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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Entscheidungen der Bundesschiedskommission (BSK) über eine Berufung gegen die Kündigung eines Einzelvertrages einer Ärztin und einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens trotz zwischenzeitig erfolgter rechtswirksamer Zurücknahme der Berufung; Zurückziehung der Berufung noch vor Zustellung der angefochtenen Bescheide; kein ungerechtfertigter Druck auf die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin hinsichtlich der einem Berufungsverzicht gleich zu haltenden Zurückziehung; keine Zuständigkeit mehr der belangten Behörde zur BescheiderlassungSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Gesundheit und Frauen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 4.320,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin stand als Ärztin für Allgemeinmedizin in einem Vertragsverhältnis ua. mit der Wiener Gebietskrankenkasse (im Folgenden: GKK). Mit Schreiben vom 19. November 2002 kündigte die GKK sowohl den kurativen Einzelvertrag als auch den Vorsorgeuntersuchungsvertrag mit der Beschwerdeführerin mit Wirkung vom 31. Dezember 2002.
2. Mit Bescheid der Landesschiedskommission für Wien (im Folgenden: LSK) vom 30. Juni 2003 wurde der Einspruch der Beschwerdeführerin gegen die Kündigung abgewiesen. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 29. Juli 2003 Berufung an die Bundesschiedskommission (im Folgenden: BSK).
3.1. Mit Beschluss der BSK, datiert vom 14. Jänner 2004, GZ R 4-BSK/03-8, wurde der Berufung keine Folge gegeben. Dieser Beschluss wurde, wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, nicht mündlich verkündet. Mit Schreiben des Vorsitzenden der BSK vom 30. Juni 2004 wurde der Ärztekammer für Wien als (damaliger) Geschäftsstelle der LSK der Beschluss der BSK mit dem Ersuchen übermittelt, ihn "den Parteien bzw. deren Vertretern nachweislich zuzustellen". Dieses Schreiben ging bei der Ärztekammer am 15. Juli 2004 ein.
3.2. Am 18. August 2004 langte bei der Ärztekammer für Wien per Fax ein Schreiben des bevollmächtigten Parteienvertreters der Beschwerdeführerin ein, in dem "[n]amens unserer Mandantin ... die von dieser am 29.7.2003 beeingabte Berufung zurück[gezogen]" wurde. Mit Schreiben der Ärztekammer für Wien als Geschäftsstelle der LSK vom 23. August 2004 wurde der BSK die Zurückziehung der Berufung mit dem Beisatz mitgeteilt, dass sie "vor der Zustellung des Bescheides der Bundesschiedskommission" erfolgt sei.
4.1. Mit einem am 10. Juni 2005 bei der LSK eingelangten Antrag begehrte die Beschwerdeführerin die Wiederaufnahme des Kündigungsverfahrens und führte dazu begründend aus, dass ihr am 27. Mai 2005 im Zuge der Einsichtnahme in Akten eines sie selbst betreffenden gerichtlichen Strafverfahrens der Bescheid der BSK vom 14. Jänner 2004 erstmals bekannt geworden sei und dass ihr im Kündigungsverfahren vor der LSK verfahrensrelevante Aktenteile vorenthalten worden seien, die beweisen würden, dass der (erstinstanzliche) Bescheid der LSK mit Hilfe strafbarer Handlungen erschlichen worden sei. Überdies seien neue Tatsachen hervorgekommen, die im Verfahren ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden hätten können und die voraussichtlich einen anderen Bescheid herbeigeführt hätten.
4.2. Mit Bescheid der BSK vom 30. November 2005, R 5-BSK/05-6, wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Aufkündigung des Einzelvertrages abgewiesen, da die Wiederaufnahmegründe des §69 Abs1 Z1 und 2 AVG nicht vorlägen; hinsichtlich der Erlassung des mit Wiederaufnahme bekämpften Bescheides der BSK vom 14. Jänner 2004 führt die belangte Behörde lediglich aus, dass diese Entscheidung "am 14.7.2004 (auch zur Zustellung an die Antragstellerin) zur Post gegeben" worden sei.
Der Bescheid der BSK vom 30. November 2005 betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens wurde der Beschwerdeführerin eigenen Angaben zufolge am 13. Jänner 2006 zugestellt; gegen ihn richtet sich die zu B299/06 protokollierte Beschwerde.
