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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Degischer, Dr. Domittner und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 4. April 1990, Zl. MDR-B XII-5 bis 11/89, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: X-Siedlungsgenossenschaft m.b.H.), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat der Bundeshaupstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- je binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom 20. Jänner 1987 ersuchte die mitbeteiligte Bauwerberin beim Wiener Magistrat um die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage mit insgesamt 111 Wohnungen auf den Liegenschaften Wien 12., Z-Straße und Y-Gasse. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, bei der von Nachbarn zahlreiche Einwendungen erhoben wurden, legte die Mitbeteiligte mit Eingabe vom 4. Februar 1988 neue Baupläne vor, wonach nunmehr in einzeln gegliederten Baukörpern insgesamt nur mehr 89 Wohnungen und eine Tiefgarage vorgesehen sind. Über dieses Bauvorhaben fanden am 27. Juni und am 3. Oktober 1988 zwei Bauverhandlungen statt, bei denen Nachbarn verschiedene Einwendungen erhoben. Zu der Verhandlung am 3. Oktober 1988 forderte ein Nachbar, daß vor Erteilung der Baubewilligung durch geeignete Bodenuntersuchungen die möglichen Auswirkungen auf Anrainerliegenschaften zu prüfen seien. Der Beschwerdeführer schloß sich als Miteigentümer der an den Bauplatz unmittelbar nördlich angrenzenden Liegenschaft B-Gasse diesem Vorbringen der Verhandlungsschrift zufolge an. Ein Amtssachverständiger der Magistratsabteilung 29 (Brückenbau und Grundbau) führte in einem Gutachten vom 21. November 1988 aus, daß auf dem Bauplatz selbst noch keine Baugrunduntersuchungen durchgeführt worden seien. Die im Baugrundkataster der Stadt Wien aufgenommenen Ergebnisse der Baugrunduntersuchung in der näheren Umgebung ließen aber eine brauchbare Aussage über die zu erwartenden Baugrund- und Grundwasserverhältnisse auf dem Bauplatz zu. Demnach würden wahrscheinlich ca. 2 bis 4 m mächtige gelbbraune Lehm-, Sand- oder Schotterschichten die bis in große Tiefe anstehenden, grünlich graubraunen tonigen Schluffe (Wiener Tegel) bedecken. Grundwasser (Hangsickerwasser) sei in den durchlässigen Deckschichten nahe der Tegeloberfläche zu erwarten. Nach Ansicht des Amtssachverständigen hätten weder diese Baugrund- und Grundwasserverhältnisse noch die Errichtung und der Bestand der Bebauung schädliche Auswirkungen auf die Standsicherheit von Anrainergebäuden. Ein auf einer Liegenschaft befindliches schweres Baugebrechen (Rißbildungen) sei wahrscheinlich auf Setzungen des durch ein Kanalgebrechen aufgeweichten Tegels zurückzuführen.
Ohne weitere Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erteilte der Wiener Magistrat mit Bescheid vom 20. Dezember 1988 die angestrebte baubehördliche Bewilligung unter Vorschreibung einer Reihe von Auflagen. Gleichzeitig wurde über Einwendungen von Nachbarn abgesprochen. Unter anderem wurden Einwendungen, daß die schlechten Bodenverhältnisse Schäden an den Nachbarhäusern erwarten lassen und keine ausgedehnten Bodenuntersuchungen vorliegen, als im Gesetz nicht begründet abgewiesen. Diesbezüglich wurde in der Begründung die eingeholte Stellungnahme der MA 29 wiedergegeben und bemerkt, daß, abgesehen von einem hier nicht in Betracht kommenden Gebäude, die Nachbarhäuser durchschnittlich mehr als 20 m vom Neubau entfernt seien, sodaß insoweit eine Verletzung von subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten auszuschließen sei. Weiters wurde auf Auflagen des Bescheides verwiesen, wonach vor Beginn der Herstellung der Fundamente das Gutachten eines Sachverständigen über das Ergebnis der Bodenuntersuchung vorzulegen sei. Auch wurden bestimmte statische Berechnungen und sonstige Maßnahmen vorgeschrieben.
