TE Vwgh Erkenntnis 1990/11/7 90/01/0138

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Veröffentlicht am 07.11.1990
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde des A gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Februar 1989, Zl. 229.556/4-II/6/88, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. Dezember 1987 ab und sprach wie die Verwaltungsbehörde erster Instanz aus, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinn der Genfer Konvention ist. Die belangte Behörde ging bei ihrer Entscheidung im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Der Beschwerdeführer sei türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität und am 2. August 1987 legal in das Bundesgebiet eingereist. Am 10. August 1987 habe er Asyl beantragt und sei am 7. Oktober 1987 von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien niederschriftlich befragt worden. Dabei habe er angegeben, als Angehöriger der kurdischen Minderheit in seinem Heimatort ständig diskriminiert worden zu sein. Man dürfe die kurdische Sprache nicht sprechen. Es hätten immer wieder Hausdurchsuchungen und Verhöre durch das Militär stattgefunden. Man habe dem Beschwerdeführer vorgeworfen, Terroristen zu unterstützen. Im Juli 1983 sei der Beschwerdeführer 20 Tage in Polizeiarrest genommen und verhört worden, weil man ihm vorgeworfen habe, PKK-Angehörige unterstützt zu haben. Im November 1986 habe eine Auseinandersetzung zwischen Angehörigen dieser Organisation und dem Militär stattgefunden, nach der der Beschwerdeführer festgenommen und gefoltert worden sei, weil man ihm die Unterstützung von PKK-Angehörigen vorgeworfen habe. Diese Vorfälle hätten den Beschwerdeführer dazu bewogen, sich für "die unterdrückten Kurden" einzusetzen, indem er "junge Kurden öffentlich aufgefordert" habe, gegen das Militär vorzugehen. Das Militär habe hievon erfahren. Der Beschwerdeführer habe im Mai 1987 sein Heimatdorf verlassen und sich bei Verwandten und Bekannten in Adana aufgehalten. Am 18. August 1987 sei der Vater des Beschwerdeführers nach Adana gekommen und habe diesem mitgeteilt, daß während dessen Abwesenheit das Militär im Dorf nach dem Beschwerdeführer gesucht habe. Der Vater des Beschwerdeführers habe ihm deshalb vorgeschlagen, der Beschwerdeführer möge zu seinem in Österreich lebenden Onkel flüchten. Der Onkel des Beschwerdeführers habe durch Bezahlung von Bestechungsgeld bei der Paßbehörde in Adana für den Beschwerdeführer einen Reisepaß erhalten, mit dem der Beschwerdeführer nach Österreich ausgereist sei. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei habe der Beschwerdeführer mit einer Gefängnisstrafe rechnen müssen.

Zur Beweiswürdigung führte die belangte Behörde in der Bescheidbegründung aus, die Zusammenarbeit mit Terroristen (PKK) und die Tatsache, daß der Beschwerdeführer legal mit seinem Reisepaß habe ausreisen können, seien Indizien dafür, daß er in seinem Heimatland keinen Verfolgungen im Sinne der Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen sei. Eine legale Ausreise wäre wohl nicht möglich gewesen, wenn man ein Interesse an seiner Verfolgung gehabt hätte.

Rechtlich beurteilte die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers dahin, daß die angeführten Beeinträchtigungen den Tatbestand einer Verfolgung nicht erfüllten, weil sie nicht über das hinausgingen, was die Bewohner des Heimatlandes des Beschwerdeführers auf Grund des herrschenden Systems allgemein hinzunehmen hätten. Sie stellten keine individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention dar. Kurzfristige Festnahmen und Verhöre im Zusammenhang mit Außeinandersetzungen zwischen Angehörigen einer terroristischen Vereinigung und dem Militär könnten nicht als Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention angesehen werden. Nach den Berichten der österreichischen Vertretungsbehörde in der Türkei könne von einer Verfolgung von Kurden bloß auf Grund ihrer ethnischen Abstammung nicht gesprochen werden. Die Provinz Tunali, die der Beschwerdeführer als Heimatprovinz angegeben habe, zähle zu den Provinzen der Türkei mit dem höchsten kurdischen Bevölkerungsanteil. Da ungefähr 90 % der Bevölkerung kurdischer Abstammung seien, sei es unglaubwürdig, daß der Beschwerdeführer lediglich auf Grund seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Bevölkerung in seinem Dorf diskrimiert worden sei. Weiters sei es äußerst unwahrscheinlich, daß jemand, der Jugendliche öffentlich zum Vorgehen gegen das Militär auffordere, nicht nach kurzer Zeit in irgendeiner Form "belangt" werde.