5. Mit (Begleit-)Schreiben des Vorsitzenden der LSK vom 23. Februar 2006 wurde der Beschwerdeführerin der Bescheid der BSK vom 14. Jänner 2004, mit dem ihre Berufung gegen die Kündigung abgewiesen wurde, am 27. Februar 2006 zugestellt. Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu B753/06 protokollierte Beschwerde.
6. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung von Gegenschriften jedoch abgesehen. Die beteiligte GKK erstattete in beiden Verfahren Stellungnahmen, in denen sie die angefochtenen Bescheide verteidigt und die kostenpflichtige Ab- bzw. Zurückweisung der Beschwerden beantragt. Die Beschwerdeführerin legte - teils vertreten durch ihre Rechtsanwältin, teils selbst - mehrere weitere Schriftsätze samt umfangreichen Beilagen vor.
II. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
Die einschlägigen Bestimmungen des ASVG lauten auszugsweise wie folgt:
"§343. (1) Die Auswahl der Vertragsärzte und der Vertrags-Gruppenpraxen und der Abschluß der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis erfolgt nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer. ...
(2) Das Vertragsverhältnis zwischen dem Vertragsarzt oder der Vertrags-Gruppenpraxis und dem Träger der Krankenversicherung erlischt ohne Kündigung im Falle:
...
(3) Der Träger der Krankenversicherung ist zur Auflösung des Vertragsverhältnisses mit einem Vertragsarzt oder mit einer Vertrags-Gruppenpraxis verpflichtet, wenn der Arzt oder ein persönlich haftender Gesellschafter einer Vertrags-Gruppenpraxis die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes verliert oder wenn ihm diese Berechtigung von Anfang an fehlte oder wenn im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer festgestellt wird, dass die Voraussetzungen, die zur Bestellung des Vertragsarztes oder der Vertrags-Gruppenpraxis erforderlich sind, von Anfang an nicht gegeben waren. ...
(4) Das Vertragsverhältnis kann unbeschadet der Bestimmungen der Abs2 und 3 von beiden Teilen unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Kündigt der Träger der Krankenversicherung, so hat er dies schriftlich zu begründen. Der gekündigte Arzt oder die gekündigte Vertrags-Gruppenpraxis kann innerhalb von zwei Wochen die Kündigung bei der Landesschiedskommission mit Einspruch anfechten. Die Landesschiedskommission hat innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen des Einspruches über diesen zu entscheiden. Der Einspruch hat bis zum Tag der Entscheidung der Landesschiedskommission aufschiebende Wirkung. Die Landesschiedskommission kann die Kündigung für unwirksam erklären, wenn sie für den Arzt oder für einen persönlich haftenden Gesellschafter der Vertrags-Gruppenpraxis eine soziale Härte bedeutet und nicht eine so beharrliche oder eine so schwerwiegende Verletzung des Vertrages oder der ärztlichen Berufspflichten im Zusammenhang mit dem Vertrag vorliegt, daß die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses für den Träger der Krankenversicherung nicht zumutbar ist. ... Eine vom gekündigten Arzt (von der gekündigten Gruppenpraxis) eingebrachte Berufung an die Bundesschiedskommission hat ohne Zustimmung des Krankenversicherungsträgers keine aufschiebende Wirkung.
...
§345a. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesschiedskommission zu errichten. Diese besteht aus einem Richter des Ruhestandes als Vorsitzenden und vier Beisitzern. Der Vorsitzende soll durch längere Zeit hindurch in Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig gewesen sein. Er ist vom Bundesminister für Justiz jeweils auf fünf Jahre zu bestellen. Je zwei Beisitzer werden im Einzelfall von der zuständigen Ärztekammer und dem Hauptverband entsendet.
(2) Die Landesschiedskommission ist zuständig:
1.
zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages und
2.
zur Entscheidung über die Wirksamkeit einer Kündigung gemäß 343 Abs4.
(3) Gegen die Entscheidungen der Landesschiedskommission kann Berufung an die Bundesschiedskommission erhoben werden.
§346. (1) Zur Entscheidung über Berufungen, die gemäß §345a Abs3 erhoben werden, ist eine Bundesschiedskommission zu errichten.
...
(7) Entscheidungen der Bundesschiedskommission unterliegen weder der Aufhebung noch der Abänderung im Verwaltungswege.
§347. ...