In seiner dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer u.a. aus, daß eine Gefährdung der Standsicherheit der Nachbarhäuser durch die Bauführung wegen der unsicheren, bisher nicht untersuchten Bodenverhältnisse im Bereich Y-Gasse - Z-Straße eingewendet worden sei. Es wird dann auf bisher eingetretene Schäden an einigen Häusern sowie auf ständige Erdbewegungen im Bereich des Y-Berges verwiesen. Ein Gutachten zur Beurteilung der Frage, ob die Errichtung der Wohnhausanlage bei den schlechten Bodenverhältnissen schädliche Auswirkungen auf die zum Teil schon schadhaften Anrainergebäude habe, sei verlangt worden. Die Baubehörde habe ein solches Gutachten nicht in Auftrag gegeben und dem Bauwerber nur bezüglich eines Hauses Auflagen zum Schutz dieses Gebäudes vorgeschrieben. Der Stellungnahme der Magistratsabteilung 29 komme keine Rechtsverbindlichkeit zu. Als Miteigentümer eines Anrainerhauses lege der Beschwerdeführer Wert auf die Standsicherheit seines Objektes. Er möchte sich durch einen Baubescheid nicht in der Wahrnehmung seines diesbezüglichen subjektiv-öffentlichen Anrainerrechtes beeinträchtigt sehen. Dies geschehe aber durch den Bescheid, weil keine rechtsverbindliche Feststellung über die Standfestigkeit des Gebäudes durch die Bauführung getroffen werde.
Im Zuge des Berufungsverfahrens legte die mitbeteiligte Partei das Gutachten der staatlich autorisierten Versuchs- und Prüfanstalt für Erdbau und Bodenuntersuchungen über Ergebnisse der bodenphysikalischen Laboratoriumsuntersuchungen vom 31. Jänner 1990 sowie das Baugrundgutachten eines Zivilingenieurs für Bauwesen vom 12. Februar 1990 vor. In dem zuletzt genannten Gutachten wurde die Lage des Bauplatzes und des Projektes eingehend beschrieben, wobei festgestellt wurde, daß das Gelände wie das umgebende Terrain sanft mit einem Neigungswinkel zwischen 1 Grad und 2 Grad von Norden nach Süden, etwas weniger von Westen nach Osten falle. Nach eingehender Beschreibung der Bodenverhältnisse vertrat der Sachverständige die Auffassung, daß zur Vermeidung der Rutschgefahr die mit den bodenphysikalischen Untersuchungsergebnissen erwiesene geringe Rutschfestigkeit der tiefgründig entstehenden tonigen Schluffe und schluffigen Tone wegen der durch das Öffnen der geplanten Baugrube resultierenden potentiellen Rutschgefahr noch vor Beginn des Baugrubenaushubes eine vorbeugende Sicherung der benachbarten Liegenschaften gegen Kriech- und Rutschvorgänge des Baugrundes erfordere. Zu sichern seien die Nachbarliegenschaften öffentliches Gut Z-Straße, B-Gasse und teilweise die dem Bauplatz zugewandten Nachbarliegenschaften der S-Gasse. Zur vorbeugenden Sicherung des anstehenden, durch Aktivierung möglicher fossiler Gleitflächen zu Rutschungen neigenden Baugrundes werde das Einbringen von biegesteifen Pfählen mit Dübelwirkung als bewährte und zweckmäßige Methode empfohlen. Diese Aufgabe erfüllten am besten entsprechend bewährte Großbohrpfähle mit einem Nenndurchmesser von 1,20 m. Diese Großbohrpfähle seien in Reihe in den freibleibenden 6,0 m breiten Streifen zwischen der geplanten Bebauung und den Nachbarliegenschaften niederzubringen und untereinander mit einem biegesteifen Längsträger zu verbinden. Nach ersten Variationsberechnungen würden Pfahllängen von ca. 10 m bis 15 m und Pfahlabstände von ca. 2,4 m bis 6,0 m (in Abhängigkeit von den Lastgrößen) zur Wahrung der erforderlichen Böschungsbruchsicherheit ausreichend sein. Nach weiteren Ausführungen schloß der Gutachter sein Gutachten mit der Feststellung, daß unter der Voraussetzung, daß die entsprechenden Empfehlungen in sachgerechter Arbeitsausführung eingehalten werden, auszuschließen sei, daß den Nachbarliegenschaften durch das Bauvorhaben nachteilige Auswirkungen im Hinblick auf eine Rutschgefahr des Untergrundes und den Grundwasserhaushalt erwachsen werden.