Der Hochkommissär der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge sei gemäß § 9 Abs. 3 AsylG gehört worden und habe der in Aussicht genommenen Abweisung zugestimmt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Asylgewährung verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126 (AusylG) in der Fassung BGBl. Nr. 796/1964 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne des Gesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 unter Bedachtnahme auf das Protokoll BGBl. Nr. 78/1974 erfüllt und kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehöriger zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die belangte Behörde hat das Vorbringen des Beschwerdeführers mit der Feststellung als unglaubwürdig erachtet, die Zusammenarbeit mit Terroristen (PKK) und die Tatsache, daß der Beschwerdeführer legal mit seinem Reisepaß ausreisen habe können, seien Indizien dafür, daß er in seinem Heimatland keinen Verfolgungen im Sinne der Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen sei. Die Feststellung, der Beschwerdeführer habe mit Terroristen zusammengearbeitet, ist aber ebenso wie jene, er sei legal mit seinem Reisepaß ausgereist, aktenwidrig. Der Beschwerdeführer hat vielmehr ausschließlich vorgebracht, er sei nach Auseinandersetzungen zwischen PKK-Angehörigen und dem Militär festgenommen und gefoltert worden, weil man ihm die Unterstützung der PKK-Angehörigen vorgeworfen habe. Eine Zusammenarbeit mit der genannten Organisation kann aber der Angabe des Beschwerdeführers, er habe junge Kurden öffentlich aufgefordert, gegen das Militär vorzugehen, nicht entnommen werden. Auch ist die Aufforderung, nach Übergriffen des Militärs sich zur Wehr zu setzen, nicht als terroristische Tätigkeit zu verstehen. Der Beschwerdeführer hat auch angegeben, er habe einen Reisepaß zur Ausreise nur durch Bestechung erlangen können. Es kann daher nicht gesagt werden, der Beschwerdeführer habe seinen Heimatstaat legal verlassen, woraus der Schluß gezogen werden könnte, er habe keine Verfolgungen zu befürchten gehabt.

Als unrichtig erweist sich auch die Rechtsansicht der belangten Behörde, das Vorbringen des Beschwerdeführers könne nicht dem Tatbestand einer Verfolgung im Sinne der Konvention unterstellt werden. Der Beschwerdeführer hat als konkrete Verfolgungshandlungen mehrfache Festnahmen und ein Verhör unter Anwendung von Foltermethoden angegeben, die nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes sehr wohl konkrete Verfolgungshandlungen darstellen, die eine Furcht vor weiterer Verfolgung als wohlbegründet erkennen lassen. Weder aus der allgemeinen Mitteilung der österreichischen Vertretungsbehörde in der Türkei, von einer Verfolgung von Kurden bloß auf Grund ihrer ethnischen Abstammung könne nicht gesprochen werden, noch aus dem Prozentsatz der kurdischen Bevölkerung in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, läßt sich eine konkrete Verfolgung des Beschwerdeführers wegen dessen kurdischer Abstammung ausschließen.

Schon aus diesen Gründen ergibt sich, daß der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet ist. Er mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufgehoben werden.

Von der Durchführung einer Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und 6 VwGG Abstand genommen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990010138.X00

Im RIS seit

07.11.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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