(4) Die in den §§344, 345, 345a und 346 vorgesehenen Kommissionen haben auf das Verfahren das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 anzuwenden, soferne dieses Bundesgesetz nichts anderes anordnet. Sie fassen ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit; eine Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Im übrigen sind die Geschäftsordnungen dieser Kommissionen vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach Anhörung der Österreichischen Ärztekammer und des Hauptverbandes durch Verordnung zu regeln."
Gemäß §5 Abs1 iVm §24 Schiedskommissionsverordnung - SchKV, BGBl. Nr. 128/1991, sind die Kanzleigeschäfte der LSK kalenderjährlich abwechselnd von der örtlich in Betracht kommenden Ärztekammer und der örtlich zuständigen Gebietskrankenkasse zu führen, jene der BSK gemäß §29 Abs1 SchKV kalenderjährlich abwechselnd von der Österreichischen Ärztekammer und vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Im Kalenderjahr 2004 oblag der Ärztekammer für Wien bzw. der Österreichischen Ärztekammer die jeweilige Führung der Kanzleigeschäfte.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
2.1. Es ist im Verfahren unbestritten geblieben und ergibt sich auch aus den Verwaltungsakten, dass der - nicht mündlich verkündete - Bescheid der BSK vom 14. Jänner 2004 der Beschwerdeführerin (und auch den anderen Parteien des Berufungsverfahrens) erst am 27. Februar 2006 zugestellt worden ist. Die Zurückziehung der Berufung durch die Beschwerdeführerin erfolgte jedoch bereits durch ein am 18. August 2004 bei der Ärztekammer für Wien als Geschäftsstelle der LSK eingelangtes und von dieser an die BSK weitergeleitetes Schreiben.
2.2.1. Die Partei hat das Recht, ihre Berufung jederzeit zurückzuziehen (VfSlg. 6156/1970). Die Zurückziehung der Berufung ist verfahrensrechtlich betrachtet nichts anderes als ein nachträglicher Berufungsverzicht (vgl. §63 Abs4 AVG iVm §347 Abs4 ASVG; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 Anm 14 zu §63). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Berufungsverzicht eine von der Partei vorgenommene Prozesshandlung, der die Wirkung anhaftet, dass eine von der Partei eingebrachte Berufung einer meritorischen Erledigung nicht zugeführt werden darf (VwGH 19.11.2004, 2004/02/0230; 12.5.2005, 2005/02/0049). Ob die Partei auf die Einbringung der Berufung verzichtet oder nach deren Einbringung die Berufung zurücknimmt, macht in Bezug auf die erwähnte Rechtsfolge der funktionellen Unzuständigkeit der Berufungsbehörde keinen Unterschied (vgl. VwGH 16.11.1998, 98/10/0360; 22.11.2005, 2005/05/0320).
2.2.2. Voraussetzung für einen gültigen Rechtsmittelverzicht bzw. für die gültige Zurückziehung eines Rechtsmittels ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, dass eine solche Erklärung ohne Druck und in Kenntnis der Rechtsfolgen abgegeben wird (VfSlg. 11.171/1986, 12.604/1991). Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Beschwerde zu B753/06 zwar vorgebracht, dass ihr Rechtsvertreter zur Zurückziehung der Berufung "unter Vorspiegelung, dass die Planstelle ausgeschrieben werde und [die Beschwerdeführerin] in der Folge ihre Einrichtung bzw. Investitionsablöse verkaufen könne" veranlasst worden sei. Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, hat die beteiligte GKK gegenüber dem bevollmächtigten Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin in der Tat erklärt, eine Neuausschreibung einer Planstelle könne nur dann erfolgen, "wenn der bisherige Vertragsinhaber seinen Kassenvertrag zuvor schriftlich gekündigt" habe, sodass die GKK "darauf bestehen [muss,] dass die Rückziehung des an die Bundesschiedskommission gerichteten Antrages durch [die Beschwerdeführerin] vorzuliegen hat, bevor eine Ausschreibung der an ihrer Ordinationsadresse gelegenen Planstelle erfolgt". Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, dass dadurch ein solcher ungerechtfertigter Druck auf die damals anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin ausgeübt worden wäre, dass an der Rechtswirksamkeit der Berufungsrücknahme ein Zweifel entstehen könnte. Die Motive für die Erklärung, die Berufung zurückzuziehen, sind aber solange unerheblich, als keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Partei sei durch Drohung mit rechtswidrigem Verhalten zur Abgabe dieser Erklärung bestimmt worden (VwGH 16.11.1998, 98/10/0360 mwN; vgl. auch VfSlg. 7432/1974), was hier aber nicht der Fall ist.