Ein Amtssachverständiger der Magistratsabteilung 29 äußerte sich zu diesem Gutachten in einer Stellungnahme vom 27. Februar 1990 zusammenfassend dahin, daß die geplante Art der Hangverdübelung einwandfrei geeignet sei, eine Gefährdung der Nachbarliegenschaften zuverlässig auszuschließen.
Die beiden zuletzt genannten Gutachten wurden dem Beschwerdeführer sowie weiteren Berufungswerbern zur Kenntnis gebracht und ihnen freigestellt, in die Unterlagen über die Ergebnisse der bodenphysikalischen Laboratoriumsuntersuchung Einsicht zu nehmen.
Der Aktenlage nach nahm der Beschwerdeführer hiezu nicht Stellung.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 4. April 1990 wies die Bauoberbehörde für Wien die Berufungen (darunter auch jene des Berufungswerbers) als unbegründet ab, wobei ein Abspruch über eine hier nicht interessierende Einwendung abgeändert wurde. Nach Wiedergabe der ergänzenden Verfahrensergebnisse erachtete die Berufungsbehörde die eingeholten Gutachten als schlüssig und ging davon aus, daß bei entsprechend bautechnischer Ausführung durch die Errichtung der geplanten Wohnhausanlage mit Tiefgarage keine Gefahr für die Standsicherheit der Gebäude der Nachbarn bestünde.
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in seinen Nachbarrechten, insbesondere in seinen Rechten aus den Regelungen über die Tragfähigkeit des Baugrundes (Rutschgefahr) und auf ein gesetzmäßiges Verfahren verletzt.
Über diese Beschwerde, sowie über die Gegenschriften der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Mit der im Beschwerdefall wesentlichen Frage, ob den Nachbarn nach den Bestimmungen der Bauordnung für Wien in Fragen der Tragfähigkeit des Untergrundes und der Statik ein Mitspracherecht zusteht, hat sich der Verwaltungsgerichtshof eingehend in seinem Erkenntnis vom 20. März 1984, Zl. 83/05/0177, BauSlg. Nr. 216, auseinandergesetzt. Der Gerichtshof teilte damals die Auffassung der Beschwerdeführer, daß ihnen insoweit ein Mitspracherecht in Fragen der Tragfähigkeit und Statik zustehe, als sich eine Gefahr von der zu bebauenden Liegenschaft auf ihre Grundflächen erstrecken kann. Obwohl im vorliegenden Fall das Bauvorhaben der Mitbeteiligten nicht unmittelbar an der Grundgrenze zur Liegenschaft des Beschwerdeführers ausgeführt werden soll, hat der mit der Erstellung eines Gutachtens betraute Zivilingenieur für Bauwesen klar zum Ausdruck gebracht, daß die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Liegenschaft des Beschwerdeführers gegeben ist. Im Sinne der Ausführungen des Erkenntnisses vom 20. März 1984 hatte sich daher die Berufungsbehörde mit den vorgetragenen Bedenken betreffend Bodenverhältnisse und Tragfähigkeit des Bodens entgegen der Meinung der Mitbeteiligten auseinanderzusetzen. Dies hat die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auch getan, indem sie das Gutachten des Zivilingenieurs und die hiezu eingeholte Stellungnahme des Amtssachverständigen als schlüssig beurteilte und ihrer Entscheidung zugrundelegte. Dies bestreitet auch der Beschwerdeführer nicht, er vertritt allerdings die Auffassung, daß die Behörde ergänzende Auflagen hätte vorschreiben müssen und sich nicht damit hätte begnügen dürfen, die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Diesen