die gegenständliche Betriebsanlage mit § 6 Abs. 6 leg. cit. nicht vereinbar sei, ohne daß die Frage der in dieser Bestimmung genannten Belästigungen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens geprüft werden müßte. Die Errichtung und der Betrieb der Anlage auf dem als Wohngebiet gewidmeten Betriebsgrundstück sei somit nach der landesrechtlichen Vorschrift des § 6 Abs. 6 leg. cit. verboten und es sei aus diesem Grund dem gegenständlichen Ansuchen unter Bedachtnahme auf § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988 ohne weiteres Ermittlungsverfahren die gewerbebehördliche Genehmigung zu versagen gewesen. Die Genehmigung lediglich des Bürotraktes der Betriebsanlage käme einer Versagung des Gesamtprojektes gleich, da der Charakter des gegenständlichen Betriebes durch die Werkstättenräume als dessen wesentliche Bestandteile geprägt werde und daher eine Trennbarkeit des Projektes in dieser Hinsicht nicht möglich sei.

Gegen den Spruchteil I dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor. Sie und die mitbeteiligten Parteien erstatteten Gegenschriften mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin "in ihren Rechten dadurch verletzt, daß einerseits die Gewerbeordnungsnovelle 1988 auf das gegenständliche Verfahren angewendet wurde, andererseits dadurch, daß selbst wenn diese zur Anwendung gelangt, die Wiener Bauordnung und der § 6 Abs. 6 dieses Gesetzes als Rechtsvorschrift angesehen wurde, die das Errichten oder Betreiben der Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag gemäß § 77 Abs. 1 GewO 1973 verbietet". In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes bringt die Beschwerdeführerin vor, die Betriebsanlagengenehmigung erster Instanz sei bereits mit Bescheid vom 2. Mai 1988 erteilt worden, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Gewerberechtsnovelle 1988 noch keine Gültigkeit gehabt habe. Das Berufungsverfahren diene lediglich dazu, zu überprüfen ob die erstinstanzliche Behörde auf Grund der zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Vorschriften richtig gehandelt habe, also sowohl die materiell-rechtlichen als auch formal-rechtlichen Vorschriften eingehalten habe. eine derartige Verletzung von Rechtsvorschriften liege nicht vor, sodaß die Betriebsanlage vor Wirksamkeitsbeginn der Gewerberechtsnovelle genehmigt worden sei. Die erstinstanzliche Behörde habe auf die Widmung "Wohngebiet" ausreichend Rücksicht genommen, sodaß die Beschwerdeführerin Anspruch auf Bewilligung habe. Darüberhinaus sei die Betriebsanlage bereits einmal genehmigt gewesen. Sie sei lediglich länger als drei Jahre nicht in Betrieb gewesen, weshalb neuerlich um Genehmigung habe angesucht werden müssen. Auf Grund allein dieser Tatsache sei davon auszugehen, daß das gegenständliche Gebäude auch hinsichtlich einer Benützungsbewilligung bewilligt worden sei und vollständig der Bauordnung entspreche. Es könne daher aus der Bestimmung des § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien keinesfalls abgeleitet werden, daß diese eine Rechtsvorschrift darstelle, die das Errichten oder Betreiben der Betriebsanlage verbiete. Die Behörde hätte sich daher allenfalls auch nicht nur damit zufriedengeben dürfen, daß die Widmung "Wohngebiet" bestehe, sondern hätte sich auch davon überzeugen müssen, ob das gegenständliche Objekt benützungs- und baubewilligt ist; darin liege auch eine Verletzung von Verfahrensvorschriften. Jedenfalls leite sich aus dem § 6 der Wiener Bauordnung kein Verbot zum Betrieb der Anlage ab. Die zitierte Gesetzesbestimmung könne lediglich allenfalls für die Errichtung eine maßgebliche Bestimmung sein, nicht jedoch nachdem, wie angeführt, bereits eine einmal genehmigte Anlage vorliege bzw. ein bestehendes Objekt benützt werde. Die belangte Behörde habe sich im Hinblick auf die unrichtige Rechtsmeinung nicht mehr mit dem Objekt selbst auseinandergesetzt. Hätte sie dies getan, so hätte sie in Übereinstimmung mit den aufgehobenen Bescheiden eine Bewilligung der Anlage erteilen müssen. Jedenfalls hätte sie ein weiteres Ermittlungsverfahren durchführen müssen. Die Behörde hätte lediglich die Widmung als Wohngebiet bei den Auflagen, wie dies bereits von den beiden ersten damit befaßten Instanzen getan worden sei, berücksichtigen können, keinesfalls aber aus § 6 der Wiener Bauordnung ableiten dürfen, daß die Bewilligung jedenfalls zu versagen sei.

Gemäß Art. VI Abs. 1 der Gewerberechtsnovelle 1988 (BGBl. Nr. 399) trat dieses Bundesgesetz - von der hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme des Abs. 2 abgesehen - mit 1. Jänner 1989 in Kraft. Hinsichtlich der in diesem Zeitpunkt anhängigen Verfahren betreffend Betriebsanlagen sieht lediglich der Abs. 4 dieser Gesetzesstelle eine Übergangsreglung vor, welche allerdings nur die Verfahrensbestimmungen betrifft. Es kann daher der belangten Behörde im Hinblick auf den im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz, wonach die Berufungsbehörde - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - bei Fehlen anders lautender Übergangsbestimmungen das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden hat (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. N.F. Nr. 9315/A), keine rechtswidrige Gesetzesanwendung zur Last gelegt werden, wenn sie anläßlich der nach Inkrafttreten der Gewerberechtsnovelle 1988 erfolgten Erlassung des angefochtenen Bescheides ihrer Entscheidung die Bestimmung des § 77 Abs. 1 GewO 1973 in ihrer Fassung nach der Gewerberechtsnovelle 1988 zugrundelegte.

Gemäß § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988 darf die Betriebsanlage nicht für einen Standort genehmigt werden, in dem das Errichten oder Betreiben der Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag durch Rechtsvorschriften verboten ist.

Gemäß § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien dürfen in Wohngebieten nur Wohngebäude und Bauten, die religiösen, kulturellen oder sozialen Zwecken oder der öffentlichen Verwaltung dienen, errichtet werden. Die Errichtung von Gast-, Beherbergungs-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, von Büro- und Geschäftshäusern sowie die Unterbringung von Lagerräumen und Werkstätten kleineren Umfanges und von Büros und Geschäftsräumen in Wohngebäuden ist dann zulässig, wenn sichergestellt ist, daß sie nicht durch Rauch, Ruß, Staub, schädliche oder üble Dünste, Niederschläge aus Dämpfen oder Abgasen, Geräusche, Wärme, Erschütterungen oder sonstige Einwirkungen, Gefahren oder den Wohnzweck beeinträchtigende Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen geeignet sind.

Als Rechtsvorschriften im Sinne des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 kommen nicht nur generell abstrakte Raumordnungsvorschriften, sondern auch die diese konkretisierenden individuellen Bescheide in Betracht. Der Beschwerdeführerin ist daher zuzugestehen, daß die belangte Behörde dadurch, daß sie es unterließ, zu prüfen, ob für die in Rede stehende Betriebsanlage allenfalls eine baubehördliche Genehmigung besteht, gegen ihre aus § 39 Abs. 2 AVG 1950 erfließende Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes verstieß.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990040084.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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