Ein einmal ausgesprochener Berufungsverzicht kann auch nicht mehr zurückgenommen werden (VfSlg. 4462/1963; VwGH 19.11.2004, 2004/02/0230; 12.5.2005, 2005/02/0049), sodass die späteren Erklärungen der Beschwerdeführerin gegenüber der BSK, die der Sache nach darauf hinauslaufen, die Zurückziehung der Berufung für "ungültig" zu erklären, die von ihr damit angestrebte rechtliche Wirkung nicht herbeiführen konnten.
2.2.3. Es steht der Wirksamkeit der Zurückziehung der Berufung aber auch der Umstand nicht entgegen, dass der die Zurückziehung der Berufung erklärende Schriftsatz erst nach Beschlussfassung der BSK über die Berufung vom 14. Jänner 2004 bei der Behörde eintraf.
Ein (schriftlicher) Bescheid gilt auch bei Kollegialbehörden nicht schon mit der Beschlussfassung sondern - mangels mündlicher Verkündung - erst als erlassen, wenn er einer der Parteien des Verfahrens gültig zugestellt worden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, sind die rechtlichen Grundlagen eines Bescheides auch bei Kollegialbehörden stets nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides, nicht nach jener im Zeitpunkt der kollegialen Beschlussfassung zu beurteilen (zB VfSlg. 13.111/1992, 16.907/2003 mwN). Der Verfassungsgerichtshof hat auch ausgesprochen, dass eine (kollegiale) Verwaltungsbehörde ihre (sachliche und örtliche) Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens - und zwar bis zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung - von Amts wegen wahrzunehmen hat, auch wenn sich die Unzuständigkeit der Behörde erst im Laufe des Verfahrens ergibt (VfSlg. 17.381/2004); nichts anderes kann aber - in Hinblick auf den vorliegenden Fall - für die funktionelle Zuständigkeit einer (Berufungs-)Behörde gelten.
2.2.4. Die Zurückziehung der Berufung der Beschwerdeführerin ist daher auch noch nach der Beschlussfassung durch die BSK, die lediglich einen Teilakt im Normerzeugungsprozess des angefochtenen Bescheides darstellt, zulässig und rechtswirksam gewesen.
2.3. Daraus folgt zunächst, dass die belangte Behörde zu einem meritorischen Abspruch über die (zurückgezogene) Berufung der Beschwerdeführerin nicht mehr zuständig war; durch die Erlassung des Bescheides vom 14. Jänner 2004 (durch dessen Zustellung an die Beschwerdeführerin am 27. Februar 2006) hat sie eine ihr gesetzlich nicht (mehr) zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen.
Die Beschwerdeführerin ist somit durch den zu B753/06 angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden. Der Bescheid war daher aufzuheben.
3. Dasselbe gilt für den zu B299/06 angefochtenen Bescheid, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederaufnahme des Kündigungsverfahrens abgewiesen wurde:
3.1. Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht nämlich gemäß §69 Abs4 AVG jener Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat. Durch die Zurückziehung der Berufung gegen den - in erster Instanz ergangenen - Bescheid der LSK vom 30. Juni 2003, die mit dem Zugang der Zurückziehungserklärung an die LSK am 18. August 2004 wirksam wurde, ist dieser Bescheid rechtskräftig geworden. Die - in zweiter Instanz entscheidende - BSK war daher jedenfalls ab diesem Zeitpunkt auch zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag nicht (mehr) zuständig. Sie hat daher durch den der Beschwerdeführerin gegenüber am 13. Jänner 2006 erlassenen, abweisenden Bescheid über die Wiederaufnahme des Kündigungsverfahrens eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen.
3.2. Die belangte Behörde hat die Beschwerdeführerin dadurch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Auch der zu B299/06 angefochtene Bescheid war somit aufzuheben.
4. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die übrigen Beschwerdevorbringen.
5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §88 VfGG. Die zu B299/06 entrichtete Eingabegebühr war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit des Verfahrens (§110 Abs1 Z2 lita ASVG) nicht zu ersetzen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 720,-- enthalten.
IV. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Sozialversicherung, Ärzte, Behördenzuständigkeit, Verwaltungsverfahren, Anwendbarkeit AVG, Berufung, WiederaufnahmeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:B299.2006Dokumentnummer
JFT_09938873_06B00299_2_00