Ausführungen hält die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift entgegen, daß im Baubewilligungsverfahren hinsichtlich der Ausführung des Bauprojektes lediglich zu beurteilen sei, ob das Bauvorhaben nach den Erfahrungen der technischen Wissenschaften ausgeführt werden kann, die eigentliche Ausführung des Bauvorhabens - die Bauführung - sei nicht Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens. So allgemein vermag der Verwaltungsgerichtshof diesen Ausführungen der belangten Behörde nicht zu folgen, weil auch der technische Vorgang von einer Bewilligung mehr oder weniger mitumfaßt ist, wie der Verwaltungsgerichtshof gerade in dem erwähnten Erkenntnis vom 20. März 1984 zum Ausdruck gebracht hat. Dem in der Gegenschrift zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Mai 1965, Slg. N.F. Nr. 6684/A, lag ein völlig anderer Sachverhalt (Wiederauffüllung einer Senkgrube) zugrunde, sodaß schon aus diesem Grunde auf die Richtigkeit der damals getroffenen Aussage hier nicht näher einzugehen war. Nun hat allerdings der Zivilingenieur für Bauwesen in seinem Gutachten vom 12. Februar 1990 lediglich beim Öffnen der erforderlichen Baugruben eine potentielle Rutschgefahr für benachbarte Liegenschaften für möglich erachtet und für diesen Fall bestimmte vorbeugende Sicherungsmaßnahmen empfohlen. Für einen solchen Fall teilt der Gerichtshof die Auffassung der belangten Behörde und der Mitbeteiligten, daß die Art der Sicherung der Baugruben eine Frage der Ausführung des Bauvorhabens ist, nicht aber eine solche der Bewilligungsfähigkeit des Bauvorhabens. Unter diesen Gesichtspunkten handelte die belangte Behörde nicht rechtswidrig, wenn sie auf Grund der Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens weder eine Änderung noch eine Ergänzung des Projektes bzw. ergänzende Vorschreibungen für erforderlich erachtete.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag auch nicht die Auffassung des Beschwerdeführers zu teilen, daß die belangte Behörde der ihr nach § 60 AVG 1950 obliegenden Verpflichtung zu einer ausreichenden Bescheidbegründung nicht nachgekommen sei, brachte sie doch immerhin klar zum Ausdruck, daß sie das eingeholte Gutachten, welches durch einen Amtssachverständigen auf seine Richtigkeit hin überprüft worden ist, für ausreichend erachtete, um die Frage einer möglichen Gefährdung der Standsicherheit von Nachbargebäuden zu beantworten. Daß die Behörde erster Instanz dort besondere Maßnahmen vorsah, wo unmittelbar an der Grundgrenze zu einem anderen Nachbarn ein Teil des Bauvorhabens verwirklicht werden soll, kann entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht deshalb als ein Widerspruch gewertet werden, weil Vorschreibungen bezüglich der anderen Liegenschaften, wo keine Bauführung unmittelbar an der Grundgrenze erfolgt, unterblieben. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers ist der angefochtene Bescheid hinsichtlich seiner Begründung sowohl nachvollziehbar als auch nachprüfbar.
Auf Grund der dargelegten Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich im Rahmen der gestellten Anträge auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
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ECLI:AT:VWGH:1990:1990050105.X00Im RIS seit
03.05.2001